Freitag, 19. Juni 2020
Maschinensturm
Rewelgut hatte echt den Kaffee auf. Das Hand-Ladegerät hatte die ganze Nacht gebraucht um die Greifmuskulatur wieder auf volle Leistung zu bringen und nun war alles umsonst. Er stand vor dem Spiegel und ließ die Schultern hängen. So wüst hatte er noch nie am Kopf ausgesehen. Ausgerechnet heute musste der Haar-Player den Geist aufgeben. Hätte er nur im letzten Jahr den antiquierten Haarrührer nicht entsorgt, der hätte ihn jetzt retten können. Letzte Woche hatte es den Stichmixer erwischt, seitdem war er gezwungen, bereits präsentierte Kleidung aufzutragen, welch eine Demütigung.

Wenigstens Frühstücken war möglich und zwar ausgiebig mit Obst aus dem eigenen Garten und frischem Nass aus der Wassermaschine. Der Anrufmixer bescherte ihm eine angenehme Überraschung. Wendeline, welch ein Glück, es hätte ihn auch Schnuckenriedel treffen können, das hätte heute Morgen seine Kräfte überstiegen.

Pollipopp hatte gestern Abend mal wieder nicht die Küche aufgeräumt. Er aktivierte das Spülmaschinen-Ladegerät und begab sich vor dem Weg zur Arbeit in den Garten, um dem Flüstern der Bäume zu lauschen. Aber überall war bereits große Geschäftigkeit, die die leisen Laute übertönte, der Rasenbeantworter plärrte die ganze Zeit und es juckte ihn in den Fingern, die Videosense zu zücken, aber warum selbst aktiv werden und sich mit Grünschnitt beschmutzen, wenn man auch den Anrufmäher bestellen konnte.

Er machte sich auf, startete den Wasserstoffmotor seines Hovercrafts und koppelte den Auspuff an den Waschplayer – gab ja vorerst keine neuen Klamotten, mussten die alten eben aufgefrischt werden. Zur Reinigung der Hosen und Hemden lief „Oh Happy Day, when Jesus washed my sins away“.

Im Büro wartete Borchenritz die alte Handysäge, kein Mobiltelefon war vor ihm sicher, er machte aus jedem Smartphone zwei nutzlose, kleine Ansammlungen wertvoller Rohstoffe. Niemand wusste, warum er das tat. Vielleicht lag es daran, dass er Kettensauger war.

Rewelgut – was für ein Scheißname, dachte Rüdiger und reckte sich. Warum musste er immer so einen Mist träumen, er las doch schon lange keine Fantasy- und Science-Fiction-Storys mehr.

Welches Gerät würde er gern erfinden, das fragte er sich? Nichts davon, bestenfalls eine Küsterschleuder, die das ganze selbstgerechte Gift aus dem theologisch aufgewerteten Hausmeister rausschleuderte, bis er ganz trocken war, ja ein entspannter Küster mit trockenem Humor, das wärs. Gab es so etwas?

Gab es. Er fand ihn schon wenige Viertelstunden später. Eigentlich hatte er nur das Altpapier aus dem Büro im Technikraum entsorgen wollen. Fluchte gerade vor sich hin, warum Braun das nicht erledigt hatte, war schließlich sein Job. Ein freier Sonntag war ja in Ordnung und wenn er den montäglichen Pastorensonntag genutzt hatte, um das Wochenende mal zu verlängern – geschenkt. Aber am Dienstag Vormittag sollte er doch endlich wieder warm gelaufen sein.
Es roch befremdlich. Sehr befremdlich. Dieser gigantische Wäschetrockner war nur angeschafft worden, weil Braun lange genug auf die Tränendrüsen gedrückt hatte – nicht zu schaffen, die ganze Tischwäsche von den großen Feierlichkeiten draußen auf der Leine zu trocknen und bei den riesigen Tüchern, reichte ein Standardtrockner nicht aus, musste einer in Übergröße sein, wie man ihn auch in der gehobenen Gastronomie zur Verfügung hatte. Rüdiger war sofort der Verdacht gekommen, dass Braun das Ding privat nutzten wollte, wie auch sicher das eine oder andere Mitglied des Presbyteriums, das vorbehaltlos zugestimmt hatte. Mal eben ins Gemeindehaus und die ganze Wäsche in zwanzig Minuten knochentrocken pusten. Konnte man doch mal machen, so in der Mittagszeit, wenn gerade keiner da war. Und Braun wohnte direkt nebenan. Der konnte zur Not auch nachts an die Maschine. Und das hatte er unweigerlich getan. Nur steckte er mittendrin und transpirierte aufs Erbärmlichste. Das Gerät lief auf der höchsten Temperatur und im Benutzermodus, stellte sich also nicht von selbst ab.
Furztrocken war der Küster. Und Rüdiger wollte ums Verrecken nicht einfallen, wer das getan haben könnte. „Rewelgut, du Satan“, zischte er und erzitterte.

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Freitag, 12. Juni 2020
Auftakt
Er lag ausgestreckt auf seinem Puschenrasen, die Kantenschere noch in der Hand, wie auf einem perfekt komponierten Gemälde: Figur in Erdtönen auf sattgrünem Hintergrund mit tiefrotem Akzent im Zentrum.
Dieter Gerhard, leitender Angestellter im Ruhestand, Angehöriger des Evangelischen Männerkreises, treuer Gottesdienstbesucher, Mitglied des Presbyteriums. Ein Musterbürger. Niemand wusste etwas von Feinden. Es gab keinen Anhaltspunkt, kein Motiv, keine Zeugen.

Dafür hatte Thomas selbst gesorgt. Dieser hundertfünfzigprozentige Saubermann hatte kein Recht, sein Leben zu zerstören. Thomas war noch nicht einmal Fünfzig, hatte noch viel vor, beruflich, wie privat. Und Anton hatte noch fast sein ganzes Leben vor sich, gerade mal siebzehn, fast noch ein Kind.
Gerhard dagegen hätte ohnehin nicht mehr viel Lebenszeit vor sich gehabt, aber die hätte er genutzt, um jedem Knüppel zwischen die Beine zu werfen, der seinen Weg kreuzte.
„Herr Rakelmann“, hatte er über den grünen Gitterzaun zwischen ihren beiden Gärten geschnarrt, „ich weiß genau, was Ihr sauberer Herr Sohn treibt; und ich weiß auch, dass Sie es wissen. Sie sind mir ein schöner Polizist. Sie denken wohl, Sie könnten sich alles erlauben.“
Da war das Todesurteil gefallen. Es war nur noch um den schnellen und perfekten Plan gegangen. Er konnte ihn ja nicht mit der Dienstwaffe erledigen. Gut, dass es die alten Kameraden noch gab. Gut, dass er sich von denen nie ganz abgewandt hatte.

In diesem Fall war er nur Nachbar, nicht einmal Zeuge. Dann sah er die Pfarrerin vorbeikommen, die der Witwe beistehen wollte. Sie blickte ihn ziemlich finster an. Sie wusste etwas. Und Thomas wusste, dass es noch lange nicht zu Ende war.

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Freitag, 5. Juni 2020
Konsequenz
Ich hab‘ mich entschieden. Für dich.
Kein Tag ist in den letzten zwei Monaten vergangen, an dem ich nicht an dich gedacht habe.
Ich hab‘ mich selbst auf die Probe gestellt und bin dir konsequent aus dem Weg gegangen.
Ich hielt mein Begehren für eine Mischung aus einer biologischen Kettenreaktion und einem neurologischen Strohfeuer.
Aber jetzt ist es stärker als ich.
Du bist das Ziel. Nur du.
Meine Gefühle für dich ebben nicht einmal dann ab, wenn ich dich nicht höre und sehe.
Es ist diese Wucht, die ich in mir spüre, mit der ich in dich dringen will.
Du hast sie mir damals geschenkt, dieses Kleinod, wie du sie nanntest.
Damit ich mich sicher fühle.
Ich hab‘ mich schon damals vor dir geekelt.
Aber du konntest mir alles bieten, was ich aus eigener Kraft niemals erreichen konnte.
Augen zu und durch – hab‘ ich gedacht.
Jetzt bin ich durch.
Und alle anderen auch.
Mit einer kleinen Bewegung meines Zeigefingers werde ich meine Entscheidung umsetzen.
Ich werde es wie Notwehr aussehen lassen
und endlich frei sein.
Melania

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Samstag, 30. Mai 2020
Misanthropie
Überall Baustellen. Es werden immer mehr. Jeder Weg den ich üblicherweise fahre: unpassierbar. Umleitungen oder Baustellenampeln. Und jetzt auch noch das: Jetzt kann ich nicht einmal mehr zu Fuß ins Dorf. Weil die Starkstromkabel unterirdisch verlegt werden. Eigentlich gut, dass die Überlandleitungen wegkommen. Auch gut, dass endlich das letzte Teilstück für den Radweg in die Stadt gebaut wird. Gut, dass es Jobs gibt, und die Infrastruktur nicht zusammenbricht. Aber sie schießen wie Pilze aus dem Boden, die Baustellen, ausgerechnet jetzt, wo in mir auch alles Baustelle ist: unfertig, unaufgeräumt, trist und freudlos, laut und aufdringlich. Wege sind blockiert, Möglichkeiten eingeschränkt, alles ist anstrengend und kompliziert, nicht nur innen, auch sonst, wegen Corona.

Ich weiß, irgendwann wird wieder alles einwandfrei funktionieren und besser als zuvor, nur einiges wird seine Schönheit verloren haben und möglicherweise bin ich dann auch aus dem Rennen. Warum also stillhalten und geduldig verharren, wenn es für mich nichts mehr zu erwarten gibt? Ich könnte endlich mit allen abrechnen, gibt ja nichts mehr zu verlieren. Eine Liste machen von allen, die mir übel mitgespielt haben.
Doch sogar für Hass und Rache fehlt mir die Energie. Höchstens die Despoten dieser Welt würde ich gern dahinschlachten, aber ich würde an keinen einzigen herankommen, nicht einmal auf Heckenschützenlänge und wenn, würde mir das auch nicht weiterhelfen, ich kann nicht schießen, habe nicht einmal eine Waffe.

Überall ist was im Weg. Erlasse, die mir verbieten, Schwimmen zu gehen, die frischen Erdbeeren im Supermarkt zu beschnuppern, liebe Freunde zu umarmen.
Und dann stehen Leute im Weg, vor allem im Supermarkt, vorzugsweise in der Gemüseabteilung. An denen kommt man nicht vorbei. Die Seniorinnen mit Rollator, denen kann ich es ja nachsehen. Aber diese raumgreifenden Konsumterroristinnen, die mit einem Schlachtschiff vorfahren, das ein-ein-halb Parkplätze beansprucht und dann machen sie sich im Laden breit: vor sich den Wagen quer in den Gang geschoben, hinten der Elastanwäschegeformte Junkfood-Hintern, betont sexy herausgestreckt, seitlich die voluminöse Designer-Handtasche mit Goldapplikationen, eingehüllt in eine Duftwolke von Oriental Puff, mit besonders viel Moschus für garantierten Verführungserfolg.

Wie hieß noch einmal dieser verstrahlte Jugendliche im Jugendleiterkurs, der unbedingt Sniper werden wollte? Daniel? Benjamin? Hendrik? Thorben? So einer, der nichts Konstruktives beizutragen hatte, der vor sich hin schwieg und sich alle Mühe gab, aus der Wäsche zu gucken wie ein wachsamer Maulwurf, so wie er es vermutlich aus den drittklassigen, amerikanischen Filmproduktionen kannte, in denen der anständige Soldat den ganzen Dreck um sich herum nicht mehr aushält und endlich aufräumt. - Möchte ich auch. Einfach mal aufräumen mit allem. Den ganzen Dreck wegpusten. Geht aber nicht. Das schafft kein Laubbläser der Welt und auch keine Pumpgun.

Ich schlafe schlecht in letzter Zeit. Schrecke aus Alpträumen hoch. Entweder klopft der Tod an die Tür und ich versuche erfolglos, mich zu verstecken oder unappetitliche Männer drängen mir körperliche Nähe auf, ignorieren mein sichtliches Unbehagen und manipulieren mich dahingehend, dass ich nicht in der Lage bin, sie zurückzuweisen, ich spiele mit, fühle mich schlecht und denke, ich bin ja selbst schuld. Sie stehen mir alle im Weg: der Tod, der meine Pläne durchkreuzt, genauso wie die unappetitlichen Männer.

Jetzt komme ich an meinem Arbeitsplatz an. Gepriesen sei der Shutdown. Ein stilles, leeres Gemeindehaus voller besänftigender Yin-Energien. Ich mache die Tür hinter mir zu. Kein Mucks, kein Lüftchen, keine Tür, keine Schritte.Fabelhaft.

Nach einer Stunde im Büro herrscht plötzlich Unruhe. Es sind die Engagierten von der wunderbaren Brotvermehrung. Lauter hilflose Helfer, die ein bisschen die Welt retten, indem sie übrig gebliebene Lebensmittel an Bedürftige verteilen. Die opfern alles: Ihre kostbare, ereignislose Lebenszeit genauso wie das Wohl der eigenen Kinder. Täglich wird das Grundschulkind mitgenommen, gern bis 22.00 Uhr, weil man es ja nicht allein zu Hause lassen kann. Das Engagement denen zu überlassen, die kein Kind zu betreuen haben, ist natürlich keine Option, da säße man ja zu Hause fest und müsste sich mit der Brut beschäftigen. Mit der Begründung, das Kind könne man schließlich nicht allein lassen, wird es auch mit Gehirnerschütterung zum Einsatz mitgeschleppt. Es läuft ja an Mamas Hand, da stürzt es schon nicht, wenn ihm schwindelig wird. Solange es nicht erbricht, ist alles gut, wenn doch, muss es halt ins Krankenhaus. Wie praktisch, dann hat die Mama endlich mal ihre Ruhe.

Die geschäftigen Pseudo-Altruisten machen Lärm und stören meine Konzentration. Ich packe meine Tasche fürs Homeoffice. Dann schnappe ich mir den Korb mit dem Gemüse, den ich nicht im sonnenbeschienenen Auto stehen lassen wollte. Kurz vor dem Ausgang reißt der Henkel. Paprika, Tomaten, Fenchel, Zucchini und Rübchen kullern in alle Richtungen. Die hilflosen Helfer stürzen eifrig herbei, als hätte ich einen Wettstreit ausgerufen: Wer legt die meisten Gemüsestücke in meinen Korb? Sie grapschen meine Tomaten an, keuchen auf meine Paprikaschoten, kommen ganz nah an mich ran, um mich mit ihrem Todeshauch anzublasen, denn wenn es demnächst einen Hotspot gibt, dann hier, wo die Gefahren ignorierenden, gedankenlosen Altruisten vor lauter grenzenloser Sehnsucht nach Anerkennung und Wertschätzung Aerosolwolken austauschen wie Promiskuitive Körperflüssigkeiten. Und dann nehme ich die Kokosnuss, die ich noch selbst zu fassen bekommen habe und ziehe sie der schludrigen Lebensmittelfee über die Rübe. Zwei Mal, drei Mal, irgendwann höre ich auf zu zählen, höre mich nur Verwünschungen ausstoßen und schreie: Abstand halten! Abstand halten! Hört auf mir auf die Pelle zu rücken und mir überall im Weg rum zu stehen.

Ich schreie noch immer, als ich irgendwann merke, dass niemand mehr da ist. Nur noch Wände und eine verschlossene Tür. Von nun an stehe ich mir selbst im Weg. Dumm gelaufen.

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