Freitag, 28. Juni 2019
Was für ein Vertrauen – Kurzkrimi in vier Teilen – 1. Teil
Sie sah die Menschenmassen immer noch vor sich: sportlich beschuhte Füße, mit bedruckten, grünen Baumwollschals dekorierte Rucksäcke, drahtig alternde Frauen mit energischer Studienrätinnenmiene, kauzige Frührentner, die optisch unverkennbar ihrer Pfadfinder-Jugendzeit nachtrauerten, lebenshungrige Jugendliche und ebenso hungrige alte Menschen. Sie hatte noch das Gemurmel im Ohr, die Gesprächsfetzen: „Bei der nächsten müssen wir aussteigen.“ , „Ich hab' schon elf Perlen, mir fehlt nur noch die Bierperle.“, „Da will ich morgen auch hin, aber die Halle ist sicher schon eine Stunde vorher überfüllt.“

Jetzt sollte die Müdigkeit ihren Job machen, auch wenn die Füße schmerzten und irgendjemand ein paar Isomatten weiter leise schnarchte. Aber sie spürte, dass das dritte alkoholfreie Weizenbier, das sie zum Absacken im Nachtcafé getrunken hatte, seinen Tribut forderte.
Schon wieder über die endlosen Flure huschen, um sich erneut Erleichterung zu verschaffen? Vielleicht ging es ja bis zum Wecken. Waren ja nur noch ein paar Stunden. Sie versuchte, den unangenehmen Blasendruck zu verdrängen. Es ging nicht. Stöhnend schälte sie sich aus dem Schlafsack, schlüpfte in die Sandalen und machte sich auf den Weg.

Die Notbeleuchtung und die warmen Erdtöne der Fußbodenfliesen ließen sie fast vergessen, dass sie in einem Schulgebäude unterwegs war. Wie viel anders die Atmosphäre wohl an einem gewöhnlichen Vormittag war, wenn lärmende Schülerinnen und Schüler hier vor und nach dem Unterricht umher wuselten. Jetzt war es dämmrig, still und die warme Luft stand zwischen den Wänden wie Gallert.

Grell war dagegen das Licht im Toilettenraum, hier war die Stille weniger einschläfernd, wenn auch genauso wohltuend. Das war ja das Schöne am Kirchentag, dass man sich überall sicher und geborgen fühlte, selbst in der größten und wildesten Großstadt.
Das schützte sie allerdings nicht vor der obligatorischen Reiseobstipation. Ihr Bauch war so kugelrund wie in der 22. Schwangerschaftswoche, und obwohl sie den ganzen Tag fast nur Berge von Obst und Gemüse veschlang, behielt sie alles bei sich und fühlte sich wie ein zu fest aufgeblasener Mediziball, rund und schwer und kurz vorm Platzen. Sie würde die gegenwärtige Einsamkeit nutzen, um durch entspanntes und beharrliches Sitzen dem Stuhlgang eine Chance zu geben. Unter den gegebenen Umständen hatte sie keine Hemmungen, der Natur ihren Lauf zu lassen.
Etwas regte sich in der Kabine neben ihr. Erst ein Rascheln, dann ein Röcheln. War da nebenan jemand auf dem Klo eingeschlafen? Oder gar kollabiert? War ja nicht unwahrscheinlich bei all den ihre Erschöpfungsgrenzen ständig überschreitenden Alten.
„Hallo?“, fragte sie ängstlich. „Brauchen Sie Hilfe?“
Es war weiterhin nicht mehr als ein Röcheln zu hören. Sie riss eilig die Hose hoch, spülte instinktiv und trat vor die Tür der Nachbarkabine. Sie war nicht verschlossen. Fatalerweise ging die Toilettentür nach innen auf und die röchelnde Person schien am Boden zu liegen. Immer wieder drückte sie kraftvoll gegen die Tür, es war eine gewaltige, träge Masse, gegen die sie ankämpfte und ihre Kräfte waren begrenzt. Immer wieder schob sie, um die Lücke zwischen Tür und Rahmen auf ein Maß zu drücken, das es ihr erlaubte, sich hindurchzuzwängen und nach der offenbar hilflosen Person zu sehen. Der Schweiß lief ihr längst in Strömen den Rücken herunter und ihr Kopf fühlte sich fiebrig heiß an, als sie es endlich schaffte, in die Kabine zu gelangen.

Eine blutüberströmte Frau im reifen Alter lag da gekrümmt am Boden. Sie hatte eine klaffende Wunde am Hals, ihre Kleidung hatte sich vollgesaugt und trotzdem lag sie in einer hellroten Pfütze. Noch lebte sie, aber ein sehr blasses Dreieck um Kinn, Mund und Nase gab zu erkennen, dass es jeden Augenblick vorbei sein würde...

FORTSETZUNG FOLGT.

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Freitag, 14. Juni 2019
Teufels Werk und Gottes Auftrag – ein Peter Margo Dreiteiler – Teil 3
Ich trieb mich den gesamten Vormittag im Baumarkt herum. Lauter wortkarge Brummelbärte waren da unterwegs – misanthropisch oder arrogant oder argwöhnisch oder alles auf einmal. Doch dann tauchte Malte auf. Malte sah gut aus: schlanke Silhouette, definierte Muskeln, kräftiges, volles Haar, klassisch kurz geschnitten, glatt rasiertes Gesicht, himmelblaues Polo-Shirt, Markenjeans, Turnschuhe und er trug dazu ein Gesicht, in dem Bescheidwissermiene, Aggressionsbereitschaft, Selbstgefälligkeit, Anständigkeit und Sehnsucht nach Anerkennung und Bestätigung um die Vorherrschaft rangen. Ein bizarres Muskelspiel, dessen er sich offensichtlich nicht bewusst war.

„Suchen Sie auch einen kompetenten Berater, der ausnahmsweise der deutschen Sprache mächtig ist?“, fragte ich ihn unter Vorspiegelung echter Männersolidarität.
„Ja, die sterben aus.“, antwortete er. „Im Baumarkt können die Schwarzköpfe ihre Brut noch unterbringen, hier muss man ja nicht wirklich was können. Nur so tun als ob.“
Volltreffer. Punktlandung. Ich war meinem Ziel wieder einen Schritt näher gekommen.
„Man fragt sich echt, was passiert ist.“, sagte ich. „Früher wurde man doch noch überall anständig beraten. Warum schaffen die das nicht mehr?“
„Weil die gut ausgebildeten Leute da hin gehen, wo sie richtig Geld verdienen. Gibt schon lange nicht mehr genug deutsche Azubis und darum auch kaum noch entsprechende Fachkräfte.“
„Mittlerweile“, wandte ich ein, „kann ich mich gar nicht mehr erinnern, wann die Welt für mich das letzte Mal noch vollkommen in Ordnung war.“
„Ich schon.“, antwortete Malte und tappte prompt in die von mir gestellte Falle.
„Als man noch aus dem Haus gehen konnte, ohne die Tür abzuschließen. Als beim Schützenfest die Schwarzhaarigen noch blaue Augen hatten und als der Eurovision Song Contest noch Grand Prix hieß, wo nur richtige Europäer mitmischten und richtige Lieder sangen und nicht so einen Techno-Porno-Müll wie heute. Als Frauen mit Kopftüchern noch Omas mit Lockenwicklern waren und anständige Leute noch einen Job kriegten, von dem sie leben konnten, auch wenn sie vielleicht nicht die Hellsten waren. Als die Kinder in der Grundschule noch alle Deutsch sprachen und die Mädels noch Mini-Röcke tragen konnten, ohne gleich die Hand von irgendeinem Abdullah im Schritt zu haben.“

Ich musste mir auf die Zunge beißen, um nicht reflexartig zu erwidern, dass man schon in den Siebzigern – und vorher natürlich auch – seine Haustür abschließen musste, um nicht beklaut zu werden, dass es auch unter Mitteleuropäern viele Schwarzhaarige mit braunen Augen gab und die Augenfarbe nichts über die menschlichen Qualitäten preisgab, dass Israel schon immer beim Grand Prix mitgewirkt hatte und die Musik eher im Barbie-sexy-Schlagermillieu anzusiedeln war, dass es vollkommen irrelevant war, welche Frau sich warum ein Stück Stoff um den Kopf bindet, dass die passabel bezahlten Hilfsarbeiter-Jobs der fortschreitenden Automatisierung zum Opfer gefallen waren, die kein einziger Einwanderer zu verantworten hatte, dass es früher die Landbevölkerung war, die in der Schule erst einmal Deutsch lernen musste und dass das sprachliche Unvermögen in den prekären Ghettos wohl mit der wirtschaftlichen Verelendung zusammenhänge und dass die Mädels in den Siebzigern erheblich mehr Hände im Schritt hatten und nicht nur Hände und nicht nur, wenn sie einen Minirock trugen und dass es ihnen wohl herzliche egal war, ob der Kotzbrocken dann Abdullah, Giuseppe, Horst-Günther oder Malte hieß, aber damit hätte ich das Gespräch sofort beendet. Stattdessen fragte ich: „Womit hat das bloß angefangen, dass alles so den Bach runter ging?“
„Vielleicht schon mit den Gastarbeitern.“, überlegte Malte. „Wir hätten unsere Probleme allein lösen müssen. Hätten wir keine Einwanderer gehabt, wären wir auch für Flüchtlinge nicht interessant gewesen. Erst kamen die Italiener, die Spanier und die Türken, dann die Hippies und als nächstes die Grünen mit ihren ganzen Pestideen, dann Kohl mit seinen leeren Versprechungen von blühenden Landschaften, dann Schröder mit seinem verdammten Hartz 4 und schließlich Merkel mit ihrem Wir-schaffen-das. Alle reden viel und machen Versprechungen, aber keiner tut was. Und wenn sie sich mal bewegen, dann in die falsche Richtung.“
Nun war ich auch nicht schlauer als vorher. Ich wusste noch immer nicht, was den Schalter in seinem Kopf umgelegt hatte, außer vielleicht die großen Fluchtbewegungen, die ja sogar bei denjenigen Ängste ausgelöst hatten, die entschlossen waren, die in Bedrängnis Geratenen aufzunehmen und zu unterstützen. Hier kam das Tier im Menschen durch, der Kampf ums Revier, die Ressourcen und sogar darum, wer die Weibchen begatten durfte.

Ich verabschiedete mich von Malte, dem Heimat-Idylliker und schlenderte zum Bus, um mich auf den Weg in mein Büro zu machen. Ich würde Gott mit dem Systemfehler im menschlichen Bauplan konfrontieren, sollte er doch für ein Update sorgen.
Doch ich kam gar nicht bis zu meinem Büro, als ich von der Bushaltestelle aus durch den Stadtwald lief, saß er da auf einer Parkbank und klopfte auf den freien Platz zu seiner Rechten.
„Setzen Sie sich zu mir. Ich spüre, dass Sie Neuigkeiten haben und hier im Grünen plaudert es sich angenehmer als in Ihrem begehbaren Nikotinpflaster.“
Mein Büro hatte in der Tat mal wieder einen frischen Anstrich nötig und hier draußen konnte ich ja auch rauchen, ohne dass meine Kundschaft sich belästigt fühlte.

Ich setzte mich und kam direkt zur Sache: „Der Auslöser für die verbreitete Panik ist meines Erachtens der eklatante Anstieg der Zahl flüchtender Menschen, der ja 2015 besonders dramatische Züge annahm. Es gibt da so einen Webfehler in der menschlichen Seele, dessen Sie sich einmal annehmen müssten.“
„Was für ein Webfehler?“, fragte Gott und hörte interessiert zu.
„Na, so eine anfällige Konstruktion, als hätten Sie ein wenig gepfuscht wie die Ingenieure bei VW und jetzt müssen alle Exemplare nachgerüstet werden, weil sie zu viele Schadstoffe ausstoßen.“
„Wie soll ich denn diese Metapher verstehen?“
„Sobald wir Menschen uns auch nur vorstellen, wir könnten in unserer Existenz bedroht sein, weil jemand versucht, uns unser Revier streitig zu machen oder sich an den Ressourcen zu bedienen, die wir für uns in Anspruch nehmen, kommt das Tier in uns zum Vorschein, mit dem klaren Denken ist es vorbei, wir gleiten in den Kampfmodus.“
„Ja, das musste ich so machen“, erwiderte Gott, „wegen des ökologischen Gleichgewichts. Man will ja nicht vier-und-zwanzig Stunden am Tag Wildkräuter zupfen, der Garten Erde soll von allein im Lot bleiben.“
„Das ist er aber schon ganz lange nicht mehr. Ich glaube, Sie müssen etwas tun, sonst geht alles kaputt.“
„Ich denke, ich überlasse das den Menschen.“, entgegnete Gott.
„Aber Sie sehen doch, dass wir es nicht hinbekommen!“, protestierte ich. „Wir bringen uns gegenseitig um, sorgen dafür, dass die Erde sich aufheizt, vergiften das Wasser, verwandeln blühende Landschaften in Wüsten, lassen tausende von Arten sterben, verpesten die Luft und verbrauchen heute schon die Reserven von übermorgen. Sie müssen endlich eingreifen!“
„Einen Teufel werde ich tun.“, sagte Gott. „Dann lernt Ihr ja nichts aus Euren Fehlern.“
„Das haben wir noch nie getan.“, entgegnete ich.
„Doch, das habt ihr. Nicht alle, aber immer einige von euch. Wie sonst erklären Sie sich, dass die Menschheit auf mittlerweile mehr als sieben Milliarden angewachsen ist? Dass sie das Wettrüsten beendet und das Waldsterben gestoppt haben? Dass sie in einer Demokratie leben statt in einer Monarchie? Dass ihre Leute Wale retten, verschmutzte Flüsse wieder sauber kriegen, Kranke und Verletzte heilen? Dass die Schwachen getragen werden und überall Menschen bereit sind, mit anderen zu teilen? Der Mensch ist gut, er hat nur noch einen langen Weg vor sich. Jetzt, wo ich den Grund für das Abdriften der Europäer kenne, wird mir schon etwas einfallen, womit ich die vielen verirrten Nachtschwärmer zurückhole ins Licht. Ich danke Ihnen für Ihre Mühe – behalten Sie den Vorschuss und nutzen Sie ihn in meinem Sinne.“

Ich wollte noch etwas erwidern, aber da hatte die Gestalt sich schon aufgelöst. Und ich fragte mich, ob er oder es wirklich der war, der er sein würde, Jahwe, Elohim, El Schaddai, HaShem, der Schöpfer, der uns alle in der Hand hatte. Ich wusste es nicht, mir war nur etwas leichter ums Herz geworden, wegen einer leisen Hoffnung, die sich in mir regte – und wegen des vollen Geldbeutels, der mich entspannt in die nahe Zukunft blicken ließ.

ENDE

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Teufels Werk und Gottes Auftrag – ein Peter Margo Dreiteiler – Teil 2
In Harrys Bar saßen die gewohnten Gestalten, doch statt wie üblich mit ein bis zwei Islay-Scotch mein sirrendes Gehirn zu betäuben, bestellte ich mir einen erfrischenden Mojito und zwar einen alkoholfreien.
„Steigst du jetzt auf Kinder-Cocktails um?“, fragte Harry mit einem schiefen Grinsen.
„Ich brauche heute Abend einen klaren Kopf“, rechtfertigte ich mich, „und außerdem tut die eine oder andere Scotch-Pause meiner Leber auch ganz gut.“

An der Theke saß Struppi, der eigentlich Thorsten hieß, aber das hatten die meisten seiner Bekannten längst vergessen. Er blickte trübe in sein Bierglas und nahm hin und wieder einen Schluck.
„Und?“, fragte ich. „Wo hast du bei den letzten Wahlen dein Kreuz gemacht?“
„Hier, auf dem Deckel.“, antwortete er, ohne mich anzusehen.
„Du gehst nicht hin?“
„Nicht mehr.“
„Warum nicht?“
„Weil das Kapital regiert und die Politiker nur als Marionetten benutzt. Das will ich nicht auch noch mit meiner Stimme legitimieren.“
„Und was tust du stattdessen?“
„Trinken.“
„Verstehe.“

Struppi war fertig mit dieser Welt und es gab auch keine andere, mit der er hätte neu anfangen können. War auch ein blöder Ansatz, die Leute zu fragen, was sie gewählt hatten, darum ging es ja nicht. Gut, mich interessierten vorzugsweise die Ängste derer, die dem rechten Lager zusprachen, aber ob gerade die mir bereitwillig Auskunft gaben? Und ob die sich überhaupt in Harrys Bar verliefen?

„Was sind das eigentlich für Leute, die plötzlich die Rechtspopulisten wählen, als hätten sie all die Jahre auf diese Gelegenheit gewartet?“, murmelte ich vor mich hin.
„Und da fragst du mich, wo ich mein Kreuzchen gemacht habe?!“
Struppí sah mich wütend an. „Traust du mir so etwas entsetzlich Dummes zu? Meinst du, ich hab' mir die Birne jetzt komplett weggeballert?“
„Nein, natürlich nicht.“, entschuldigte ich mich. „Ich hab' nicht richtig nachgedacht.“
„Eben.“, schnaubte Struppi. „Sind doch diese akkuraten Vollblut-Rollrasen-Verleger mit den gestärkten Hemdkragen und den getrimmten Vollbärten, die immer allen erklären müssen, wie man es richtig macht. Die die Schnauze voll davon haben, dass nie jemand auf sie hört, obwohl sie doch längst für alles die Lösung haben. Und dann kommt ein blonder Björnd und verspricht feierlich, dass sie endlich ernstgenommen werden.“
„Und was ist mit dem abgehängten Präkariat?“, fragte ich.
„Die sind harmlos.“, erwiderte Struppi. „Nix im Kopf und nix im Ärmel. Die gehen beim nächsten Mal nicht hin oder wählen die Tierschutzpartei.“

Bei der Aussicht auf Recherchen im mittelständischen Bildungsverweigerungsmillieu brauchte ich doch noch einen Scotch als Absacker. Scheiß auf Hochsommer, scheiß auf Leberwerte, dachte ich. Anders halte ich das nicht aus.
Ich schlief schlecht in dieser Nacht, träumte wirres Zeug von zitternden Scheitelglatzen, die in randvollen Hosen mit dem Barttrimmer ihren Rollrasen gegen das Gesindel verteidigten. Das Gesindel waren Struppi und ich und Samir aus der schäbigen Dönerbude mit der ausgeblichenen Bosporus-Fototapete.
Ein fieses Bohren und Stechen im Oberbauch schrie nach Haferschleim und Kamillentee, aber für so etwas hatte ich keine Zeit. Ein starker Kaffee und eine einer jungfräulichen Packung entnommene Zigarette mussten vorerst reichen.
„Scheiß Auftraggeber!“, fluchte ich vor mich hin.
„Nanana.“, hörte ich eine blass klingende Stimme. „Diese Beschimpfung ist aber definitiv nicht gegendert.“
„Oh Gott!“, rief ich. „Wo soll ich denn nach diesen Rasierwasser-marinierten Vertikutierer-Fetischisten suchen?“
„Im Baumarkt.“, schlug Gott vor und materialisierte sich allmählich im Türrahmen.
„Und dann?“, fragte ich. „Frage ich, ob er irgendwelchen Rechtspopulisten seine Stimme geben würde und wenn ja, woher seine Übervorteilungsängste kommen?“
„Darauf muss ich nicht wirklich antworten, oder?“, fragte Gott.
„Nein, ich weiß selbst, dass das nicht funktioniert. Besser ich stelle eine unauffällige Fangfrage, um herauszufinden, ob jemand zur Zielgruppe gehört und dann muss ich das Gespräch irgendwie dahin lenken, die Person zu fragen, wann sie zum letzten Mal in ihrem Leben das Gefühl hatte, dass die Welt für sie in Ordnung ist.“
„Und dann?“, fragte Gott.
„Dann kann ich aus dem verlorenen Idyll, nach dem sie sich sehnt, Rückschlüsse über die Ursachen ziehen und was genau das Gefühl ausgelöst hat, die Sicherheit und Geborgenheit verloren zu haben.“
Ich wartete auf Antwort, aber Gottes Gestalt hatte sich bereits wieder aufgelöst. War das alle echt oder litt ich an Wahnvorstellungen? Ich lief ins Bad und zog meine Brieftasche aus der Brusttasche des gestrigen Oberhemdes. Der üppige Vorschuss ließ sie prall und deformiert erscheinen. Wahnvorstellungen zahlten keine Vorschüsse.

Fortsetzung folgt.

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Freitag, 7. Juni 2019
Teufels Werk und Gottes Auftrag – ein Peter Margo-Dreiteiler – Teil 1
Es war einer dieser Abende, an denen mich nur noch eines retten konnte: der beste Whisky der Stadt. Aber es war ein heißer Sommertag gewesen und der Abend schrie eher nach Bier oder Gin-Tonic, und einen Besuch in Harrys Bar konnte ich mir eigentlich gar nicht leisten, die Aufträge ließen auf sich warten und es war Ebbe in meiner Kasse. Wenn es so weiterging, müsste ich mich in die gierigen Blutsaugerhände einer Sklavenhalterfirma begeben, um wenigestens vorübergehend auf diese Weise mein Überleben zu sichern. Niemand wollte seinen Ehepartner beschatten lassen oder seine Angestellten ausspionieren. Es war zum Verzweifeln.
Doch wie sagte meine selige Großmutter so schön? Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr...ich erspare Ihnen den Rest, der Spruch ist zum Kotzen abgedroschen, aber tatsächlich klopfte es an der Tür und eine Gestalt trat ein, unscheinbar, fast durchscheinend und fragte mit sehr leiser, aber deutlich vernehmbarer Stimme: „Guten Abend Herr Margo, hätten Sie noch einen Augenblick Zeit für mich?“
„Aber natürlich.“, erwiderte ich, „Setzen Sie sich doch.“

Ein seltsames, androgynes Wesen nahm da vor meinem Schreibtisch Platz, sodass ich gar nicht wusste, wie ich es anreden sollte.
„Würden Sie mir auch Ihren Namen nennen?“, fragte ich so freundlich wie ich eben konnte.
„Wozu?“, erwiderte das Wesen. „Namen sind Schall und Rauch. Man hat mir schon so viele davon gegeben. Nennen Sie mich einfach wie Sie wollen.“
„Nein, so geht das nicht.“, korrigierte ich das Wesen. „Ich brauche schon Ihren richtigen Namen für meine Unterlagen. Also den, der in Ihrem Ausweis steht.“
„Mit so profanen Dingen belaste ich mich nicht.“, antwortete das Wesen. „Nennen Sie mich einfach Gott, so wie die meisten Leute in diesen Breitengraden.“

Oh, bitte nicht schon wieder ein Irrer. Was für einen Auftrag er wohl für mich haben mochte? Seinen verschwundenen Sohn suchen, der sich auf dem Weg in den Himmel einfach in Luft aufgelöst hatte? Oder sollte ich die Zwischenhändler finden, die Satan die verschollenen Seelen zuschanzten? Aber egal, die Hauptsache war doch, dass ich angemessen bezahlt wurde, also zwang ich mich, echtes Interesse vorzugeben.

„Was kann ich denn nun für Sie tun, Herr Gott?“, fragte ich.
„Vemeiden Sie bitte die Geschlechtszuweisung, das ist ja sowas von letztes Jahrhundert. Einfach nur Gott.“
„Na gut, einfach nur Gott, worum geht es?“
„Sie müssen etwas für mich herausfinden.“
„Das ist mein Beruf. Was genau soll ich denn herausfinden?“
„Woher plötzlich diese Angst überall in Europa kommt. Eigentlich sollte ich das selbst wissen, aber ich habe mir eine kleine Auszeit gegönnt und jetzt bin ich doch ziemlich überrascht von der allgemeinen Entwicklung.“
„Auszeit?“
„Ja, ich habe zu lange geschlafen.“
„Aber es heißt doch, Gott schläft nie.“
„Die Menschen haben sich schon immer gern alles schön geredet. Dabei können sie doch schon im ersten Buch der Bibel lesen, dass ich mich am siebten Tag der Schöpfung von meinen Werken ausgeruht habe. Was die vermeintlich Allwissenden mir schon alles für Eigenschaften angedichtet haben, ist unfassbar. Aber könnten wir jetzt bitte über mein Problem reden?“
„Welches Problem?“
„Die Angst in Europa. Als ich mich schlafen legte, war noch alles ganz normal, ein paar Linke, ein paar Rechte, haufenweise Desinteressierte und ein kontinuierliches Tauziehen um die Macht, aber irgendwie war die Gesellschaft im Gleichgewicht. Im Grunde wussten alle, wie gut sie es hatten und blickten voll Zuversicht in die Zukunft. Da hab' mich mir eben eine kleine Pause gegönnt. Und jetzt bin ich aufgewacht und der ganze Kontinent rutscht immer weiter nach rechts, weil sie alle die Hosen voll haben und nicht einmal wirklich wissen warum.“
„Hören Sie mal“, erwiderte ich. „Wenn Sie wirklich Gott sind, dann machen Sie sich Gedanken über ein etwas aus dem Lot geratenes Europa? Gibt es da nicht größere Baustellen auf der Welt, wo schon länger nichts mehr im Lot ist? Oder sind Sie eine multiple Pesönlichkeit und die anderen schlafen noch?“
„Auf den anderen Kontinenten habe ich auch meine Leute.“, erklärte Gott. „Mit Ihnen möchte ich mich nur über Europa unterhalten.“
„Aber warum kommen Sie damit zu mir, einem Privatdetektiv? Wenn Sie wissen wollen, woher die Ängste der Menschen kommen, müssen Sie sich mit Historikern oder Psychologen auseinandersetzen. Wie soll ich herausbekommen, woher diese Ängste kommen?“
„Weil Sie diese Ängste auch hatten und sie besiegt haben.“
„So ein Quatsch. Was wissen Sie denn über mich?“
„Alles.“
„Klar, Sie sind ja Gott. Aber warum wissen Sie dann nicht auch über alle anderen Bescheid?“
„Weiß ich ja. Mir fehlen nur ein paar Jahre. Genaugenommen weiß ich also auch nicht alles über Sie. Möglicherweise sind Ihre Ängste zurückgekehrt und ich rede mit dem falschen Mann.“
„Von welchen Ängsten sprechen Sie überhaupt?“
„Von der Angst ausgegrenzt und übervorteilt zu werden. Erinnern Sie sich, wenn auf den großen Kindergeburtstagen die Süßigkeiten verteilt wurden und Sie immer nur die schäbigen Reste bekammen, weil alle anderen dreister und schneller waren und Sie vor lauter Höflichkeit nicht aus Ihrer Haut konnten?“
„Das ist doch eine Ewigkeit her.“
„Ich rede auch von der Angst vor Schmerz durch körperliche Gewalt. Oder haben Sie ihre zitternden Knie vergessen, wenn ihr Vater mit dem Gürtel kam?“
„Mein Vater guckt sich längst die Radieschen von unten an. Der kann mir nichts mehr.“
„Ich rede auch von der Angst, keinen Platz im Leben zu finden, Angst vor zu großer Konkurrenz.“
„Das ist ja auch gesellschaftliche Realität.“
„Aber Sie haben keine Angst mehr davor.“
„Natürlich nicht. Ich habe meinen Platz ja auch gefunden.“
„Und Angst vor Fremden hatten Sie früher auch.“
„Das ist doch natürlich. Das haben Menschen so an sich. Angst, um auf Gefahrensituationen vorbereitet zu sein, weil man Unbekanntes nicht einschätzen kann und Neugier, weil im Unbekannten auch immer eine Chance liegt.“
„Bei Ihnen hat die Neugier gesiegt.“
„Ja, das stimmt.“
„Aber warum hat bei den Anderen die Angst gesiegt? Sie fürchten sich vor Flüchtenden, vor Wölfen, vor Fahrverboten, vor Steuern, aber das, was sie wirklich alle bedroht, nämlich der Klimawandel, der Überwachungsstaat und das wirtschaftliche Chaos, das leugnen sie hartnäckig, wie kleine Kinder, die sich die Augen zuhalten, damit das Monster sie nicht sieht.“
„Ja, vielleicht ist das das Geheimnis. Die Menschen werden nicht mehr erwachsen. Sie sammeln Spielzeug, rasieren sich die Sekundärbeharung weg, verlieren ihre Bindungsfähigkeit, können nicht Maß halten und wollen immer nur Spaß. Deine Welt überfordert sie.“
„Was heißt hier meine Welt? Ich habe sie den Menschen geschenkt. Sie haben sie zu dem gemacht, was sie jetzt ist. Die Alten haben saure Trauen gegessen und die Kinder bekommen stumpfe Zähne davon.“
„Sie reden in seltsamen Metaphern.“
„Ist nicht von mir. Steht in der Bibel. Hat sich ein Mensch ausgedacht.“
„Also im Ernst, ich habe keine Ahnung, wo ich mit meinen Recherchen ansetzten soll. Ich könnte natürlich bei ein paar stadtbekannten Nazis klingeln und sie zu ihren Ängsten befragen, aber sie würden mich achtkantig rausschmeißen.“
„Nein, natürlich bringt das nichts. Die verdrängen ihre Ängste sowieso und außerdem geht es mir gar nicht um die strammen Nazis sondern um diejenigen, die einfach im Strom mitschwimmen, die kleinen Fische, die vom Weg abkommen und sich in der braunen Brühe verirrt haben.“
„Aber wissen Sie im Grunde nicht längst woher deren Ängste kommen?“
„Ja, natürlich weiß ich das. Aber mir ist nicht klar, wer oder was sie angetriggert hat und ich welcher Weise.“
„Ich könnte versuchen, etwas herauszufinden, kann Ihnen aber keine befriedigenden Ergebnisse versprechen. Können Sie mich überhaupt bezahlen?“
„Selbstverständlich. Sogar im Voraus.“
Gott schob ein Bündel Scheine über den Schreibtisch. Ich zählte nach. Das reichte für einen ganzen Monat.
„Also gut.“, sagte ich. „Abgemacht. Ich beginne jetzt gleich an dem Ort, an dem die meisten Informationen zusammenlaufen.“
„Und wo wäre das?
„Gleich um die Ecke. In Harrys Bar.“

Fortsetzung folgt

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Sonntag, 26. Mai 2019
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"Seit ich dich das letzte Mal angefasst habe, ist dein Arsch viel kräftiger geworden."
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