Mittwoch, 18. Oktober 2017
Werkstatt-Gottesdienst ein zweiteiliger Kurzkrimi – 2. Teil
Susanne gab einen erstickten Schrei von sich. Sie beugte sich zu der offenkundig bewusstlosen Kerstin hinunter. Sie tastete nach dem Puls und Atembewegungen, während der gesunde Menschenverstand langsam an die Stelle ihres Instinkt-gesteuerten Empfindens trat und ihr klar wurde, dass die Jugendreferentin ermordet worden war. Ein zertrümmertes Felsenbein bedeutete den sicheren Tod, soweit sie wusste. Sie suchte geistesgegenwärtig den Kirchsaal nach der ersten Vorsitzenden des CVJM ab und gab ihr ein Zeichen. Die eilte sofort herbei.
„Hast Du ein Telefon dabei?“, fragte sie mit bebender Stimme.
„Ja, warum?“
„Kannst Du eben die Feuerwehr anrufen? Wir brauchen einen Notarzt und die Polizei.“
Anstelle einer wortreichen Erklärung führte sie die Vorsitzende in die Sakristei. Auch sie schrie kurz auf, griff dann aber sofort beherzt zum Telefon.

Binnen Minuten traft der Notarzt ein, der nur noch den Tod feststellen konnte. Wenig später rückte die Polizei an und ein Ermittlerduo der Bielefelder Mordkommisssion.
Der übellaunig dreinblickende Mitt- bis Endfünfziger Stefan Keller blieb, nachdem sich die Beamten einen ersten Eindruck verschafft hatten, am Tatort, während seine jüngere Kollegin Sabine Kerkenbrock mit den Gottesdienstbesuchern das Gemeindehaus aufsuchte, um dort mit Hilfe weiterer Beamter Personalien aufzunehmen und Zeugenaussagen zu sammeln.

Die ersten Zeugen waren Linus und Giuliana, denn sie hatten das Mordopfer offenkundig als Letzte lebend gesehen – abgesehen vom Mörder.
„Wann wart ihr denn zum letzten Mal mit Eurer Jugendreferentin im gleichen Raum?“, fragte die Beamtin.
„Das war im Gemeindebüro.“, erklärte Giuliana. „Wir haben besprochen, wann wir Kollekte einsammeln müssen und was wir hinterher damit anstellen. Dann haben wir zusammengetragen, was die einzelnen Gruppen machen und einen Ablaufplan aufgestellt. Kerstin hat uns dann den Büroschlüssel da gelassen, uns große Pappen gegeben, damit wir den Ablauf zwei Mal aufschreiben, damit alle in der Kirche den lesen können. Dann ist sie gegangen.“
„Wann war das genau?“, fragte Kerkenbrock.
„So gegen viertel vor sieben.“, erwiderte Linus und Giuliana nickte zur Bestätigung.
„Und warum hat sie Euch allein gelassen?“, fragte Kerkenbrock.
„Sie wollte noch den Beamer aufbauen, um den Ablauf an die Wand zu werfen. Die Plakate waren nur für den Notfall.“, sagte Linus.
„Und habt ihr euch nicht gewundert, dass kein Beamer da war?“
„Ich dachte, der ist wohl kaputt oder Kerstin hat das mit dem Aufbauen nicht mehr geschafft.“, sagte Giuliana. „Sie war ja auch nirgends zu sehen, ich dachte, sie kämpft noch mit dem Beamer und dann hab ich irgendwie nicht mehr an sie gedacht.“
Das Mädchen senkte schuldbewusst den Kopf.
Kerkenbrock bedankte sich bei den Jugendlichen und befragte als nächstes die CVJM-Vorsitzende. Die erklärte: „Ich bin total schockiert. Kerstin wollte schon seit Jahren so einen Gottesdienst machen, und jetzt wo es endlich geklappt hat, wird sie dabei ermordet, so als wenn jemand sie daran hindern oder sie bestrafen wollte.“
„Denken Sie da an jemand bestimmten?“
„Ja, schon, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von denen so etwas tut. Es gibt so ein paar alte Vereinshasen, die haben die Jugendarbeit immer unterstützt, aber auch oft Ärger gemacht, wenn ihnen mal wieder besonders auffiel, dass die Dinge nicht mehr so liefen wie in ihrer eigenen Jugend. Die kommen sonst immer zum CVJM-Jahresfest, aber ich habe das Gefühl, heute haben alle den Gottesdienst boykottiert.“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Der langjährige Kassierer hat mir gegenüber so zwischen Tür und Angel erwähnt, dass er diesmal nicht erscheinen würde, weil so ein Werkstatt-Gottesdienst für ein Jahresfest nicht festlich genug sei. Und jetzt ist keiner von der alten Truppe aufgetaucht, das riecht ein bisschen nach Verschwörung, finde ich.“
„Könnten Sie mir die Namen einmal aufschreiben?“, fragte Kerkenbrock.
Widerwillig nahm die Vorsitzende einen Stift zur Hand und notierte:
Harald Otterpohl
Heinrich Sickendiek
Rudolf Niederwelland
Erich Schmalgemeier
Karl Frederking

Kerkenbrock wandte sich an die wartenden Gottesdienstbesucher, deren Kontaktdaten man immer noch notierte. „Hat jemand von Ihnen vor oder während der Vorbereitungsphase für den Gottesdienst eine der folgenden Personen in der Nähe der Kirche bemerkt?“
Sie las die fünf Namen vor.
Ein älterer Herr meldete sich zu Wort und Kerkenbrock hörte einige Anwesende „Pastor Wüllner“, raunen, offenkundig ein Theologe im Ruhestand, der früher einmal in dieser Gemeinde gewirkt hatte.
„Ich habe Rudi Niederwelland kurz vor dem Gottesdienst gesehen und glaube auch, mich zu erinnern, dass er heute dran wäre, für seine fünfzigjährige Mitgliedschaft geehrt zu werden. Ich habe mich dann sehr gewundert, dass ich ihn im Gottesdienst nicht mehr gesehen habe und dass er auch jetzt nicht unter uns ist.“
„Wo genau haben Sie ihn gesehen?“
„Draußen, neben der Kirche. Er war mit seinem Telefon beschäftigt.“
„Wann war das?“
„Als ich ankam, so gegen kurz vor sechs.“
Ein Mann im fortgeschrittenen mittleren Alter meldete sich zu Wort: „Kann ich Sie mal unter vier Augen sprechen, Frau Kommissarin?“, fragte er.
Kerkenbrock stimmte zu und bat ihn in einen Nebenraum. Er stellte sich vor als Rudolf Niederwellands Schwager.
„Ich will das nicht vor allen Leute breittreten, vielleicht hat das ja alles nichts mit dem Mord an Kerstin zu tun, aber Tatsache ist, dass mein Schwager und die anderen vier, deren Namen Sie da gerade vorgelesen haben, einen Riesenaufstand veranstaltet haben. Mein Schwager war sauer, dass ausgerechnet zu seinem fünfzigsten Vereinsjubiläum so ein Experiment veranstaltet wird, statt einen anständigen Festgottesdienst zu feiern. Die haben sich abgesprochen, da nicht hinzugehen, darum wundere ich mich, dass Pastor Wüllner den Rudi gesehen haben will. Ich glaube auch nicht, dass mein Schwager der Kerstin etwas angetan hat, aber vielleicht weiß er etwas. Es war nämlich auch noch die Rede davon, so einen Ausverkauf des CVJM nicht widerstandslos hinzunehmen.“

Kerkenbrock bedankte sich und in Absprache mit Keller ließ sie sofort nach Rudolf Niederwelland fahnden. Er hatte das stärkste Motiv und Fluchtgefahr schloss Keller bei den vier anderen aus. Sie nahmen den dringend Tatverdächtigen fest und brachten ihn zum Verhör ins Präsidium. Aber Niederwelland machte nur Angaben zur Person und verweigerte ansonsten konsequent die Aussage. Man sah ihm an, wie schwer ihm das fiel, denn er wirkte mehr wie jemand, der es gewohnt war, den Ton anzugeben und laut zu werden, wenn ihm danach war.
In der Nacht versuchte er sich in der U-Haft das Leben zu nehmen, wurde aber rechtzeitig entdeckt und gerettet. Natürlich wurde die Ehefrau umgehend benachrichtigt und so verbreitete sich die Neuigkeit unter den Alt-CVJMern wie ein Lauffeuer. Rudis Kameraden entschlossen sich, ihren Freund nicht im Stich zu lassen und stellten sich gemeinsam der Polizei.
„Rudi trifft so gut wie keine Schuld.“, erklärte Harald Otterpohl. „Wir waren uns einig, dass wir es auf keinen Fall hinnehmen konnten, dass die Tradition und alles wofür unser CVJM steht, derartig von dieser Jugendreferentin vor die Wand gefahren wird. Wir mussten ein Zeichen setzen und verteilten die Aufgaben. Jeder nach seinen Gaben. Rudi war schon immer ein guter Beobachter. Auch früher in den Geländespielen hat er häufig den besten Überblick gehabt und war unheimlich gut darin, die gegnerische Mannschaft auszuspionieren.“ Harald schmunzelte selbstvergessen und seine Kameraden nickten eifrig und lächelten dabei. „Darum hatte Rudi nur die Aufgabe, die Jugendreferentin zu beobachten und Bescheid zu geben, sobald sie die Sakristei betritt. Sie hatte ja im Vorfeld rumgemailt, wer welche Arbeitsgruppe leitet und dass sie dann in der Sakristei zu tun hätte. Unser Karl hier ist gelernter Schlosser, der hatte das Werkzeug dabei, um die Sakristeitür von außen zu öffnen. Das kann er noch, wenn er auch kaum noch die Treppe hoch kommt mit seinen 1 ½ Lungen. Heinrich musste Schmiere stehen, der kann Pfeifen wie ein Murmeltier und dabei macht es auch nichts, dass er schon ein bisschen vergesslich ist. Erich hat den Stein besorgt, einen guten alten Ziegelstein, das fanden wir passend. Ich war schließlich derjenige, der es zu Ende gebracht hat und es tut mir nicht leid.“
Dass es vor allem Erich gewesen war, der alles erdacht und geplant hatte, verschwieg Harald. Und auch die anderen hielten den Mund, doch im Stillen dachte Karl: „Ach ja, so war der Erich ja schon immer, ganz große Klappe und wenn es ernst wird, die anderen vorschicken. Er kommt meistens damit durch, weil er sich nach außen immer freundlich und bescheiden gibt, so dass ihm niemand etwas Böses unterstellt.“
Als sie alle Aussagen aufgenommen hatten, konnte Kerkenbrock gar nicht aufhören, fassungslos mit dem Kopf zu schütteln.
„Ist das nicht furchtbar, Herr Keller?“, sagte sie. „Leben und töten für den CVJM. Es ist immer das Gleiche: die Religion wird vorgeschoben, aber eigentlich geht es nur um den verletzten Stolz und die individuelle Eitelkeit Testosteron-gesteuerter Menschen-Männchen. Sogar im Alter, wenn der Hormonspiegel eigentlich sinken müsste. Womöglich sind die in Dauerbrunftzeit geprägten Hirnwindungen so unveränderlich auf dieses Verhalten festgelegt, dass der Altersstarrsinn sie verstärkt und nicht Altersmilde sie abschwächt.“
„Vielleicht sind das aber auch einfach nur fünf debile Halbaffen, die es in allen gesellschaftlichen Zusammenhängen gibt.“, erklärte Keller. „Oder wollen Sie jetzt den gesamten CVJM in Sippenhaft nehmen?“
„Nein.“, antwortete Kerkenbrock. „Das entspräche doch eher Ihrer Rolle. Ich meine ja auch gar nicht, dass es am CVJM liegt, sondern eben am Testosteron.“
„Jetzt werden Sie mal nicht sexistisch, Mädchen.“, wies Keller sie zurecht.
„Mädchen?!“ erwiderte sie entrüstet. „Und Sie wagen es, mir Sexismus zu unterstellen?“
„Ja, junge Frau.“, erwiderte Keller mit einem schamlosen Grinsen im Gesicht. „Ich wage es.“

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Freitag, 13. Oktober 2017
Werkstatt-Gottesdienst ein zweiteiliger Kurzkrimi – 1. Teil
Susanne war todmüde und das Einzige, was sie jetzt noch aufrecht hielt, war die Tatsache, dass sie morgen früh ausschlafen konnte. Einmal Sonntags Morgens nicht in die Bütt, obwohl sie doch keinen Urlaub hatte. Aber dafür hatte sie gestern auch ihren freien Tag geopfert und stand heute Abend schon wieder voll im Saft. Zum Glück hatte die Jugendreferentin für diese Veranstaltung die Vorbereitung und die Verantwortung übernommen, sie musste nur eine Kleingruppe managen, danach noch ein Stündchen ihr Gesicht zeigen und dann nichts wie ab in die Badewanne.

Kerstin war total aufgeregt. Sie hatte als Jugendreferentin schon seit Jahren vergeblich versucht, diese Gottesdienstform wenigstens einmal für die Gemeinde umzusetzen. Es hatte immer Bedenkenträger gegeben, die sie ausgebremst hatten. Aber seit Susanne die zweite Pfarrstelle besetzte, war es endlich mal möglich, neue Wege zu gehen, wenn auch nur zaghaft.
Nur langsam füllte sich die Kirche mit sehr wenig Besuchern. Wo waren eigentlich die „üblichen Verdächtigen“, also Harald, Heinrich, Marlies, Karin, Rudi und all die anderen alten Hasen, die doch immer so eifrig betonten, wie wichtig es ihnen sei, auch Jahrzehnte nach der eigenen Jugend den Fortbestand der Jugendarbeit zu unterstützen? Rudi sollte nachher noch geehrt werden, für 50 Jahre Mitgliedschaft im CVJM.

Susanne lehnte sich zurück. Den fünf Posaunen, die zur Eröffnung bliesen, merkte man gar nicht an, dass sie nur ein Viertel des Chores stellten. Die CVJM-Vorsitzende begrüßte die Gemeinde, Kerstin erklärte das Prozedere, nämlich dass die Anwesenden sich nun auf die Kleingruppen verteilen sollten, also ein Team für Gebete, eines für Lesungen, eines für die Musik, eines für die Auslegung des Bibeltextes, eine zur Entwicklung einer Theaterszene, eine für die Erstellung eines Kunstwerkes, eine für das Basteln von Andenken an den Gottesdienst, eine für die Koordination und Moderation. Fünf Leute gingen mit ihr ins Taufzimmer. Es beruhigte sie irgendwie, dass Kerstin mit der Aufgabe der Koordination auch nicht allein blieb.
In Susannes Gruppe fand sich eine wilde Mischung ein: Johann, der im Presbyterium für die Kirchenmusik zuständig war, aber vor allem darüber wachte, dass in spirituellen Veranstaltungen das Wort Gottes nicht verbogen wurde. Ricarda, eine ambitionierte junge Frau, die immer um einen guten Eindruck bemüht war, vorgab sich im CVJM außerordentlich zu engagieren, in Wirklichkeit aber unzuverlässig war und allen auf die Nerven ging. Heike, eine alternde einsame Frau in einem desolaten psychischen Zustand, die sich konsequent aufdrängte, wann immer sich ein Gelegenheit bot. Louis, ein blitzgescheiter, lebensfroher junger Erwachsener, der im CVJM für gute Stimmung und innovative Ideen sorgte und Marlene, eine hochgebildete, rührige Seniorin, die in jüngeren Jahren wohl zu den besonders Aufgeschlossenen gezählt hatte.
Es ging um Jesus und die Ehebrecherin* und das berühmte Zitat „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“, natürlich auch um die Geschichte dazu.
Susanne lud die Anwesenden ein, zunächst spontan zu äußern, was sie an dem Text irritierte, begeisterte oder ihren Widerspruch erregte.
„Also dieser Satz zum Schluss“, meinte Louis, „Wo Jesus ihr sagt, dass sie in Zukunft nicht mehr sündigen soll, den finde ich irgendwie sinnlos. Es ist ja klar, dass Menschen immer wieder Fehler machen.“
„Ja“, widersprach Johann, „aber die Fehler soll man nicht von vorneherein einkalkulieren. Man soll sich nach Kräften bemühen, sie zu vermeiden.“
„Wo ist eigentlich der Mann?“, fragte Marlene frech dazwischen. „Zum Ehebruch gehören ja immer zwei. Warum wird eigentlich immer nur die Frau bestraft?“
„Vielleicht konnte der Mann noch flüchten.“, überlegte Johann pragmatisch.
„Vielleicht, war er aber auch der Geschäftspartner eines Anklägers.“, hielt Marlene dagegen.
„Also ich finde es einfach stark, wie Jesus der Menge den Spiegel vorhält.“, mischte Ricarda sich ein und Susanne konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ein zurechtweisender Ton in ihrer Stimme mitschwang. „Das, was die Menge da tut, die die Frau steinigen will, hat ja was von Mobbing. Die sind ja gar nicht von dem Ehebruch betroffen, sondern nutzen einfach nur die Gelegenheit, mal die Sau rauszulassen.“
„Ja, ich glaube auch, dass es um Mobbing geht.“, bekräftigte Heike Ricardas Aussage und blickte entschieden in die Runde. Als aber niemand darauf reagierte, senkte sie verschämt den Blick.
Die Kleingruppe kreiste um verschiedene Ansatzpunkte, einigte sich schließlich auf die Entlarvung der Denunzianten mit den schmutzigen Westen und auf Jesu Immunität gegenüber den theologischen Fallenstellern, weil er erstens zu intelligent und zweitens frei von dunklen Trieben sei. Oder wie es in der englischen Fernsehserie Hustle heißt: Einen ehrlichen Mann kannst du nicht betrügen.
Sie formulierten sechs „Thesen“ und teilten sich auf, wer gleich welche These vortragen solle. Dann waren die 45 Minuten auch schon um und sie trafen sich mit den anderen in der Kirche.
Die Mitarbeitenden der Liturgiegruppe – zwei Konfirmanden – hängten große Plakate auf, auf denen man den Ablauf lesen konnte. Der Gottesdienst nahm seinen Lauf.
Wie von einer Hand geplant reihten sich die einzelnen Elemente aneinander, abgesehen von kleinen Pannen, wenn zum Beispiel alle auf die Lesung warteten, weil die Gruppe nicht aufgepasst hatte oder wenn die Absprache der Musizierenden nicht funktionierte und sie sich quer durch die Kirche Anweisungen zubrüllten. Aber das lockerte die Sache nur auf und alle waren tief bewegt, dass sie als Gemeinschaft in so kurzer Zeit einen so wunderschönen Gottesdienst auf die Beine gestellt hatten.
Als nach der Predigtgruppe und einem Lied die Abkündigungen an der Reihe waren, warteten alle und wunderten sich. Erst jetzt fiel Susanne auf, dass Kerstin, die Jugendreferentin, gar nicht da war. Sie sprang schnell hinters Lesepult und verlas Kollektenzweck und die Ergebnisse der letzten Kollekten. Kerstin konnte sie nirgends entdecken. Sie wollte den Gottesdienst ungern unterbrechen, aber sie konnte auch nicht einfach weitermachen, wenn Kerstin irgendwo bewusstlos in der Ecke lag. Nach einem Gebet blies wieder der Posaunenchor und Susanne huschte zu den Konfirmanden rüber. „Wisst ihr wo Kerstin ist?“
„Nein.“, erwiderte das Mädchen. „Wir wundern uns auch schon.“
„Wann habt ihr sie denn zum letzten Mal gesehen?“
„Im Gemeindehaus.“
Susanne eilte zur CVJM-Vorsitzenden und flüsterte: „Kerstin ist verschwunden. Vielleicht ist sie auf dem Klo zusammengeklappt. Ich sehe mal nach ihr.“
Susanne eilte ins Gemeindehaus, suchte zuerst die Toiletten und dann alle anderen Räume ab. Als sie zurückkehrte, läuteten die Konfirmanden bereits die Glocken und die Küsterin hielt den Kollektenbeutel. Kerstin war nirgendwo zu sehen. Sie lief durch die Kirche und den Altarraum und öffnete die Tür zur Sakristei. Dort lag sie, die Jugendreferentin, mit geöffneter Schläfe, den Kopf in einer Blutlache und daneben lag ein alter, schrundiger Ziegelstein.

ENDE 1. Teil. - Fortsetzung folgt.

* JESUS VERGIBT DER FRAU, DIE SONST VON ALLEN VERURTEILT WIRD
(Johannes 8,1-11, Volxbibel)

1 Jesus ging dann aus der Stadt zum Ölberg.
2 Aber gleich am nächsten Morgen war er wieder im Tempel. Und ziemlich schnell waren wieder sehr viele Leute bei ihm, denen er dann Sachen über Gott beibringen konnte.
3 Plötzlich brachten die religiösen Profis und Streber eine Frau an, die auf frischer Tat ertappt worden war. Sie hatte mit einem Typen geschlafen, obwohl sie bereits mit einem andern Mann verheiratet war. Die Männer stießen die Frau in die Mitte, damit alle sie sehen konnten.
4 Dann sagten sie zu Jesus: „Herr Lehrer, diese Frau ist gerade mit einem verheirateten Mann im Bett erwischt worden. Das ist Ehebruch!
5 Nach den Gesetzen vom Mose müsste sie jetzt von mehreren so lange mit Steinen beworfen werden, bis sie tot ist! Was sagen Sie zu diesem eindeutigen Fall?“
6 Das war natürlich nur ein Trick. Sie hofften, sie könnten Jesus damit in eine Zwickmühle bringen, sodass er irgendwas Verpeiltes sagen würde, was sie dann später gegen ihn verwenden könnten. Jesus blieb aber total cool, er setzte sich auf den Boden und schrieb irgendwas mit seinen Fingern in den Sand.
7 Als die Typen aber weiter rumnervten, sah er nach oben und sagte: „Okay, dann soll mal der den ersten Stein schmeißen, der noch nie in seinem Leben Mist gebaut hat!“
8 Dann bückte er sich wieder und malte irgendwelche Sachen in den Sand.
9 Als Erstes verschwanden die Älteren. Und dann folgte ihnen einer nach dem anderen, bis Jesus zum Schluss mit der Frau alleine war.
10 Jesus stand auf und fragte sie: „Na, wo sind denn jetzt die Leute, die ’ne Anzeige erstatten wollten? Hat etwa keiner von denen das Urteil auch vollstreckt?“
11 „Nein, keiner, mein Herr“, antwortete sie. „Dann werde ich das auch nicht tun. Geh jetzt mal nach Hause und pass auf, dass du nicht noch einmal so einen Fehler machst!“

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Freitag, 6. Oktober 2017
Wichtiger Hinweis in eigener Sache
Wer mein E-book "Ich hab' den Ausbau nicht gewollt" bestellen will, sollte dies vorläufig nicht bei Thalia tun, die haben noch die beschädigte Datei vom ersten fehlerhaften Hochladen. Ich mach ungern Werbung für Amazon, aber da bekommt man dann auch wirklich das ganze E-book.
Sorry an Birgit die Starke, die dankenswerterweise bei Thalia bestellt hat.

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Der Abend nach dem Morgen
Linda blickte gern zurück. Damals war alles noch gut gewesen, na ja fast gut. Sie hatte oft grauenvolle Ängste vor dem Höllenschlund ausgestanden, weil Tante Änne von gegenüber ihr immer wieder eingetrichtert hatte, dass nur die braven Mädchen in den Himmel kämen, die bösen dagegen in ewiger Verdammnis auf glühenden Kohlen entsetzliche Schmerzen erleiden und dabei vom Teufel verspottet würden, dessen Fratze so grässlich anzusehen sei, dass einen das Grauen nie mehr loslasse. Linda hatten die Bilder schon damals nicht mehr losgelassen, denn sie war ja ein böses Mädchen, wenn sie es versäumte, einen Passanten zu grüßen, Zucker verschüttete oder schmutzige Fingernägel hatte.
Aber dann war sie gerettet worden, von einem der es wissen musste, besser als Tante Änne. Pastor Grunewald, der hatte ihr von Jesus erzählt, der alles vergibt, ganz besonders solche Kinkerlitzchen wie Gedankenlosigkeit, mangelndes Geschick oder schmutzige Fingernägel. Pastor Grunewald hatte sie gelehrt, immer das Gute im Menschen zu suchen und fest daran zu glauben.
Es war immer besser geworden. Simon war in ihr Leben getreten und endlich war die Sonne aufgegangen wie an einem ersten Frühlingstag. Aber der Sommer war noch so weit weg gewesen und da war mehr Hoffnung als Erlösung gewesen. Noch bevor sie von den verbotenen Früchten leidenschaftlicher Fleischeslust hatte naschen dürfen, hatte Louisa begonnen, sie mit etwas zu erpressen, das nie stattgefunden hatte. Aber es wäre schon eine Katastrophe gewesen, wenn alle gewusst hätten, wie sehr sie Simon begehrte. Es wäre die Hölle gewesen, wie auf glühenden Kohlen hätte sie sich fühlen müssen, verspottet von des Teufels hässlicher Fratze.
Der Glaube an Jesus, der sie gemeinsam mit seinem Vater in der Spur hielt, hatte ihr geholfen, stabil zu bleiben. Aber Jesus hatte sie verlassen. Vermutlich hatte er das schon vor knapp 2000 Jahren getan. Warum sonst waren die, die sich als seine Anhänger ausgaben, sonst so weit entfernt von dem, was er gepredigt hatte?
Wenn alle am Ende nur für sich sorgten und den Glauben an Jesus nur vorschützten, dann konnte sie das auch.
Sie hatte damit angefangen, Simon dorthin zu schicken, von wo er nicht zurückkehren konnte. Simon war plötzlich so kalt gewesen und ihr war schlagartig bewusst geworden, dass er sie benutzt hatte. Seine ganze Aufmerksamkeit, die ständige Zuwendung, dass er sie immer behandelt hatte wie seinen Augapfel, als sei sie etwas ganz Besonderes, war nur der Tatsache geschuldet, dass sie in seinen Händen formbar wie Wachs gewesen war und sich überall da hatte einsetzen lassen, wo er jemanden brauchte, der ihn verlässlich unterstützte, bei den Kindergruppen, der Kinderbibelwoche, der Organisation der Weihnachtsbaumsammelaktion und der Vorbereitung des Jugendgottesdienstes. Als sie mehrere Wochen hintereinander häufiger etwas vergessen hatte, weil es zu Hause Stress gab, ihre Versetzung gefährdet war und sie sich einfach schlapp und antriebslos fühlte, da hatte Simon sich kontinuierlich zurückgezogen. Am Ende hatte er sie behandelt, wie eine lästige Teilnehmerin. Als sie daraufhin Pastor Grunewald um ein Gespräch gebeten hatte, hatte der zuerst keinen Termin frei und als er es endlich hatte einrichten können, war ihm deutlich anzusehen gewesen, dass er gerade mit etwas Anderem beschäftigt war. Er hatte aus dem Fenster gesehen oder auf die Erde und war unruhig auf seinem Stuhl hin und her gerutscht.
Die Wut und Enttäuschung einerseits, aber auch die Angst, von ihm bloßgestellt zu werden, ließ den Entschluss in ihr reifen, Simon dorthin zu schicken, wo er hingehörte. Es war nicht schwierig. Das Medikament war frei verkäuflich. Man konnte es auflösen, die Lösung einkochen und dann ein aromatisches Getränk damit versetzen. Bei Simon rührte sie es in den koffeinfreien Kaffee, den er gern zum Abschluss des Arbeitstages trank, wenn sie nach dem Jugendkreis noch eine kurze Teambesprechung machten. Er fand zwar, dass der Kaffee diesmal seltsam schmeckte, schöpfte aber keinen Verdacht. Sie wusste nicht, ob er sanft hinübergeglitten war oder noch einmal von schrecklichen Krämpfen geschüttelt und in panischer Angst aufgewacht war. Seine Frau hatte ihn friedlich aber reglos im Bett gefunden, am nächsten Morgen.
Niemand ahnte etwas, nur Louisa hatte ihrer Verwunderung darüber Ausdruck verliehen, dass Linda gar nicht so traurig zu sein schien, wie man eigentlich von ihr erwartet hätte. Sie stellte Fragen. Zu viele Fragen. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie Linda erpressen oder ihr die Polizei auf den Hals hetzten würde. Louisa war kein guter Mensch, nein eine elende Drecksbratze war sie. Das war sie schon immer gewesen. Sie kübelte gern literweise Cola in sich hinein. Es war nicht schwierig, eine Flasche für sie zu präparieren. Man sah sich ja abends beim Jugendkreis. Und als sie am nächsten Morgen tot in ihrem Bett lag, schöpfte noch immer niemand Verdacht, nur die Polizei begann, sich zu wundern.
Aber Linda war noch nicht fertig mit ihrem Rache-Gericht. Ihr war in den letzten Tagen klar geworden, dass auch Pastor Grunewald sie betrogen hatte. Das, was er sie gelehrt hatte, glaubte er selbst nicht. Jesus lebte nicht mehr und er hatte ihr wider besseren Wissens etwas Anderes erzählt. Außerdem wusste er zu viel, ahnte zumindest etwas. Und wenn er doch fest an das Paradies glaubte, dann tat sie ihm am Ende ja einen Gefallen. Sie wusste, dass er gern den übriggebliebenen Abendmahlswein mit nach Hause nahm, daran nahm niemand in der Gemeinde Anstoß. Sie war auch Kindergottesdienst-Helferin. Niemand wunderte sich, wenn sie mal eben in der Sakristei verschwand. Es hätte scheitern können, aber auch Pfarrer Grunewald schied aus dem Leben, wenn auch spektakulärer als seine Vorgänger. Er hatte den Wein nämlich zum Mittagessen getrunken und war dann ins Auto gestiegen, um einen Freund zu besuchen. Dort kam er nicht an, weil er in einen schrecklichen Verkehrsunfall verwickelt wurde. Diesmal wunderte sich niemand, die Serie war nicht erkennbar, es war tragisch und alle waren zutiefst erschüttert.
Da kam die alte Angst vor dem Höllenfeuer wieder in Linda hoch und sie erkannte, dass es nie so weit gekommen wäre, wenn Tante Änne ihr diese Angst nicht eingetrichtert hätte. Die alte Änne. Wie viele Kinder wollte sie noch mit ihren Geschichten in den Abgrund stürzen? Das musste ein Ende haben. Tante Änne bemerkte nichts Außergewöhnliches an ihrem Kaffee, dafür waren ihre Geschmacksknospen schon zu alt und die Freude zu groß, dass Linda sie endlich wieder einmal besuchte. Als ihr schwindelig wurde, half ihr Linda ins Bett, damit sie sich etwas ausruhen konnte, in ein bis zwei Stunden würde es schon wieder gehen. Es ging nicht mehr. Aber Tante Änne war alt und niemand wunderte sich.
Niemand? Nicht ganz. Frau Grunewald hatte ihren Mann obduzieren lassen und man hatte das Medikament entdeckt. Simons Leiche war schon kremiert worden, aber Louisa konnte exhumiert werden.
Gerade kocht Linda die nächste Dosis, denn Mama und Papa haben begonnen, lästige Fragen zu stellen, da fährt ein Polizeiwagen vor. Nun hat es wohl keinen Zweck mehr, zu hoffen, sie bliebe unentdeckt. Zum Abschied kritzelt sie schnell ein Gedicht auf einen Bogen Briefpapier:

Der, an den ich glaube,
hat mir gesagt,
dass er mich nicht braucht.

Darum gebe ich auf,
Leichen pflastern meinen Weg
und ich wünsche von jedem Regentropfen,
dass er mich erschlagen möge.

Sie glaubt fest an sich und daran, dass ihr dieses Gedicht ganz von allein eingefallen ist. Zu Sie merkt nicht, dass es sich um ein halbes Plagiat handelt, erinnert sich nicht an das Original. Noch eine Lebenslüge. Ihre letzte. Vielleicht muss sie sich deswegen selbst bestrafen. Sie schluckt das Konzentrat und flieht durch den Garten in den Wald. Hier werden sie sie erst finden, wenn es zu spät ist.

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Mittwoch, 27. September 2017
Alice im Flunderland – der erste gottlose Kurzkrimi in diesem Blog
Aus aktuellem Anlass und aus Achtung vor den Lesebedürfnissen meiner treuesten LeserInnen und AbonentInnen nun einmal etwas ganz ohne Kirche:

Sie wuchs auf, damals, im Flunderland und man sagt ja, dass die Landschaft den Geist formt.
Es war der 1. November 1989. Alice langweilte sich zu Tode. Im Sommer hatte sie soviel Spaß beim Kurzurlaub in Göhrde mit Onkel Alex und ihren grenzdebilen Vettern Bernd, Björn und Peterle gehabt. Gut, Onkel Alex hatte beim Pflaumenkuchen mit Schlagsahne immerzu vom zweiten Weltkrieg geschwärmt, das war ihr irgendwann zu den Ohren herausgekommen, zumal sie auch schon rechnen konnte und feststellte, dass Onkel Alex zwar schon unter Hitler einen braunen Hintern gehabt hatte, aber eben auch nur einen braunen Hintern. Doch vor und nach dem Pflaumenkuchen durchstöberte sie gern zusammen mit den Jungs den lüneburgischen Wald auf der Suche nach Jagdwild, so wie Onkel Alex es ihnen erklärt hatte. Er selbst lag dann schnarchend auf der Terrasse und träumte von Deutschland in den Grenzen von 1937.
So kam es, dass Alice eines Nachmittags endlich fündig wurde. Ein Ehepaar saß auf einer Picknick-Decke und verspeiste Hühnerbeine. Alice hätte niemals Hühnchen gegessen, weil sie das gemütliche Federvieh verehrte, zumindest an diesem Nachmittag fand sie, dass Hühner Essen so ziemlich das Grausamste war, was Menschen sich leisten konnten und das verlangte nach konsequenter Bestrafung. Endlich gab es ein bewegliches Ziel für das brandneue, in Deutschland nicht zugelassene Luftgewehr. Einmal Auge, einmal Schläfe und die beiden Hühnerfresser lagen blutend zwischen den Vogelknochen. Der 15jährige Björn klopfte ihr anerkennend auf die Schulter, während der ebenso alte Peterle deutlich erbleichte. Jungen waren eben ein paar Jahre zurück hinter den Mädchen, Alice war da viel cooler. Sie hatte gerade die Grundschule hinter sich gebracht und war nun fit fürs Gymnasium. Auf dem Schulhof würde ihr niemand dumm kommen. Schon gar nicht in ihrem neuen Look: der hochgestellte Kragen an Omas blütenweißer BDM-Hemdbluse verlieh ihr die Aura einer unbesiegbaren Herrscherin. Doch jetzt hatte Alice Tatsachen geschaffen, deren Folgen weder sie noch ihre Vetter tragen wollten.
„Wir müssen sie vergraben.“, meinte Bernd, der mit seinen 27 Jahren zwar auch nicht der Hellste war, aber immerhin schon gelernt hatte, dass man sich beim Leute Umbringen nicht erwischen lassen durfte. Er schickte Peterle rasch zum Ferienhaus, damit er einen Spaten besorgte, dann ließen sie das Ehepaar in einem feuchten, dunklen Grab für lange Zeit verschwinden.
Der Jagderfolg stimmte Alice euphorisch und als sie Onkel Alex davon berichtete und beschrieb, wie die Beute ausgesehen hatte, blickte der ihr lange anerkennend in die Augen. „Das hast du fein gemacht, Mädchen.“, lobte er sie. „Solche Zecken gehören ausgerottet. Wenn du nicht eingegriffen hättest, wären sie womöglich noch in aller Öffentlichkeit übereinander hergefallen wie die Tiere.“
Am nächsten Tag gingen die Kinder wieder auf die Pirsch und entdeckten schon bald neue Beute: ein Liebespaar trieb es im Auto , das taten die sicher, weil sie sich heimlich trafen und eigentlich verheiratet waren und Ehebruch musste bestraft werden, mal ganz davon abgesehen, dass sie es in der Öffentlichkeit trieben und davon hielt Onkel Alex ja nun auch gar nichts. Schon wieder mussten die Jungs die Leichen verschwinden lassen und zum Dank schenkte Alice dem tumben Bernd das Auto – da konnte er die beiden auch gleich woanders entsorgen als in dem Wald, in dem ja schon das andere Paar begraben lag. In den folgenden Tagen erzählten die Kinder überall im Dorf herum, sie hätten da im Wald in den letzten Tagen gesehen, wie der Friedhofsgärtner sich herumtrieb und er wäre mit einem Luftgewehr unterwegs gewesen. Die Rechnung ging auf und der Friedhofsgärtner wurde schließlich rechtskräftig verurteilt.
Aber jetzt war November und nichts passierte.
Eine Woche und einen Tag darauf war dann doch endlich einmal etwas los. Die Berliner Mauer fiel, aber eigentlich war das auch egal. Onkel Alex war zwar ganz aus dem Häuschen und schwafelte immer von der Familie in Mitteldeutschland, aber das hatte Alice in der Schule noch nicht durchgenommen, darum langweilte sie sich einfach nur. Sie wollte mal wieder etwas erlegen, aber diesmal sollte es richtig knallen. Sie fragte Björn, wen man denn da mal ins Visier nehmen könnte. Björn hörte sich ein bisschen um und weil er immer alles durcheinanderbrachte, schlug er einen Banker vor. Unter Hitler waren die ja auch beliebte Ziele gewesen, allerdings nicht weil sie Banker waren, aber so genau konnte Björn sich das alles nicht merken. Für den großen Rums musste Peterle ran. Peterle konnte Mathe und Physik, sonst nichts, aber das konnte er.
30. November. Alfred Herrhausen hatte es erwischt und Alice ritzte die fünfte Kerbe in ihr Luftgewehr. Onkel Alex hatte das TNT über seine alten Wehrmachtskumpel besorgt und dann war alles ganz einfach gewesen. Aber schließlich ärgerte Alice sich schwarz und braun, als ausgerechnet die Zecken von der RAF sich zu dem Anschlag bekannten, dabei wären diese Stümper niemals zu einer solchen Präzision fähig gewesen und jetzt schmückten sie sich mit den Lorbeeren, die eigentlich ihr gebührt hätten. Aber Onkel Alex sagte, sie sollte mal zufrieden sein, Hauptsache, das blöde Volk war sauer auf die Linken und ihre Bewegung bekäme mehr Zulauf.
Und dann kam Weihnachten. Peterle hatte seinen Freund Marcus eingeladen, denn der hatte keine nette Familie und Onkel Alex lud die Verwandten aus Mitteldeutschland ein, die Dresdener, da kam auch die Frauke mit. Die konnte Alice von Anfang an nicht ausstehen, denn sie musste immer zu allem ihren Senf dazu geben, wollte immer die Bestimmerin sein und sah aus wie von der Treppe gefallen. Sie hätte ein perfektes Mobbingopfer abgegeben, aber statt dessen schnappte sie Alice den hübschen Marcus weg, denn sie war schon vierzehn und hatte ihre Tage. Außerdem gab sie immer mit ihrer coolen gleichaltrigen Freundin Beate an, die gleich zwei Uwes zum Sexen hatte und die am Wochenende immer zusammen los zogen und Ratten in die Luft sprengten oder streunende Katzen häuteten. Aber Marcus fand Frauke süß und und Alice war sauer und plante einen Rachefeldzug. Sie würde Frauke aus dem Weg räumen und wenn es 25 Jahre oder länger dauern sollte...So wuchs sie auf, damals im Flunderland und man sagt ja, dass die Landschaft den Geist formt.

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