Freitag, 24. März 2017
Alles wegen B., weiblich - abgeschlossener Kurzkrimi
„Schickt mir diesen Uriah“, befiehlt David. „Ich bin wild entschlossen, die Geschichte zu einem sauberen Ende zu bringen. Uriah ist ein verlässlicher Soldat, der Befehlen von oben stets nachkommt, es dürfte also ein Leichtes sein, die Angelegenheit zu regeln.“
Uriah tritt auf und wartet, dass der König das Wort an ihn richtet.
„Mein lieber Uriah. Wie lange bist du schon von zu Hause fort?“
„Achtzehn Monate.“
„Das ist eine ziemlich lange Zeit, geradezu eine Zumutung, wenn man bedenkt, dass deine schöne, junge Frau die ganze Zeit sehnsüchtig zu Hause sitzt und auf Dich wartet. Die Jahre machen sie nicht besser. Du bist ein treuer Diener des Hofes, ein stattlicher Soldat voller Verdienste, wie mir mehrfach zu Ohren gekommen ist. Geh heim, lass dich ein bisschen von deiner Angetrauten verwöhnen, ihr habt es beide redlich verdient.“
„Das kann ich nicht bringen. Meine Waffenbrüder schlafen im Staub vor den Mauern der Stadt und ich soll im weichen Bett bei meiner Frau liegen? Ich könnte den Rest meines Lebens nicht mehr in den Spiegel blicken.“
„Dann trink wenigstens einen Schluck mit mir. Dieser edle Tropfen stammt aus den Trauben die auf den Weinbergen bei Hebron gereift sind, ein hervorragender Jahrgang.“
„Ist er denn auch koscher?“
„Selbstverständlich! Ich bin ein gesalbter des Herrn. Nimm und trink!“
Uriah kostet den Wein.
„Mmh. Wirklich außerordentlich.“
„Sag ich doch. Komm, wir trinken auf die vergangenen Siege und jene, die noch kommen sollen.“
Nach etlichen Bechern Wein kann Uriah kaum noch gerade stehen. Der König dagegen ist noch im Vollbesitz seiner Sinne.
„Los Uriah, Du musst jetzt dringend ins Bett und Deinen Rausch ausschlafen. Aber nicht, dass deine Kameraden dich so sehen. Geh lieber nach Hause und schlaf im eigenen Bett. Morgen kannst du gern berichten, du hättest die ganze Nacht den König in geheimer Mission beraten. Ich werde das bezeugen.“
„Nee. Dss kannich nich mach'n – hk -ich schlaf bei mein' Kam'rad'n, die ham da nix bei.“
Uriah geht ab. David steht die Enttäuschung deutlich ins Gesicht geschrieben. Er flüstert vor sich hin: „Verdammt, was mach ich denn jetzt? Wenn Bathseba niederkommt, nachdem sie ihren Mann nachweislich zwei Jahre nicht gesehen hat, wird man sie der Hurerei bezichtigen und sie steinigen. Und wenn ich eingreife und zu dem Kind stehe, bin ich als König erledigt, dann kann ich nur noch den Despoten geben. Freiwillig wird mein Volk mir nicht mehr treu zur Seite stehen. Ach wäre ich doch an diesem Nachmittag nicht auf die Terrasse gegangen und hätte ich nicht diese Schönheit bei ihrer rituellen Waschung beobachtet. Dann hätte ich mich nicht verliebt und sie nie zu mir kommen lassen, dann wäre das alles nicht passiert. Vielleicht könnte Bathseba ihren Mann im Feld besuchen? Ach das ist auch Quatsch, er würde sie nie beschlafen, wenn überall seine Kameraden da herumlungern. Den Plan Kuckuckskind muss ich aufgeben. Nun muss doch Plan B her, es nützt ja nichts. Wenn der Uriah doch nicht so starrsinnig wäre, dann hätte noch alles gut werden können.“
David macht sich durch Klopfzeichen bemerkbar. Ein Diener erscheint. David befiehlt:
„Bring mir den Schreiber, er soll einen Brief aufsetzen und ihn gleich morgen früh nach Sonnenaufgang dem General Joab überbringen. Es ist dringend.“
Der Diener geht ab, der Schreiber erscheint. David diktiert:
„Mein lieber und treuer Joab. Stell den Soldaten Uriah in die erste Reihe, wo die Schlacht am heftigsten tobt. Vereinbare mit allen anderen ein Zeichen für einen plötzlich Rückzug, nur Uriah soll nichts davon wissen, damit er stehen bleibt und erschlagen wird.“
Der Bote geht ab. Einige Tage später betritt Joab den Thronsaal und überbringt folgende Nachricht: „Sehr verehrter König, ich bin hier, um Euch mitzuteilen, die Männer von Rabba waren auf dem Feld zu übermächtig, wir drängten sie zurück bis vor die Tore der Stadt, wo die Mauerschützen einige von uns erschossen, auch Uriah, den Hetiter.“
Ein Mann im schwarzen Rollkragen-Pullover und Cremefarbenen Jacket verkündet: „In der Pause, für die wir uns 20 Minuten Zeit nehmen, dürfen Sie sich ein Getränk gönnen. Danach folgt der zweite Teil, den Sie sicher mit Spannung erwarten.“
Eine kleine Runde von Zuschauern nippt an ihren Sektgläsern.
„Also den David-Darsteller fand ich wirklich ganz hervorragend.“, meinte Pfarrer Rauer. „Dieses Hin- und Hergerissensein zwischen dem Richtigen, das er tun will und den niederen Motiven, die immer wieder obsiegen. Die Stimmlage, das Minenspiel, der Hermann ist ganz hinter dem David zurückgetreten.“
„Den David fand ich auch gut.“, erwiderte Pfarrerin Gödde. „Aber von Joab hätte ich mir mehr Widerspruchsgeist gewünscht. Im Samuel-Text spürt man ja schon seine innere Abscheu gegen Davids Befehl, den er nur widerwillig ausführt und der ihn mit Verachtung erfüllt. Und im Text überbringt er die Nachricht ja auch nicht persönlich sondern schickt einen Boten.“
„Ach“, mischt Karl Reschke sich ein. „In der Liebe und in der Kunst ist alles erlaubt.“
„Heißt das nicht in der Liebe und im Krieg?“, hakt Pfarrerin Gödde nach.
Niemand antwortet.
Nach der Pause stockt das Stück plötzlich. Nun müsste der Prophet Nathan im Thronsaal auftauchen, doch er erscheint nicht. Karl Reschke flüstert in Pfarrer Rauers Ohr: „Ob der Georg wohl immer noch im Uriah-Kostüm feststeckt?“
„Wieso?“
„Na, er spielt doch auch den Nathan. Die beiden Rollen waren doch geradezu prädestiniert für eine Doppelrolle. Der Mahner und Überbringer der Strafe mit dem Gesicht des Opfers, das verstärkt doch die Dramatik.“
„Hm.“
Lothar Rosche verschwindet hinter der Bühne. Als Regisseur weiß er am besten, wer hier gerade fehlt. Nach wenigen Augenblicken kehrt er leichenblass zurück.
„Der Georg“, wimmert er „Der Georg.“ Mehr bringt er nicht über die Lippen
Beherzt läuft Pfarrerin Gödde hinter die Bühne und sieht den Georg ebenfalls. Er liegt in unnatürlicher Körperhaltung in der Garderobe, seinen Kopf bedecken mehrere blutende Wunden, alles liegt voller Tonscherben und ist mit Blut besprenkelt. Sie fühlt nach seinem Puls, überprüft seine Atmung, stellt aber kein Lebenszeichen fest. Irgendjemand hat schon die Polizei gerufen, die sind in Windeseile da und niemand darf den Saal verlassen. Befragungen, Zeugenaussagen und schon jetzt die Frage nach dem Motiv.
Kommisar Stefan Keller hat mehrere Hinweise bekommen.
„Der Georg war ja schon ein Intrigant. Die Doppeltrolle hat er dem Jochen abgeschwatzt.“
Der Jochen hat aber die gesamt Pause hindurch Sekt ausgeschenkt.
„Georg Mertens war ein regelrechter Schürzenjäger. Der hat schon vielen Frauen das Herz gebrochen, vorzugsweise den verheirateten, die halten sich mehr zurück, weil sie etwas zu verlieren haben.“
„Der Georg hat sich ja selbst als Atheisten bezeichnet. Schon komisch, dass so einer eine Rolle in einem biblischen Stück spielt und dann an der Stelle auf die Weise stirbt, wie der Charakter den er verkörpert.“
Keller studierte das skurrile Gesicht der Aussagenden, hielt es aber für unwahrscheinlich dass sie mit ihrem hinfälligen Körper und den schwer von Arthritis verformten Händen in der Lage war, jemandem mit Wucht mehrere Male eine Tonvase über den Schädel zu ziehen.
„Das musste ja passieren. Der Georg hatte ja was mit der Frau vom Karl, Karl Reschke, der Autor des Stückes. Da ist wohl jemandem die Sicherung durchgebrannt.“
Karl Reschke hat ungefähr 120 Zeuginnen und Zeugen, dass er den Saal nicht mal für einen Toilettengang verlassen hat.
In der Ecke steht ein untersetzter Mann in den Fünfzigern, der auf Keller seltsam aus der Zeit gefallen wirkt, so als gehöre er eigentlich der Generation seiner Eltern an. Bei Russlanddeutschen mit starker religiöser Prägung ist ihm das schon öfter aufgefallen. Der Mann ist ebenfalls sehr blass. Keller geht auf ihn zu.
„Geht es Ihnen gut?“
„Danke, ja, alles in Ordnung.“
„Und wer sind Sie?“
„Ich bin Peter Kleemann. Ich bin der Küster.“
„Waren Sie auch während des gesamten Stückes hier vor Ort?“
„Ja, ich habe bei solchen Veranstaltungen Dienst.“
„Ist Ihnen irgendetwas Besonderes aufgefallen?“
„Nein.“, antwortet der Küster und versucht ein entspanntes Lächeln, das ihm aber nicht sonderlich gelingt. „So viele Leute, die alle durcheinanderlaufen. Ich habe nur aufgepasst, dass keiner die Notausgänge zuräumt und dass schnell ein Krankenwagen zur Stelle ist, falls jemand ohnmächtig wird.“
„Haben Sie auch meine Kollegen informiert?“
„Nein, das war jemand Anderes.“
Der Küster wirkt nach wie vor aufgeregt, seine Augen huschen hin und her, er steht offenkundig unter Schock.
„Sind Sie sicher, dass es Ihnen gut geht?“
„Ja, natürlich.“
„Haben Sie den Toten gesehen?“
„Nein.“
„Haben Sie eine Ahnung, woher das Messer stammen könnte?“
„Welches Messer?“
„Die Mordwaffe.“
„Aber das war doch eine Vase.“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Alle reden darüber.“
„Niemand redet darüber. Ich glaube, Sie müssen uns begleiten.“

Es dauert ein bisschen, bis Peter Kleemann redet. Als es so weit ist, bricht es aus ihm heraus: „Diese Kirchengemeinde ist kein christlicher Ort, diese Kirchengemeinde ist ein Sündenpfuhl. Spötter und Ketzer sitzen im Presbyterium, der Jugendarbeiter ist homosexuell, der Pfarrer prasst mit seinem vielen Geld, ist aber geizig, wenn er einmal anderen etwas abgeben soll und der Georg Mertens hat nicht nur überall herumposaunt, dass er nicht an Gott glaubt, er hat mehrfach die Ehe gebrochen und allen ins Gesicht gegrinst. Mich hat er behandelt wie seinen Lakaien, dabei hat er hier nur Theater gespielt und ist zum Männerkreis gegangen. Irgendjemand musste diese Gemeinde einfach wachrütteln, ihnen zeigen, dass sie so nicht weiter machen können, dass das, was sie da tun, nicht Gottes Wille ist.“
„Und Sie kennen den Willen Gottes?“
„Selbstverständlich. Den könnte jeder kennen. Man muss nur gründlich in der Bibel lesen, da steht alles drin.“
„Soso.“
„Und von einer evangelischen Kirchengemeinde erwarte ich das auch. Aber in dieser Gemeinde hat sich der Teufel ans Werk gemacht.“
„Da gebe ich Ihnen Recht.“, erwiderte Keller. „Nur denke ich, dass wir beide in unserer Auffassung darüber, wer oder was der Teufel ist, deutlich auseinandergehen. Sie werden mit dieser Gemeinde jedenfalls nie wieder in Kontakt treten müssen. Dafür sorgen wir.“

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