Freitag, 7. Juni 2019
Teufels Werk und Gottes Auftrag – ein Peter Margo-Dreiteiler – Teil 1
Es war einer dieser Abende, an denen mich nur noch eines retten konnte: der beste Whisky der Stadt. Aber es war ein heißer Sommertag gewesen und der Abend schrie eher nach Bier oder Gin-Tonic, und einen Besuch in Harrys Bar konnte ich mir eigentlich gar nicht leisten, die Aufträge ließen auf sich warten und es war Ebbe in meiner Kasse. Wenn es so weiterging, müsste ich mich in die gierigen Blutsaugerhände einer Sklavenhalterfirma begeben, um wenigestens vorübergehend auf diese Weise mein Überleben zu sichern. Niemand wollte seinen Ehepartner beschatten lassen oder seine Angestellten ausspionieren. Es war zum Verzweifeln.
Doch wie sagte meine selige Großmutter so schön? Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr...ich erspare Ihnen den Rest, der Spruch ist zum Kotzen abgedroschen, aber tatsächlich klopfte es an der Tür und eine Gestalt trat ein, unscheinbar, fast durchscheinend und fragte mit sehr leiser, aber deutlich vernehmbarer Stimme: „Guten Abend Herr Margo, hätten Sie noch einen Augenblick Zeit für mich?“
„Aber natürlich.“, erwiderte ich, „Setzen Sie sich doch.“

Ein seltsames, androgynes Wesen nahm da vor meinem Schreibtisch Platz, sodass ich gar nicht wusste, wie ich es anreden sollte.
„Würden Sie mir auch Ihren Namen nennen?“, fragte ich so freundlich wie ich eben konnte.
„Wozu?“, erwiderte das Wesen. „Namen sind Schall und Rauch. Man hat mir schon so viele davon gegeben. Nennen Sie mich einfach wie Sie wollen.“
„Nein, so geht das nicht.“, korrigierte ich das Wesen. „Ich brauche schon Ihren richtigen Namen für meine Unterlagen. Also den, der in Ihrem Ausweis steht.“
„Mit so profanen Dingen belaste ich mich nicht.“, antwortete das Wesen. „Nennen Sie mich einfach Gott, so wie die meisten Leute in diesen Breitengraden.“

Oh, bitte nicht schon wieder ein Irrer. Was für einen Auftrag er wohl für mich haben mochte? Seinen verschwundenen Sohn suchen, der sich auf dem Weg in den Himmel einfach in Luft aufgelöst hatte? Oder sollte ich die Zwischenhändler finden, die Satan die verschollenen Seelen zuschanzten? Aber egal, die Hauptsache war doch, dass ich angemessen bezahlt wurde, also zwang ich mich, echtes Interesse vorzugeben.

„Was kann ich denn nun für Sie tun, Herr Gott?“, fragte ich.
„Vemeiden Sie bitte die Geschlechtszuweisung, das ist ja sowas von letztes Jahrhundert. Einfach nur Gott.“
„Na gut, einfach nur Gott, worum geht es?“
„Sie müssen etwas für mich herausfinden.“
„Das ist mein Beruf. Was genau soll ich denn herausfinden?“
„Woher plötzlich diese Angst überall in Europa kommt. Eigentlich sollte ich das selbst wissen, aber ich habe mir eine kleine Auszeit gegönnt und jetzt bin ich doch ziemlich überrascht von der allgemeinen Entwicklung.“
„Auszeit?“
„Ja, ich habe zu lange geschlafen.“
„Aber es heißt doch, Gott schläft nie.“
„Die Menschen haben sich schon immer gern alles schön geredet. Dabei können sie doch schon im ersten Buch der Bibel lesen, dass ich mich am siebten Tag der Schöpfung von meinen Werken ausgeruht habe. Was die vermeintlich Allwissenden mir schon alles für Eigenschaften angedichtet haben, ist unfassbar. Aber könnten wir jetzt bitte über mein Problem reden?“
„Welches Problem?“
„Die Angst in Europa. Als ich mich schlafen legte, war noch alles ganz normal, ein paar Linke, ein paar Rechte, haufenweise Desinteressierte und ein kontinuierliches Tauziehen um die Macht, aber irgendwie war die Gesellschaft im Gleichgewicht. Im Grunde wussten alle, wie gut sie es hatten und blickten voll Zuversicht in die Zukunft. Da hab' mich mir eben eine kleine Pause gegönnt. Und jetzt bin ich aufgewacht und der ganze Kontinent rutscht immer weiter nach rechts, weil sie alle die Hosen voll haben und nicht einmal wirklich wissen warum.“
„Hören Sie mal“, erwiderte ich. „Wenn Sie wirklich Gott sind, dann machen Sie sich Gedanken über ein etwas aus dem Lot geratenes Europa? Gibt es da nicht größere Baustellen auf der Welt, wo schon länger nichts mehr im Lot ist? Oder sind Sie eine multiple Pesönlichkeit und die anderen schlafen noch?“
„Auf den anderen Kontinenten habe ich auch meine Leute.“, erklärte Gott. „Mit Ihnen möchte ich mich nur über Europa unterhalten.“
„Aber warum kommen Sie damit zu mir, einem Privatdetektiv? Wenn Sie wissen wollen, woher die Ängste der Menschen kommen, müssen Sie sich mit Historikern oder Psychologen auseinandersetzen. Wie soll ich herausbekommen, woher diese Ängste kommen?“
„Weil Sie diese Ängste auch hatten und sie besiegt haben.“
„So ein Quatsch. Was wissen Sie denn über mich?“
„Alles.“
„Klar, Sie sind ja Gott. Aber warum wissen Sie dann nicht auch über alle anderen Bescheid?“
„Weiß ich ja. Mir fehlen nur ein paar Jahre. Genaugenommen weiß ich also auch nicht alles über Sie. Möglicherweise sind Ihre Ängste zurückgekehrt und ich rede mit dem falschen Mann.“
„Von welchen Ängsten sprechen Sie überhaupt?“
„Von der Angst ausgegrenzt und übervorteilt zu werden. Erinnern Sie sich, wenn auf den großen Kindergeburtstagen die Süßigkeiten verteilt wurden und Sie immer nur die schäbigen Reste bekammen, weil alle anderen dreister und schneller waren und Sie vor lauter Höflichkeit nicht aus Ihrer Haut konnten?“
„Das ist doch eine Ewigkeit her.“
„Ich rede auch von der Angst vor Schmerz durch körperliche Gewalt. Oder haben Sie ihre zitternden Knie vergessen, wenn ihr Vater mit dem Gürtel kam?“
„Mein Vater guckt sich längst die Radieschen von unten an. Der kann mir nichts mehr.“
„Ich rede auch von der Angst, keinen Platz im Leben zu finden, Angst vor zu großer Konkurrenz.“
„Das ist ja auch gesellschaftliche Realität.“
„Aber Sie haben keine Angst mehr davor.“
„Natürlich nicht. Ich habe meinen Platz ja auch gefunden.“
„Und Angst vor Fremden hatten Sie früher auch.“
„Das ist doch natürlich. Das haben Menschen so an sich. Angst, um auf Gefahrensituationen vorbereitet zu sein, weil man Unbekanntes nicht einschätzen kann und Neugier, weil im Unbekannten auch immer eine Chance liegt.“
„Bei Ihnen hat die Neugier gesiegt.“
„Ja, das stimmt.“
„Aber warum hat bei den Anderen die Angst gesiegt? Sie fürchten sich vor Flüchtenden, vor Wölfen, vor Fahrverboten, vor Steuern, aber das, was sie wirklich alle bedroht, nämlich der Klimawandel, der Überwachungsstaat und das wirtschaftliche Chaos, das leugnen sie hartnäckig, wie kleine Kinder, die sich die Augen zuhalten, damit das Monster sie nicht sieht.“
„Ja, vielleicht ist das das Geheimnis. Die Menschen werden nicht mehr erwachsen. Sie sammeln Spielzeug, rasieren sich die Sekundärbeharung weg, verlieren ihre Bindungsfähigkeit, können nicht Maß halten und wollen immer nur Spaß. Deine Welt überfordert sie.“
„Was heißt hier meine Welt? Ich habe sie den Menschen geschenkt. Sie haben sie zu dem gemacht, was sie jetzt ist. Die Alten haben saure Trauen gegessen und die Kinder bekommen stumpfe Zähne davon.“
„Sie reden in seltsamen Metaphern.“
„Ist nicht von mir. Steht in der Bibel. Hat sich ein Mensch ausgedacht.“
„Also im Ernst, ich habe keine Ahnung, wo ich mit meinen Recherchen ansetzten soll. Ich könnte natürlich bei ein paar stadtbekannten Nazis klingeln und sie zu ihren Ängsten befragen, aber sie würden mich achtkantig rausschmeißen.“
„Nein, natürlich bringt das nichts. Die verdrängen ihre Ängste sowieso und außerdem geht es mir gar nicht um die strammen Nazis sondern um diejenigen, die einfach im Strom mitschwimmen, die kleinen Fische, die vom Weg abkommen und sich in der braunen Brühe verirrt haben.“
„Aber wissen Sie im Grunde nicht längst woher deren Ängste kommen?“
„Ja, natürlich weiß ich das. Aber mir ist nicht klar, wer oder was sie angetriggert hat und ich welcher Weise.“
„Ich könnte versuchen, etwas herauszufinden, kann Ihnen aber keine befriedigenden Ergebnisse versprechen. Können Sie mich überhaupt bezahlen?“
„Selbstverständlich. Sogar im Voraus.“
Gott schob ein Bündel Scheine über den Schreibtisch. Ich zählte nach. Das reichte für einen ganzen Monat.
„Also gut.“, sagte ich. „Abgemacht. Ich beginne jetzt gleich an dem Ort, an dem die meisten Informationen zusammenlaufen.“
„Und wo wäre das?
„Gleich um die Ecke. In Harrys Bar.“

Fortsetzung folgt

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