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Samstag, 7. Juli 2018
Bracciano - zweiteiliger Kurzkrimi - 1. Teil
c. fabry, 18:38h
Noch drei Monate, maximal ein halbes Jahr, hatte der Onkologe gesagt. Immerhin, das fünfte Lebensjahrzehnt hatte sie vollendet, jedoch zu viel mehr reichte es nun wohl nicht. Aber es gab da etwas, das sie vor dem Ende unbedingt noch erledigen musste: Die Sixtinische Kapelle und den Lago Bracciano ein letztes Mal bereisen. Einundzwanzig Jahre war es her, dass sie zum letzten Mal dort gewesen war. Früher war sie ständig durch Italien getourt. Einmal hatte sie sich sogar beim Centro Diaconale della Chiesa Waldese in Palermo vorgestellt, um dort ein Praktikum zu absolvieren, aber sie hatte sich das Prozedere viel zu einfach vorgestellt und so war es bei einem Kurzbesuch geblieben. Im damaligen Jahr hatte sie das Ritual vollzogen, zu dem man üblicherweise griff, wenn man nach Rom zurückkehren wollte, und 1997 hatte sie zu ihrem 30. Geburtstag die spanische Treppe gefegt und dann hatte sie es versäumt. Sie hatte einfach nicht daran gedacht, eine Münze über die Schulter in die Fontana di Trevi zu werfen, jenen berühmten Brunnen, in dem einst Anita Eckberg in dem Fellini-Film „La Dolce Vita“ gebadet hatte. Seitdem war sie nicht mehr nach Rom zurückgekehrt – und auch nicht zum Lago Bracciano, einem malerischen See vulkanischen Ursprungs dreißig Kilometer nördlich von Rom. Der Tag, den sie dort allein verbracht hatte, war schon ein schönes Erlebnis gewesen. Sie hatte in der Sonne gefaulenzt, sich mit einem herumlungernden Schäferhund angefreundet, mit jungen Männern geflirtet und in Ruhe die Eindrücke der lärmenden Großstadt verarbeitet. Wenn sie die Augen geschlossen hielt, hatten immer noch die halbnackten Männerkörper mit den definierten Muskeln aus Michelangelos Jüngstem Gericht vor ihren Augen getanzt. So etwas Beeindruckendes wie dieses sieben mal acht Meter große Wimmelbild in der Sixtinischen Kapelle hatte sie nie zuvor gesehen. Wenn man die Szenerie betrachtete, begannen die Figuren, sich zu bewegen, so lebendig hatte der Künstler sie auf den frischen Putz gebannt. Sie hatte sich damals geschworen, unbedingt an diesen Ort zurückzukehren, koste es, was es wolle, denn dort konnte man sich hemmungslos der Illusion hingeben, bereits im Himmel zu sein. Diese virilen Leiber mit den italienischen Gesichtern, egal in welche Richtung man blickte, das war das hetera-weibliche Pendant zum Paradies der Dschihadisten.
In Bracciano dagegen war – abgesehen von ein paar Einheimischen und einigen wenigen Touristen – nur pittoreske Natur um sie herum gewesen, die glatte, tiefblaue Oberfläche des Sees, umgeben von üppig belaubten Wäldern und Gärten, oberhalb der kleine Ort Bracciano, mit einer mittelalterlichen Burg, einem Bahnhof, einem Hotel, ein paar Restaurants und Geschäften, kaum mehr als ein Dorf, aber mit allem ausgestattet, was man benötigte.
Ein Jahr darauf war sie mit ihrem Liebsten über Ostern dort gewesen. Am Karfreitag hatte es gestürmt. Der See hatte Wellen geschlagen wie die Brandung der Ozeane und viele Italiener waren eigens mit dem Auto gekommen, um sich gegenseitig vor der ungewöhnlichen Kulisse zu fotografieren. Am Samstag hatten sie Gärten inspiziert, am Sonntag den Wald erkundet und am Montag ein nicht ganz ernst gemeintes Mittelalterfest auf der Burg besucht, und irgendwann hatte sie entdeckt, wo der herumlungernde Schäferhund vom Vorjahr seinen festen Wohnsitz hatte.
Der Pastore Tedesco war längst im Hundehimmel, aber der See lag sicher immer noch genauso klar und glänzend da, und noch war sie in der Verfassung, zu reisen. Zu dumm, dass die Krankheit sie auch ins soziale Elend geworfen hatte. Sie bezog zwar Krankengeld, aber da sie seit über zwanzig Jahren immer nur in Teilzeit gearbeitet hatte, konnte sie damit keine großen Sprünge machen. Sie brauchte dringend kurzfristig ein paar tausend Euro, denn sie konnte nicht wie in jungen Jahren im Zug schlafen ode rsich in Rom mit Schlafsack und Isomatte in einem Park ablegen. Sie konnte auch nicht günstig m Internet buchen, dazu hatte sie keine Zeit mehr.
Schon lange war er nicht mehr so erschöpft gewesen. Wie gut, dass er die Möglichkeit hatte, sich in zwei Jahren in den Ruhestand zu verabschieden. Am liebsten hätte er sofort aufgehört zu verarbeiten, aber die Abzüge waren dann doch zu arg und nach so einem langen, bewegten und anstrengenden Arbeitsleben seine restliche Zeit in Altersarmut zuzubringen, wäre geradezu schauderhaft. Außerdem wollte er sein Projekt mit der neuen Zweigstelle des Hospizes unbedingt zu Ende bringen, das betrachtete er als sein Lebenswerk, das Meisterstück seiner Ägide, dafür sollte kein frisch examinierter Jungspund die Lorbeeren einheimsen – und erst recht keine feministische Theologin mit Pagenkopf und Au-Pair-betreuten, verhaltensauffälligen Kindern. Doch jetzt würde er den Sonntag genießen, gut essen, ein Schläfchen machen und danach spazieren gehen – allerdings nicht hier, er würde ein wenig rausfahren, um nur keiner der zahlreichen Festgesellschaften seiner neu konifrmierten Schützlinge über den Weg zu laufen; und erst recht nicht der seit zwei Jahren an Krebs erkrankten Jugendreferentin. Er hatte sie nie wirklich ausstehen können, und trotz der Schwere ihres Schicksals machte es ihn aggressiv, wenn sie von Zeit zu Zeit wie zufällig durch den Stadtteil schweifte und wie ein Fleisch gewordener Vorwurf die Folgen der Chemo-Therapie zur Schau stellte. War es etwa seine Schuld, dass es sie getroffen hatte? Was konnte er dafür, dass er , obwohl er neun Jahre älter war als sie, noch immer kerngesund war, nichts Ernstes jedenfalls, nur ein bisschen schwach – und ein bisschen einsam, aber damit hatte er sich längst eingerichtet.
Er schob den Gedanken an die unliebsame Mitarbeiterin beiseite, genoss Knödel mit Sauerbraten und glitt danach zufrieden in den wohlverdienten Mittagsschlaf.
Sie brauchte mindestens dreitausend, besser fünftausend Euro, und ihr war klar, dass sie die nicht auf legalem Wege beschaffen konnte.
Für einen Tankstellenüberfall war sie viel zu hinfällig und kreative Betrüger-Tricks hatte sie auch nicht drauf.
Sie würde danach keinem von ihnen mehr ins Gesicht sehen können, aber das würde sie wohl auch nicht müssen.
An diesem Wochenende fanden zwei Konfirmationen statt, inklusive Rüstgottesdienste. Die Kollekten würden bis Montag im Safe lagern. Sie überschlug die Zahlen und kam auf etwa tausend Euro. Das reichte nicht, aber die Kita hatte am Sonntag einen umsatzstarken Flohmarkt veranstaltet. Da waren immer so um die zweitausend Mücken zusammengekommen, und auch dieses Geld wurde im Safe gelagert. Den Code hatte ihr die Bürokraft einmal in einem unachtsamen Moment verraten, als sie sagte: „Die Zahlenkombination vom Safe könnte ich mir auch nicht merken, wenn das nicht zufällig Winfrieds Geburtstag wäre.“
Winfrieds Geburtstag kannte sie auch: 7.1.58.
Sie würde dafür sorgen müssen, dass Anneke nicht in Verdacht geriet. Vielleicht sollte sie ein Testament verfassen, in dem sie sich schuldig bekannte. Drei Monate Knast würde Anneke schon überleben.
FORTSETZUNG FOLGT
In Bracciano dagegen war – abgesehen von ein paar Einheimischen und einigen wenigen Touristen – nur pittoreske Natur um sie herum gewesen, die glatte, tiefblaue Oberfläche des Sees, umgeben von üppig belaubten Wäldern und Gärten, oberhalb der kleine Ort Bracciano, mit einer mittelalterlichen Burg, einem Bahnhof, einem Hotel, ein paar Restaurants und Geschäften, kaum mehr als ein Dorf, aber mit allem ausgestattet, was man benötigte.
Ein Jahr darauf war sie mit ihrem Liebsten über Ostern dort gewesen. Am Karfreitag hatte es gestürmt. Der See hatte Wellen geschlagen wie die Brandung der Ozeane und viele Italiener waren eigens mit dem Auto gekommen, um sich gegenseitig vor der ungewöhnlichen Kulisse zu fotografieren. Am Samstag hatten sie Gärten inspiziert, am Sonntag den Wald erkundet und am Montag ein nicht ganz ernst gemeintes Mittelalterfest auf der Burg besucht, und irgendwann hatte sie entdeckt, wo der herumlungernde Schäferhund vom Vorjahr seinen festen Wohnsitz hatte.
Der Pastore Tedesco war längst im Hundehimmel, aber der See lag sicher immer noch genauso klar und glänzend da, und noch war sie in der Verfassung, zu reisen. Zu dumm, dass die Krankheit sie auch ins soziale Elend geworfen hatte. Sie bezog zwar Krankengeld, aber da sie seit über zwanzig Jahren immer nur in Teilzeit gearbeitet hatte, konnte sie damit keine großen Sprünge machen. Sie brauchte dringend kurzfristig ein paar tausend Euro, denn sie konnte nicht wie in jungen Jahren im Zug schlafen ode rsich in Rom mit Schlafsack und Isomatte in einem Park ablegen. Sie konnte auch nicht günstig m Internet buchen, dazu hatte sie keine Zeit mehr.
Schon lange war er nicht mehr so erschöpft gewesen. Wie gut, dass er die Möglichkeit hatte, sich in zwei Jahren in den Ruhestand zu verabschieden. Am liebsten hätte er sofort aufgehört zu verarbeiten, aber die Abzüge waren dann doch zu arg und nach so einem langen, bewegten und anstrengenden Arbeitsleben seine restliche Zeit in Altersarmut zuzubringen, wäre geradezu schauderhaft. Außerdem wollte er sein Projekt mit der neuen Zweigstelle des Hospizes unbedingt zu Ende bringen, das betrachtete er als sein Lebenswerk, das Meisterstück seiner Ägide, dafür sollte kein frisch examinierter Jungspund die Lorbeeren einheimsen – und erst recht keine feministische Theologin mit Pagenkopf und Au-Pair-betreuten, verhaltensauffälligen Kindern. Doch jetzt würde er den Sonntag genießen, gut essen, ein Schläfchen machen und danach spazieren gehen – allerdings nicht hier, er würde ein wenig rausfahren, um nur keiner der zahlreichen Festgesellschaften seiner neu konifrmierten Schützlinge über den Weg zu laufen; und erst recht nicht der seit zwei Jahren an Krebs erkrankten Jugendreferentin. Er hatte sie nie wirklich ausstehen können, und trotz der Schwere ihres Schicksals machte es ihn aggressiv, wenn sie von Zeit zu Zeit wie zufällig durch den Stadtteil schweifte und wie ein Fleisch gewordener Vorwurf die Folgen der Chemo-Therapie zur Schau stellte. War es etwa seine Schuld, dass es sie getroffen hatte? Was konnte er dafür, dass er , obwohl er neun Jahre älter war als sie, noch immer kerngesund war, nichts Ernstes jedenfalls, nur ein bisschen schwach – und ein bisschen einsam, aber damit hatte er sich längst eingerichtet.
Er schob den Gedanken an die unliebsame Mitarbeiterin beiseite, genoss Knödel mit Sauerbraten und glitt danach zufrieden in den wohlverdienten Mittagsschlaf.
Sie brauchte mindestens dreitausend, besser fünftausend Euro, und ihr war klar, dass sie die nicht auf legalem Wege beschaffen konnte.
Für einen Tankstellenüberfall war sie viel zu hinfällig und kreative Betrüger-Tricks hatte sie auch nicht drauf.
Sie würde danach keinem von ihnen mehr ins Gesicht sehen können, aber das würde sie wohl auch nicht müssen.
An diesem Wochenende fanden zwei Konfirmationen statt, inklusive Rüstgottesdienste. Die Kollekten würden bis Montag im Safe lagern. Sie überschlug die Zahlen und kam auf etwa tausend Euro. Das reichte nicht, aber die Kita hatte am Sonntag einen umsatzstarken Flohmarkt veranstaltet. Da waren immer so um die zweitausend Mücken zusammengekommen, und auch dieses Geld wurde im Safe gelagert. Den Code hatte ihr die Bürokraft einmal in einem unachtsamen Moment verraten, als sie sagte: „Die Zahlenkombination vom Safe könnte ich mir auch nicht merken, wenn das nicht zufällig Winfrieds Geburtstag wäre.“
Winfrieds Geburtstag kannte sie auch: 7.1.58.
Sie würde dafür sorgen müssen, dass Anneke nicht in Verdacht geriet. Vielleicht sollte sie ein Testament verfassen, in dem sie sich schuldig bekannte. Drei Monate Knast würde Anneke schon überleben.
FORTSETZUNG FOLGT
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