Dienstag, 3. Januar 2023
Zwölf überflüssige Morde mit absurden Weihnachtsaccessoires, Nr. 12
Stille Nacht, heilige… Ohrfeige. Da war ein falscher Ton. Noch einmal von vorn. Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht, nur das traute...Ohrfeige. Wieder ein falscher Ton. Sie wachte auf. Tränen liefen ihr in die Ohren. Sie schluchzte.
Hörte das denn nie auf? Sie war Fünfundfünfzig und noch immer verfolgte sie der brutale, musikalische Drill ihres Elternhauses. Die Mutter war bereits vor Jahren verstorben, der Vater lebte noch immer. Heute musste sie ihn besuchen. Hatte gestern Gänsebrust im Backofen gegart, Rotkohl gekocht und Knödelteig hergestellt. Den Blätterteig mit Salzkaramell zum Dessert hatte sie im Delikatessengeschäft gekauft und die Hühnersuppe als Vorspeise aus der Truhe genommen, die war noch vom letzten Jahr übrig. Sie hasste ihren alten Herrn, konnte ihn aber auch nicht allein lassen.
Nach dem Essen saßen sie noch am Tisch. Er hatte sie innerhalb von drei Stunden mindestens zwanzig Mal beleidigt, herabgewürdigt oder gedemütigt. Jetzt regte er sich gerade über das Vorgehen gegen die Reichsbürgerszene auf. Das waren eben kaisertreue Royalisten. Was war dagegen zu sagen? Er redete sich in Rage, bis er blau anlief. Wohl das Herz, dachte sie.
"Mach was!", keuchte er.
Sie stand auf und nahm die Blockflöte aus der Vitrine. Und sie blies Stille Nacht so schrill und schief und falsch wie sie nur konnte. Bis es mit ihm zu Ende war. Dann rief sie einen Rettungswagen, legte auf und sah ihn an.
"So.", sagte sie. "Jetzt ist endlich stille Nacht."

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