Freitag, 10. März 2017
Böser Onkel - abgeschlossener Kurzkrimi
Es sah aus wie in einem Schlachthof. Überallhin war das Blut gespritzt. Der metallische Geruch stieg Sabine Kerkenbrock in die Nase. „Oh Gott!“, stöhnte sie leise. „Was bin ich froh, dass ich nicht bei der Spusi bin. Ich hätte Bestimmt schon ein Magengeschwür von dem ewigen Brechreiz.“
„Da kann man auch auf anderem Wege dran kommen.“, grummelte Stefan Keller. „Aber ich gebe Ihnen Recht. Das sieht hier aus wie ein Mord in der Bronx. Eine abgebrochene Flasche als Tatwaffe habe ich schon lange nicht mehr gesehen.“
„Hat der Täter dem Opfer die Halsschlagader durchtrennt.?“, fragte Kerkenbrock.
„Sieht ganz so aus.“, meinte Keller.
„Unter Obdachlosen oder Straßengangs würde mich das ja nicht wundern, aber hier in den kultivierten Büroräumen der Diakonie. Wer tut so etwas?“
„Das werden wir herausfinden. Feinde hatte der sicher genug, denn als Geschäftsführer hat er sicher vielen einen Strich durch die eine oder andere Rechnung gemacht. Führungspersönlichkeiten stehe immer unter Beschuss.“
Unendlich viele Gespräche standen den Beamten nun bevor.
„Ein liebender Ehemann und treusorgender Familienvater.“, sagte die schluchzende Witwe.
„Ein erfolgreicher Geschäftsführer, der für eine gelungene Zusammenarbeit .stand“, hieß es von Seiten der Kirchenkreisleitung.
„Ein Choleriker, wie er im Buche steht.“, äußerte sich eine Verwaltungsfachkraft.
Auch der eine oder andere Synodale war nicht gut auf ihn zu sprechen. Er sei ein großspuriger und unverschämter Mensch gewesen, der ständig übersteigerte Forderungen stellte und auch vor Ränkespielen und Intrigen nicht zurückschreckte.
Die Mitarbeitendenvertretung erklärte, er sei oft ein harter, aber fairer Verhandlungspartner gewesen. Vor allem habe er sein Unternehmen nach außen gut vertreten und so auch viele Vorteile für die Mitarbeitenden herausgeholt. „Als Chef stand er immer hinter uns.“, erklärte der MAV-Vorsitzende.
Diesen Satz hatte Jörg Angermann mitbekommen. Er hatte etwas in der Verwaltung zu erledigen, normalerweise arbeitete er in einem Jugendzentrum im sozialen Brennpunkt. Er bat die Beamten um ein Gespräch. In seinem Gesicht zeichnete sich eine große Verdrossenheit ab und auf seinen Schultern schien das Gewicht der ganzen Welt zu lasten. Diese Kraftlosigkeit konnte er auch nicht durch seine durchgehend schwarze Kleidung oder seinen martialischen Schnauzbart verbergen. Auf Sabine Kerkenbrock wirkte der Mann mittleren Alters so, als schien er darauf gewartet zu haben, endlich auszupacken, er platzte geradezu vor Mitteilungsbedürfnis
„Der Böse hatte richtig Dreck am Stecken.“, erklärte er. „Vor ein paar Jahren hat er einen Mitarbeiter rausgedisst, dessen Nase ihm nicht passte. Hat ihm vor seiner Haustür aufgelauert, als der krank geschrieben war, um ihn dabei zu erwischen, wie er trotz AU in der Gegend herumstromert. Irgendwie ist es ihm gelungen, ihm damit ein ein Vergehen nachzuweisen, das als Kündigungsgrund funktioniert.“
„Was hatte er gegen den Mitarbeiter?“, fragte Kerkenbrock.
„Er ertrug es nicht, dass der Mann ihm intellektuell überlegen war. Der hatte auch einfach mehr Ahnung von den Zusammenhängen und ich schätze Böse hatte Angst, dass der ihn dumm da stehen lässt. Zack, weg mit der Bedrohung. Dennis hat bis heute keinen neuen Job. Alle Mitarbeiter haben Schiss vor Böse. Vielleicht hatte er aktuell jemanden auf der Abschussliste und dem ist der Draht aus der Mütze gegangen.“
„Haben Sie die Kontaktdaten von diesem Dennis?“
„Nee. Ich weiß auch gar nicht wie der mit Nachnamen heißt. Aber das ist ja noch nicht alles. Im letzten Jahr hat die Diakonie mit einem Minus von 250.000 Euro abgeschlossen. Die Mitarbeiter sollen im nächsten Jahr auf die Hälfte der Jahressonderzahlungen verzichten. Die Ausstattung der Jugendhäuser ist unterirdisch. Überall brennt die Erde, aber Böse hat tatsächlich die Stirn besessen, im Kreissynodalvorstand eine Gratifikation zu beantragen und außerdem einen neuen Dienstwagen. Und jetzt halten Sie sich fest: Er hat beides bekommen.“
„Wissen Sie um welche Summe es sich da handelt?“, fragte Kerkenbrock.
Angermann zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, aber es werden sicher nicht nur 500 Euro gewesen sein. Sehen Sie, das Problem sind nicht nur diese Böses, die es überall gibt, das Problem ist, dass es ein System gibt, das die machen lässt. Überall entscheiden Laien über Unsummen von Geld, über strukturelle Veränderungen mit eklatanten Auswirkungen für Mitarbeitende und Klientel. Aber die, die da am Ruder sitzen, sind gar nicht bei der Sache, informieren sich nicht ausreichend und entscheiden nach Gefühl, Laune oder aus Opportunismus.“
„Wollen Sie uns damit sagen, dass der Kreis der möglichen Täter groß ist und möglicherweise ein Interner?“
Angermann nickte. Sie bedankten sich und als der Sozialarbeiter außer Hörweite war raunte Keller: „Typischer Verschwörungstheoretiker. Alle sind böse und verfolgen unlautere Ziele mit perfiden Methoden, nur er ist über jeden Zweifel erhaben.“
„Sie klingen beinahe genauso, Herr Keller.“, erwiderte Kerkenbrock und schmunzelte belustigt.
„So wie der Spinner? Nie im Leben. Vergleichen Sie mich nie wieder mit so einem betont rechtschaffenen Freizeit-Esoteriker. Haben Sie die Halskette gesehen, die aus dem Oberhemd hervorblitzte? So etwas finden Sie auch im Schaufenster von diesem Seelenfänger-Shop in der Altstadt.“
„Herr Keller“, nahm Kerkenbrock ihren Chef weiter aufs Korn, „Ich war mir gar nicht im Klaren darüber, dass Sie in Ihrer Freizeit esoterische Schaufensterbummel unternehmen.“
„Ach gehen Sie doch zum Teufel, Sie Rotzgöre.“, erwiderte Keller ärgerlich.
So sehr sie auch dazu neigten, Jörg Angermanns Hinweise nicht besonders ernst zu nehmen, wäre es unprofessionell gewesen, sie gänzlich zu ignorieren, Sie nahmen nun tagelange Ermittlungen auf, führten Gespräche mit Mitarbeitenden in Altenheimen, Kitas und Jugendzentren, besuchten Ausschüsse, sprachen mit Kooperationspartnern, aber auch wenn sie immer mehr düstere Geschichten über Böse zusammentrugen, gab es nicht den Hauch eines verwertbaren Hinweises auf den Täter.
Und dann kam alles ganz anders. Eine Zeugin meldete sich. Sie hatte jemanden gesehen, der mit blutigen Händen aus dem Bürogebäude der Diakonie geflüchtet war. Und als sie ihn eingehend beschrieben hatte, wusste Keller sofort, um wen es sich da handelte. Der Mann war aktenkundig und saß schon zwei Stunden später im Verhörraum. Bolle Winter. Stadtbekannter Lude, Schläger und Messerstecher. Was hatte ausgerechnet ihn dazu bewogen, den Geschäftsführer der Diakonie zu ermorden?
Winter knetete seine tätowierten Wurstfinger. Die gegelten Haarsträhnen hingen vor seinen gesenkten Augen, als er erklärte: „Er hat die Veronika durchgelassen. Die Veronika ist mein Mädchen. Sie geht für mich anschaffen, aber sie ist auch mein Mädchen. Und er hat schlimme Sachen mit ihr gemacht. So schlimm, dass Veronika jetzt keinen mehr ranlassen will, nicht mal mich. Sie ist vollkommen irre, hat Angst vor allen Männern und ich glaube, auch rein körperlich geht es bei ihr im Moment nicht. Er hat sie zwar nicht umgebracht, aber er hat ihre Seele getötet. Ich habe ja nichts gegen Kunden, die es gern mal ein bisschen Derb haben, aber wenn die mir die Ware versauen, da kenn' ich keinen Spaß. Und wenn es dann auch noch mein Mädchen trifft, ich liebe die Veronika nämlich und es macht mich ganz irre, dass ich sie nicht beschützen konnte und da hab' ich mit ihm abgerechnet. Er hat es verdient und es tut mir nicht leid.“
Sabine Kerkenbrock musste Keller Recht geben. Es waren nicht nur blutige Leichenfundorte, die in der Summe übermäßigen Ekel und Magengeschwüre verursachen konnten.

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Scheiße dass ich Krimi einfach nicht kann. Ich hoffe sie können mir das nachsehen. Aber es hat mich sehr gefreut dass sie Bronx geschrieben haben.

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freut mich, dass die Bronx sie freut :-)
Vielleicht können Sie ja Krimi, aber nicht meine. Die stecken ja auch noch in den Kinderschuhen. Aber wenn ich erst alt und ranzig bin (na ja, für meine Klientel bin ich das heute schon), dann schreibe ich Bestseller und scheiße alle mit Geld zu.

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Spannend aber diesmal etwas brutal! ;o))

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Da gab es aber schon viel brutalere, Sephora. Der Imperialist hat mir schon mal vorgeworfen, dass bei mir angeblich nicht gestorben wird. Ab und zu muss es auch mal wüst zugehen. Außerdem brauchte ich ein Ventil für begründete Supersize-Aggressionen. Das verhindert, dass ich irgendwann zu einer meiner eigenen Protagonistinnen werde :-)

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Der hiess wohl zu Recht Böse ...
... wieder eine blutspritzende Diakonie-Geschichte. Eigentlich interessant, dass dich gerade dieses Milieu so blutrünstig macht. ;o)

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Interessant?
Dieses Millieu ist meine Lebenswelt. Wäre ich Maurerin oder Architektin, würde ich Baustellenkrimis am laufenden Band produzieren. Das ist alles kreative Konfliktbewältigung. Dabei wird natürlich gelegentlich maßlos übertrieben, dramaturgische Polemik sozusagen, wenn man das so nennen kann.

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Ich würde derartig gewalttätige Vorkommnisse nur nicht gerade im Kirchenmilieu erwarten ... aber es handelt sich hier ja um Dichtung, da ist alles erlaubt. ;o)

Apropos Konfliktbewältigung: so was habe ich ja mit meinen alten Nachbarn betrieben. Bisschen makaber ...

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Wie jetzt?
Hast Du sie in Geschichten über die Klinge springen lassen oder hast Du einen messerstechenden Luden auf sie gehetzt?

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Schlimmer! Lies mal bei mir unter Kurzgeschichten "Entscheidungen". Die erste Hälfte der Geschichte ist wirklich, der Rest ist Fiktion. Aber ich meine du hast die gelesen ...

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Hallo Birgit,
Ich habe Dir in Deinem Blog ausführliche geantwortet, nachdem ich die Geschichte gelesen habe.

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Seltsam ...
... da ist kein Kommentar von dir unter der Geschichte. Schade!

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Der Kommentar ist nicht unter der Geschichte sondern unter den Kommentaren zu dem Bulli-Foto. Als digital Asylbewerberin gelange ich manchmal zu absurden Schlussfolgerungen, aufgrund Verunsicherung durch meine eigene Inkompetenz.

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Da hätte ich ihn wohl nicht gesucht ... ;o)
... aber jetzt habe ich ihn gelesen.

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