Donnerstag, 31. August 2017
Kapitel 7 - "Ich hab' den Ausbau nicht gewollt"
c. fabry, 01:26h
Dorfladen Häger – Mittwoch, 14. September 2016
Es war der letzte Spätsommernachmittag, an dem der Laden geöffnet war und die Sonne gab noch einmal alles. Kinder saßen auf den Treppenstufen, schleckten ein Eis und blinzelten in die Sonne. Dietmar, der heute hinter der Theke stand, hatte direkt noch einmal Kuchen nachbestellt, denn das Café war überfüllt. Interessanterweise schoss der Anteil an alten Männern Mittwoch nachmittags immer eklatant in die Höhe, weil ihre Gattinnen die Kaffeemahlzeit im Gemeindehaus bei der Frauenhilfe einnahmen. Sie beklagten, dass der Laden weder Schnaps noch Bier ausschenkte, aber dafür war schließlich der Gasthof da.
Sie sahen Bernhard Maas vorbei gehen, der in der Siedlung gebaut hatte, in der seit den Siebzigerjahren nur Zugezogene lebten, obwohl er auf einem traditionellen Hof dicht an der Grenze zu Häger aufgewachsen war, genauso wie seine mittlerweile verstorbene Frau, die vom Hof der Familie Niediek in Häger stammte. Das hatte schon damals für Gerede gesorgt, und die Verachtung, die er dafür erntete, hatte sich bis heute gehalten.
„Jetzt geht er wieder und terrorisiert seine Mieter.“, sagte Karl-Heinz Wehking und rümpfte verächtlich die Nase.
„Das weißt du doch gar nicht.“, erwiderte Christian Grankemeier. „Vielleicht will er auch Sickendieks Luise besuchen.
„Das würde ja bedeuten, dass er Anstand hat“, erwiderte Karl-Heinz, „und ein Herz. Aber der Kerl hatte immer nur seinen persönlichen Vorteil im Kopf. Hat mich richtiggehend gefreut, dass er letztes Jahr die widerlichen Mietnomaden da oben drin hatte.“
„Hat er das Geld eigentlich mittlerweile eingetrieben?“, fragte Christian.
„Das weiß ich nicht.“, antwortete Karl-Heinz. „Und wenn nicht, bringt ihn das auch nicht an den Bettelstab. Aber statt sich zu freuen, dass er jetzt zahlungskräftige, anständige Mieter hat, geht er denen nur auf die Nerven.“
„Ja, stimmt.“, gab Christian ihm Recht. „Irmtraut erzählt auch, dass man immer alles so lassen muss, wie er es sich mal ausgedacht hat. Und wenn was kaputt geht, will er immer den Mietern die Schuld dafür in die Schuhe schieben, damit er es nicht bezahlen muss.“
„Ich weiß noch, als die Familie von dem Landschaftsgärtner wieder auszog.“, fiel Karl-Heinz ein. „Als der im Garten alles schön angelegt hat und Bernie keinen Cent dazu bezahlen musste, hat er das so selbstverständlich mitgenommen, als wenn er Anspruch darauf hätte. Und zur Wohnungsabnahme hat er dann 'nen Makler mitgebracht und alles in Rechnung gestellt, was irgendwie nicht mehr ganz taufrisch war: hier 'ne winzige Macke im Heizkörperlack unten in der Ecke, da ein Kratzer am Waschbecken, Urinstein in der Toilette, ein fast unsichtbarer Blumentopf-Rand auf dem Parkett und so weiter. Die haben am Ende nicht einen Cent von der Kaution zurück gekriegt. Und Bernie hat auch noch gesagt, da müssten sie sich nicht wundern, wenn sie zu viert mit kleinen Kindern in so eine schöne neue Wohnung ziehen würden, dass die Kinder am Ende alles verwohnt hätten.“
„Hat ja auch selber keine, der alte Platzpatronen-Schütze.“, bemerkte Christian. „Aber sag mal, Karl-Heinz, woher weißt du das eigentlich alles?“
„Unser Michael ist da immer hingegangen. Die haben sich ja jetzt was in Theesen gekauft, da hat er auch seine Firma.“
„Na, dann haben die ja jetzt ihre Ruhe.“, meinte Christian.
Herbert Schmittke mischte sich ein: „Und ich sage euch, der Maas geht jetzt erst zu seiner Geldanlage und danach zu Luise und dann überredet er sie zu irgendwelchen Sauereien, die er sich ausgedacht hat.“
Jetzt meldete sich auch der dreißig Jahre jüngere Dietmar zu Wort, der sich eigentlich bedeckt hielt und still und heimlich jeden zweiten Mittwoch seine Milieustudie genoss.
„Mensch Herbert“, sagte er, „jetzt gehen sie aber mit dir durch. Der Bernie kriegt seinen Stängel doch nicht mal mehr auf Halbmast und von Luise erzählen sich doch alle, dass sie nicht mal ihren eigenen Kerl rangelassen hat.“
„Dass ihr jungen Leute aber immer nur Sex im Kopf haben müsst.“, konterte Herbert und artikulierte „Sex“ mit einem weichen S. „Ich meine so Sauereien wie zum Beispiel, dem SV Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Dann kommt wieder irgendeiner vonne Behörde und sagt, die dürfen nicht mehr auf'n Platz, weil sie anderthalb Meter zu nah an Sickendieks Grundstück sind oder weil der Zaun nicht hoch genug ist. Das kam doch nie von Luise. Den Dreck hat Bernhard sich jedes Mal ausgedacht. Alter Querulant.“
„Ja ja“, sinnierte Christian, „wenn man es sich erst mal in seinem Dorf mit allen verscherzt hat und kein Bein mehr an die Erde kriegt, kann man wohl nur noch die Giftspritze sein, für die einen sowieso alle halten. Wahrscheinlich macht ihm das auch noch Spaß.“
„Aber bei der Feuerwehr will er schon noch gerne dazu gehören.“, warf Herbert ein. „Da gibt er sich immer richtig Mühe, obwohl er ganz genau merkt, dass er da nichts gilt.“
„Warum auch wohl?“, unkte Karl-Heinz. „Der konnte schon nichts, als er noch voll im Saft stand; nicht mal aufs Osterfeuer aufpassen. Aber immer große Klappe, aufgebügelte Uniform und stolz wie Bolle.“
„Aber jetzt mal ernsthaft“, meldete sich Dietmar ein zweites Mal zu Wort, „was soll der sich denn noch wegen des Fußballplatzes einfallen lassen?“
„Also Sickendieks oder Tappes“, erklärte Karl-Heinz, „die lassen das Meckern nicht sein. Und jetzt, wo die Flüchtlinge bei Brünings wohnen, müssen sie auf die ja auch Rücksicht nehmen und rücken wieder näher an Sickendieks ran. Außerdem hatten ja alle darauf spekuliert, dass der SV bei Brünings sein Vereinsheim kriegt. Jetzt müssen sie in der Sportwerbewoche auch wieder näher ran kommen und es ist kein Ende in Sicht, obwohl doch alle damit gerechnet hatten.“
„Och, wieso?“, sagte Christian. „Der Manfred trinkt doch gerne einen mit.“
„Der Tappe?“, erregte sich Herbert. „Der kauft sich ein, zwei Pils, grinst dämlich, sacht nix und spekuliert darauf, dass ihm einer einen ausgibt. Macht er selber aber nie. Darum lädt ihn auch keiner ein. Der ist da nur zum Spionieren, wie er denen vom SV am besten in die Parade fahren kann. Dass ihr so einen überhaupt im Heimatverein mitmischen lasst, Christian, das ist mir ein Rätsel.“
„Der stört da nicht groß.“, erklärte Christian. „Und bei unserer Dorf-Initiative machen ja auch beide mit. Der Manfred hat ja oft schlechte Laune. Wenn man ihn was fragt, fängt er meistens an, über irgendwas zu meckern, aber er versucht wenigstens noch, Witze drüber zu machen. Dagegen Martina, die geht einem schon reichlich auf die Nerven. Die muss immer allen auf die Nase binden, wie gut sie sich auskennt. Neulich hat sie mit Ingrid zusammen im Bürgerhaus das Kaffeegeschirr gespült, und als Ingrid die Tassen in den Schrank stellte, da ist sie ihr dazwischen gegangen, wurde richtig laut und hat geschimpft: 'Die Henkel müssen alle nach rechts zeigen, und nie mehr als vier Tassen auf einem Stapel, aber auch nicht weniger, sonst passt das nicht! Wann hast du das letzte Mal hier gespült, Ingrid?' - Meine Frau war ganz perplex, sonst hätte sie ihr sicher den Marsch geblasen. Aber so ist die immer. Sie weiß Bescheid und alle anderen sind doof.“
„Ja, wie gut, dass wir alle so schlau sind, obwohl wir gar nich' aufe Unität waren.“, krakeelte Herbert. „Dietmar, bring mal noch 'ne Runde Kaffee! Aber mit Schuss!“
„Nee, Herbert. Das wird nix.“
„Wieso nicht?“
„Dafür musst du über die Straße.“
Es war der letzte Spätsommernachmittag, an dem der Laden geöffnet war und die Sonne gab noch einmal alles. Kinder saßen auf den Treppenstufen, schleckten ein Eis und blinzelten in die Sonne. Dietmar, der heute hinter der Theke stand, hatte direkt noch einmal Kuchen nachbestellt, denn das Café war überfüllt. Interessanterweise schoss der Anteil an alten Männern Mittwoch nachmittags immer eklatant in die Höhe, weil ihre Gattinnen die Kaffeemahlzeit im Gemeindehaus bei der Frauenhilfe einnahmen. Sie beklagten, dass der Laden weder Schnaps noch Bier ausschenkte, aber dafür war schließlich der Gasthof da.
Sie sahen Bernhard Maas vorbei gehen, der in der Siedlung gebaut hatte, in der seit den Siebzigerjahren nur Zugezogene lebten, obwohl er auf einem traditionellen Hof dicht an der Grenze zu Häger aufgewachsen war, genauso wie seine mittlerweile verstorbene Frau, die vom Hof der Familie Niediek in Häger stammte. Das hatte schon damals für Gerede gesorgt, und die Verachtung, die er dafür erntete, hatte sich bis heute gehalten.
„Jetzt geht er wieder und terrorisiert seine Mieter.“, sagte Karl-Heinz Wehking und rümpfte verächtlich die Nase.
„Das weißt du doch gar nicht.“, erwiderte Christian Grankemeier. „Vielleicht will er auch Sickendieks Luise besuchen.
„Das würde ja bedeuten, dass er Anstand hat“, erwiderte Karl-Heinz, „und ein Herz. Aber der Kerl hatte immer nur seinen persönlichen Vorteil im Kopf. Hat mich richtiggehend gefreut, dass er letztes Jahr die widerlichen Mietnomaden da oben drin hatte.“
„Hat er das Geld eigentlich mittlerweile eingetrieben?“, fragte Christian.
„Das weiß ich nicht.“, antwortete Karl-Heinz. „Und wenn nicht, bringt ihn das auch nicht an den Bettelstab. Aber statt sich zu freuen, dass er jetzt zahlungskräftige, anständige Mieter hat, geht er denen nur auf die Nerven.“
„Ja, stimmt.“, gab Christian ihm Recht. „Irmtraut erzählt auch, dass man immer alles so lassen muss, wie er es sich mal ausgedacht hat. Und wenn was kaputt geht, will er immer den Mietern die Schuld dafür in die Schuhe schieben, damit er es nicht bezahlen muss.“
„Ich weiß noch, als die Familie von dem Landschaftsgärtner wieder auszog.“, fiel Karl-Heinz ein. „Als der im Garten alles schön angelegt hat und Bernie keinen Cent dazu bezahlen musste, hat er das so selbstverständlich mitgenommen, als wenn er Anspruch darauf hätte. Und zur Wohnungsabnahme hat er dann 'nen Makler mitgebracht und alles in Rechnung gestellt, was irgendwie nicht mehr ganz taufrisch war: hier 'ne winzige Macke im Heizkörperlack unten in der Ecke, da ein Kratzer am Waschbecken, Urinstein in der Toilette, ein fast unsichtbarer Blumentopf-Rand auf dem Parkett und so weiter. Die haben am Ende nicht einen Cent von der Kaution zurück gekriegt. Und Bernie hat auch noch gesagt, da müssten sie sich nicht wundern, wenn sie zu viert mit kleinen Kindern in so eine schöne neue Wohnung ziehen würden, dass die Kinder am Ende alles verwohnt hätten.“
„Hat ja auch selber keine, der alte Platzpatronen-Schütze.“, bemerkte Christian. „Aber sag mal, Karl-Heinz, woher weißt du das eigentlich alles?“
„Unser Michael ist da immer hingegangen. Die haben sich ja jetzt was in Theesen gekauft, da hat er auch seine Firma.“
„Na, dann haben die ja jetzt ihre Ruhe.“, meinte Christian.
Herbert Schmittke mischte sich ein: „Und ich sage euch, der Maas geht jetzt erst zu seiner Geldanlage und danach zu Luise und dann überredet er sie zu irgendwelchen Sauereien, die er sich ausgedacht hat.“
Jetzt meldete sich auch der dreißig Jahre jüngere Dietmar zu Wort, der sich eigentlich bedeckt hielt und still und heimlich jeden zweiten Mittwoch seine Milieustudie genoss.
„Mensch Herbert“, sagte er, „jetzt gehen sie aber mit dir durch. Der Bernie kriegt seinen Stängel doch nicht mal mehr auf Halbmast und von Luise erzählen sich doch alle, dass sie nicht mal ihren eigenen Kerl rangelassen hat.“
„Dass ihr jungen Leute aber immer nur Sex im Kopf haben müsst.“, konterte Herbert und artikulierte „Sex“ mit einem weichen S. „Ich meine so Sauereien wie zum Beispiel, dem SV Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Dann kommt wieder irgendeiner vonne Behörde und sagt, die dürfen nicht mehr auf'n Platz, weil sie anderthalb Meter zu nah an Sickendieks Grundstück sind oder weil der Zaun nicht hoch genug ist. Das kam doch nie von Luise. Den Dreck hat Bernhard sich jedes Mal ausgedacht. Alter Querulant.“
„Ja ja“, sinnierte Christian, „wenn man es sich erst mal in seinem Dorf mit allen verscherzt hat und kein Bein mehr an die Erde kriegt, kann man wohl nur noch die Giftspritze sein, für die einen sowieso alle halten. Wahrscheinlich macht ihm das auch noch Spaß.“
„Aber bei der Feuerwehr will er schon noch gerne dazu gehören.“, warf Herbert ein. „Da gibt er sich immer richtig Mühe, obwohl er ganz genau merkt, dass er da nichts gilt.“
„Warum auch wohl?“, unkte Karl-Heinz. „Der konnte schon nichts, als er noch voll im Saft stand; nicht mal aufs Osterfeuer aufpassen. Aber immer große Klappe, aufgebügelte Uniform und stolz wie Bolle.“
„Aber jetzt mal ernsthaft“, meldete sich Dietmar ein zweites Mal zu Wort, „was soll der sich denn noch wegen des Fußballplatzes einfallen lassen?“
„Also Sickendieks oder Tappes“, erklärte Karl-Heinz, „die lassen das Meckern nicht sein. Und jetzt, wo die Flüchtlinge bei Brünings wohnen, müssen sie auf die ja auch Rücksicht nehmen und rücken wieder näher an Sickendieks ran. Außerdem hatten ja alle darauf spekuliert, dass der SV bei Brünings sein Vereinsheim kriegt. Jetzt müssen sie in der Sportwerbewoche auch wieder näher ran kommen und es ist kein Ende in Sicht, obwohl doch alle damit gerechnet hatten.“
„Och, wieso?“, sagte Christian. „Der Manfred trinkt doch gerne einen mit.“
„Der Tappe?“, erregte sich Herbert. „Der kauft sich ein, zwei Pils, grinst dämlich, sacht nix und spekuliert darauf, dass ihm einer einen ausgibt. Macht er selber aber nie. Darum lädt ihn auch keiner ein. Der ist da nur zum Spionieren, wie er denen vom SV am besten in die Parade fahren kann. Dass ihr so einen überhaupt im Heimatverein mitmischen lasst, Christian, das ist mir ein Rätsel.“
„Der stört da nicht groß.“, erklärte Christian. „Und bei unserer Dorf-Initiative machen ja auch beide mit. Der Manfred hat ja oft schlechte Laune. Wenn man ihn was fragt, fängt er meistens an, über irgendwas zu meckern, aber er versucht wenigstens noch, Witze drüber zu machen. Dagegen Martina, die geht einem schon reichlich auf die Nerven. Die muss immer allen auf die Nase binden, wie gut sie sich auskennt. Neulich hat sie mit Ingrid zusammen im Bürgerhaus das Kaffeegeschirr gespült, und als Ingrid die Tassen in den Schrank stellte, da ist sie ihr dazwischen gegangen, wurde richtig laut und hat geschimpft: 'Die Henkel müssen alle nach rechts zeigen, und nie mehr als vier Tassen auf einem Stapel, aber auch nicht weniger, sonst passt das nicht! Wann hast du das letzte Mal hier gespült, Ingrid?' - Meine Frau war ganz perplex, sonst hätte sie ihr sicher den Marsch geblasen. Aber so ist die immer. Sie weiß Bescheid und alle anderen sind doof.“
„Ja, wie gut, dass wir alle so schlau sind, obwohl wir gar nich' aufe Unität waren.“, krakeelte Herbert. „Dietmar, bring mal noch 'ne Runde Kaffee! Aber mit Schuss!“
„Nee, Herbert. Das wird nix.“
„Wieso nicht?“
„Dafür musst du über die Straße.“
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birgitdiestarke,
Donnerstag, 31. August 2017, 03:17
Oha ...
... die Martina ist ja wie meine Grossmutter war ... ihr Motto war: es gibt zwei Arten Dinge zu tun, meine und die falsche ... ;o)
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c. fabry,
Donnerstag, 31. August 2017, 15:35
Ja,
diese Sorte Frauen gibt es nach wie vor wie Sand am Meer, selbstgerechte Bäuerinnen genauso wie urbane Studienrätinnen mit Herrenmenschen-Allüren. Bestimmt hatten die alle eine schlimme Kindheit. ;-)
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