Freitag, 9. Juni 2023
Fronleichnamsautisten
Es war ein bisschen bedeckt und kühl. Die Sonne hatte sich an diesem Morgen noch nicht durchgesetzt und ich haderte mit der Entscheidung in Shorts und Kurzarm-T-Shirt joggen gegangen zu sein. Aber nun war es so und ich lief meine übliche Runde durch die Felder.
Der Feiertag hatte die Freizeitsportler:innen aus ihren Wohnzimmern gelockt, ständig kamen mir Fahrradfahrer:innen entgegen, als Paare, in Kleingruppen, allein.
Ich grüßte jedes Mal freundlich und wurde jedes Mal ignoriert. Keine Antwort, nicht einmal ein flüchtiger Blick, so als wäre ich gar nicht vorhanden.
Nein nicht jedes Mal. Es gab da ein paar Ausnahmen, die den Gruß mehr oder weniger freundlich erwiderten.
Wenn dir hier unterwegs etwas passiert, bist du verraten und verkauft, dachte ich.

Und dann passierte es. Zwei Radfahrer näherten sich von hinten. Einer fuhr in mich hinein. Zuerst dachte ich, das sei ein Versehen, er habe irgendwie die Kontrolle über sein E-Bike verloren. Doch dann sah ich zwei untypisch für Freizeitsportler gekleidete junge Männer mit finsteren Gesichtern. Sie traten auf mich ein, bis ich mich nicht mehr rühren konnte, dann durchsuchten sie meine Taschen nach Wertgegenständen. Ich hatte nichts bei mir. Nicht einmal den Hausschlüssel, der schlummerte in seinem sicheren Versteck. Aus Frust verpassten sie mir noch zwei Tritte in den Rücken, dann zogen sie ab. Sie hätten Adresse und das Versteck des Schlüssels aus mir herausfoltern können. Dann hätten sie in aller Ruhe mein Haus durchstöbern können, da lag einiges an Bargeld. Aber dazu fehlte ihnen die Phantasie oder im günstigsten Fall die Skrupellosigkeit.

Nun lag ich da, wie zwischen Jericho und Jerusalem, blutend und stöhnend am Straßenrand. Die nächsten Fronleichnamsautisten radelten fröhlich vorbei wie Priester und Levit im biblischen Gleichnis. Ich wartete auf den barmherzigen Samariter. Aber er kam nicht. Sind wohl ausgestorben. Nicht einmal einer, der den Arbeiter-Samariter-Bund anrief. Alle hatten ihre eigenen Ziele vor Augen: 50 Kilometer, Brötchen holen und zum Frühstück zu Hause sein, sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, keine Risiken eingehen. Autisten eben. Vermutlich nicht nur Feiertags.

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