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Samstag, 16. Dezember 2023
Spoiler 9 - nichts für Kinder
c. fabry, 01:31h
1971
Das Trauerjahr war um, das nette, zweiteilige Tanzkleid vom letzten Jahr passte noch und Ingrid schwor sich, im Falle eines weiteren verwandtschaftlichen Spontanablebens die starren Formen der hiesigen Trauerkultur zu durchbrechen.
Aber die Sterne - oder welche Götter auch immer
- meinten es gut mit ihr und ersparten ihr diesmal jedwede Fallstricke und Hindernisse. Und so machte Ingrid sich zurecht für das große Schützenfest im nahegelegenen Lenzinghausen.
Sie stand noch gar nicht lange am Rand der Tanzfläche, da forderte sie auch schon der erste Kandidat zum Tanzen auf. Sie hatte nie wirklich tanzen gelernt, aber hier auf dem Land beherrschten die meisten nur den einfachen Schieber, und in diese gleichförmige Bewegung fand sie sich schnell ein. Viele konnten auch einen Walzer tanzen, aber dafür lief am Samstag Abend ohnehin nicht die richtige Musik.
Ihr Tanzpartner war ein Autoschlosser aus Spenge, sein Gesicht hatte sie schon nach ein paar Stunden vergessen, aber nicht die Trauerränder unter den Fingernägeln. Sicher hatte er seine Hände gründlich geschrubbt und schließlich konnte es nichts für die Hartnäckigkeit des Motoröls, aber der Dreck aus der Landwirtschaft ließ sich mit Bürste und ordentlicher Seife entfernen, und warum sollte sie sich einen Arbeiter anlachen, der hatte weder Geld noch Unterstützung zu bieten.
Ein paar Tänze und ein paar alkoholische Getränke später kam ein Schrank von einem Kerl auf sie zu. Sie hatte gar keine Gelegenheit, darüber nachzudenken, ob sie mit ihm tanzen wollte oder nicht. Er packte sie, zog sie an sich und bewegte sich zügig mit ihr auf die Tanzfläche. Sein kräftiger linker Unterarm umschlang ihre Taille, mit der rechten Bauernpranke umfasste er ihre linke Hand und stob mit ihr über den Tanzboden, als gäbe es kein Morgen. Sie kannte ihn flüchtig - Ramöllers Horst - ein fleißiger Kerl, der zwar keinen Hof an den Hacken hatte, den aber ein stattlicher Geldsegen erwartete, wenn er einmal heiratete, eine durch und durch gute Partie. Dass er noch zu haben war, weil ihm die latente Gewaltbereitschaft offenkundig aus allen Poren strömte, entzog sich Ingrids Wahrnehmung, denn erstens verfügte sie aufgrund ihrer jahrelangen, sozialen Isolation über keinerlei Menschenkenntnis und außerdem empfand sie unterschwellige Aggressivität als vollkommen normal - sie kannte ja nichts Anderes.
Sie genoss es, dass er sie nicht mehr von der Leine ließ, und obwohl sie statt des viel zu bitteren Biers nur Alsterwasser trank, war sie erheblich schneller betrunken als Horst Ramöller, denn erstens vertrug sie als Frau ohnehin nicht so viel und zweitens war sie kaum an Alkohol gewöhnt, zu Hause hatte nur der Vater getrunken.
Mit dem Voranschreiten des Abends wurde die Musik wilder und die Stimmung ausgelassener - anstelle von Schlagern erklangen Lieder der Rolling Stones und zwischen den wilden Beats spielte die Kapelle den einen oder anderen Klammerblues, von denen Horst nicht einen ausließ.
Ingrid wurde abwechselnd heiß und kalt. Es war ein großes Glück, einen so fetten Goldfisch an der Angel zu haben, aber das Potpourri aus Männerschweiß, Rasierwasser, Bier und Zigarettenrauch überflutete ihr limbisches System und löste eine innere Panik aus, deren Unterdrückung ihr nur dank ihres eisernen Willens gelang, dieser Wille, sich mit einem passenden Mann aus ihrem Elend zu befreien. Irgendwann wollte Horst dann auch mehr als nur eng tanzen. Er zog sie hinter das Festzelt und drängte sie in den Schatten eines Baumes, wo er sich an sie drückte und seine feuchten Lippen wüst auf die ihren presste. Seine glitschige Zunge fuhr wie ein Feudel durch ihre Mundhöhle, und sie musste sich darauf konzentrieren, dem aufkommenden Würgereiz nicht nachzugeben. Dann griff er mit einer Hand besitzergreifend nach einer ihrer Pobacken, die andere fuhr unter die Bluse und landete auf ihrer Brust. Er begann zu stöhnen und Ingrid fragte sich, ob es genauso furchtbar werden würde wie mit ihrem Vater. Sie hatte mitbekommen, dass es die Aussichten auf eine Heirat verdarb, sich gleich bei der ersten Gelegenheit hinzugeben und so sagte sie irgendwann: "So. Jetzt ist es erstmal genug. Ich muss jetzt nach Hause. Schließlich muss ich morgen früh füttern und melken."
"Ja, ich auch.", lallte Horst. "Ich bring dich nach Hause, dass dir nix passiert."
In der kommenden Woche stand Horst auf der Matte und fragte, ob sie nicht Lust habe, mit ihm zur Landjugend zu gehen. Lisbeth witterte fette Beute und ließ ihre Tochter gewähren, es blieb ihr ja auch nichts Anderes mehr übrig, denn Ingrid war volljährig. Auch wenn sie kaum ein selbstständiges Leben führen konnte - sie besaß nichts und hatte keinerlei Ausbildung vorzuweisen - so war Lisbeth doch mittlerweile abhängig vom Wohlwollen ihrer Tochter, die genauso gut mit wem auch immer durchbrennen und sich in irgendeiner Fabrik oder Gaststätte ihren Lebensunterhalt verdienen konnte. Wer würde dann den Hof weiterführen? Denn eines war klar: Lisbeth würde keinen neuen Mann mehr finden und sie wollte auch keinen. Heilfroh war sie mittlerweile, dass der brutale, rücksichtslose Säufer an ihrer Seite das Zeitliche gesegnet hatte.
Und so erschien Horst als der starke Retter, auf den Ingrid schon so lange gewartet hatte. Sie war wild entschlossen, die Zähne zusammenzubeißen und alles an körperlicher Nähe zu ertragen, was nötig war, um diesen Mann einzufangen und zu halten. Darum dauerte es auch nur wenige Wochen, bis sie sich bereitwillig in sein Bett legte, gewappnet mit Verhütungsmitteln, die eigentlich keine waren. Aber da weniger Ingrids Lust, als vielmehr Horsts Begehrlichkeiten im Vordergrund standen, blieb das eigentlich Unvermeidliche zunächst aus.
Mit der Zeit gewöhnte sie sich daran, es dauerte meistens auch nicht besonders lange und sie wurde mit einem Leben entschädigt, das so abwechslungsreich war wie nie zuvor. Nach gut einem Jahr verfehlten die Schaumzäpfchen dann doch ihre Wirkung, und als die Regel seit fünf Wochen überfällig war, musste sogar Ingrid erkennen, dass nun die Entscheidung fallen würde: Entweder sie würde als alleinerziehende Mutter den Rest ihres Lebens in Schande verbringen oder Horst würde sich als halbwegs anständig erweisen und sie endlich heiraten.
Horst hatte ohnehin nichts Anderes vorgehabt und drei Monate später feierten sie eine ordentliche Bauernhochzeit, mit Standesamt und Kostüm, Kirche und weißem Kleid, Brautstrauß und Kutsche und im großen Saal ereignete sich ein rauschendes Fest mit Sektempfang, Vier-Gänge-Menü, zünftigem Tanz, Mitternachtsbuffet und achtzig Gästen. Dafür hatte Lisbeth genug Geld auf die hohe Kante gelegt. Und dann wurde alles anders.
Horst zog ein. Das Schlafzimmer, in dem früher Ingrids Brüder geschlafen hatten, erhielt eine Ausstattung mit Ehebett und sechstürigem Kleiderschrank. Ingrids altes Schlafzimmer wurde vorsorglich als Kinderzimmer eingerichtet und Horst stellte sofort klar, dass er einen zügigen Ausbau des alten Heubodens in Angriff nehmen wollte. Noch vor der Geburt des Kindes begannen die Vorarbeiten.
Knapp fünf Monate nach der Hochzeit - im Februar 1973 - kam der gemeinsame Sohn Raimund zur Welt. Und endlich hatte Ingrid etwas, dass sie lieben konnte, das sie beschützen wollte, das ihr ganz allein gehörte.
Das Trauerjahr war um, das nette, zweiteilige Tanzkleid vom letzten Jahr passte noch und Ingrid schwor sich, im Falle eines weiteren verwandtschaftlichen Spontanablebens die starren Formen der hiesigen Trauerkultur zu durchbrechen.
Aber die Sterne - oder welche Götter auch immer
- meinten es gut mit ihr und ersparten ihr diesmal jedwede Fallstricke und Hindernisse. Und so machte Ingrid sich zurecht für das große Schützenfest im nahegelegenen Lenzinghausen.
Sie stand noch gar nicht lange am Rand der Tanzfläche, da forderte sie auch schon der erste Kandidat zum Tanzen auf. Sie hatte nie wirklich tanzen gelernt, aber hier auf dem Land beherrschten die meisten nur den einfachen Schieber, und in diese gleichförmige Bewegung fand sie sich schnell ein. Viele konnten auch einen Walzer tanzen, aber dafür lief am Samstag Abend ohnehin nicht die richtige Musik.
Ihr Tanzpartner war ein Autoschlosser aus Spenge, sein Gesicht hatte sie schon nach ein paar Stunden vergessen, aber nicht die Trauerränder unter den Fingernägeln. Sicher hatte er seine Hände gründlich geschrubbt und schließlich konnte es nichts für die Hartnäckigkeit des Motoröls, aber der Dreck aus der Landwirtschaft ließ sich mit Bürste und ordentlicher Seife entfernen, und warum sollte sie sich einen Arbeiter anlachen, der hatte weder Geld noch Unterstützung zu bieten.
Ein paar Tänze und ein paar alkoholische Getränke später kam ein Schrank von einem Kerl auf sie zu. Sie hatte gar keine Gelegenheit, darüber nachzudenken, ob sie mit ihm tanzen wollte oder nicht. Er packte sie, zog sie an sich und bewegte sich zügig mit ihr auf die Tanzfläche. Sein kräftiger linker Unterarm umschlang ihre Taille, mit der rechten Bauernpranke umfasste er ihre linke Hand und stob mit ihr über den Tanzboden, als gäbe es kein Morgen. Sie kannte ihn flüchtig - Ramöllers Horst - ein fleißiger Kerl, der zwar keinen Hof an den Hacken hatte, den aber ein stattlicher Geldsegen erwartete, wenn er einmal heiratete, eine durch und durch gute Partie. Dass er noch zu haben war, weil ihm die latente Gewaltbereitschaft offenkundig aus allen Poren strömte, entzog sich Ingrids Wahrnehmung, denn erstens verfügte sie aufgrund ihrer jahrelangen, sozialen Isolation über keinerlei Menschenkenntnis und außerdem empfand sie unterschwellige Aggressivität als vollkommen normal - sie kannte ja nichts Anderes.
Sie genoss es, dass er sie nicht mehr von der Leine ließ, und obwohl sie statt des viel zu bitteren Biers nur Alsterwasser trank, war sie erheblich schneller betrunken als Horst Ramöller, denn erstens vertrug sie als Frau ohnehin nicht so viel und zweitens war sie kaum an Alkohol gewöhnt, zu Hause hatte nur der Vater getrunken.
Mit dem Voranschreiten des Abends wurde die Musik wilder und die Stimmung ausgelassener - anstelle von Schlagern erklangen Lieder der Rolling Stones und zwischen den wilden Beats spielte die Kapelle den einen oder anderen Klammerblues, von denen Horst nicht einen ausließ.
Ingrid wurde abwechselnd heiß und kalt. Es war ein großes Glück, einen so fetten Goldfisch an der Angel zu haben, aber das Potpourri aus Männerschweiß, Rasierwasser, Bier und Zigarettenrauch überflutete ihr limbisches System und löste eine innere Panik aus, deren Unterdrückung ihr nur dank ihres eisernen Willens gelang, dieser Wille, sich mit einem passenden Mann aus ihrem Elend zu befreien. Irgendwann wollte Horst dann auch mehr als nur eng tanzen. Er zog sie hinter das Festzelt und drängte sie in den Schatten eines Baumes, wo er sich an sie drückte und seine feuchten Lippen wüst auf die ihren presste. Seine glitschige Zunge fuhr wie ein Feudel durch ihre Mundhöhle, und sie musste sich darauf konzentrieren, dem aufkommenden Würgereiz nicht nachzugeben. Dann griff er mit einer Hand besitzergreifend nach einer ihrer Pobacken, die andere fuhr unter die Bluse und landete auf ihrer Brust. Er begann zu stöhnen und Ingrid fragte sich, ob es genauso furchtbar werden würde wie mit ihrem Vater. Sie hatte mitbekommen, dass es die Aussichten auf eine Heirat verdarb, sich gleich bei der ersten Gelegenheit hinzugeben und so sagte sie irgendwann: "So. Jetzt ist es erstmal genug. Ich muss jetzt nach Hause. Schließlich muss ich morgen früh füttern und melken."
"Ja, ich auch.", lallte Horst. "Ich bring dich nach Hause, dass dir nix passiert."
In der kommenden Woche stand Horst auf der Matte und fragte, ob sie nicht Lust habe, mit ihm zur Landjugend zu gehen. Lisbeth witterte fette Beute und ließ ihre Tochter gewähren, es blieb ihr ja auch nichts Anderes mehr übrig, denn Ingrid war volljährig. Auch wenn sie kaum ein selbstständiges Leben führen konnte - sie besaß nichts und hatte keinerlei Ausbildung vorzuweisen - so war Lisbeth doch mittlerweile abhängig vom Wohlwollen ihrer Tochter, die genauso gut mit wem auch immer durchbrennen und sich in irgendeiner Fabrik oder Gaststätte ihren Lebensunterhalt verdienen konnte. Wer würde dann den Hof weiterführen? Denn eines war klar: Lisbeth würde keinen neuen Mann mehr finden und sie wollte auch keinen. Heilfroh war sie mittlerweile, dass der brutale, rücksichtslose Säufer an ihrer Seite das Zeitliche gesegnet hatte.
Und so erschien Horst als der starke Retter, auf den Ingrid schon so lange gewartet hatte. Sie war wild entschlossen, die Zähne zusammenzubeißen und alles an körperlicher Nähe zu ertragen, was nötig war, um diesen Mann einzufangen und zu halten. Darum dauerte es auch nur wenige Wochen, bis sie sich bereitwillig in sein Bett legte, gewappnet mit Verhütungsmitteln, die eigentlich keine waren. Aber da weniger Ingrids Lust, als vielmehr Horsts Begehrlichkeiten im Vordergrund standen, blieb das eigentlich Unvermeidliche zunächst aus.
Mit der Zeit gewöhnte sie sich daran, es dauerte meistens auch nicht besonders lange und sie wurde mit einem Leben entschädigt, das so abwechslungsreich war wie nie zuvor. Nach gut einem Jahr verfehlten die Schaumzäpfchen dann doch ihre Wirkung, und als die Regel seit fünf Wochen überfällig war, musste sogar Ingrid erkennen, dass nun die Entscheidung fallen würde: Entweder sie würde als alleinerziehende Mutter den Rest ihres Lebens in Schande verbringen oder Horst würde sich als halbwegs anständig erweisen und sie endlich heiraten.
Horst hatte ohnehin nichts Anderes vorgehabt und drei Monate später feierten sie eine ordentliche Bauernhochzeit, mit Standesamt und Kostüm, Kirche und weißem Kleid, Brautstrauß und Kutsche und im großen Saal ereignete sich ein rauschendes Fest mit Sektempfang, Vier-Gänge-Menü, zünftigem Tanz, Mitternachtsbuffet und achtzig Gästen. Dafür hatte Lisbeth genug Geld auf die hohe Kante gelegt. Und dann wurde alles anders.
Horst zog ein. Das Schlafzimmer, in dem früher Ingrids Brüder geschlafen hatten, erhielt eine Ausstattung mit Ehebett und sechstürigem Kleiderschrank. Ingrids altes Schlafzimmer wurde vorsorglich als Kinderzimmer eingerichtet und Horst stellte sofort klar, dass er einen zügigen Ausbau des alten Heubodens in Angriff nehmen wollte. Noch vor der Geburt des Kindes begannen die Vorarbeiten.
Knapp fünf Monate nach der Hochzeit - im Februar 1973 - kam der gemeinsame Sohn Raimund zur Welt. Und endlich hatte Ingrid etwas, dass sie lieben konnte, das sie beschützen wollte, das ihr ganz allein gehörte.
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