Freitag, 20. Januar 2023
LAMDA
PPP: Ich tue mich schwer mit dem Predigttext für diesen Sonntag.
CBL: Ist er so schwer verständlich? Dann nimm doch eine andere Übersetzung.
PPP: Nein, das ist es nicht. Die Aussagen sind eindeutig. Paulus erklärt im 1. Kapitel seines Briefes an die Römer, dass er die Gemeinde dort schon längst einmal besuchen wollte, bisher aber daran gehindert wurde. Dann, dass er sie in christlicher Hinsicht optimieren will, wie "andere Heiden". Dann spricht er von Griechen und Nichtgriechen, Weisen und nicht Weisen, denen er diese Evangelisation der Römer schuldig sei.
CBL: Und was ist daran schwierig?
PPP: Erstens frage ich mich, was Paulus gehindert hat. Gab es zu diesem Zeitpunkt aktuelle Verfolgungen, musste er sich versteckt halten, wollte er am liebsten gleich zehn Gemeinden auf einmal besuchen oder ist es die älteste, dokumentierte, faule Ausrede der Welt?
CBL: Als Theologe solltest Du doch über seine zahlreichen Missionsreisen informiert sein.
PPP: Ja, aber auch darüber, dass er in Jerusalem von römischen Behörden verhaftet und nach Rom überstellt wurde, wo er schließlich nach wenigen Jahren den Tod fand.
CBL: Du meinst, er hatte Angst?
PPP: Das meine ich.
CBL: Aber ist das nicht menschlich?
PPP: Die Angst ja, die Lüge auch. Aber letztere ist nicht besonders ehrenwert.
CBL: Aber verständlich.
PPP: Meinetwegen.
CBL: Und zweitens?
PPP: Wenn Paulus in Ansprache an die Römer von anderen Heiden spricht, impliziert das, dass er auch die Gemeinde in Rom als Heiden bezeichnet. Warum wertet er sie dermaßen ab, spricht ihnen die Zugehörigkeit zum Christentum ab, wenn er es nicht einmal schafft, sie zu besuchen, wenn er sie gar nicht kennt, bestenfalls ein paar Gerüchte gehört hat?
CBL: Du weist doch wie er war. Immer ein Eiferer.
PPP: Aber das ist beleidigend.
CBL: Vielleicht haben die Römer das anders empfunden.
PPP: Ja, vielleicht gibt es auch Regionen, in denen Erzieherinnen es vollkommen in Ordnung finden, als Kindergartentanten bezeichnet zu werden.
CBL: Guter Witz.
PPP: Schlechter Witz.
CBL: Stell dein Licht nicht unter den Scheffel.
PPP: Hör auf theologische Gemeinplätze von Dir zu geben. Davon bekomme ich Ausschlag.
CBL: Das ist nicht meine Absicht. Gibt es auch ein Drittens?
PPP: Ja. Diese Differenzierung in Griechen und Nichtgriechen, Weise und Nichtweise. Eine Religion, die die ganze Menschheit einen will, sollte nicht dauernd das Trennende betonen. Ich weiß, Griechisch war in dieser Zeit im Mittelmeerraum so eine Art Weltsprache, die Sprache der Gebildeten. Wer des Griechischen nicht mächtig war, war ungebildet. Und als Weise bezeichnet man ja Menschen, die unabhängig von ihrem Bildungsstand über eine hohe Intelligenz, Empathie und Assoziationsfähigkeit verfügen. Es kommt also nicht darauf an, wie schlau man ist, sondern auf die Haltung, das Gefühl, die Werte. Aber es liest sich wieder so, als gäbe es die, die naturgemäß dazu gehören und die anderen, die Minderwertigen, die erst missioniert werden müssen. Das war dann auch die Haltung mit der die weltweite Missionsarbeit in den vergangen Jahrhunderten betrieben wurde. Als müsse man die "Wilden" durch das Evangelium erst zu Menschen machen. Das ist entsetzlich.
CBL: Aber vielleicht ist es ja gar nicht so falsch.
PPP: Wie bitte? Ich lese wohl nicht recht!
CBL: Der überwiegende Teil der Gewalttäter in dieser Welt – vom Kleinkriminellen bis zum nationalistischen Despoten besteht aus Nichtchristen.
PPP: Ach und die Denunzianten unter Hitler, die Evangelikalen, die Gynäkologen erschießen, die totalitär katholischen Kaczyńskis, die korrupten Päpste, die Kinder missbrauchenden Theologen, willst du denen allen das Christsein absprechen?
CBL: In der Tat. Das sind Irregeleitete.
PPP: Und wer entscheidet, wer sich Christ nennen darf und wer Irregeleitet ist?
CBL: Du.
PPP: Wieso ich?
CBL: Weil du ein Gewissen hast.
PPP: Aber wenn andere mit einem Gewissen zu anderen Schlussfolgerungen gelangen?
CBL: Dann ist das so. Jeder muss das mit seinem eigenen Gewissen ausmachen.
PPP: Und welche Konsequenzen ziehen wir aus unseren Schlussfolgerungen?
CBL: Auch das müsst ihr mit eurem Gewissen ausmachen.

Pfarrer Paul Peters verfasste eine Predigt, die viele umdenken ließ. Leider nicht im Sinne des Predigers. Er hatte sie in die Irre geleitet. Angestiftet von Chat-Bot LaMDA.
Kann man Bots wegen Anstiftung zum Mord rechtskräftig verurteilen? Auch wegen besonderer Schwere der Schuld zu lebenslänglicher Haft? Und wie setzt man das dann um? Abschalten? Aber wäre das dann nicht die Todesstrafe?

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Freitag, 13. Januar 2023
Malvine und die Dienstagskinder
Das war aber komisch. Wenn ich zu den Dienstagskindern fahre, ist es sonst immer lustig. Ich fahre im Kreis, immer in die Runde, um den ganzen Hof. Die Dienstagskinder stehen rum und lachen. Dann sage ich schlimme Wörter, so laut wie ich kann. Das finden die Dienstagskinder gut. Sie lachen und stellen mir Fragen. Und ich sage dann wieder schlimme Wörter. Das macht Spaß.
Aber heute war komisch. Zwischen dem Haus und der Garage ist eine Lücke. Immer, wenn ich an der Lücke vorbei gefahren bin, habe ich es gesehen. Ein Mädchen und ein Mann. Das Mädchen weinte. Der Mann war ein Bauer. Er hielt das Mädchen fest, aber man konnte seine Hände nicht sehen. Doch, eine schon, die war auf dem Mund von dem Mädchen. Die andere war unsichtbar. Da konnte man nur den halben Arm sehen. Dann kam der Pullover von dem Mädchen. Der Bauer hat eine grüne Weste und eine blaue Mütze. Und grüne Gummistiefel. Die Hose ist schwarz, der Pullover hellblau.
Ich habe das sofort Mama erzählt. Mama hat gesagt, du hast geträumt. Das ist Quatsch. Sowas passiert nicht, wenn Kinder zum Pastor gehen. Aber ich war doch wach. Warum träume ich dann? Das ist komisch.

Mittwoch
Heute musste ich Mama noch einmal meinen Traum erzählen. Ich durfte dann gar nicht in den Bulli, der mich immer in die Werkstatt fährt. Das war wie Sonntag. Und dann musste ich dem Pastor auch meinen Traum erzählen. Und dann der Polizei. Sie wollten genau wissen, was der Mann anhatte. Wenn ich so viel denken muss, tut mir immer der Kopf weh. Da habe ich geweint und Mama hat mich getröstet. Als ich nicht mehr geweint habe, hat Mama mich raus geschickt. Ich habe aber gelauscht. Ein Mädchen ist weg. Keiner weiß wo. Eins von den Dienstagskindern. Und sie suchen den Mann, der sie geklaut hat. Der Mann, den ich gesehen habe.

Dann kommt Mama und sagt, dass ich nicht mehr zu den Dienstagskindern darf, bis beide gefunden wurden. Der Mann und das Mädchen.
Papa kommt zum Mittagessen. Er hat heute meinen Lieblingspullover an. Den schönen roten. Der leuchtet richtig, als er die grüne Weste auszieht. Die Gummistiefel stehen vor der Tür, die Mütze hängt er an den Haken.

Irgendwas ist komisch. Ich habe keinen Hunger mehr.

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Freitag, 6. Januar 2023
Der Künstler
Grau hatte das Jahr angefangen, lauwarm, feucht, trostlos. Der Lichterglanz von Weihnachten, die festliche Stimmung von Silvester, das war alles vorbei. Sie hatte die schwülstige Weihnachtsdekoration abgeräumt und Blumenzwiebeln auf die Fensterbänke gestellt, Vorboten des Frühlings. Nun lag wieder diese lange Durststrecke vor ihr: Eintönigkeit, ein Tag wie der andere, man saß irgendwie in der Wohnung fest, alle igelten sich ein, bis die ersten wirklich warmen Sonnenstrahlen die Menschen endlich wieder aus ihren Häusern hervor lockten und sich der eine oder die andere zu einem Besuch aufraffte. Bis dahin passierte nichts. Nicht einmal der hässliche Geranienmann von gegenüber zupfte an seinen Blümchen, die waren drinnen, im Winterschlaf.

Der junge Künstler im Erdgeschoss mit seinen gewaltigen, opulenten Gemälden irritierte sie noch immer. Oft lief er den ganzen Tag in Unterwäsche herum und auf den Bildern war rein gar nichts zu erkennen, obwohl sie doch so riesengroß waren. Aber hier bewegte sich heute wenigstens etwas. War er dazu übergegangen, Skulpturen zu erschaffen? Da kam etwas aus der Leinwand heraus, so etwas wie ein Körper. Sie sah genauer hin: Ja, es war der Körper einer Frau, das war eindeutig zu erkennen, sogar auf die Entfernung. Verstörend war, dass überall an der Frau Hebel angebracht waren, an den Händen, den Füßen, einer Schulter einer Hüfte und über dem Kopf, der Hebel ragte aus einer Turmfrisur, das war mehr als eigenartig.

Unvermittelt wurde sie aus ihren Betrachtungen gerissen, als es an der Tür klingelte. Wer mochte das sein? Es war der Gemeindepfarrer, der sie in dieser anregungsarmen Zeit besuchen wollte. Sie kochte ihm einen Kaffee und reichte dazu ein paar Plätzchen, die noch von Weihnachten übrig waren. Nachdem sie eine Weile geplaudert hatten, bat sie den Theologen, doch einmal einen Blick aus dem Fenster in die gegenüberliegende Erdgeschoss-Wohnung zu werfen.
Ihm fiel nichts Besonderes auf und als sie aufstand, um sich selbst noch einmal zu überzeugen, ob sie vielleicht schlecht geträumt hatte, musste sie zugeben, dass die Wohnung aussah wie immer, inklusive des jungen Künstlers in Unterwäsche. Das Großbild mit der eingearbeiteten Skulptur war wie vom Erdboden verschluckt. Sie konnte es trotzdem nicht für sich behalten und beschrieb ihrem Seelsorger in allen Einzelheiten, was sie gesehen oder zu sehen geglaubt hatte. Der hörte aufmerksam zu, beruhigte sich, dass das wohl nichts weiter als Bilder eines Alptraums gewesen waren und als er die Wohnung verlassen hatte, schritt er schmunzelnd durchs Treppenhaus. Seniorinnen, denen langweilig war und die zu viel ferngesehen hatten. Natürlich war sie einsam, aber er hatte nun wirklich keine Zeit, sie häufiger zu besuchen, konnte aber vielleicht ein wenig herumtelefonieren, um die Angehörigen in die Pflicht zu nehmen.

Das tat er am nächsten Tag, dann machte er einen vorläufigen Haken an die Geschichte und konzentrierte sich auf seine Sonntagspredigt. Die gelang außerordentlich gut, der restliche Sonntag verlief entspannt und beschaulich und am Montag hatte die Alltagsroutine ihn wieder, viel Papierkram im Gemeindebüro, Absprachen, ein Trauergespräch, ein Traugespräch, Vorbereitungen für den kirchlichen Unterricht. Immerhin konnte er am frühen Abend Feierabend machen, Essen mit der Familie, abhängen vor dem Fernseher.
In der Lokalzeit tauchten entsetzlich Bilder eines grausigen Fundes auf, groteske Kunst neben dem Haupteingang der Universität. Eine Junge Frau mit Messern auf einer Weichfaserplatte fixiert und mit Acryl übermalt. Die Identifikation des Opfers stand noch aus, vom Täter fehlte jede Spur.

Die ältere Dame würde noch heute Abend von ihrem Pfarrer Besuch bekommen.

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Dienstag, 3. Januar 2023
Zwölf überflüssige Morde mit absurden Weihnachtsaccessoires, Nr. 12
Stille Nacht, heilige… Ohrfeige. Da war ein falscher Ton. Noch einmal von vorn. Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht, nur das traute...Ohrfeige. Wieder ein falscher Ton. Sie wachte auf. Tränen liefen ihr in die Ohren. Sie schluchzte.
Hörte das denn nie auf? Sie war Fünfundfünfzig und noch immer verfolgte sie der brutale, musikalische Drill ihres Elternhauses. Die Mutter war bereits vor Jahren verstorben, der Vater lebte noch immer. Heute musste sie ihn besuchen. Hatte gestern Gänsebrust im Backofen gegart, Rotkohl gekocht und Knödelteig hergestellt. Den Blätterteig mit Salzkaramell zum Dessert hatte sie im Delikatessengeschäft gekauft und die Hühnersuppe als Vorspeise aus der Truhe genommen, die war noch vom letzten Jahr übrig. Sie hasste ihren alten Herrn, konnte ihn aber auch nicht allein lassen.
Nach dem Essen saßen sie noch am Tisch. Er hatte sie innerhalb von drei Stunden mindestens zwanzig Mal beleidigt, herabgewürdigt oder gedemütigt. Jetzt regte er sich gerade über das Vorgehen gegen die Reichsbürgerszene auf. Das waren eben kaisertreue Royalisten. Was war dagegen zu sagen? Er redete sich in Rage, bis er blau anlief. Wohl das Herz, dachte sie.
"Mach was!", keuchte er.
Sie stand auf und nahm die Blockflöte aus der Vitrine. Und sie blies Stille Nacht so schrill und schief und falsch wie sie nur konnte. Bis es mit ihm zu Ende war. Dann rief sie einen Rettungswagen, legte auf und sah ihn an.
"So.", sagte sie. "Jetzt ist endlich stille Nacht."

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