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Donnerstag, 16. März 2017
Onkel Otto
c. fabry, 16:06h
„Was machen Sie beruflich?“
„Ich bin Altersbegleiterin.“
„Was ist das für ein Berufsbild?“
„Fragen Sie meine Chefin.“
„Sie müssen doch wissen, was zu Ihren Aufgaben gehört.“
„Warten Sie mal. Also erstens muss ich einen Plan machen, was es nächste Woche zu essen gibt.“
„Für alle?“
„Ja, natürlich. Glauben Sie, wir lassen einen Teil der Bewohner hungern?“
„Nein, natürlich nicht. Aber es gibt doch Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten, Diabetes, Schonkost bei Magenpatienten und so weiter.“
„Bei uns nicht.“
„Das kann ich mir nur schwer vorstellen.“
„Das kann sich niemand vorstellen, aber meine Chefin sagt, das spielt heutzutage keine Rolle mehr.“
„Sie planen also das Essen.“
„Ja, aber nur erstens. Zweitens gebe ich die Bestellung für die Zutaten online auf. Dabei darf ich mein Budget nicht überschreiten. Falls es nicht reicht, bringe ich Kräuter und Gemüse aus meinem eigenen Garten mit.“
„Sie bringen private Lebensmittel mit?“
„Ja genau. Dann muss ich kochen mit dem Konvektomat. Dazu muss ich alle Bewohner, die Lust haben, in die Küche holen, damit sie Kartoffeln und Gemüse schälen.“
„Kann die nicht jemand vom Pflegepersonal bringen?“
„Nein, dafür haben die keine Zeit.“
„Dann holen Sie aber sicher nur die geistig fitten und nicht die dementen Bewohner.“
„Die meisten hier sind dement. Gerade die sollen wir beschäftigen.“
„Aber was, wenn die weglaufen oder sich verletzten?“
„Da muss ich eben aufpassen, dass nichts passiert.“
„Sie alleine?“
„Ja, natürlich.“
„Während Sie gleichzeitig kochen?“
„Ganz genau.“
„Das ist ja kaum zu schaffen.“
„Das ist aber noch nicht alles.“
„Was denn noch?“
„Ich muss optisch alles sauber halten. Also die Bewohner-Zimmer, Toiletten, Bad, Küche, Flur, Gemeinschaftsraum zwischendurch kontrollieren und bei Bedarf, Schmutz wegputzen.“
„Gibt es denn kein Reinigungspersonal?“
„Schon, aber nicht täglich.“
„Wann sollen Sie das denn tun?“
„Zwischendurch. Genauso wie die Wäsche.“
„Wie bitte?“
„Ich muss auch die Wäsche waschen, in den Trockner tun und anschließend falten.“
„Dann haben Sie die Nerven verloren, weil Sie völlig überlastet waren?“
„Ich habe nicht die Nerven verloren.“
„Das heißt, Sie haben mit Vorsatz und in voller Absicht gehandelt?“
„Allerdings.“
„Welches Problem hatten Sie denn mit dem Bewohner?“
„Ich hatte kein Problem mit Onkel Otto.“
„Sie nennen Ihn Onkel Otto?“
„Ja, natürlich. So heißt er doch.“
„Er heißt nicht Onkel Otto. Er heißt Otto Bechermann.“
„Sag ich doch.“
„Nein, Sie sagten Onkel Otto.“
„Er ist ja auch mein Onkel.“
„Sie sind mit ihm verwandt?“
„Ja. Er war der Bruder meiner Mutter.“
„Aber welchen Grund hatten Sie, seinem Leben ein Ende zu setzen?“
„Ich konnte ihn doch nicht da verrotten lassen.“
„Wo da?“
„Na in unserem Heim. Da interessiert sich doch niemand dafür, wie es den alten Leuten geht. Alle wollen da nur Geld rausholen.“
„Aber ist das Diakonische Werk nicht eine christliche Einrichtung?“
„Auf dem Papier ja. Aber was heißt das schon?“
„Und die Angehörigen Ihres Onkels? Er hatte doch schließlich einen Sohn.“
„Der ist Kirchenmusiker.“
„Ja und?“
„Also, das mit der Kirchenmusik macht er im Nebenjob. Hauptberuflich ist er auf dem Finanzamt. Darum weiß er auch, wieviel genau er dazu verdienen darf, damit es sich für ihn rechnet. Der hatte noch nie Zeit für seine Eltern. Als seine Mutter im Sterben lag, ist er nicht zu ihr gefahren, weil er meinte, er müsste am nächsten Morgen unbedingt ausgeschlafen sein, weil er da bei der Konfirmation Orgel spielen musste.“
„Sind Die alle so?“
„Wie, alle?“
„Alle Kirchenmusiker?“
„Nein, das glaube ich nicht. Nur mein Vetter. Der hat sich jedenfalls überhaupt nicht um seinen Vater gekümmert. Ich habe täglich bei Onkel Otto vorbei geschaut, aber seit hier alles umgebaut wurde, bin ich so fix und fertig, wenn ich Feierabend habe, da kann ich mich nur noch nach Hause schleppen. Und dann immer diese Angst den ganzen Tag, dass irgendwas schiefgeht, so als würde man täglich bei einer Theaterpremiere auf der Bühne stehen. Onkel Otto wurde immer weniger und er war so unglücklich. Da habe ich ihm was zum Schlafen gegeben und dann einfach mit dem Kissen... Na jedenfalls hat er jetzt seine Ruhe. Und ich auch. Ich muss da bestimmt nicht wieder hin. Wenn ich raus komme, bin ich 69.“
„Bei guter Führung sind sie vielleicht gerade mal 62.“
„Dann führe ich mich eben nicht gut.“
„Ganz wie Sie meinen.“
Das Gericht verurteilte die gelernte Hauswirtschafterin Roswitha Niehoff zu einer lebenslangen Haftstrafe. Die Bezeichnung „Altersbegleiterin“ war eine Phantasie-Wortschöpfung – es hatten weder qualifizierende Maßnahmen stattgefunden, noch hatte sie eine Änderungsvereinbarung unterschrieben, noch war sie in eine höhere Endgeldgruppe einsortiert worden. Einer Überprüfung durch die Heimaufsicht hielt die Einrichtung stand. Auf dem 2. Arbeitsmarkt warteten schon genug Menschen in prekären Lebenslagen, die über eine Festanstellung mit 24 Wochenstunden hocherfreut waren.
„Ich bin Altersbegleiterin.“
„Was ist das für ein Berufsbild?“
„Fragen Sie meine Chefin.“
„Sie müssen doch wissen, was zu Ihren Aufgaben gehört.“
„Warten Sie mal. Also erstens muss ich einen Plan machen, was es nächste Woche zu essen gibt.“
„Für alle?“
„Ja, natürlich. Glauben Sie, wir lassen einen Teil der Bewohner hungern?“
„Nein, natürlich nicht. Aber es gibt doch Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten, Diabetes, Schonkost bei Magenpatienten und so weiter.“
„Bei uns nicht.“
„Das kann ich mir nur schwer vorstellen.“
„Das kann sich niemand vorstellen, aber meine Chefin sagt, das spielt heutzutage keine Rolle mehr.“
„Sie planen also das Essen.“
„Ja, aber nur erstens. Zweitens gebe ich die Bestellung für die Zutaten online auf. Dabei darf ich mein Budget nicht überschreiten. Falls es nicht reicht, bringe ich Kräuter und Gemüse aus meinem eigenen Garten mit.“
„Sie bringen private Lebensmittel mit?“
„Ja genau. Dann muss ich kochen mit dem Konvektomat. Dazu muss ich alle Bewohner, die Lust haben, in die Küche holen, damit sie Kartoffeln und Gemüse schälen.“
„Kann die nicht jemand vom Pflegepersonal bringen?“
„Nein, dafür haben die keine Zeit.“
„Dann holen Sie aber sicher nur die geistig fitten und nicht die dementen Bewohner.“
„Die meisten hier sind dement. Gerade die sollen wir beschäftigen.“
„Aber was, wenn die weglaufen oder sich verletzten?“
„Da muss ich eben aufpassen, dass nichts passiert.“
„Sie alleine?“
„Ja, natürlich.“
„Während Sie gleichzeitig kochen?“
„Ganz genau.“
„Das ist ja kaum zu schaffen.“
„Das ist aber noch nicht alles.“
„Was denn noch?“
„Ich muss optisch alles sauber halten. Also die Bewohner-Zimmer, Toiletten, Bad, Küche, Flur, Gemeinschaftsraum zwischendurch kontrollieren und bei Bedarf, Schmutz wegputzen.“
„Gibt es denn kein Reinigungspersonal?“
„Schon, aber nicht täglich.“
„Wann sollen Sie das denn tun?“
„Zwischendurch. Genauso wie die Wäsche.“
„Wie bitte?“
„Ich muss auch die Wäsche waschen, in den Trockner tun und anschließend falten.“
„Dann haben Sie die Nerven verloren, weil Sie völlig überlastet waren?“
„Ich habe nicht die Nerven verloren.“
„Das heißt, Sie haben mit Vorsatz und in voller Absicht gehandelt?“
„Allerdings.“
„Welches Problem hatten Sie denn mit dem Bewohner?“
„Ich hatte kein Problem mit Onkel Otto.“
„Sie nennen Ihn Onkel Otto?“
„Ja, natürlich. So heißt er doch.“
„Er heißt nicht Onkel Otto. Er heißt Otto Bechermann.“
„Sag ich doch.“
„Nein, Sie sagten Onkel Otto.“
„Er ist ja auch mein Onkel.“
„Sie sind mit ihm verwandt?“
„Ja. Er war der Bruder meiner Mutter.“
„Aber welchen Grund hatten Sie, seinem Leben ein Ende zu setzen?“
„Ich konnte ihn doch nicht da verrotten lassen.“
„Wo da?“
„Na in unserem Heim. Da interessiert sich doch niemand dafür, wie es den alten Leuten geht. Alle wollen da nur Geld rausholen.“
„Aber ist das Diakonische Werk nicht eine christliche Einrichtung?“
„Auf dem Papier ja. Aber was heißt das schon?“
„Und die Angehörigen Ihres Onkels? Er hatte doch schließlich einen Sohn.“
„Der ist Kirchenmusiker.“
„Ja und?“
„Also, das mit der Kirchenmusik macht er im Nebenjob. Hauptberuflich ist er auf dem Finanzamt. Darum weiß er auch, wieviel genau er dazu verdienen darf, damit es sich für ihn rechnet. Der hatte noch nie Zeit für seine Eltern. Als seine Mutter im Sterben lag, ist er nicht zu ihr gefahren, weil er meinte, er müsste am nächsten Morgen unbedingt ausgeschlafen sein, weil er da bei der Konfirmation Orgel spielen musste.“
„Sind Die alle so?“
„Wie, alle?“
„Alle Kirchenmusiker?“
„Nein, das glaube ich nicht. Nur mein Vetter. Der hat sich jedenfalls überhaupt nicht um seinen Vater gekümmert. Ich habe täglich bei Onkel Otto vorbei geschaut, aber seit hier alles umgebaut wurde, bin ich so fix und fertig, wenn ich Feierabend habe, da kann ich mich nur noch nach Hause schleppen. Und dann immer diese Angst den ganzen Tag, dass irgendwas schiefgeht, so als würde man täglich bei einer Theaterpremiere auf der Bühne stehen. Onkel Otto wurde immer weniger und er war so unglücklich. Da habe ich ihm was zum Schlafen gegeben und dann einfach mit dem Kissen... Na jedenfalls hat er jetzt seine Ruhe. Und ich auch. Ich muss da bestimmt nicht wieder hin. Wenn ich raus komme, bin ich 69.“
„Bei guter Führung sind sie vielleicht gerade mal 62.“
„Dann führe ich mich eben nicht gut.“
„Ganz wie Sie meinen.“
Das Gericht verurteilte die gelernte Hauswirtschafterin Roswitha Niehoff zu einer lebenslangen Haftstrafe. Die Bezeichnung „Altersbegleiterin“ war eine Phantasie-Wortschöpfung – es hatten weder qualifizierende Maßnahmen stattgefunden, noch hatte sie eine Änderungsvereinbarung unterschrieben, noch war sie in eine höhere Endgeldgruppe einsortiert worden. Einer Überprüfung durch die Heimaufsicht hielt die Einrichtung stand. Auf dem 2. Arbeitsmarkt warteten schon genug Menschen in prekären Lebenslagen, die über eine Festanstellung mit 24 Wochenstunden hocherfreut waren.
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