Freitag, 6. Oktober 2017
Wichtiger Hinweis in eigener Sache
Wer mein E-book "Ich hab' den Ausbau nicht gewollt" bestellen will, sollte dies vorläufig nicht bei Thalia tun, die haben noch die beschädigte Datei vom ersten fehlerhaften Hochladen. Ich mach ungern Werbung für Amazon, aber da bekommt man dann auch wirklich das ganze E-book.
Sorry an Birgit die Starke, die dankenswerterweise bei Thalia bestellt hat.

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Der Abend nach dem Morgen
Linda blickte gern zurück. Damals war alles noch gut gewesen, na ja fast gut. Sie hatte oft grauenvolle Ängste vor dem Höllenschlund ausgestanden, weil Tante Änne von gegenüber ihr immer wieder eingetrichtert hatte, dass nur die braven Mädchen in den Himmel kämen, die bösen dagegen in ewiger Verdammnis auf glühenden Kohlen entsetzliche Schmerzen erleiden und dabei vom Teufel verspottet würden, dessen Fratze so grässlich anzusehen sei, dass einen das Grauen nie mehr loslasse. Linda hatten die Bilder schon damals nicht mehr losgelassen, denn sie war ja ein böses Mädchen, wenn sie es versäumte, einen Passanten zu grüßen, Zucker verschüttete oder schmutzige Fingernägel hatte.
Aber dann war sie gerettet worden, von einem der es wissen musste, besser als Tante Änne. Pastor Grunewald, der hatte ihr von Jesus erzählt, der alles vergibt, ganz besonders solche Kinkerlitzchen wie Gedankenlosigkeit, mangelndes Geschick oder schmutzige Fingernägel. Pastor Grunewald hatte sie gelehrt, immer das Gute im Menschen zu suchen und fest daran zu glauben.
Es war immer besser geworden. Simon war in ihr Leben getreten und endlich war die Sonne aufgegangen wie an einem ersten Frühlingstag. Aber der Sommer war noch so weit weg gewesen und da war mehr Hoffnung als Erlösung gewesen. Noch bevor sie von den verbotenen Früchten leidenschaftlicher Fleischeslust hatte naschen dürfen, hatte Louisa begonnen, sie mit etwas zu erpressen, das nie stattgefunden hatte. Aber es wäre schon eine Katastrophe gewesen, wenn alle gewusst hätten, wie sehr sie Simon begehrte. Es wäre die Hölle gewesen, wie auf glühenden Kohlen hätte sie sich fühlen müssen, verspottet von des Teufels hässlicher Fratze.
Der Glaube an Jesus, der sie gemeinsam mit seinem Vater in der Spur hielt, hatte ihr geholfen, stabil zu bleiben. Aber Jesus hatte sie verlassen. Vermutlich hatte er das schon vor knapp 2000 Jahren getan. Warum sonst waren die, die sich als seine Anhänger ausgaben, sonst so weit entfernt von dem, was er gepredigt hatte?
Wenn alle am Ende nur für sich sorgten und den Glauben an Jesus nur vorschützten, dann konnte sie das auch.
Sie hatte damit angefangen, Simon dorthin zu schicken, von wo er nicht zurückkehren konnte. Simon war plötzlich so kalt gewesen und ihr war schlagartig bewusst geworden, dass er sie benutzt hatte. Seine ganze Aufmerksamkeit, die ständige Zuwendung, dass er sie immer behandelt hatte wie seinen Augapfel, als sei sie etwas ganz Besonderes, war nur der Tatsache geschuldet, dass sie in seinen Händen formbar wie Wachs gewesen war und sich überall da hatte einsetzen lassen, wo er jemanden brauchte, der ihn verlässlich unterstützte, bei den Kindergruppen, der Kinderbibelwoche, der Organisation der Weihnachtsbaumsammelaktion und der Vorbereitung des Jugendgottesdienstes. Als sie mehrere Wochen hintereinander häufiger etwas vergessen hatte, weil es zu Hause Stress gab, ihre Versetzung gefährdet war und sie sich einfach schlapp und antriebslos fühlte, da hatte Simon sich kontinuierlich zurückgezogen. Am Ende hatte er sie behandelt, wie eine lästige Teilnehmerin. Als sie daraufhin Pastor Grunewald um ein Gespräch gebeten hatte, hatte der zuerst keinen Termin frei und als er es endlich hatte einrichten können, war ihm deutlich anzusehen gewesen, dass er gerade mit etwas Anderem beschäftigt war. Er hatte aus dem Fenster gesehen oder auf die Erde und war unruhig auf seinem Stuhl hin und her gerutscht.
Die Wut und Enttäuschung einerseits, aber auch die Angst, von ihm bloßgestellt zu werden, ließ den Entschluss in ihr reifen, Simon dorthin zu schicken, wo er hingehörte. Es war nicht schwierig. Das Medikament war frei verkäuflich. Man konnte es auflösen, die Lösung einkochen und dann ein aromatisches Getränk damit versetzen. Bei Simon rührte sie es in den koffeinfreien Kaffee, den er gern zum Abschluss des Arbeitstages trank, wenn sie nach dem Jugendkreis noch eine kurze Teambesprechung machten. Er fand zwar, dass der Kaffee diesmal seltsam schmeckte, schöpfte aber keinen Verdacht. Sie wusste nicht, ob er sanft hinübergeglitten war oder noch einmal von schrecklichen Krämpfen geschüttelt und in panischer Angst aufgewacht war. Seine Frau hatte ihn friedlich aber reglos im Bett gefunden, am nächsten Morgen.
Niemand ahnte etwas, nur Louisa hatte ihrer Verwunderung darüber Ausdruck verliehen, dass Linda gar nicht so traurig zu sein schien, wie man eigentlich von ihr erwartet hätte. Sie stellte Fragen. Zu viele Fragen. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie Linda erpressen oder ihr die Polizei auf den Hals hetzten würde. Louisa war kein guter Mensch, nein eine elende Drecksbratze war sie. Das war sie schon immer gewesen. Sie kübelte gern literweise Cola in sich hinein. Es war nicht schwierig, eine Flasche für sie zu präparieren. Man sah sich ja abends beim Jugendkreis. Und als sie am nächsten Morgen tot in ihrem Bett lag, schöpfte noch immer niemand Verdacht, nur die Polizei begann, sich zu wundern.
Aber Linda war noch nicht fertig mit ihrem Rache-Gericht. Ihr war in den letzten Tagen klar geworden, dass auch Pastor Grunewald sie betrogen hatte. Das, was er sie gelehrt hatte, glaubte er selbst nicht. Jesus lebte nicht mehr und er hatte ihr wider besseren Wissens etwas Anderes erzählt. Außerdem wusste er zu viel, ahnte zumindest etwas. Und wenn er doch fest an das Paradies glaubte, dann tat sie ihm am Ende ja einen Gefallen. Sie wusste, dass er gern den übriggebliebenen Abendmahlswein mit nach Hause nahm, daran nahm niemand in der Gemeinde Anstoß. Sie war auch Kindergottesdienst-Helferin. Niemand wunderte sich, wenn sie mal eben in der Sakristei verschwand. Es hätte scheitern können, aber auch Pfarrer Grunewald schied aus dem Leben, wenn auch spektakulärer als seine Vorgänger. Er hatte den Wein nämlich zum Mittagessen getrunken und war dann ins Auto gestiegen, um einen Freund zu besuchen. Dort kam er nicht an, weil er in einen schrecklichen Verkehrsunfall verwickelt wurde. Diesmal wunderte sich niemand, die Serie war nicht erkennbar, es war tragisch und alle waren zutiefst erschüttert.
Da kam die alte Angst vor dem Höllenfeuer wieder in Linda hoch und sie erkannte, dass es nie so weit gekommen wäre, wenn Tante Änne ihr diese Angst nicht eingetrichtert hätte. Die alte Änne. Wie viele Kinder wollte sie noch mit ihren Geschichten in den Abgrund stürzen? Das musste ein Ende haben. Tante Änne bemerkte nichts Außergewöhnliches an ihrem Kaffee, dafür waren ihre Geschmacksknospen schon zu alt und die Freude zu groß, dass Linda sie endlich wieder einmal besuchte. Als ihr schwindelig wurde, half ihr Linda ins Bett, damit sie sich etwas ausruhen konnte, in ein bis zwei Stunden würde es schon wieder gehen. Es ging nicht mehr. Aber Tante Änne war alt und niemand wunderte sich.
Niemand? Nicht ganz. Frau Grunewald hatte ihren Mann obduzieren lassen und man hatte das Medikament entdeckt. Simons Leiche war schon kremiert worden, aber Louisa konnte exhumiert werden.
Gerade kocht Linda die nächste Dosis, denn Mama und Papa haben begonnen, lästige Fragen zu stellen, da fährt ein Polizeiwagen vor. Nun hat es wohl keinen Zweck mehr, zu hoffen, sie bliebe unentdeckt. Zum Abschied kritzelt sie schnell ein Gedicht auf einen Bogen Briefpapier:

Der, an den ich glaube,
hat mir gesagt,
dass er mich nicht braucht.

Darum gebe ich auf,
Leichen pflastern meinen Weg
und ich wünsche von jedem Regentropfen,
dass er mich erschlagen möge.

Sie glaubt fest an sich und daran, dass ihr dieses Gedicht ganz von allein eingefallen ist. Zu Sie merkt nicht, dass es sich um ein halbes Plagiat handelt, erinnert sich nicht an das Original. Noch eine Lebenslüge. Ihre letzte. Vielleicht muss sie sich deswegen selbst bestrafen. Sie schluckt das Konzentrat und flieht durch den Garten in den Wald. Hier werden sie sie erst finden, wenn es zu spät ist.

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