Freitag, 7. Juli 2017
Silberkonfirmation – zweiteiliger Kurzkrimi – Teil I
Stefan Schüssle betrat die vertraute Kirche erst gegen zehn Minuten vor elf. Alle anderen waren überpünktlich gegen halb elf erschienen und hatten sich schon vor der Kirche gegenseitig begrüßt. Er hielt Ausschau nach den vertrauteren unter den bekannten Gesichtern. Er entdeckte die natürliche Tonsur seines langjährigen Freundes Marcus Mitloss. In diesem Moment erkannte er auch alle anderen in der Bankreihe: Holger Wickler, den alle Panne nannten, mit seiner Frau Antonia, genannt Toni. Philipp Kiesling, der immer noch Fliege hieß, mit seiner Gattin Penelope, deren ungewöhnlicher Name zum derben Rufnamen Penne verunstaltet worden war, Rike Pepper, ohne Partner und Marius Speicher mit seiner Lebensgefährtin Meret. Ihn selbst nannten sie einfach Schüssel und als er sie da alle so sitzen sah, diese Clique, die sich vor knapp 25 Jahren im Gemeindehaus konstituiert hatte, da beschlich ihn plötzlich das ungute Gefühl, die Zeit bleibe für immer stehen. Dabei war er selbst derjenige, der immer den größten Abstand gehalten hatte, weil er eigenwillig und klug war und nie Lust gehabt hatte, sich ins Koma zu saufen und im Rausch wechselnden Tanzpartnerinnen die Zunge bis tief in die Speiseröhre hinein in den Hals zu schieben. Er nahm neben Marcus Platz, den übrigens alle Max nannten. Das war auch so ein Relikt aus ihrer Jugend, dass alle irgendeinen Spitznamen verpasst bekamen, je blöder, desto besser und umso hartnäckiger hielt er sich dann auch. Nur Meret war von dieser Unsitte gänzlich verschont geblieben.
So gelangweilt wie vor fünfundzwanzig Jahren warteten die Neununddreißigjährigen auf den Beginn des Gottesdienstes und tuschelten in vertrauter Disziplinlosigkeit.
„Guck mal, Marina ist noch fetter als damals.“, wisperte Panne seinem Kumpel Fliege ins Ohr. Der zuckte nur mit den Schultern, war seine eigene Frau schließlich genauso wenig eine Hunger-Model wie er selbst.
„Sebastian Bremer hätte ich beinahe nicht erkannt.“, raunte Max. „Der sieht ja aus wie mindestens fünfzig. Sehen wir etwa auch so alt aus?“
„Wir doch nicht.“, erwiderte Schüssel grinsend. „Wir ernähren uns ausschließlich von gesundem Grillgut, treiben regelmäßig Golfsport und sorgen für eine gesundheitsfördernde Life-Work-Balance.“
„Also ich fress meistens Pizza und Golf spiel ich auch nicht.“, gab Max zu bedenken.
„Dann ist es wohl die mangelnde Reife, die dich jünger erscheinen lässt.“, erwiderte Schüssel und Max rammte ihm einen Ellbogen in die Seite.
„Was zu beweisen war.“, flüsterte Schüssel daraufhin.

Sie brachten den Gottesdienst hinter sich, gingen gemeinsam zum Abendmahl, kicherten immer wieder, weil sie die Liturgie nicht kannten und sich allesamt wie Hochstapler fühlten, aber eigentlich waren sie auch gekommen, weil diese Veranstaltung so ähnlich wie ein Klassentreffen ein Wiedersehen mit Menschen bedeutete, die zwar im eigenen Leben keine besondere Rolle spielten, auf die man aber dennoch neugierig war. Beim anschließenden Süppchen im Gemeindehaus kamen sie diesbezüglich auf ihre Kosten.
„Ist die Gulaschsuppe aus der Dose?“, fragte Panne und zog einen Flunsch.
„Ach mecker nich', Panne.“, ermahnte ihn Fliege. „Der Hunger treibts rein. Ist immer noch besser als die kalten Ravioli, die wir damals im Vorkommando gefressen haben.“
„Mir wird heute noch schlecht, wenn ich daran denke.“, gab Speicher ihm Recht.
„Wieso?“, fragte Max. „Ich fand kalte Ravioli immer piekfein. Ziehe ich mir heute noch regelmäßig rein, wenn ich keine Zeit habe, 'ne Pizza in den Ofen zu schieben.“
„Du könntest zur Abwechselung ja auch mal selber kochen.“, erklärte Meret mit nörgelnder Langsamkeit. „Wär auch viel gesünder.“
„Ich kann nicht kochen.“, gab Max unwirsch zurück. „Früher, als wir noch jeden Tag im Jugendcafé rumgehangen haben, wisst ihr noch, Kölpes Salamiburger aus dem elektrischen Überbacker?“
„Da gab's doch noch keine Sandwichtoaster.“, mischte Rike sich besserwisserisch ein.
„Nee, ich meine ja auch dieses Elektroteil, das wir vom Flohmarkt geschossen haben. Das war wie so'n kleiner Backofen. Für Käsetoast oder kleine Fertigpizzen.“
„Stimmt.“, erinnerte sich Rike. „Irgendwann hat Finsterburger da drin ein Schokokusstoast überbacken und dann ist alles angebrannt und danach haben wir den Apparat weggeschmissen.“
„Da waren die besten Zeiten aber schon vorbei.“, meinte Panne. „Als wir noch mit Hotte was los gemacht haben, das war noch richtig Jugendarbeit. Nachher mit Timmi, das war allles so ein kopflastiger Schwachsinn und die richtig geilen Sachen sind hinten rüber gefallen.“
„Stimmt.“, pflichtete Speicher ihm bei. „Mit Hotte im Lager, da war noch das Motto, der Mitarbeiter geht so lange zur Theke bis er bricht. Bei Timmi wurden die Pilsken gedeckelt und die Kurzen waren ganz verboten. Wie im Kindergarten.“
„Dafür hat Timmi coole Sachen für Mädchen gemacht.“, meinte Penne.
„Ja, eben.“, bölkte Fliege und lachte dreckig. Seine Kumpels stimmten mit ein in das Gegröle, die Frauen schüttelten mit den Köpfen.
„Also ich fand beide gut.“, erklärte Toni versöhnlich. „Hotte war wie ein großer Papa und Timmi wie ein großer Bruder.“
„Eher wie eine große Schwester.“, meinte Fliege.
„Na, das ist ja nun mal egal.“, sagte Panne. „Jetzt gibt es keinen mehr, der hier für die Jugendarbeit zuständig ist und wir sind zum Glück schon groß. Wäre nur schön, wenn es noch was für unsere Kinder gäbe.“
„Musste mal selber was auf die Beine stellen.“, schlug Max vor. „Dann gibt’s auch was für Kinder. Jugendleiterschein haste ja.“
„Nee, nee.“, wies Panne den Vorschlag von sich. „Ich habe jahrelang Jungschar und so gemacht, jetzt sind mal andere dran.“
„Ach schade.“, sagte Rike plötzlich. „Ich wollte mich doch noch kurz zu Janina und Sandra setzen, jetzt sind die schon gegangen.“
„Die hatten schon früher kein Sitzfleisch.“, meinte Meret.
„Ich gerade auch nicht.“, sagte Penne. „Ich muss mal aufs Klo.“
Penne verschwand und Fliege sagte mit gedämpfter Stimme. „Die muss in letzter Zeit wieder ständig pissen. Das war damals bei Janos auch so. Sie sagt ja nichts, aber ich glaube die hat schon wieder'n Braten in der Röhre.“
„Warum fragst du sie nicht einfach?“, fragte Toni irritiert.
„Die ist irgendwie komisch drauf in letzter Zeit.“, meinte Fliege. „Will immer nicht angefasst werden und so. Zuerst dachte ich ja, sie hat vielleicht 'n Anderen. Aber ich glaube, da geht’s gerade im Kopf los. So Schwangerschafts-Irrsinn.“
„Dann ist es mit unseren Sauftouren wohl vorerst auch vorbei.“, überlegte Panne bedauernd.
„Ist eh nicht mehr so wie früher.“, pflichtete Fliege ihm bei. „Das waren noch Zeiten, als sie uns vom Camping-Platz werfen wollten, weil Detuschmade nachts um vier in den Turm mit den leeren Contis gekracht ist. Mann, hat das gescheppert!“
„War das die Tour wo Brehm diesen heftige Video gedreht hat, wo Deutschmade Rocko die Zunge in den Hals geschoben hat?“
„Ja genau.“, mischte Speicher sich ein. „Der war voll wie zehn Russen. Hat Rocko mit der Perle aus einem von den Wohnwagen verwechselt, die Brehm dann in der gleichen Nacht noch durchgenudelt hat.“
„In der Nacht?“, fragte Panne. „Das war nachmittags, als Toni mich abgeholt hat. Ich musste noch meine Klamotten aus dem Zelt holen und Brehm hat einfach weiter gevögelt. Ich dachte echt, ich bin im falschen Film.“
Max schüttelte grinsend den Kopf: „Ihr wart echt verdammt eklige Kerle.“
„Angehende Alkoholiker eben.“, bemerkte Schüssel spitz.
„Wer ist hier Alkoholiker?“, fragte Speicher aufbrausend.
„Man sagt ja“, erwiderte Schüssel. „Man selbst ist der letzte, der es merkt.“
„Wenn hier einer nix merkt, dann bist du das, Schüssel, alter Schach-Golfer. Kommt wohl vom vielen Cabrio Fahren, zu viel Durchzug im Gehirn.“
„Marius, halt einfach die Klappe!“, wies Meret ihn zurecht. „Trink deinen Kaffee und entspann dich. Ist jawohl kein Geheimnis, dass ihr alle damals nicht mehr weit weg vom Dauersuff wart. Wenn ihr so weitergemacht hättet, lägt ihr alle schon unter der Erde.“
„So schlimm waren wir gar nicht.“, widersprach Panne. „Wir haben ja nicht einmal auf den Freizeiten gesoffen, zumindest nicht nennenswert.“
„War auch viel zu teuer in Norwegen.“, meinte Fliege. „Aber cool war das trotzdem. Da bin ich auch mit Penne zusammengekommen.“
„Wo bleibt die eigentlich?“, fragte Meret sorgenvoll. „Ich gehe mal aufs Klo und sehe nach.“
Rike wies gerade darauf hin, dass am kommenden Wochenende ein äußerst spannendes Fußballspiel anstehe, da kehrte Meret mit verstörtem Gesichtsausdruck zurück.
„Kann mal einer einen Krankenwagen rufen?“, wimmerte sie. „Penne liegt da und rührt sich nicht.“
FORTSETZUNG FOLGT AM 14.07.

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