Donnerstag, 12. Juli 2018
Bracciano - zweiteiliger Kurzkrimi - 2. Teil
Als er erwachte irritierte ihn das Licht. Draußen schien zwar die Sonne, aber sie tauchte den ganzen Raum in ein warmes, tiefes Gelb. Er schreckte auf. Da hatte er doch tatsächlich fünf Stunden geschlafen. Für Kaffee und Kuchen war es jetzt zu spät, andererseits auch schade um die schöne Torte und so ein Tässchen Kaffee würde ihn schon nicht um den Nachtschlaf bringen.
Der Spaziergang fand dann in der Dämmerung statt, aber danach fühlte er sich unsagbar frisch und voller Tatendrang.

Sie würde nicht einbrechen müssen. Sie hatte ja noch den Generalschlüssel. Am Sonntag ging sie sehr früh schlafen und stellte den Wecker auf zwei Uhr. Gegen drei Uhr schlich sie ins Gemeindehaus. Um diese Zeit war nie jemand da. Sie schlüpfte ins Büro, öffnete den Safe und holte das gesamte Papiergeld heraus. Ein ordentlicher Stapel. Das fühlte sich gut an.

Er wälzte sich von einer Seite auf die andere. Am Spätkrimi lag es nicht, der war eher kurzweilig und gemütlich gewesen und die folgenden Sendungen hatten definitiv einschläfernden Charakter gehabt.Der Mittagsschlaf hatte sich einfach zu ausgiebig hingezogen, sogar jetzt fehlte es an der nötigen Bettschwere und er grübelte schon seit einer Stunde, ob endlich genug zusammengekommen war, um die Handwerker zu bestellen. Er hätte ja nachsehen können, aber nein, mitten in der Nacht ins Gemeindebüro? Da kamen doch nur Gerüchte auf. Andererseits – wer würde schon mitten in der Nacht von Sonntag auf Montag aus dem Fenster sehen? Er schlüpfte aus dem Bett und kleidete sich an. Wenn er schon nicht schlafen konnte, so wollte er die Zeit wenigstens sinnvoll nutzen.

Sie schloss den Schrank und wollte eben wieder heraus schleichen, als sie jemanden an der Haustür bemerkte. Sie huschte hinter den bodenlangen Vorhang, der bei zu viel Sonnenlicht oder wenn es draußen dunkel war, zugezogen wurde. Ein Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt, und sie vernahm irritierte Schließgeräusche; da wunderte sich jemand außerordentlich, dass die Bürotür nicht verriegelt war. Das Licht ging an. Sie hätte zu gern gesehen, wer hier zu nachtschlafender Zeit im Gemeindebüro herumgeisterte und sich dann gefragt, warum, aber durch den dichten Stoff hindurch konnte sie niemanden erkennen. Der einzige Vorteil ihrer schweren Erkrankung bestand darin, dass sie horrende an Gewicht verloren hatte. So dünn, wie sie gegenwärtig war, war sie in ihrem gesamten bisherigen Leben nicht gewesen. Nun war ihr Körper so flach, dass er sich kaum unter der Gardine abzeichnete.
Der nächtliche Besuch drehte am Rad. Nein, er verlor nicht die Contenance, er drehte am Zahlenschloss.
„Welch ein Malheur“, dachte sie gerade, als sie auch schon einen heiseren, schockierten Aufschrei aus einer männlichen Kehle vernahm. War das nun auch ein Dieb oder jemand, der nur nachts nicht schlafen konnte und die Kollekte zählen wollte? Im letzteren Fall würde er sicher umgehend zum Telefon greifen und die Polizei alarmieren und dort auf das Eintreffen der Beamten warten. Ihr bliebe keine Möglichkeit zur Flucht und sie würde Bracciano nie wiedersehen. Sie wagte es, die Gardine ein wenig zur Seite zu schieben und einen Blick zu riskieren. Es war Winfried und er griff schon zum Telefon. Sie hatte keine Zeit mehr. Mussten Annekes schöne Rosen eben vertrocknen, sie selbst wäre auch bald Humus. Sie griff die gut gefüllte, schwere Glasvase und zog sie Winfried mit voller Wucht von hinten über den Schädel. Er ging sofort zu Boden. Sie hätte ihm einen beschaulichen Ruhestand gegönnt, doch es gab keinen anderen Ausweg. Wenn sie die Spuren ihrer Tat jedoch nicht beseitigte, träte die Polizei viel zu früh in Aktion. Zum Glück war Winfried kein schwerer Brocken. Seine Kleidung glitt über das versiegelte Linoleum wie ein Schlitten durch Neuschnee. Sie schleifte ihn durch den Verbindungsgang bis in die Sakristei. Dort verklebte sie – für den Fall, dass er den Schlag überlebt hatte und bald wieder aufwachte - seinen Mund mit Reparaturband und fesselte ihm damit Hände und Füße. Winfried schwor auf Gaffertape und hatte immer welches im Schrank. Das hatte er nun davon. Man würde ihn schon finden, aber nicht gleich um acht Uhr morgens, denn er lebte allein, da war keine Familie, die ihn vermisst hätte.
Im Gemeindebüro kehrte sie die Scherben zusammen und wischte das Blumenwasser auf. Sie holte eine neue Vase aus dem Heizungsraum, füllte sie mit Wasser und stellte die Rosen hinein. Vielleicht würde Anneke gar nichts auffallen.
Nachdem sie das Licht gelöscht und alle Türen sorgfältig verriegelt hatte, trat sie in die kühle Nacht hinaus. Vier Uhr. Es hatte gerade mal eine Stunde gedauert. Der ICE nach Basel ging um sieben Uhr, der Koffer war längst gepackt, sie hatte also noch genug Zeit, zu Hause ihre Beute zu zählen. Es waren tatsächlich knapp viertausend Euro. Ein Tausender würde für Rom und die Reisekosten draufgehen. Ein Zimmer in Bracciano kostete Hundertfünfzig Euro die Nacht und Lebenshaltungskosten kamen ja auch dazu. Blieben ihr vielleicht zwei Wochen an ihrem Sehnsuchtsort, bis die Beute aufgebraucht war. Alles Weitere würde sich finden.

Endlich wieder Sauerbraten mit Knödeln, dachte Winfried. Anstelle von Hackbraten an mit Haut überzogener Sauce und Dosenerbsen im Klebreisbett. Die eine Woche im Krankenhaus war schlimmer für ihn gewesen als drei Wochen Kinderfreizeit. Nach seiner Entlassung war Sabine, die gute Seele, für drei Wochen verreist gewesen und er hatte von dem gelebt, was er selbst zusammenrühren konnte. Er war stolz auf sich. Er war als der barmherzige, vergebende Theologe aufgetreten, als der er gern wahrgenommen werden wollte. Den Groll, den er gegen die mittlerweile verstorbene Jugendreferentin hegte, hatte er sich mit keiner Miene anmerken lassen. Sie hatte die Kollekte fürs Hospiz und die Flohmarkt-Einnahmen der Kita mitgehen lassen und in Italien verjubelt. Das würde er ihr nie verzeihen. Sie war da unten in der Nähe von Rom in einem See ertrunken, vermutlich mit Absicht. Ein echter Hexentod. Nur eine Feuersbrunst wäre passender gewesen. Aber dieses war ihr letzter Streich gewesen, sie würde ihm nie wieder die Sonntage verdunkeln. Er führte die Gabel zum Munde. Der Braten zerging auf der Zunge.
ENDE

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Impressum im Kommentar?
Machste das jetzt bei jedem Beitrag? Muss ich das jetzt auch machen, um auf der sicheren Seite zu sein? Ist man jemals wirklich auf der sicheren Seite, oder nur auf der möglicherweise nicht allzu gefährlichen (ohne Gewährleistung) Seite?
Für diesen Kommentar meiner übernehme ich keine Verantwortung und schiebe sie auf die Blogbetreiberin ab, die mich dazu provoziert hat. Ich mag sie nicht, weil ich vermute, dass sie neben ihrem Blog auch Rassenschande betreibt, pfui deibel! WHITE PRIDE FOREVER!

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Keine Ahnung, ob das wirklich nötig ist. Wenn ich mal mehr Zeit habe, sorge ich dafür, dass das fest auf der Seite erscheint und ich nicht jedes Mal die Kommentare aktualisieren muss. Ich wollte mich nur absichern, halte das persönlich für Humbug, aber oft ist die Welt um mich herum viel komplexer, als ich es mir in meinen kühnsten Träumen vorzustellen vermag.

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ich hab auch schon mal geld aus dem spendenkasten geklaut, in meiner geburtsstadt, wo die kirchen tagsüber für alle offen sind. waren aber nur zwei euro. der hamburger, den ich mir davon gekauft habe, war sehr lecker.

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Die Kirchen sind offen, aber die Spendenkästen hatten doch schon "immer", zumindest in unserer Generation ein Schloss.
Also hier in Bayern.

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Tja, Sabine hats drauf ...

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*lol* jetzt schon zweimal Impressum in einem Beitrag nötig?

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