Freitag, 24. August 2018
Ins Blaue – abgeschlossener Kurzkrimi mit Einladung zum Weiterspinnen
Seit zehn Jahren arbeiteten sie nun schon zusammen – nicht täglich, aber doch immer wieder regelmäßig. Sie hatte es gleich gewusst, als sie ihn zu ersten Mal gesehen hatte. Scheiße, ist der schön! - hatte sie gedacht – Das kann man ja gar nicht aushalten! Bloß Distanz halten, bevor ich mich zum Affen mache. Und es war ihr gelungen, das Distanz halten, zehn lange Jahre, aber jetzt ging gar nichts mehr. Etwas hatte sich verändert. Zum einen war ihre Zusammenarbeit intensiver geworden, das lag an den strukturellen Veränderungen, zum anderen wurde ihre Beziehung aber auch tagtäglich persönlicher. Der Blick, mit dem er sie ansah, hatte sich gewandelt von sympathischem Wohlwollen zu sehnsuchtsvollem Dauergrinsen. Seine Stimme wurde ganz weich, wenn er mit ihr sprach, es sei denn, er ging dazu über – vor allem in Gesellschaft - , sie mit derben Späßen zu necken. Doch sobald sie unter sich waren, war da wieder diese Zärtlichkeit in seinem Blick und sie ahnte, dass der Supergau unausweichlich war.

Und dann wurde es privat. Nicht ganz so, wie sie es sich in ihren jugendgefährdenden Tagträumen vorstellte, stattdessen kam es zu einer Einladung zum Essen – mit Partner. Na toll, dachte sie, tun wir jetzt so, als empfänden wir nur freundschaftliche Gefühle füreinander, die Männer reden über Fußball und was sie sonst so an Gemeinsamkeiten entdecken, führen sich gegenseitig ihre Hobby-Räume vor und wir Frauen beweisen unsere soziale Kompetenz im Womens Small Talk. Ich möchte brechen. - Sie ließ sich trotzdem darauf ein. Vielleicht würden die anderen beiden sich ja auch ineinander verlieben und alles dürfte passieren und niemand würde verletzt. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, glaubte sie natürlich nicht daran, aber der noch immer aktiv brodelnde innere Teenager in ihr, hoffte voller Naivität auf das perfekte Lebensglück.

Der Abend lief ganz lässig an. Da war sofort allerseits ein Draht zueinander, viel Gemeinsames, viel Anlass zu fröhlichem Gelächter und das Essen schmeckte hervorragend. Sie spürte, wie ihre Aufregung und Beklemmung allmählich einer entspannten, frohen Erwartung wichen. Irgendwie würde alles gut werden.

Der Rotwein allerdings schmeckte abgestanden, so als hätte die Flasche über Nacht offen in der Küche mit der Nachtluft reagiert. Natürlich war sie höflich und sagte nichts dazu, die anderen tranken den miesen Tropfen ja auch, ohne eine Miene zu verziehen.

Als sie sich verabschiedeten war es weit nach Mitternacht und man war sich einig, dass in Kürze eine Gegeneinladung fällig war. „Wenn mein Mann so nette Kolleginnen anschleppt“, hatte seine Frau zum Abschied gesagt, „ist das jedes Mal eine große Herausforderung für mich. Ich hoffe ich bin ihr gerecht geworden.“ - Dabei hatte sie dieses verschmitzte Lächeln aufgesetzt und in ihren Augen hatte es ein bisschen gefährlich gefunkelt.

Die Magenkrämpfe begannen um drei Uhr nachts. Sie fragte sich, ob etwas von dem Essen ihr nicht bekommen war oder ob sie den miesen Wein nicht vertragen hatte. Ihr Mann schlief tief und fest. Er hatte das Gleiche gegessen und getrunken wie sie, vermutlich hatte sie sich einen Infekt eingefangen.
Als sie später nach Luft ringend über der Kloschüssel hing, ohne sich erfolgreich erleichtern zu können, ahnte sie, dass hier andere Kräfte im Spiel waren als Viren oder Bakterien. Sie erinnerte sich daran, dass vor vier Jahren eine Kollegin plötzlich verstorben war. Auch sie hatte intensiv mit ihrem heutigen Gastgeber zusammengearbeitet und sie war jung, gesund, sportlich und wunderschön gewesen. Sie musste das Telefon erreichen und einen Notarzt alarmieren. Ihr Mann schlief so fest, den würde sie nicht wach bekommen, er war schon auf dem Heimweg in der Straßenbahn eingenickt. Sie müsste sich nur in den Flur schleppen, die 112 wählen und die Wohnungstür öffnen.

Sie schaffte es nicht mehr und der Arzt, der den Totenschein ausstellte, verfügte über zu wenig Erfahrung, um ihre schwarze Zunge zu bemerken.

Ihr Mann wäre beinahe vor Trauer zerbrochen, wäre da nicht die fürsorgliche Zuwendung der Frau des Kollegen gewesen, die er am Abend vor dem Dahinscheiden seiner geliebten Frau kennengelernt hatte.

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Bei "Scheiße ist der schön" musste ich eigenartigerweise sofort an Richard David Precht denken, obwohl oder gerade weil ich den voll zum Kotzen finde. 😂😂😂
Im übrigen habe ich eine Schwäche für Giftmischerinnen. Das habt ihr gut hingekriegt!

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Auf den Precht stehe ich auch nicht, regt sich auch Widerwille in mir, ich glaube, das ist einer, der das Ziel seiner Begierde direkt mit den Augen vögelt, vor so was ekel ich mich. Vielleicht ist der auch gar nicht so, aber er kommt so rüber.

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