Freitag, 13. Januar 2017
Dachschaden – abgeschlossener Kurzkrimi
c. fabry, 17:36h
Schon seit sechs Wochen war nichts Nennenswertes passiert und Kriminalhauptkommissar Keller und seine Kollegin Kerkenbrock schoben einen gemütlichen Innendienst, wofür sie während der ungemütlichen Witterung Ende Januar ausgesprochen dankbar waren. Es gab genug Arbeit und eine Menge Probleme, die gelöst werden mussten, aber kein Blut, keine Leichen, keine Verfolgungsjagden, keine Überstunden, kein Schlafentzug. Alles war schön. Beim Anblick des eintretenden „Kunden“ ahnte Kerkenbrock, dass der Idylle ein jähes Ende bevorstand.
Der mittelgroße, schlanke, dunkelhaarige Mann mit den großen, ernst und intensiv blickenden Augen fragte: „Bin ich hier richtig? Ich will Anzeige erstatten wegen versuchten Mordes.“
„Das sind starke Worte.“, erklärte Kerkenbrock. „Nehmen Sie doch erst einmal Platz, wir nehmen Ihre Personalien auf und Sie erzählen uns, was genau passiert ist.“
Der Mann setzte sich, stellte sich vor als Kawi Föcking und erklärte sein Anliegen: „Heute Vormittag bin ich auf dem Vorplatz der Kirche an meinem Arbeitsplatz beinahe von einem herabfallenden Dachziegel getroffen worden.“
„Aber wie kommen Sie darauf, dass den jemand geworfen hat? Der kann sich doch auch gelöst haben und einfach herunter gefallen sein.“
„Dachziegeln fallen nicht einfach so runter!“, erwiderte Föcking im Tonfall grober Zurechtweisung. „Die stürzen bei Sturm oder Erdbeben vom Dach. Aber heute ist es vollkommen windstill und das Dach der Kirche ist vor kurzem überholt worden. Außerdem habe ich vor zwei Tagen einen Drohbrief erhalten. Den habe ich auch dabei.“
Föcking zog ein Kuvert aus der Tasche auf dem „Karl-Wilhelm Föcking“ stand. Kerkenbrock stutzte kurz und hatte dann große Mühe, sich ein Grinsen zu verkneifen. Kawi klang natürlich erheblich cooler als Karl-Wilhelm, vor allem bei einem Mittdreißiger, der offenkundig großen Wert auf seine Außenwirkung legte.
„Sie heißen also Karl-Wilhelm, Herr Föcking?“, fragte sie betont sachlich. Keller drehte Föcking den Rücken zu und grinste ungeniert.
„Ja, Kawi ist die Kurzform, aber das ist jawohl vollkommen nebensächlich.“
„In der Sache durchaus.“, erwiderte Kerkenbrock. „Aber wir sind hier eine Behörde und ich muss dann schon den Namen aufnehmen, der auch im Personalausweis steht oder ist Kawi offiziell als Künstlername eingetragen?“
„Nein.“, antwortete Föcking knapp.
Kerkenbrock streifte Handschuhe über, zog den Brief aus dem Umschlag und faltete ihn auseinander. Mit schwarzer Tinte war in Standardschrift folgender Text aufgedruckt: „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden, wer sich über andere erhebt, der wird vernichtet werden und sich nie wieder erheben.“
„Was genau machen Sie eigentlich beruflich?“, fragte Kerkenbrock.
„Ich bin Gemeindepädagoge. Ich arbeite mit Kindern und Jugendlichen.“
Kerkenbrocks Phantasie schickte sie auf eine Reise in ihre eigene kirchliche Vergangenheit. Dort sah sie Föcking, als den selbstverliebten Jugendreferenten, der sich immer und überall für den Nabel der Welt hielt. Ein in der Entwicklung steckengebliebener, verwöhnter Schönling, der nicht in der Lage war, von sich selbst abzusehen. Ein kurzer Blick auf Kellers Miene verriet ihr, dass er ähnlich dachte und schon jetzt drohte, die Geduld mit diesem anstrengenden Kunden zu verlieren.
„Haben Sie eigentlich einen konkreten Verdacht?“, mischte der ältere Beamte sich ein.
„Auf jeden Fall jemand aus der Gemeinde.“, antwortete Föcking. „Ich bin unbequem, und halte Leuten den Spiegel vor, ich stelle Forderungen und lege den Finger in die Wunde. Die wollen sich da lieber in ihrer Gemeinde einrichten und immer so weiter machen, vollkommen beratungsresistent. Da gibt es einige, die mich auf dem Kieker haben.“
„Oh Gott!“, dachte Kerkenbrock, „Jetzt hält er sich auch noch für den Schützer von Witwen und Waisen. Fehlt nur noch, dass er uns erklärt, dass er die Mädchenarbeit auch selber machen muss, weil die Kolleginnen gar nicht wissen, wie das geht und immer nur kochen, nähen und schminken, statt Mofas zu reparieren und Regale zu tischlern.“
„Wir sehen uns den vermeintlichen Tatort im Laufe des Tages mal an.“, erklärte Keller. „Von wann bis wann sind Sie denn heute an Ihrem Arbeitsplatz?“
„Ich mache gerade Mittagspause.“, erklärte Föcking. „Wenn ich was gegessen hab‘, fahre ich wieder ins Gemeindehaus und mache erst gegen Neun Uhr abends Feierabend.“
„Gut.“, sagte Keller. „Unterschreiben Sie doch bitte Ihre Anzeige und wenn Sie uns dann entschuldigen wollen, wir haben noch eine Menge anderer Fälle zu bearbeiten.“
Unzufrieden unterschrieb Föcking die Anzeige und verabschiedete sich widerwillig. Als er gegangen war, fragte Kerkenbrock: „Von welchen Fällen genau reden Sie eigentlich, Herr Keller?“
„Wieso?“, erwiderte der mit Unschuldsmiene. „Hier liegt doch genug rum. Wir beehren den Retter der Menschheit in zweieinhalb Stunden, der soll sich bloß nicht ernst genommen fühlen in seiner Wichtigtuerei.“
Als die Beamten wie geplant an Föckings Dienststelle ankamen, zeigte der ihnen die Stelle, an der er beinahe von dem Dachziegel getroffen worden war. Keller hatte in weiser Voraussicht einen Experten mitgebracht, der sich das Dach ansah, in der Zwischenzeit verschafften die Ermittler sich bei einem Rundgang einen Eindruck vom Außengelände.
„Man könnte schon vom Kirchturm aus etwas runterfeuern.“, meinte Kerkenbrock „Aber hören Sie mal, was ist denn da los?“
Aus dem Gemeindehaus war deutlich zu hören, dass hier eine starke Auseinandersetzung stattfand. Ein Mann und eine Frau schrien sich aus Leibeskräften an. Die Beamten öffneten vorsichtig die Haustür und bemühten sich, nicht bemerkt zu werden.
„Das ist doch nicht zu fassen!“, brüllte der Mann, den sie sofort als Kawi Föcking identifizierten. „Zuerst mischt du dich mit so kleingeistigen Vorschlägen in meine Arbeit ein wie zum Beispiel, dass ich mein Büro aufräumen soll, dann hetzt du das Presbyterium gegen mich auf, mit dem Ergebnis, dass die Jugendlichen die Toiletten im Erdgeschoss nicht mehr benutzen dürfen und jetzt lasst ihr einfach die Schlösser austauschen und verweigert mir einen Generalschlüssel, so dass ich gar nicht mehr ins Gemeindebüro komme. Wie soll ich denn da vernünftig arbeiten?“
„Ich habe noch keinen einzigen Tag erlebt, an dem du vernünftig gearbeitet hast.“, brüllte die Frau zurück.
„Du hast doch mit deinem weltfremden Theologiestudium überhaupt keine Ahnung von Pädagogik und Sozialarbeit.“, schrie Föcking.
Die Frau zwang sich, würdevoll die Lautstärke zu drosseln und sagte mit gespielter Ruhe: „Siehst du, genau das ist das Problem. In einer evangelischen Kirchengemeinde sollten Hauptamtliche und Pfarrer sich nicht derartig gegenseitig abwerten. Ich weiß, was für Unverschämtheiten du über mich losgelassen hast. Du kannst doch nicht glauben, dass die Gemeinde tatenlos zusieht, wenn du dich dermaßen illoyal verhältst.“
„Ich habe nichts über dich vom Stapel gelassen.“, verteidigte Föcking sich. „Wer so was behauptet lügt.“
„Ich glaube kaum, dass Ulli mich anlügt.“, erklärte die Pfarrerin spitz.
„Ulli hat das behauptet?“, fragte Föcking schockiert.
Die Tür wurde geräuschvoll aufgerissen. Der Experte hatte seine Analyse abgeschlossen und war zu dem Ergebnis gekommen, dass tatsächlich ein Dachziegel vorsätzlich entfernt worden war. Er hatte herumliegende Scherben gesichert, an denen sich Blutspuren fanden, die kaum von Föcking stammten, weil der ja nicht verletzt war. Es lag nahe, dass der Täter sich beim Entfernen des Dachziegels eine Schnitt- oder Schürfwunde zugezogen hatte.
Keller zog es zu seinem Unmut in Betracht, dass tatsächlich ein Mitglied des Presbyteriums oder die Pfarrerin den Anschlag verübt haben könnte und beantragte DNA-Tests bei allen Verdächtigen.
Bei dem im Streit erwähnten Ulli handelte es sich um den Gemeindepädagogen Ulrich Schlegel, der statt mit Jugendarbeit mit ähnlichen Aufgaben betraut war wie die Pfarrerin. Als sie Föcking zu dem Streit befragten, erklärte der: „Ich bin wirklich enttäuscht. Wir sind Kollegen und Ulli war ein langjähriger Freund, dem ich voll und ganz vertraut habe. Wir hatten hier echt mal einen kompetenten Pfarrer, aber als der in Ruhestand ging, kam Mareike Neuhäuser und ich habe mich gleich gefragt, ob die im Presbyterium von allen guten Geistern verlassen sind. So eine verklemmte, langweilige, phantasielose Trulla! Die predigt wie im letzten Jahrhundert, hat Angst vor jeder Veränderung und Menschen gehen ihr allgemein auf die Nerven. Die wäre besser als Kaffee kochende Tippse aufgehoben. Das habe ich Ulli gegenüber geäußert und er hat mir nicht widersprochen. Und jetzt erfahre ich, dass er ihr das alles brühwarm weitererzählt hat und ich verstehe wirklich nicht warum.“
Vielleicht lag hier die Lösung des Rätsels und die Beamten suchten Ulrich Schlegel auf, so hatten sie wenigstens etwas zu tun, bis die Ergebnisse der DNA-Proben vorlagen. Schlegel war ein seltsamer Vogel: ein farbloser, älterer Mann, kurz vor der Rente, der mehr wie ein Büroangestellter als ein theologischer Mitarbeiter wirkte. Er sprach wenig und leise und machte keinen besonders tiefgründigen Eindruck auf die Beamten.
„Warum sind Sie Ihrem Kollegen derart in den Rücken gefallen?“, fragte Kerkenbrock ihn voll echter Neugier.
„Ich bin ihm nicht in den Rücken gefallen. Er war derjenige, der ständig die Grenze überschritten hat. Wenn ich Mareike nichts erzählt hätte, wäre ich ihr in den Rücken gefallen. Wenn man mit seiner Vorgesetzten nicht einverstanden ist, muss man sich eine neue Stelle suchen oder es still ertragen. So sehe ich das.“
Als sie seine Speichelprobe in der Tasche hatten und wieder im Auto saßen, zitierte Kerkenbrock den Apostel Paulus: „Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott:“
„Die spinnen, die Christen.“, bemerkte Keller.
„Das würde ich nicht verallgemeinern.“, erwiderte Kerkenbrock. „Aber in diesem speziellen Fall gebe ich Ihnen unumwunden Recht.“
Die DNA-Untersuchung ergab, dass niemand von den Verdächtigen Spuren an dem Dachziegel hinterlassen hatte. Und es war niemandem aufgefallen, dass Alina tagelang nach dem Ziegelwurf mit einem großflächigen Pflaster an der rechten Hand herumlief, zwischen Daumen und Zeigefinger. Darum hatte auch niemand untersucht, welchen Aktivitäten sie im Internet nachgegangen war, dass sie nach Giften geforscht hatte, die vom Kaffeearoma geschmacklich überdeckt werden. Niemand durfte ihr schöne Augen machen und sie anschließend ungestraft dauerhaft übersehen und Kawi schon gar nicht.
Der mittelgroße, schlanke, dunkelhaarige Mann mit den großen, ernst und intensiv blickenden Augen fragte: „Bin ich hier richtig? Ich will Anzeige erstatten wegen versuchten Mordes.“
„Das sind starke Worte.“, erklärte Kerkenbrock. „Nehmen Sie doch erst einmal Platz, wir nehmen Ihre Personalien auf und Sie erzählen uns, was genau passiert ist.“
Der Mann setzte sich, stellte sich vor als Kawi Föcking und erklärte sein Anliegen: „Heute Vormittag bin ich auf dem Vorplatz der Kirche an meinem Arbeitsplatz beinahe von einem herabfallenden Dachziegel getroffen worden.“
„Aber wie kommen Sie darauf, dass den jemand geworfen hat? Der kann sich doch auch gelöst haben und einfach herunter gefallen sein.“
„Dachziegeln fallen nicht einfach so runter!“, erwiderte Föcking im Tonfall grober Zurechtweisung. „Die stürzen bei Sturm oder Erdbeben vom Dach. Aber heute ist es vollkommen windstill und das Dach der Kirche ist vor kurzem überholt worden. Außerdem habe ich vor zwei Tagen einen Drohbrief erhalten. Den habe ich auch dabei.“
Föcking zog ein Kuvert aus der Tasche auf dem „Karl-Wilhelm Föcking“ stand. Kerkenbrock stutzte kurz und hatte dann große Mühe, sich ein Grinsen zu verkneifen. Kawi klang natürlich erheblich cooler als Karl-Wilhelm, vor allem bei einem Mittdreißiger, der offenkundig großen Wert auf seine Außenwirkung legte.
„Sie heißen also Karl-Wilhelm, Herr Föcking?“, fragte sie betont sachlich. Keller drehte Föcking den Rücken zu und grinste ungeniert.
„Ja, Kawi ist die Kurzform, aber das ist jawohl vollkommen nebensächlich.“
„In der Sache durchaus.“, erwiderte Kerkenbrock. „Aber wir sind hier eine Behörde und ich muss dann schon den Namen aufnehmen, der auch im Personalausweis steht oder ist Kawi offiziell als Künstlername eingetragen?“
„Nein.“, antwortete Föcking knapp.
Kerkenbrock streifte Handschuhe über, zog den Brief aus dem Umschlag und faltete ihn auseinander. Mit schwarzer Tinte war in Standardschrift folgender Text aufgedruckt: „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden, wer sich über andere erhebt, der wird vernichtet werden und sich nie wieder erheben.“
„Was genau machen Sie eigentlich beruflich?“, fragte Kerkenbrock.
„Ich bin Gemeindepädagoge. Ich arbeite mit Kindern und Jugendlichen.“
Kerkenbrocks Phantasie schickte sie auf eine Reise in ihre eigene kirchliche Vergangenheit. Dort sah sie Föcking, als den selbstverliebten Jugendreferenten, der sich immer und überall für den Nabel der Welt hielt. Ein in der Entwicklung steckengebliebener, verwöhnter Schönling, der nicht in der Lage war, von sich selbst abzusehen. Ein kurzer Blick auf Kellers Miene verriet ihr, dass er ähnlich dachte und schon jetzt drohte, die Geduld mit diesem anstrengenden Kunden zu verlieren.
„Haben Sie eigentlich einen konkreten Verdacht?“, mischte der ältere Beamte sich ein.
„Auf jeden Fall jemand aus der Gemeinde.“, antwortete Föcking. „Ich bin unbequem, und halte Leuten den Spiegel vor, ich stelle Forderungen und lege den Finger in die Wunde. Die wollen sich da lieber in ihrer Gemeinde einrichten und immer so weiter machen, vollkommen beratungsresistent. Da gibt es einige, die mich auf dem Kieker haben.“
„Oh Gott!“, dachte Kerkenbrock, „Jetzt hält er sich auch noch für den Schützer von Witwen und Waisen. Fehlt nur noch, dass er uns erklärt, dass er die Mädchenarbeit auch selber machen muss, weil die Kolleginnen gar nicht wissen, wie das geht und immer nur kochen, nähen und schminken, statt Mofas zu reparieren und Regale zu tischlern.“
„Wir sehen uns den vermeintlichen Tatort im Laufe des Tages mal an.“, erklärte Keller. „Von wann bis wann sind Sie denn heute an Ihrem Arbeitsplatz?“
„Ich mache gerade Mittagspause.“, erklärte Föcking. „Wenn ich was gegessen hab‘, fahre ich wieder ins Gemeindehaus und mache erst gegen Neun Uhr abends Feierabend.“
„Gut.“, sagte Keller. „Unterschreiben Sie doch bitte Ihre Anzeige und wenn Sie uns dann entschuldigen wollen, wir haben noch eine Menge anderer Fälle zu bearbeiten.“
Unzufrieden unterschrieb Föcking die Anzeige und verabschiedete sich widerwillig. Als er gegangen war, fragte Kerkenbrock: „Von welchen Fällen genau reden Sie eigentlich, Herr Keller?“
„Wieso?“, erwiderte der mit Unschuldsmiene. „Hier liegt doch genug rum. Wir beehren den Retter der Menschheit in zweieinhalb Stunden, der soll sich bloß nicht ernst genommen fühlen in seiner Wichtigtuerei.“
Als die Beamten wie geplant an Föckings Dienststelle ankamen, zeigte der ihnen die Stelle, an der er beinahe von dem Dachziegel getroffen worden war. Keller hatte in weiser Voraussicht einen Experten mitgebracht, der sich das Dach ansah, in der Zwischenzeit verschafften die Ermittler sich bei einem Rundgang einen Eindruck vom Außengelände.
„Man könnte schon vom Kirchturm aus etwas runterfeuern.“, meinte Kerkenbrock „Aber hören Sie mal, was ist denn da los?“
Aus dem Gemeindehaus war deutlich zu hören, dass hier eine starke Auseinandersetzung stattfand. Ein Mann und eine Frau schrien sich aus Leibeskräften an. Die Beamten öffneten vorsichtig die Haustür und bemühten sich, nicht bemerkt zu werden.
„Das ist doch nicht zu fassen!“, brüllte der Mann, den sie sofort als Kawi Föcking identifizierten. „Zuerst mischt du dich mit so kleingeistigen Vorschlägen in meine Arbeit ein wie zum Beispiel, dass ich mein Büro aufräumen soll, dann hetzt du das Presbyterium gegen mich auf, mit dem Ergebnis, dass die Jugendlichen die Toiletten im Erdgeschoss nicht mehr benutzen dürfen und jetzt lasst ihr einfach die Schlösser austauschen und verweigert mir einen Generalschlüssel, so dass ich gar nicht mehr ins Gemeindebüro komme. Wie soll ich denn da vernünftig arbeiten?“
„Ich habe noch keinen einzigen Tag erlebt, an dem du vernünftig gearbeitet hast.“, brüllte die Frau zurück.
„Du hast doch mit deinem weltfremden Theologiestudium überhaupt keine Ahnung von Pädagogik und Sozialarbeit.“, schrie Föcking.
Die Frau zwang sich, würdevoll die Lautstärke zu drosseln und sagte mit gespielter Ruhe: „Siehst du, genau das ist das Problem. In einer evangelischen Kirchengemeinde sollten Hauptamtliche und Pfarrer sich nicht derartig gegenseitig abwerten. Ich weiß, was für Unverschämtheiten du über mich losgelassen hast. Du kannst doch nicht glauben, dass die Gemeinde tatenlos zusieht, wenn du dich dermaßen illoyal verhältst.“
„Ich habe nichts über dich vom Stapel gelassen.“, verteidigte Föcking sich. „Wer so was behauptet lügt.“
„Ich glaube kaum, dass Ulli mich anlügt.“, erklärte die Pfarrerin spitz.
„Ulli hat das behauptet?“, fragte Föcking schockiert.
Die Tür wurde geräuschvoll aufgerissen. Der Experte hatte seine Analyse abgeschlossen und war zu dem Ergebnis gekommen, dass tatsächlich ein Dachziegel vorsätzlich entfernt worden war. Er hatte herumliegende Scherben gesichert, an denen sich Blutspuren fanden, die kaum von Föcking stammten, weil der ja nicht verletzt war. Es lag nahe, dass der Täter sich beim Entfernen des Dachziegels eine Schnitt- oder Schürfwunde zugezogen hatte.
Keller zog es zu seinem Unmut in Betracht, dass tatsächlich ein Mitglied des Presbyteriums oder die Pfarrerin den Anschlag verübt haben könnte und beantragte DNA-Tests bei allen Verdächtigen.
Bei dem im Streit erwähnten Ulli handelte es sich um den Gemeindepädagogen Ulrich Schlegel, der statt mit Jugendarbeit mit ähnlichen Aufgaben betraut war wie die Pfarrerin. Als sie Föcking zu dem Streit befragten, erklärte der: „Ich bin wirklich enttäuscht. Wir sind Kollegen und Ulli war ein langjähriger Freund, dem ich voll und ganz vertraut habe. Wir hatten hier echt mal einen kompetenten Pfarrer, aber als der in Ruhestand ging, kam Mareike Neuhäuser und ich habe mich gleich gefragt, ob die im Presbyterium von allen guten Geistern verlassen sind. So eine verklemmte, langweilige, phantasielose Trulla! Die predigt wie im letzten Jahrhundert, hat Angst vor jeder Veränderung und Menschen gehen ihr allgemein auf die Nerven. Die wäre besser als Kaffee kochende Tippse aufgehoben. Das habe ich Ulli gegenüber geäußert und er hat mir nicht widersprochen. Und jetzt erfahre ich, dass er ihr das alles brühwarm weitererzählt hat und ich verstehe wirklich nicht warum.“
Vielleicht lag hier die Lösung des Rätsels und die Beamten suchten Ulrich Schlegel auf, so hatten sie wenigstens etwas zu tun, bis die Ergebnisse der DNA-Proben vorlagen. Schlegel war ein seltsamer Vogel: ein farbloser, älterer Mann, kurz vor der Rente, der mehr wie ein Büroangestellter als ein theologischer Mitarbeiter wirkte. Er sprach wenig und leise und machte keinen besonders tiefgründigen Eindruck auf die Beamten.
„Warum sind Sie Ihrem Kollegen derart in den Rücken gefallen?“, fragte Kerkenbrock ihn voll echter Neugier.
„Ich bin ihm nicht in den Rücken gefallen. Er war derjenige, der ständig die Grenze überschritten hat. Wenn ich Mareike nichts erzählt hätte, wäre ich ihr in den Rücken gefallen. Wenn man mit seiner Vorgesetzten nicht einverstanden ist, muss man sich eine neue Stelle suchen oder es still ertragen. So sehe ich das.“
Als sie seine Speichelprobe in der Tasche hatten und wieder im Auto saßen, zitierte Kerkenbrock den Apostel Paulus: „Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott:“
„Die spinnen, die Christen.“, bemerkte Keller.
„Das würde ich nicht verallgemeinern.“, erwiderte Kerkenbrock. „Aber in diesem speziellen Fall gebe ich Ihnen unumwunden Recht.“
Die DNA-Untersuchung ergab, dass niemand von den Verdächtigen Spuren an dem Dachziegel hinterlassen hatte. Und es war niemandem aufgefallen, dass Alina tagelang nach dem Ziegelwurf mit einem großflächigen Pflaster an der rechten Hand herumlief, zwischen Daumen und Zeigefinger. Darum hatte auch niemand untersucht, welchen Aktivitäten sie im Internet nachgegangen war, dass sie nach Giften geforscht hatte, die vom Kaffeearoma geschmacklich überdeckt werden. Niemand durfte ihr schöne Augen machen und sie anschließend ungestraft dauerhaft übersehen und Kawi schon gar nicht.
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birgitdiestarke,
Samstag, 14. Januar 2017, 00:04
Vielleicht gelingt es Alina dann ja nächstes Mal ... ;o)
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