Freitag, 27. Oktober 2017
Troll – kirchenferner Kurzkrimi und vielleicht ein Entwurf für ein Buchprojekt in 2019
Keller war völlig hilflos, er konnte die zitternde und schluchzende Frau einfach nicht beruhigen. Wo blieb denn Kerkenbrock, die hatte so etwas doch drauf.
Das Opfer lag noch immer im Wohnzimmer, auf dem Rücken ein roter Fleck, nicht besonders groß, es war kaum Blut aus der Stichwunde gedrungen, weil der Täter mitten ins Herz gestochen hatte, da wurde kein arterielles Blut mehr aus dem Körper heraus gepumpt.
Es drang so ein ungemütliches Geräusch aus irgendeiner Ecke des Raumes.
„Was ist das für ein Summen?“, fragte Keller und sparte sich das Attribut „ungemütlich“. Die Frau musste sich kurz sammeln, dann stellte sie fest: „Das kommt vom Laptop. Der Ventilator ist angesprungen.“
„Sind Sie dort unterbrochen worden oder Ihr Lebensgefährte?“
„Da war der Axel zuletzt dran.“
„Darf ich mir einmal ansehen, was er aktuell geöffnet hatte?“
„Aber sicher.“, sagte die Frau, drückte eine Taste, gab ein Passwort ein und drückte auf Enter. Ein Blog erschien. Sie bot Keller den Stuhl vor dem Schreibtisch an, auf dem der Laptop stand. Keller musste sich kurz orientieren und erkannte dann, dass das Opfer sein eigenes Weblog geöffnet hatte. Er nannte sich Bankrottkinn und das Blog hieß „Anarchie für alle“. Bankrottkinn hatte geschrieben:
„Eher rauche ich 'ne Camel durchs Nadelöhr, als dass ich 'n Reichen in mein Himmelbett lasse.“
Darunter standen Kommentare.

ARGONAUT:
Nur kein Neid.

KUCKUKSEI:
Ach, jetzt kommt der Odysseus wieder mit der Neid-Debatte. Würde wohl gern selbst zu den Beneideten gehören. Hat nur nicht gereicht.

ARGONAUT:
Bei mir reicht es noch zu mehr als bei euch beiden zusammen!

KUCKUCKSEI:
Oh ja, Traktoristen leisten einen wertvollen Beitrag zu unser aller Ernährung!

BANKROTTKINN:
Vorsicht, Kuckucksei, wer für den Spott sorgt, trägt am Ende den Schaden. Irgendwann findet Odysseus Dich und dann...

KUCKUCKSEI:
Wieso sollte der mich finden? Der verfährt sich doch dauernd.

BANKROTTKINN:
Ich glaube der wundert sich die ganze Zeit, dass wir ihn Odysseus nennen und nicht J.T. Kirk. Sicher weiß er nicht, dass es Astronaut heißt.“

ARGONAUT:
In humanistischer Bildung könnt ihr zwei Linksterroristen im Geiste mir nicht ansatzweise das Wasser reichen. Ihr habt doch nie eine Uni von innen gesehen. Habt ihr überhaupt Abitur?

KUCKUCKSEI:
Als Wasserträger stehe ich grundsätzlich nicht zur Verfügung, aber ich habe schon eine Ini von unten gesehen, das schlägt sogar Uni von hinten.

ARGONAUT:
Ja, von unten und von hinten, das passt zu euch. Aber rotzt hier nur weiter eure niveaulosen Beiträge ab. Eure Tage sind gezählt.

BANKROTTKINN:
Jetzt hab' ich aber Angst.

FEUERTEUFEL:
Man sollte sich nie zu früh einbilden, dass man die Katze im Sack hat, Argonaut.

KUCKUCKSEI:
Um die Katze im Sack zu haben, braucht es schon ziemlich dicke Eier.

FEUERTEUFEL:
Kuckuckseier?

KUCKUCKSEI:
Ja genau.

Hier endete die Kommentar-Leiste. Im Präsidium mussten die Spezialisten für soziale Netzwerke antreten. Keller ermittelte inzwischen in alle Richtungen, denn als Angehöriger der linksautonomen Szene konnte Axel K. Auch ein Opfer politischer Gegner oder Konkurrenten geworden sein. Als Privatmann konnte ihm ein Konflikt auf der Beziehungsebene zum Verhängnis geworden sein. Doch dann brachten die Nerds aus der Mausklickabteilung den Durchbruch:
ARGONAUT betrieb ein Blog namens „Hart am Wind“. Nur um zu zeigen, welch krudes Gedankengut er dort zum Besten gab, lasen die Kollegen etwas vor:

„Die, die der Gesellschaft vorwerfen, die Freiheit zu beschneiden, auszugrenzen und zu manipulieren, sind in Wahrheit selbst die Strippenzieher. Sexuell Perverse behaupten öffentlich, sogenannter Blümchensex sei minderwertig und die Ausnahme. In jeder Fernsehsendung moderiert jemand mit fremdem, kulturellem Hintergrund, und die Politiker wollen uns zwingen, unsere Mehrheitsgewohnheiten den Gewohnheiten einer Minderheit unterzuordnen, Stichwort: Schweinefleisch. Wir sollen im Sitzen pinkeln, im Schneckentempo fahren, die Zeche für die Faulenzer bezahlen und dabei freundlich bleiben. Wehrt euch, wenn ihr bei Verstand seid! Natürlich müsst ihr euch dabei auch die Finger schmutzig machen, denn man bleibt nicht sauber, wenn man gegen den Wind kotzt.“

Doch das war nicht alles.
Jonathan S., der gleiche Mann, der sich hinter ARGONAUT verbarg, steckte seltsamerweise auch hinter dem Pseudonym FEUERTEUFEL. Das dazu gehörige Blog hieß „Steppenbrand“. Hier fanden sich nur ein paar dumme Sprüche wie z.B.:
„Wer mit den Hühnern schlafen geht, ist ein Sodomit.“
Beim Lesen dieses Blogs und dem Blog des Mordopfers war den Kollegen jedoch aufgefallen, dass Jonathan S., der sich als ARGONAUT verbal mit BANKROTTKINN bis aufs Blut bekämpfte, sich als FEUERTEUFEL mit ihm angefreundet hatte.
Nun saß Jonathan S. Im Verhörraum. Er hatte unvorsichtigerweise Spuren am Tatort hinterlassen.
„Wie haben Sie es gemacht?“, fragte Keller. „Wie haben Sie Axel K. Ausfindig gemacht?
„Das war nicht schwierig.“, erwiderte Jonathan S. „Diese Loser-Blogger sind alle eitel bis in die Haarspitzen und dumm dazu. Ich habe ihm als Feuerteufel genug Honig um den Bart geschmiert, ihm nach dem Mund geredet, bzw. nach dem Geist geschrieben, wie auch immer. Er hielt mich für einen Gesinnungsgenossen und abonierte „Steppenbrand“. Da habe ich ihm eine Mail geschrieben, er hat geantwortet und blöd, wie er war, stand sein voller Name in seiner Mail-Adresse. Nun ist Kaczmarek kein häufiger Nachname und wenn einer dauernd davon schreibt, dass er in einer Ostwestfalen-Metropole lebt, ist klar, dass das nur Bielefeld sein kann. Seine Adresse stand zwar nicht im Telefonbuch, aber er ist politisch aktiv und so habe ich mich in seinem Biotop rumgetrieben. Man muss nur ein paar kuhäugige Mädchen fragen, wo denn der Axel wohnt, man hätte ihn aus den Augen verloren, hätte aber im politischen Kampf so viel gemeinsam durchgestanden und schwups hatte ich die Adresse. Ich habe dann einfach geklingelt, ihm ein Märchen von einer politischen Combo in Berlin erzählt, zu der ich angeblich gehöre und er hat mich in die Wohnung gelassen. Als er mir den Rücken zudrehte, habe ich zugestochen.“
„Aber Sie hatten doch kurz vorher noch in seinem Blog Kommentare geschrieben.“
„Ja, so wiegt man sein Opfer in Sicherheit. Es wähnt einen zu Hause am Rechner, dabei geht das ja heute alles mit dem Smartphone.“
„Und warum haben Sie es getan? Warum haben Sie beschlossen, Axel Kaczmarek zu ermorden?“
„Ich würde es nicht direkt ermorden nenne, eher eliminieren. Diese Zecken verseuchen unser Land mit Gewalt, Niveaulosigkeit, Bildungsferne, Verwahrlosung und Verrohung der Sitten. Haben Sie mal gelesen, was für einen Schmarren der im Netz veröffentlicht? Da kommt jedem anständigen Menschen augenblicklich die Galle hoch. So ein Gesindel verseucht die nachfolgenden Generationen mit seinen kranken Gedanken. Da muss mal jemand aufräumen, das Kraut ausjäten. Eigentlich wäre das ja die Aufgabe der Polizei, aber die Politik bindet Ihnen ja die Hände. Ich verstehe, dass Sie nichts tun können. Darum tue ich etwas. Und wenn Sie mich verdammt nochmal nicht aufgehalten hätten, hätte ich noch sehr viel mehr erreichen können.“

Jonathan S. War noch so jung. Sechsundzwanzig Jahre, Lehramtsstudent, ein Mann mit Perspektive. Doch welche Perspektive hatte er jetzt? Fünfzehn Jahre Gefängnis, keinen Abschluss, eine Familie hatte er auch noch nicht gegründet. Er wäre Einundvierzig bei seiner Entlassung. Ronja würde ihn bis dahin verlassen. Bei der patenten, attraktiven Erzieherin würden die Anwärter zu Fortpflanzung Schlange stehen. Da halfen auch Jonathans romantische Gefühle und ihre ehrliche Liebe nicht. Nicht nach dem, was er getan hatte.
Und wenn jemals herauskäme, was er noch alles getan hatte, würde er die geschlossenen staatlichen Einrichtungen nie mehr verlassen.

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