Freitag, 14. Juli 2017
Silberkonfirmation – zweiteiliger Kurzkrimi – Teil II
Fliege sprang von seinem Stuhl auf und stürzte zur Damentoilette. Max rief einen Krankenwagen. Als der Notarzt eintrudelte konnte er nur noch den Tod der jungen Frau feststellen. Sie hatte Würgemale am Hals, darum informierte er die Polizei und erklärte: „Sie bleiben jetzt besser alle hier, die wollen sicher mit jedem reden.“
Fliege war außer sich, noch nie hatten die anderen ihn so laut und heftig weinen gesehen. Alle waren zutiefst schockiert. Während sie auf die Polizei warteten sagte Max plötzlich: „Wenn sie jemand erwürgt hat, dann fällt mir spontan nur einer ein.“
„Wer denn?“, fragte Panne entsetzt darüber, dass Max jemanden kannte, dem er dieses Verbrechen zutraute.
„Deutschmade.“
„Quatsch.“, erwiderte Speicher barsch. „Dauernd gehen in alle auf Deutschmade los, dabei hat der noch nie irgendwem irgendwas getan.
„Kann ich mir auch nicht vorstellen.“, murmelte Panne.
„Warum sollte Jens Penne das antun?“, schluchzte Fliege. „Die mochten sich doch.“
„Jens ist schon in Ordnung.“, meinte Meret. „Wie kommst du überhaupt darauf?“
„Vielleicht mochte Penne ihn nicht so gern wie er sie mochte und da ist er ausgerastet.“
„Ach dem ist doch höchstens im Suff mal die Hand ausgerutscht.“, meinte Toni. „Ich meine, ich lege auch keinen Wert darauf, dass der mich anfasst, aber das tu er auch nicht.“
„Also jetzt reicht es mir endgültig.!“, brach es plötzlich aus Rike heraus. Ihr sonst so zurückhaltendes, naives Kindergesicht verwandelte sich in ein Maske aus Wut, Hass und Verzweiflung. „Natürlich war das Deutschmade. Bei Flieges Party ist nämlich was vorgefallen, von dem ihr alle nichts mitgekriegt habt. So wie jedes Mal, wenn Jens zugeschlagen hat. Immer habt ihr ihn in Schutz genommen. Damals im Zeltlager, als er Jasmin ständig auf die Pelle gerückt ist, bis sie ihm gesagt hat, sie würde ihn treten, wenn er noch einmal näher käme. Da habt ihr alle nur auf Jasmin rumgehackt. Und Als er auf seiner eigenen Party Anna immer wieder seine fette Zunge in den Hals geschoben hat, obwohl die schon um sich schlug, habt ihr das auch damit entschuldigt, dass er eben besoffen war. Der hat uns alle dauernd angegrabbelt, nur wenn ein Mädchen mit einem seiner Kumpels zusammen war, hat er aufgepasst, dass die das nicht mitkriegen.“
„Das ist doch alles Schwachsinn.“, jammerte Fliege. Hier kann jeder rein und raus, ohne dass einer was merkt. Bei dem ganzen Gesocks, das hier rumlungert, kann da sonst wer auf dem Frauenklo auf eine Gelegenheit gelauert haben. Und Penne war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.“
Ein finster dreinblickender Mittfünfziger und eine attraktive junge Frau betraten das Gemeindehaus. Sie stellten sich vor als Stefan Keller und Sabine Kerkenbrock, beide Kommissare der Mordkommission.
Sie baten die anwesenden, sich bereit zu halten und sprachen dann mit jedem einzeln. Fliege sparten sie sich bis zum Schluss auf, weil er zunächst ärztlich versorgt werden musste. Auch Meret stand unter Schock und wurde von den Sanitätern behandelt.
Als erstes baten sie Stefan Schüssle zu sich.
„Ich kann Ihnen da gar nicht weiterhelfen.“, sagte er. „Ich habe nur selten Kontakt zu Penelope und Philipp und eben ist mir auch nichts Besonderes aufgefallen. Sie ist zur Toilette gegangen und irgendwann fiel Meret auf, dass sie gar nicht zurück kam. Dann ist sie nachsehen gegangen und hat sie gefunden. Ich dachte zuerst, sie wäre einfach ohnmächtig, weil ihr Mann erzählt hat, dass sie in letzter Zeit seltsam und höchstwahrscheinlich schwanger sei. Da kommt so was ja schon mal vor.“
Meret Mitloss wollte gern als nächste zur Befragung, damit sie schnell nach Hause gehen konnte.
„Ich habe keine Ahnung, wer das getan haben kann.“, erklärte sie. „Mir fiel einfach auf, dass sie nicht von der Toilette zurückkam und da habe ich nach ihr gesehen. Und dann habe ich sie da gefunden.“
Meret schluchzte und brauchte einen Moment, um sich zu beruhigen.
„Haben Sie etwas am Tatort verändert? Ihre Freundin umgelagert oder angefasst?“
„Ich habe sie an die Schultern gefasst und geschüttelt, aber dann habe ich in ihre toten Augen gesehen und da wusste ich eigentlich schon, dass man nichts mehr machen konnte. Aber irgendwie habe ich noch gehofft, dass ich mich vertan habe, darum habe ich den anderen gesagt, sie sollen einen Krankenwagen rufen.“
Marius Speicher kam als nächstes an die Reihe, damit er danach Meret nach Hause bringen konnte. „Es war alles ganz normal.“, meinte er. „Mir ist nicht einmal aufgefallen, dass Penelope schon so lange auf der Toilette war. Wir haben uns eben unterhalten. Wir waren laut. Keiner hat irgendwas gehört. Und es war ja auch zwischendurch keiner von uns pinkeln. Ich glaube auch nicht, dass es einer von denen war, die eher gegangen sind. Keiner von denen hatte was mit Penelope zu tun, soweit ich weiß. Sie war ja ein paar Jahre jünger als er.“
Holger Wickler, den alle Panne nannten, erklärte: „Wir dachten alle, ihr ist schlecht geworden, weil sie vermutlich schwanger war. Eigentlich war sie so wie immer, obwohl ihr Mann gesagt hat, dass sie in letzter Zeit komisch war, aber wohl wegen der Schwangerschaft, das war auch beim ihrem ersten Kind so. Das kann nur ein Irrer gewesen sein, der sich hier rein geschlichen hat.“
Antonia Wickler sagte aus: „Wir waren richtig gute Freundinnen und ich glaube, da war irgendwas. Also das kam sicher nicht nur von der Schwangerschaft. Sie war die letzten Wochen anders als sonst, als wenn ihr irgendwas klar geworden wäre. Ich habe mich gefragt, ob es in ihrer Ehe kriselt. Ihr Mann liebt sie total und sie wollte ihn auch immer haben, aber so was kann sich ja verändern. Vielleicht hatte sie einen Anderen. Allerdings habe ich keine Ahnung, wer das sein könnte.“
Marcus Mitloss setzte eine wissende Miene auf und begann seine Verdächtigungen auszubreiten: „Es gibt da jemanden, der zu dieser Clique gehört, obwohl er mindestens zehn Jahre älter ist als die meisten von uns. Er ist schon oft dadurch aufgefallen, dass er sich an Frauen herangemacht hat, obwohl die das nicht wollten. Seine Kumpels wollen das nicht wahrhaben und die Frauen nehmen ihn auch meistens in Schutz. Aber fragen Sie mal Rike Pepper, die ist eben total ausgerastet und hat da entsprechende Andeutungen gemacht. Vielleicht ist da irgendwas vorgefallen und er hat sich gerächt, weil sie ihn nicht wollte oder sie mundtot gemacht, damit sie niemandem was erzählen kann. Penelope war ja in letzter Zeit seltsam. Können natürlich die Hormone gewesen sein, aber ehrlich gesagt glaube ich, dass ihr irgendwas passiert ist. Mir ist nämlich auch aufgefallen, dass sie kaum redete und oft überreagiert hat. Philipp meint, das läge an der Schwangerschaft, aber ich habe sie auch schon erlebt, als sie zum ersten Mal schwanger war. Da war ihr oft schlecht, und sie hatte manchmal miese Laune und keine Lust zu irgendwas, aber so merkwürdig wie in den letzten Wochen war sie da nicht.“
Keller fragte sich im Stillen, wie es kam, dass dieser Mann die junge Frau so intensiv im Blick hatte.
„Sie kannten die Verstorbene also näher?“, fragte er um einen neutralen Tonfall bemüht.
„Auch nicht näher als alle anderen in der Clique.“, antwortete Max. „Wir kennen uns alle schon seit ungefähr fünfundzwanzig Jahren. Da fällt einem schon auf, wenn sich jemand verändert.“
„Und der ältere Mann, der zu Ihrer Clique gehört. Wer ist das?“
„Jens Deutschmann.“, erwiderte Max. „Er wohnt gleich hier um die Ecke, im Adlerweg 10. Er tauchte damals nach seiner Bundeswehrzeit im Jugendcafé auf. Er hatte sich für mehrere Jahre verpflichtet, war bei der Marine und als er zurück nach Hause kam, hatte er praktisch keine Freunde mehr. Da hat er sich an uns gehängt, obwohl wir alle Teenager waren und er schon Mitte zwanzig. Die meisten Jungs in der Clique fanden ihn cool, weil er schon Auto fuhr und eine super Stereo-Anlage und einen eigenen Party-Keller hatte. Ich fand ihn von Anfang an dämlich und langweilig und die Mädchen ekelten sich alle vor ihm. Aber sie waren scharf auf die Jungs und die nahmen ihn immer in Schutz, also redeten sie sich ein, dass Jens eigentlich ganz okay sei. Nur Rike, die sieht das etwas anders, aber die ist auch mit keinem von den Jungs aus der Clique zusammen.“
Das Gespräch mit Rike Pepper schloss sich unmittelbar an. Sie bestätigte Max' Verdächtigungen, berichtete von Vorfällen aus der Vergangenheit und ging sogar noch weiter: „Ich bin mir sicher, dass Jens Deutschmann Penelope auf der letzten Party ihres Freundes irgendetwas angetan hat. Sie war ziemlich abgefüllt und ist früh schlafen gegangen. Dann habe ich Jens Deutschmann eine ganze Weile nicht gesehen und dachte schon, oh, der ist schon voll und nach Hause gewankt, wie schön. Aber irgendwann tauchte er wieder auf und grinste die ganze Zeit so widerlich und selbstzufrieden. Seit dieser Party ist Penelope so komisch. Vielleicht hat er ihr KO-Tropfen ins Getränk gekippt und sich dann zu ihr ins Bett geschlichen. Oder er ist einfach so über sie hergefallen. Vielleicht hat sie ihm damit gedroht, ihn anzuzeigen. Keine Ahnung. Auf jeden Fall kann ich mir gut vorstellen, dass er es war.“
Zum Schluss wurde Philipp Kiesling befragt. „Penelope war komisch in letzter Zeit. Sie war sicher schwanger. In der ersten Schwangerschaft war sie auch so. Ich glaube nicht, dass das jemand war, den sie kannte. Penelope war nicht so eine, die die Probleme magisch anzieht. Das muss irgendein Irrer gewesen sein.“
Jens Deutschmann trafen die Beamten nicht zu Hause an. Sie bestellten ihn für den nächsten Morgen aufs Präsidium. Zur Sicherheit ließen sie sich eine DNA Probe geben, auch wenn die Tote keine Haut oder Blut unter den Fingernägeln hatte. Penelope Kiesling war tatsächlich schwanger, aber es dauerte eine Weile bis, der DNA-Abgleich ergab, dass Philipp nicht der Vater des Kindes war, sondern Jens Deutschmann. Deutschmann war nicht so abgebrüht und gerissen, wie er sich selbst gern gesehen hätte. Unter dem Druck der erprobten Verhörmethoden knickte er schnell ein und gestand, dass er die Situation der stark alkoholisierten Penelope ausgenutzt und sich zu ihr ins Bett geschlichen hatte. Ihren halbherzigen Widerstand hatte er ignoriert und darauf gesetzt, dass seine Eigenschaften als Liebhaber sie entweder überzeugten oder der Rausch dafür sorgte, dass sie sich am kommenden Tag an nichts erinnern konnte. Doch dann hatte er sie getroffen: Er hatte eine Radtour unternommen und sie war mit dem Hund draußen. Sie hatte ihn hasserfüllt angestarrt und er hatte sie gefragt was los sei. „Das weißt du ganz genau.“, hatte sie geantwortet. „Und bald weiß es jeder.“ und dann war sie zügig weiter gegangen. Zur Silbernen Konfirmation war er zum Gemeindehaus gefahren, um sie dort noch einmal zu überreden, auch in ihrem eigenen Interessen den Eklat zu vermeiden. Als er ankam, hatte er gesehen, wie sie in die Damentoilette ging. Er war ihr gefolgt, hatte abgewartet, bis sie wieder herauskam, um mit ihr zu reden. Er hatte sich ihr in den Weg gestellt, sie hatte an ihm vorbei schlüpfen wollen, aber er hatte sie nicht gelassen. Sie begann zu schreien und noch bevor jemand das hören konnte, hatte er begonnen ihre Kehle zuzudrücken. Sie hatte so schrecklich gezappelt und er hatte erst von ihr abgelassen, als sie zu Boden ging. Dann war er in die Innenstadt geradelt und hatte sich betrunken und gehofft, ungeschoren davon zu kommen. Penelope Kiesling würde ihre Silberne Konfirmation nicht mehr erleben, nicht einmal die Konfirmation ihres dreijährigen Sohnes.

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