Freitag, 28. Juli 2017
Abraham ist schuld – vierteiliger Kurzkrimi – Teil I
Es war das zweite Klassenfest an der Grundschule am Tuchtweg. Tuncay verzichtete auf ein gegrilltes Steak, obwohl er einen rasenden Hunger auf Fleisch hatte. Es lag zwar Rindfleisch auf dem Rost, aber halal war es trotzdem nicht. Dass die Schafe, die sie zum Opferfest in der Familie mit einem Spaten schlachteten, genaugenommen auch nicht halal waren, weil sie vom Schächten so viel verstanden wie ein Soziologe vom Mauern, blendete er dabei aus. Er hatte eben seine Prinzipien. Daniel verzehrte auch nur Salat. Das wunderte ihn und er fragte: „Bist du Vegetarier?“
„Nein, Jude.“
„Aber das ist kein Schweinefleisch.“
„Richtig, aber die Steaks sind in Sahne eingelegt und damit nicht koscher. Mal davon abgesehen, auch nicht koscher geschlachtet.“
„Tja“, mischte Jörn sich ein. „Wenn ihr eure Kinder auf eine evangelische Bekenntnisschule schickt, müsst ihr euch nicht wundern, wenn ihr bei euren komplizierten Essgewohnheiten nicht richtig satt werdet. Das ist eben der Vorteil, wenn man Christ ist; man darf alles essen.“
„Klar, auch Scheiße.“, murmelte Tuncay.
„Gleich fängst du dir eine ein!“, drohte Jörn.
„Entspannt euch.“, beschwichtigte Daniel die beiden Hitzköpfe. „Es kann doch jeder essen, was er für richtig hält. Das geht keinen etwas an.“
„Ach“, beklagte sich Jörn. „Aber wenn die Moslems beim Schlachten den Tierschutz nicht einhalten und die armen Viecher kopfüber aufgehängt langsam ausbluten lassen, dann geht mich das als Bürger dieses Landes schon was an! Das sollte man mal mit euch machen und zwar genau dann, wenn euer scheiß Opferfest ist. Könnt euch ja mal selber opfern.“
Tuncay stürmte auf Jörn zu, Daniel ging dazwischen. „Jetzt versaut euren Kindern nicht das Klassenfest, ihr Spinner!“, schimpfte er. „Vom Schächten hast du echt keine Ahnung, Jörn. Das haben nicht die Muslime erfunden, sondern wir Juden und zwar auch aus Gründen des Tierschutzes. Da muss nämlich die Halsschlagader mit einem sauberen, sehr scharfen Messer mit einem einzigen Schnitt blitzschnell geöffnet werden, so dass das Tier sofort das Bewusstsein verliert. In euren Schlachthöfen werden die Tiere auch kopfüber aufgehängt und dann wachen sie oft nochmal auf und werden zuckend ins kochende Wasser getaucht. Also erzähl du uns nichts von Tierschutz, oder willst du behaupten, dass du nur Biofleisch isst?“
„Das ist ja viel zu teuer.“, entschuldigte Jörn sich. „Aber was du da vom Schächten erzählst, ist doch nur graue Theorie. Jeden Herbst marodieren die Moslems durch die Gegend, schwatzen den Bauern Schafe ab, die sie dann im Hinterhof irgendwie schlachten, wenn sie sich nicht sogar nachts auf die Weide schleichen und die Tiere da direkt mit nem Beil erschlagen oder, weil sie zu blöd dafür sind, die schwer verletzten Viecher halb tot liegen lassen. Und wozu das alles? Weil sie immer noch wie in grauer Vorzeit ihre scheiß Schlachtopfer bringen müssen.“
„Du hast echt überhaupt keine Ahnung, Mann.“, erwiderte Tuncay. „Beim Opferfest geht es darum, wie Ibrahim seinen Sohn Ismail opfern sollte, das hatte Allah ihm so aufgetragen. Aber dann schickte Allah einen Widder und den schlachtete Ibrahim anstelle seines Sohnes. Das Fleisch teilte er mit den Armen und in Erinnerung an diese Geschichte feiern wir das Opferfest, treffen uns in den Familien und teilen das Fleisch mit denen, die sich das nicht leisten können.“
„Aber eigentlich hat die Geschichte sich ja etwas anders zugetragen.“, erklärte Daniel. „Ibrahim oder Abraham, wie wir ihn nennen, hatte Ismael mit seiner Mutter Hagar längst in die Wüste geschickt. Haschem hatte ihn beauftragt seinen Sohn Isaak zu opfern, seinen einzigen rechtmäßigen Sohn, von seiner Ehefrau Sarah, denn Ismaels Mutter war nur die Zofe seiner Frau. Gott stellte Abraham damit auf die Probe, wie sehr er ihn liebte und ihm gehorchte. Als klar war, wie treu ergeben Abraham seinem Schöpfer war, zeigte der sich gnädig und schickte einen Widder, der sich im Gestrüpp verfing. Den legte Abraham dann auf den Brandopfer-Altar. Die Muslime haben diese Geschichte verdreht und ihren Stammvater Ismael an die Stelle des jüdischen Stammvaters Isaak gesetzt.“
„Von wegen verdreht!“, protestierte Tuncay. „Der Islam ist die älteste Religion der Welt! Der Islam war schon immer da.“
„Hallo?“, erwiderte Daniel. „Mohammed tauchte erst im 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung auf. Da ist ja das Christentum ein halbes Jahrtausend älter. Und das Judentum ist gleich noch mal ein Jahrtausend älter. Ist doch wohl klar, wer da von wem abgeschrieben hat.“
Jetzt mischte Tuncays Frau Kerime sich ein: „Müsst ihr Männer schon wieder alles aufmischen? Könnt ihr nicht einmal friedlich zusammen feiern? Ist doch egal wen der alte Mann vor dreitausend Jahren schlachten wollte. Der Sinn der Sache ist doch, dass alle sich vertragen. Im Koran wird Isaak übrigens als rechtschaffener Prophet gepriesen und gesegnet. Also vertragt euch.“ Dann wandte sie sich an Jörn: „Als Christ solltest du die Geschichte doch auch kennen. Was wird denn bei euch in der Kirche erzählt?“
„Woher soll ich das wissen?“, erwiderte Jörn. „So genau kenne ich mich in der Bibel nicht aus. Ich bin ja schließlich kein Pastor.“
„Die Geschichte von Abraham und Isaak steht auch in der Bibel.“, erklärte die Lehrerin.
„Na also!“, ereiferte sich Jörn. „Zwei gegen einen. Muslime können eben nur billige Fälschungen abliefern, sonst nichts.“
Daniel schüttelte mit dem Kopf und Tuncay rief: „Und ihr scheiß Deutschen könnt nur Schweinefleisch fressen und Minderheiten verfolgen. Meint, ihr wärt was Besseres, weil ihr Christen seid und habt noch nicht mal Ahnung von eurer Religion.“
„Erzähl du mir nicht, wie ich in meinem Land zu leben habe!“, zischte Jörn und griff sich plötzlich ein Messer, mit dem der Grillmeister große Fleischstücke zerlegte. Kerime ging erneut dazwischen: „Jetzt kommt runter, Männer. Das ist doch total überflüssig, was ihr hier abzieht.“
„Der einzige, der hier gerade was abzieht, ist diese verdammte Kartoffel!“, brüllte Tuncay. Nun brannten Jörn endgültig die Sicherungen durch. Er stürzte sich auf den muslimischen Vater, Kerime warf sich schützend vor ihren Mann. „Ibrahim...“, murmelte sie noch, dann ging sie zu Boden.
ENDE TEIL I – FORTSETZUNG FOLGT

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nochnichmal die abrahamitischen verstehen sich untereinander!
und für den muselmanen sind gleich alle deutschen scheiß-christen oder alle christen scheiß-deutsche. da lobe ich mir die gepflegte arroganz der "brights" oder die friedvolle respektlosigkeit der pastafari! gelobt sei das fliegende spaghettimonster samt seiner anhängsel!
aber im ernst, mir ist es ja egal was die gläubigen so unter sich machen, aber pr-mäßig sind die nicht gut aufgestellt. ich sehe unglaublich viele plakate, die religiöse toleranz predigen, aber so gut wie keines, das freiheit von religion da deutlich mit einbezieht, obwohl die atheisten ja echt keine verschwindende minderheit mehr sind, auch außerhalb berlins. das kommt schon etwas ignorant arrogant rüber, dabei ist demut etwas, was doch in der theorie ein wichtiges element der religion ist. als die kirche noch das sagen hatte, konnte sie die demut natürlich gut deligieren, aber heutzutage sehe ich die größte chance auf imagegewinn in überzeugender demuts-bezeugung. nichtüberzeugende demuts-bezeugungen gibt es ja schon im tandem mit nicht-überzeugenden, undemütischen autoritätsansprüchen. wenn man auf letzteres ganz verzichten könnte, dann wäre der erste schritt getan zu mehr überzeugungskraft bei erstgenannter übung. ist natürlich schwer. kann man aber üben. muss ja nicht echt sein, nur täuschend echt ausschauen. ;) aber, wie gesagt, mir ist das ja eigentlich egal.

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schöner Kommentar!
Muss ich am Wochenende mal drüber nachdenken. zur Zeit, leider im Stress

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Das mit der Demut
ist ein guter Hinweis. Nicht dass ich ein Fan von demütiger Duldsamkeit wäre, die alles erträgt, das hat viel Leid in die Welt gebracht und vor allem verhindert, dass die Unterdrückten sich wehren. Aber dass die, die in der Hierarchie ganz oben stehen, sich wirklich als Diener der Menschheit begreifen, das kann ich auch nicht mehr erkennen. Mehr Vorsicht im Umgang mit Agnostikern, Atheisten und Andersgläubigen wünsche ich mir auch - und vor allem, dass die Achtung, die man anderen Menschen entgegebringt, nicht gespielt ist. So etwas merkt man nämlich durchaus, wenn man nicht ganz doof ist. Da muss unser Verein noch deutlich an sich arbeiten. Ich auch.

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