Freitag, 7. April 2023
Furie
Ich hatte ihr nichts getan. Ich hatte ihr nichts weggenommen, sie weder beleidigt noch gedemütigt, nicht einmal hinter ihrem Rücken schlecht über sie geredet - außer vielleicht im ganz vertraulichen Rahmen.
Trotzdem fuhr sie regelmäßig Attacken gegen mich, als hätte ich sie von ihrem Platz geschubst. Ich war ja nicht einmal ein Alphaweibchen, das von allen heterosexuellen Geschlechtsgenossinnen wegen der unschlagbaren Konkurrenz gehasst wurde.

Jetzt stand sie vor mir mit diesem absurd langen und spitzen Küchenmesser in der Hand. Noch zeigte die Spitze zu Boden, aber der Arm war angespannt, ihr Blick wirkte entschlossen und aus ihren Augen sprühte der blanke Hass.

Natürlich war sie vollkommen irre, das war mir schon vor Jahren aufgefallen, in den ersten Sekunden unserer ersten Begegnung. Da war sofort dieses Jeglichen-Kontakt-unbedingt-vermeiden-Gefühl gewesen, aber in professionellen Zusammenhängen sind Ausweichmanöver selten von durchschlagendem Erfolg gekrönt. man muss sich stellen, sich wappnen, durchhalten und möglichst unbeschädigt aus dem Kontakt hervorgehen.

Dies war auch jetzt mein Plan. Ich bin keine Kämpferin. Aber ich sehe mich auch ungern als Opfer, zu dem ich unweigerlich würde, wenn ich nicht auf der Hut war.

Ich schlug mit der Hand vor die Stirn. „Oh, ich hab‘ was vergessen!“, stieß ich hervor und rannte aus dem Haus in Richtung der rettenden Sicherheit meiner privaten Fahrgastzelle.

Keuchend stürzte ich in mein Auto und verriegelte es. Und jetzt? Ich konnte doch nicht einfach wegfahren, dann war ich die Irre. Vielleicht hatte sie das Messer nur in der Hand gehabt, um die Küche aufzuräumen. Aber was würde ich behaupten, vergessen zu haben, wenn ich zurückkehrte? Vielleicht mein Mobiltelefon? Das hatte ich heute Vormittag noch nicht aus der Tasche gezogen und es hatte sich auch noch nicht gemuckst. Ich könnte ja in Bereitschaft sein. In einer Angelegenheit, über die ich nicht sprechen konnte. Ja, so wollte ich es begründen.

Ich kehrte zurück. Es war mir zwar nicht geheuer, aber vielleicht hatte ich mit dieser unerwarteten Reaktion Dampf aus dem Kessel genommen und sie hatte die Bluthunde ihrer Affekte zurückgepfiffen. Hoffentlich.

Sie wirkte etwas beherrschter, aber nicht weniger unheimlich. Das Messer lag auf der Theke, außerhalb ihrer Reichweite, sie saß auf einem Stuhl in mehreren Metern Abstand.
"Wir müssen reden.", sagte sie bestimmt.
"Wir tun doch nichts anderes erwiderte ich gleichmütig."
"Ich meine nichts Berufliches. Ich hatte gestern ein Gespräch mit Peter."
"Und inwiefern war das nicht beruflich?"
"Es ging um unsere Freundschaft."
"Wer ist wir?"
"Peter und ich."
"Aha."
"Es kann ja gar nicht sein, dass er sich mit dir zum Kaffee verabredet und für mich keine Zeit hat. Damit habe ich ihn konfrontiert. Und da meinte er, er suche sich selbst aus, mit wem er Kaffee trinke und dann hat er mich praktisch rausgeschmissen. Dafür kann es nur eine Erklärung geben."
"Und welche?"
"Du hast ihm irgendwelche Geschichten über mich erzählt."
"Was für Geschichten?", fragte ich ungläubig. Ich kam mir tatsächlich vor wie im falschen Film.
Ihre Atemfrequenz stieg, ihre Augen glommen wie Kohlen, sie nahm deutlich Fahrt auf.
"Irgendwas Kompromittierendes, das du dir ausgedacht hast." zischte sie
"Warum sollte ich das tun?"
"Um mich aus dem Weg zu räumen, damit du freie Bahn hast!", kreischte sie schnappte sich plötzlich das Messer und riss es in die Luft, um auf mich einzustechen.
Mein Verstand setzte aus und machte Platz für meine Urinstinkte. Es ging jetzt nur um eines: ums Überleben. Ich trat gegen ihr Schienbein und schützte meinen Oberkörper mit gekreuzten Armen. Vor Schmerz heulte sie wütend aus und begann unkoordiniert mit ihrer Waffe herumzufuchteln. Ein heftiger Handkantenschlag und das Messer fiel zu Boden. Ich hätte es wegkicken können und auf sie eindreschen, aber ich befand mich im Ausnahmezustand. Ich griff nach dem Küchengerät und rammte ihr die Klinge bis zum Heft in den Bauch. Dann sah ich zu, wie das Leben aus ihr herauslief. Der Rettungsdienst, ich musste den Rettungsdienst alarmieren, aber ich konnte nicht. Solange sie sich bewegte, war ich noch in Gefahr. Ich schaffte es erst, als sie das Bewusstsein verloren hatte. Da war es zu spät.

Ich hatte in Notwehr gehandelt, aber die Polizei glaubte mir nicht. Auch die Richterin hielt mich für eine kaltblütige Mörderin.

Fünfzehn Jahre für die Paranoia einer eifersüchtigen Furie. Außerdem keine Rehabilitation und keine Zukunft. Hätte ich mich doch bei der allerersten Begegnung von meinen Gefühlen leiten lassen.

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