Sonntag, 5. Mai 2019
Balkon mit Meerblick für den Schizophrenisten


Und? Welchen hätten Sie gern?

Die sind übrigens in Civitavecchia, etwa 50 Kilometer nördlich von Rom und in Blickrichtung befindet sich das hier:

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I Matti di Roma – die Verrückten von Rom
Endlich komplett, wenn auch mit Verspätung, wegen Erschöpfung :-)

Sie saß auf einem Hocker vor der Bar die Mezzo und häckelte Spitze. Jeden Tag – in den Arcaden an der Piazza Vittorio Emanuele. Sie war reizend zurechtgemacht, mit Hut und blitzsauber glänzenden, bunten Kleidern. Gern rief sie den Passanten etwas hinterher, wenn sie zwischendurch von ihren Häkeleien aufsah.



Drei Straßen weiter, an der Via Merulana, ging Concetta auf und ab, immer auf und ab. Vor dem Ristorante Da Nino, aber nur, wenn Gäste an den Tischen an der Straße saßen, wenn sie Publikum hatte, das ihren gewichtigen Telefonaten lauschte.
„Sì, sì, cosí ha detto la madre.“ (Jaja, so hat die Mutter gesagt.)
„Tranquillo!“ (Ruhig!)
„Domani, va bene. Facciamo cosí.“ (Morgen, ist gut, so machen wir es.)
Die wenigsten ahnten, dass das Headset keine Schallwellen übertrug, dass das Telefonat nur gespielt war, ein Versuch, ihre entsetzliche Leere und Einsamkeit zu bewältigen.

In der Via Cairoli saß saß Luca hinter seinem Schreibtisch, die schlafende Luna auf dem Schoß und rechnete alles noch einmal durch. Davon wurde es nicht besser. Die Bäder im Souterrain zu sanieren, war nicht drin, aber unumgänglich, wenn er weiterhin an tolerante Touristen vermieten wollte. So viel Schimmelentferner konnte er gar nicht sprühen, um das Problem wenigstens oberflächlich in den Griff zu bekommen. Ihm musste bald etwas einfallen.

Sie lebten dicht beieinander. Sie kannten sich nicht. Aber der Comissario Cantina würde sehr bald mit allen dreien zu tun bekommen.

Giuliana Francesca Colussi war in Trastevere aufgewachsen, nicht gerde eines der besten Viertel Roms, schon gar nicht in ihrer Jugend, als die ragazzi di vita, die männlichen Halbstarken überall herumlungerten auf der Suche nach Gelegenheiten, die das Leben den weniger Forschen unter ihnen beharrlich vorenthielt. Sie war ein vorbildliches Mädchen gewesen, una ragazza brava, die von ihrer Großmutter das Häkeln von Spitzendeckchen lernte und mit züchtig bedecktem Haupthaar täglich die Frühmesse besuchte, bis sie in das Alter kam, in dem sie mit ihren wachsenden Kurven die Aufmerksamkeit der jungen Männer erregte. Sie war nicht in der Lage die wortlosen Signale richtig einzuschätzen oder nach welchen Regeln das Spiel zwischen Jungen und Mädchen beziehungsweise zwischen Männern und Frauen ablief. Sie hatte gelernt, stets ein liebenswürdiges Geschöpf zu sein, höflich und entschlossen, niemanden vor den Kopf zu stoßen. Als sie die Erfahrung machen musste, dass es keineswegs genauso aus dem Wald schallt, wie man hineinruft, konnte und wollte sie es nicht glauben und bis heute versuchte sie, sich und der Welt zu beweisen, dass die Verletzungen ihres Lebens, nur die Ausnahme von der Regel darstellten. Sie segnete die, die sie verfluchten und breitete täglich aufs Neue die Arme aus, um diejenigen freudig zu empfangen, die sie benutzten und ihr weh taten.
Trotzdem saß sie wieder da, häkelte und lächelte mit feinen Spitzen-Handschuhen an ihren zarten Händen, scheinbar völlig ungerührt von dem, was sich nahezu neben ihr abgespielt hatte.

Das Opfer hieß Bruno Carisi, war einundsechzig Jahre alt und ein kleines Licht bei der Guardia di Finanza. Als Stammgast der Bar di Mezzo hatte er wie jeden Morgen auf die Schnelle gefrühstückt, bevor er sich mit der Metro zu seinem Arbeitsplatz aufmachte. Doch heute morgen war er nicht weit gekommen. Im Schatten einer Säule hatte ihn jemand mit einem langen, schmalen Messer niedergestochen. Die Waffe steckte noch in seinem Rücken, unterhalb des linken Schulterblatts. Es war ein Stich direkt ins Herz. Wenigstens war es sehr schnell gegangen und Commissario Cantina war ausgesprochen dankbar, dass die Leiche nicht in einem See von Blut badete.
Die verrückte Häklerin – Giuliana Francesca Colussi – hatte angeblich nichts von dem Mord mitbekommen, obwohl sie im Grunde direkt daneben gesessen hatte. In der Bar wunderte das niemanden, sie war verrückt, lebte in ihrer eigenen Welt und vielleicht wollte sie den Täter auch decken, denn Carisi war ihr bereits mehrere Male zu nahe getreten, hatte sie angefasst und gleichzeitig seiner tiefen Verachtung Ausdruck verliehen. Der Commissario fragte sich, ob die drahtige, kleine Frau nicht kräftiger und gefährlicher war, als sie aussah, aber sie war eindeutig nicht von dieser Welt und niemand hatte auch nur die kleinste Spur von ihr gesichert.

Die Nachbarn des Vertorbenen wussten zu berichten, dass Bruno Carisi geschieden war. Er hatte seine Exfrau Concetta verlassen, warum, darüber hatte er sich ausgeschwiegen. Es war nicht schwierig, sie ausfindig zu machen. Ihr Tränenausbruch beim Aufnehmen der Nachricht vom Tod ihres geschiedenen Mannes wirkte authentisch.
„Es tut so weh, obwohl er mich doch schon vor vielen Jahren verlassen hat.“, klagte sie. „Es ist, als täte er es zu zweiten Mal.“
„Warum hat er sich getrennt?“, fragte der Ermittler.
„Er liebte mich nicht mehr. Mir ging es nach mehreren Fehlgeburten sehr schlecht, ich war oft antriebslos und launisch. Als wir geheiratet haben, habe ich auf alle Möglichkeiten verzichtet, meine Karriere in Mailand sausen lassen und bin ihm nach Rom gefolgt. Die ersten Jahre hatten wir so wenig Geld, dass wir uns keine Kinder leisten konnten und als es endlich möglich war, hat mein Körper nicht mehr mitgespielt. Ich habe alles für in geopfert, aber er hatte mich einfach nur satt.“ Ihre Stimme erstarb in einem herzzerreißenden Schluchzen.
Wo sie zur Tatzeit gewesen sei? Einkaufen an der Piazza Vittorio Emanuele. Auch Concetta Carisi war in unmittelbarer Tatortnähe gewesen, in einer Parfümerie, wie die Verkäuferin bestätigte. Sie war in mondäner Aufmachung eingetreten, im kleinen Schwarzen, mit langstulpigen schwarzen Handschuhen, Sonnenbrille und Hut. Und sie hatte gezittert.
Doch auch von ihr fanden sich keine Spuren und es gab nicht einen Augenzeugen, der sie in der Nähe ihres Exmannes beobachtet hätte.

In der Guardia di Finanza wusste man praktisch nichts zu Carisi zu sagen. Er war ein unauffälliger Mitarbeiter und ein Blick in seine aktuellen Unterlagen zeigte, dass er gerade dabei gewesen war, Ermittlungen gegen einen gewissen Luca Martinelli einzuleiten, der sich mit diversen handwerklichen Dienstleistungen und Vermietungen an Touristen über Wasser hielt. Tatsächlich war Martinelli ebenfalls zum Tatzeitpunkt in der Nähe gewesen, in schmutziger Arbeitskleidung mit derben Handschuhen war er in die Bar gekommen, um einen schnellen Coretto zu kippen, sehr zur Verwunderung aller Anwesenden, denn so früh am Morgen nahm kaum jemand einen Espresso, schon gar nicht mit Schuss.

Alle drei hatten Motiv und Gelegenheit, kein hieb- und stichfestes Alibi, aber auch nicht die kleinste Spur hinterlassen, die sie überführt hätte.
So würde der Aktendeckel Carisi geschlossen, ohne zu einer Lösung gelangt zu sein. Wer wusste schon, ob es nicht ein Junkie war, dem dann die Zeit gefehlt hatte, das Opfer um seine Barschaft zu erleichtern, oder ein Auftragskiller, der unliebsame Ermittlungen gegen ein ehrwürdiges Mitglied der Gesellschaft aufhalten sollte oder irgendein Verrückter, der sein Opfer ganz zufällig ausgewählt hatte. Ja, dachte Cantina, es musste ein Verrückter gewesen sein, die Straßen von Rom waren voll von ihnen.

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