Samstag, 4. April 2020
Verzweifelte Suche - Ein Antikrimi mit Peter Margo in mehreren Teilen – Teil 1
Eigentlich ging der Sommer gerade zu Ende aber so vieles war in diesem Jahr komplett verrückt gelaufen, dass ich mich auch nicht über die Affenhitze wunderte, die sogar Ende September den Deckenventilator in meinem sonst so kühlen Büro unentbehrlich machte.Jetzt um die Mittagszeit war es hier drin am besten auszuhalten, erst wenn gegen Abend die Gluthitze langsam von der lauen Sommernacht abgelöst wurde, war es das Klügste, diesen möblierten Umluftherd zu verlassen.
Es klopfte und ich gab ein neutrales „Herein!“ von mir, vollkommen ahnungslos, ob da auf der anderen Seite der Tür ein Arbeitsauftrag, ein Schuldeneintreiber, ein War-gerade-zufällig-in-der-Gegend-Bekannter, ein Verrückter oder alles auf einmal wartete. Die Klinke wurde sanft herunter gedrückt, die Tür behutsam geöffnet und vor mir stand eine farblose, weibliche Person mittleren Alters. Graubraun gewandet und behaart, in derben Lederschuhen, Cordhosen und Wollwalkjacke, ungeschminkt, aber nicht ungepflegt, mit müden Augen und die schmalen Lippen umgebenden Kräuselfalten.
„Bin ich hier richtig?“, fragte sie mit brüchiger Stimme, ganz so, als sei sie es nicht mehr gewohnt, sie regelmäßig zum Einsatz zu bringen. „Privatdetektiv Peter Margo?“
„Ja, ganz recht, Lady“, antwortete ich, „was kann ich für Sie tun?“
„Ich hoffe, Sie halten mich nicht für verrückt. Bei der Polizei war ich schon, die sahen keine Notwenigkeit zu ermitteln und haben auch so reagiert, als wenn ich meine fünf Sinne nicht beisammen hätte.“
Sie sprach nicht weiter und sah mich erwartungsvoll an.
„Setzen Sie sich doch.“, forderte ich sie auf und fragte: „Welches Anliegen haben Sie denn?“
Sie nahm Platz, stellte die Füße ordentlich nebeneinander und bemühte sich ihre Schultern zu straffen. So ganz gelang ihr das nicht, ich schloss auf verkürzte Muskeln, Sehnen und Bänder, sie war nicht so der athletische Typ. Sie atmete tief durch, dann begann sie zu erzählen: „In der Wohnung schräg gegenüber wohnt seit zwei Jahren ein Paar, sie sind in den mittleren Jahren, vielleicht auch etwas drüber und haben sich einfach gut gehalten. Sie leben allein, bekommen kaum Besuch, in den letzten Monaten ohnehin nicht, da hatte ja niemand mehr Besuch, aber jetzt, wo es wieder los geht, eben auch nicht. Sie waren eigentlich kaum zu Hause, waren wohl beide beruflich sehr eingespannt, gesehen habe ich sie nur in der dunklen Jahreszeit, wenn abends Licht bei ihnen war und sie in der Küche hantierten oder im Wohnzimmer saßen. Während der Coronazeit waren sie wie so viele meistens in ihrer Wohnung, arbeiteten wohl von zu Hause aus. Und an manchen Tagen, wenn bei ihnen die Fenster geöffnet waren und bei mir auch, habe ich mitbekommen, wie sie sich gestritten haben, richtig lautstark, sonst hätte ich ja nichts gehört. Es passierte immer häufiger, in immer geringeren zeitlichen Abständen und in einer Heftigkeit, dass mir das Blut in den Adern gefror. Dann, Ende Juli, hörte es plötzlich auf. Zuerst war ich natürlich dankbar für die Ruhe, aber dann fragte ich mich, ob die zwei wohl weg gezogen waren. Ich bin spazieren gegangen, aber da standen noch immer die gleichen Namen auf den Klingelschildern und irgendwann sah ich die Frau, die abends nach Hause kam. Komischerweise sah ich den Mann aber nicht mehr, obwohl sein Name noch immer auf dem Klingelschild steht.“
„Es kann doch aber sein.“, bemerkte ich. „Dass der Mann ausgezogen ist und die Frau es bisher versäumt hat, das Schild zu ändern, weil sie zu viel um die Ohren hat oder weil sie heimlich hofft, dass er zu ihr zurückkehrt.“
„Ja“, antwortete meine Klientin. „Das dachte ich auch. Aber dann habe ich die Frau mal auf der Straße getroffen und bin einfach auf sie zugegangen. Da hab‘ ich sie gefragt, ob es ihnen gut gehe, und gesagt, dass man ihren Mann ja gar nicht mehr zu Gesicht bekäme und ob denn alles in Ordnung sei. Da hat sie erwidert, alles sei in bester Ordnung, ihr Mann sei nur sehr viel unterwegs, das sei so bei beruflich erfolgreichen Menschen. Und dann hat sie mich einfach stehen lassen.“
„Vielleicht ist es ihr auch einfach nur peinlich, dass er sie verlassen hat.“, bemerkte ich. „Sie will die Illusion der Bilderbuchehe nach außen hin aufrecht erhalten und spielt Ihnen die erfolgsverwöhnte Gattin vor. Und mal ganz im Ernst, das Leben dieser Leute geht Sie ja nun wirklich nicht das mindeste an. Warum sollte da ein Verbrechen vorliegen?“
„Nein.“, erwiderte die graue Maus, „Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin nicht überzeugt davon, dass die Frau ihrem Mann etwas angetan hat. Vielleicht wurde er auch entführt und sie schaltet aus Angst vor schlimmeren Folgen die Polizei nicht ein. Vielleicht ist es auch so wie sie vermuten und er hat sie verlassen und sie will das nicht zum Thema machen. Nur werde ich das Gefühl nicht los, dass da etwas nicht stimmt. Die Polizei sagt, sie haben keinen Grund, aktiv zu werden und das verstehe ich ja auch. Wenn ich Sie jetzt aber dafür bezahle, dass Sie diskrete Ermittlungen anstellen, um herauszufinden, was tatsächlich passiert ist, dann haben wir etwas in der Hand, um das die Polizei sich kümmern muss oder, was viel besser wäre, ich kann wieder ruhig schlafen.“
„Na gut.“, sagte ich und nannte ihr meinen Preis. „Dann brauche ich von Ihnen noch Namen und Anschrift des besagten Paares und ich mache mich gleich morgen an die Arbeit.“
FORTSETZUNG FOLGT

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