Mittwoch, 27. September 2017
Alice im Flunderland – der erste gottlose Kurzkrimi in diesem Blog
Aus aktuellem Anlass und aus Achtung vor den Lesebedürfnissen meiner treuesten LeserInnen und AbonentInnen nun einmal etwas ganz ohne Kirche:

Sie wuchs auf, damals, im Flunderland und man sagt ja, dass die Landschaft den Geist formt.
Es war der 1. November 1989. Alice langweilte sich zu Tode. Im Sommer hatte sie soviel Spaß beim Kurzurlaub in Göhrde mit Onkel Alex und ihren grenzdebilen Vettern Bernd, Björn und Peterle gehabt. Gut, Onkel Alex hatte beim Pflaumenkuchen mit Schlagsahne immerzu vom zweiten Weltkrieg geschwärmt, das war ihr irgendwann zu den Ohren herausgekommen, zumal sie auch schon rechnen konnte und feststellte, dass Onkel Alex zwar schon unter Hitler einen braunen Hintern gehabt hatte, aber eben auch nur einen braunen Hintern. Doch vor und nach dem Pflaumenkuchen durchstöberte sie gern zusammen mit den Jungs den lüneburgischen Wald auf der Suche nach Jagdwild, so wie Onkel Alex es ihnen erklärt hatte. Er selbst lag dann schnarchend auf der Terrasse und träumte von Deutschland in den Grenzen von 1937.
So kam es, dass Alice eines Nachmittags endlich fündig wurde. Ein Ehepaar saß auf einer Picknick-Decke und verspeiste Hühnerbeine. Alice hätte niemals Hühnchen gegessen, weil sie das gemütliche Federvieh verehrte, zumindest an diesem Nachmittag fand sie, dass Hühner Essen so ziemlich das Grausamste war, was Menschen sich leisten konnten und das verlangte nach konsequenter Bestrafung. Endlich gab es ein bewegliches Ziel für das brandneue, in Deutschland nicht zugelassene Luftgewehr. Einmal Auge, einmal Schläfe und die beiden Hühnerfresser lagen blutend zwischen den Vogelknochen. Der 15jährige Björn klopfte ihr anerkennend auf die Schulter, während der ebenso alte Peterle deutlich erbleichte. Jungen waren eben ein paar Jahre zurück hinter den Mädchen, Alice war da viel cooler. Sie hatte gerade die Grundschule hinter sich gebracht und war nun fit fürs Gymnasium. Auf dem Schulhof würde ihr niemand dumm kommen. Schon gar nicht in ihrem neuen Look: der hochgestellte Kragen an Omas blütenweißer BDM-Hemdbluse verlieh ihr die Aura einer unbesiegbaren Herrscherin. Doch jetzt hatte Alice Tatsachen geschaffen, deren Folgen weder sie noch ihre Vetter tragen wollten.
„Wir müssen sie vergraben.“, meinte Bernd, der mit seinen 27 Jahren zwar auch nicht der Hellste war, aber immerhin schon gelernt hatte, dass man sich beim Leute Umbringen nicht erwischen lassen durfte. Er schickte Peterle rasch zum Ferienhaus, damit er einen Spaten besorgte, dann ließen sie das Ehepaar in einem feuchten, dunklen Grab für lange Zeit verschwinden.
Der Jagderfolg stimmte Alice euphorisch und als sie Onkel Alex davon berichtete und beschrieb, wie die Beute ausgesehen hatte, blickte der ihr lange anerkennend in die Augen. „Das hast du fein gemacht, Mädchen.“, lobte er sie. „Solche Zecken gehören ausgerottet. Wenn du nicht eingegriffen hättest, wären sie womöglich noch in aller Öffentlichkeit übereinander hergefallen wie die Tiere.“
Am nächsten Tag gingen die Kinder wieder auf die Pirsch und entdeckten schon bald neue Beute: ein Liebespaar trieb es im Auto , das taten die sicher, weil sie sich heimlich trafen und eigentlich verheiratet waren und Ehebruch musste bestraft werden, mal ganz davon abgesehen, dass sie es in der Öffentlichkeit trieben und davon hielt Onkel Alex ja nun auch gar nichts. Schon wieder mussten die Jungs die Leichen verschwinden lassen und zum Dank schenkte Alice dem tumben Bernd das Auto – da konnte er die beiden auch gleich woanders entsorgen als in dem Wald, in dem ja schon das andere Paar begraben lag. In den folgenden Tagen erzählten die Kinder überall im Dorf herum, sie hätten da im Wald in den letzten Tagen gesehen, wie der Friedhofsgärtner sich herumtrieb und er wäre mit einem Luftgewehr unterwegs gewesen. Die Rechnung ging auf und der Friedhofsgärtner wurde schließlich rechtskräftig verurteilt.
Aber jetzt war November und nichts passierte.
Eine Woche und einen Tag darauf war dann doch endlich einmal etwas los. Die Berliner Mauer fiel, aber eigentlich war das auch egal. Onkel Alex war zwar ganz aus dem Häuschen und schwafelte immer von der Familie in Mitteldeutschland, aber das hatte Alice in der Schule noch nicht durchgenommen, darum langweilte sie sich einfach nur. Sie wollte mal wieder etwas erlegen, aber diesmal sollte es richtig knallen. Sie fragte Björn, wen man denn da mal ins Visier nehmen könnte. Björn hörte sich ein bisschen um und weil er immer alles durcheinanderbrachte, schlug er einen Banker vor. Unter Hitler waren die ja auch beliebte Ziele gewesen, allerdings nicht weil sie Banker waren, aber so genau konnte Björn sich das alles nicht merken. Für den großen Rums musste Peterle ran. Peterle konnte Mathe und Physik, sonst nichts, aber das konnte er.
30. November. Alfred Herrhausen hatte es erwischt und Alice ritzte die fünfte Kerbe in ihr Luftgewehr. Onkel Alex hatte das TNT über seine alten Wehrmachtskumpel besorgt und dann war alles ganz einfach gewesen. Aber schließlich ärgerte Alice sich schwarz und braun, als ausgerechnet die Zecken von der RAF sich zu dem Anschlag bekannten, dabei wären diese Stümper niemals zu einer solchen Präzision fähig gewesen und jetzt schmückten sie sich mit den Lorbeeren, die eigentlich ihr gebührt hätten. Aber Onkel Alex sagte, sie sollte mal zufrieden sein, Hauptsache, das blöde Volk war sauer auf die Linken und ihre Bewegung bekäme mehr Zulauf.
Und dann kam Weihnachten. Peterle hatte seinen Freund Marcus eingeladen, denn der hatte keine nette Familie und Onkel Alex lud die Verwandten aus Mitteldeutschland ein, die Dresdener, da kam auch die Frauke mit. Die konnte Alice von Anfang an nicht ausstehen, denn sie musste immer zu allem ihren Senf dazu geben, wollte immer die Bestimmerin sein und sah aus wie von der Treppe gefallen. Sie hätte ein perfektes Mobbingopfer abgegeben, aber statt dessen schnappte sie Alice den hübschen Marcus weg, denn sie war schon vierzehn und hatte ihre Tage. Außerdem gab sie immer mit ihrer coolen gleichaltrigen Freundin Beate an, die gleich zwei Uwes zum Sexen hatte und die am Wochenende immer zusammen los zogen und Ratten in die Luft sprengten oder streunende Katzen häuteten. Aber Marcus fand Frauke süß und und Alice war sauer und plante einen Rachefeldzug. Sie würde Frauke aus dem Weg räumen und wenn es 25 Jahre oder länger dauern sollte...So wuchs sie auf, damals im Flunderland und man sagt ja, dass die Landschaft den Geist formt.

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