Freitag, 11. August 2017
Abraham ist schuld – vierteiliger Kurzkrimi – Teil III
Am nächsten Morgen erschien Vahid zum Frühstück in einem leuchtend weißen Kleid. Er sprach kaum mit Abraham, doch kurz bevor er und seine Mitreisenden aufbrachen und sich für die Gastfreundschaft bedankten, wandte er sich an den Patriarchen: „Noch ehe ein Jahr vergangen ist, wird deine Frau Sarah dein Kind zur Welt bringen und deine Nachkommen werden so zahlreich sein wie die Sandkörner in der Wüste.“
Abraham war zutiefst beeindruckt von den gewichtigen Worten des Fremden, später einmal würde er behaupten, der Mann sei ein Bote Elohims gewesen, einer seiner Engel. Sarah konnte ein lautes Prusten nicht verhindern, doch Abraham schöpfte keinen Verdacht. Er meinte, Sarah lache, weil sie die Prophezeiung für unglaublich hielt, weil sie sich bereits im fortgeschrittenen Alter befand. Abraham nahm die Ankündigung als Aufforderung, dem Glück auf die Sprünge zu helfen und teilte in den 28 folgenden Nächten das Bett ausschließlich mit Sarah. Sie war erleichtert, als er endlich wieder von ihr abließ, doch als sie deutliche Anzeichen einer Schwangerschaft an sich spürte, war sie heilfroh, dass sie sich ihrem Ehemann hingegeben hatte.
Neun Monate später brachte Sarah einen Sohn zur Welt und nannte ihn Isaak, das bedeutet Lachen. Sie behauptete, den Namen habe sie ausgewählt, weil sie bei der Prophezeiung so ungläubig gelacht habe. In Wirklichkeit hatte sie jedoch das Gefühl, beim Anblick ihres Sohnes ständig darüber lachen zu müssen, dass sie Abraham mit demselben Mann ein Kuckucksei ins Nest gelegt hatte wie Hagar.
Der zwölfjährige Ismael dagegen war alles andere als amüsiert über die Ankunft eines Brüderchens, verlor er doch seinen Einzelkindstatus von heute auf morgen. Als Isaak begann, herumzukrabbeln und erste unartikulierte Laute von sich zu geben, ging Ismael dazu über, den Bruder heimlich zu hänseln und zu quälen. Doch Isaak wuchs heran und mit zunehmendem Alter wuchs auch seine Fähigkeit, sich gegen den Größeren zu wehren. Schon bald standen sich die beiden Brüder in Durchtriebenheit und Skrupellosigkeit in nichts nach und Abraham war ihrem ewigen Zwist nicht mehr gewachsen, ganz zu schweigen von den Müttern. Abraham beschloss, durch ein Gottesurteil entscheiden zu lassen, wer sein rechtmäßiger Sohn sein solle. Der Verlierer sollte geopfert werden, so hatte Elohim es ihm im Traum vorgeschlagen. Als er seinen Frauen diesen Plan offenbarte, waren beide gleichermaßen entsetzt.
„Bist du Wahnsinnig, Mann?“, fragte Hagar aufgebracht. „Weißt du eigentlich, wie viel Mühe es macht, einem Kind das Leben zu schenken? Und du willst einfach so leichtfertig einen deiner Söhne ins Feuer werfen, nur weil du ihnen nicht beibringen kannst, sich zu vertragen? Was für ein Vater bist du eigentlich?“
„Es war Elohim, der meinen Söhnen das Leben schenkte. Ihr Frauen wart nur das Gefäß.“
erwiderte Abraham würdevoll.
„So einen Unsinn kann auch nur ein Mann erzählen!“, schimpfte Hagar.
„Und wer sagt dir eigentlich, ob das wirklich Elohim war, der da im Traum zu dir gesprochen hat?“, fragte Sarah. „Vielleicht war es ja auch die Einflüsterung eines Dämons. Schließlich hat Elohim uns diese Söhne geschenkt. Warum sollte er sie uns nehmen?“
„Das weiß nur Elohim.“, erwiderte Abraham und verließ das Zelt.
Die Mütter waren verzweifelt. Stundenlang saßen sie zusammen und arbeiteten an einer Strategie, wie sie das Leben beider Jungen retten könnten. Schließlich kamen sie zu einem Ergebnis, das sie Abraham unterbreiteten. Sarah ergriff das Wort: „Mein lieber Mann. Es ist gut möglich, dass Elohim zu dir gesprochen hat, aber es ist auch möglich, dass du den Ewigen nicht richtig verstanden hast. Vielleicht hat er dich auf die Probe gestellt, um zu prüfen, ob du weise genug bist, um dich als Vater vieler Völker als würdig zu erweisen. Wer aber Vater zweier Söhne ist und einen schlachten muss, weil er anders nicht ihren Streit schlichten kann, der ist nicht weise, sondern ein Idiot, dessen Linie zu Ende geht, noch bevor sie sich verzweigen kann. Du weißt, dass Elohim oft in unverständlichen Bildern und Rätseln spricht. Einen Sohn opfern, heißt nicht, ihn verbrennen, sondern ihn fortschicken. Gib einem die Herde und schicke ihn zu deinem Neffen Lot, den anderen behalte und züchte mit ihm eine neue Herde. Er soll dein Land erben. Wenn die Entscheidung gefallen ist, opfert ihr gemeinsam einen Bock. Das Blut ist für Elohim, der Rest für ein Festmahl mit deiner Sippe und für Almosen für die Besitzlosen.“
Wie Sarah es vorgeschlagen hatte, geschah es. Das Los für die Herde fiel auf Ismael. Abraham zog mit seinem Erstgeborenen nach Osten. In den Nächten am Feuer erklärte Abraham seinem Sohn: „Ich hätte dich lieber bei mir behalten und dir die Herde dazu überlassen, denn du bist mein Erstgeborener. Aber ich kann Isaak nicht leer ausgehen lassen, nicht nachdem seine Mutter so lange auf ihn gewartet hat. Der Besitz der Herde macht dich zu meinem einzig wahren Erben. Du wirst mein Blut in die Welt tragen und die Prophezeiung erfüllen. Und weil du mein wahrer Sohn bist, Ismail, will ich für dich nicht mehr Abraham heißen, sondern Ibrahim.“
Bald erreichten sie einen besonderen Ort in der Wüste. „Mein lieber Sohn“, erklärte Abraham oder Ibrahim, „hier war ich schon einmal vor sehr langer Zeit, als junger Mann, als ich gerade aus meiner alten Heimat aufgebrochen war. Hier betete vor vielen Generationen Adam um die gleiche Säule des Lichts, an der er Elohim verehrt hatte, bevor der ihn aus dem Paradies vertrieben hatte. Die Säule des Lichts erschien und Adam betete zu Elohim, indem er sie umschritt. Doch bald verschwand die Säule und an ihrer Stelle lag dort ein schwarzer Stein. Ein Prophet errichtete an dieser Stelle einen viereckigen Tempel und baute den schwarzen Stein in eine der Ecken ein. Dann schickte Elohim die große Flut und der Tempel liegt seither unter Sand begraben. Wir beide, mein Sohn, werden nun den Sand beiseite wischen und auf den Grundmauern des alten Tempels einen neuen errichten.“
Sie bauten ein Quaderförmiges Gebäude aus schwarzen Steinen und als es fertig war, betete Ibrahim darum, dass dies für immer ein sicherer Ort sein sollte.
Danach verabschiedete er sich von seinem Erstgeborenen und kehrte nach Haran zurück.
Als Abraham nach Haran zurückkehrte, bat er die Frauen, ein besonderes Abendessen zu bereiten und ihn mit Isaak allein essen zu lassen. Als sie das Mahl beendet hatten, richtete er das Wort an seinen Zweitgeborenen: „Mein Sohn“, sagte er, „mein einzig wahrer, denn den anderen hat Elohim fortgeschickt. Er hatte natürlich Anspruch auf eine Abfindung, darum musste ich ihm die Herde überlassen. Aber gräm dich nicht. Die besten Muttertiere und den kräftigsten Bock habe ich dabehalten, außerdem ein junges Ziegenpaar und schon bald haben wir wieder eine Menge prachtvoller Tiere, die du eines Tages erben wirst. Doch dir wird auch dieses Land gehören und Land ist das Einzige, was zählt, das Einzige, was bleibt. Das Land bringt die Nahrung hervor, die Mensch und Tier gedeihen lässt, ist die Heimat, der sichere Boden, auf dem wir unsere Zelte errichten und unsere Nachkommen werden hier vielleicht sogar eines Tages Häuser bauen, Tempel, Burgen und Paläste.
ENDE TEIL III – FORTSETZUNG FOLGT

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