Freitag, 15. Dezember 2017
Private Investigations - ein abgeschlossener Kurzkrimi
Es war einer dieser Tage, an denen die Zeit fließt wie Kunsthonig, zäh, trübe, beinahe schon erstarrt. Glauben Sie nicht, mir sei nicht bewusst, dass ich im 21. Jahrhundert lebe, aber ich bin Purist und die schlichten Lamellen vor dem Fenster, der große Deckenventilator, der kompakte Eichen-Schreibtisch, der mit drei einfachen aber soliden Holzstühlen die ganze spartanische Ausstattung meines Büro ausmacht – abgesehen von dem schwarzen Bakelit-Fernsprecher - dient nicht etwa der Erzeugung einer Illusion, man befinde sich in einem Detektiv-Film der Vierzigerjahre. Obwohl ich gestehen muss, dass der von Bogie verkörperte Philip Marlowe allmählich zu meinem Alter Ego mutiert. Wir haben die gleichen Initialen, Marlowe und ich und den gleichen Beruf: Privater Ermittler. Es klopfte an der Tür, als ich gerade überlegte, ob ich mir noch eine Zigarette anzünden oder direkt in Harrys Bar wechseln sollte, denn es gab nichts zu tun und Harry hatte den besten Scotch der Stadt und wollte mir ums Verrecken nicht verraten, wo man das Zeug Flaschenweise bekam, denn dann hätte er mich als einen seiner treuesten Kunden womöglich verloren. Doch ich wurde in meinen Abwägungen unterbrochen durch ein zartes Klopfen, ein weibliches, wie ich sofort scharfsinnig erkannte. Geschäftstüchtig nahm ich die Füße vom Schreibtisch und bat die Person herein.
Sie war ein Engel. Kein Vamp wie Lauren Bacall, aber auch kein naives Mäuschen wie die Monroe, nein, sie war unvergleichlich: ungeschminkt, von natürlicher Anmut, sanft, aber entschlossen, zart gebaut aber voller weiblicher Rundungen und ihr Look war zeitlos und klassisch.
„Sind Sie Peter Margo?“, fragte sie mit einer erschütternd klaren Stimme.
„Ja, der bin ich.“, antwortete ich. „Was kann ich für Sie tun?“
„Es ist kompliziert.“, antwortete die junge Schönheit.
„Das ist es meistens. Lassen Sie mich raten: Sie verdächtigen Ihren Mann eines amourösen Doppellebens?“
„Ich habe keinen Mann.“
Das ließ mich aufhorchen. Der Engel war noch auf dem Markt, wenn ich mich gehörig ins Zeug legte, würden vielleicht schon Weihnachten die Glocken für mich klingen.
„Worum geht es dann?“
„Mindestens um eine vermisste Person.“, antwortete die Frau. „Möglicherweise sogar um Mord.“
Ich pfiff leise durch die Zähne. „Da müssen Sie mir schon ein bisschen mehr erzählen Lady, also wer ist Ihnen abhanden gekommen, warum halten Sie es für möglich, dass ihn jemand vorsätzlich getötet hat und wen haben Sie in Verdacht?“
„Es geht um Gott.“
„Wie bitte?“
„Wissen Sie“, begann die junge Frau und nahm gedankenverloren vor meinem Schreibtisch Platz, „eines Morgens wachte ich auf und stellte fest, dass er nicht mehr da ist. Eigentlich fehlte er schon länger, aber es war mir bis dahin gar nicht aufgefallen. Zuerst dachte ich, ach, der hat sich sicher versteckt, ist mal wieder beleidigt, weil ich ihn zu wenig beachtet habe, aber dann habe ich nach ihm gesucht und ihn nirgends gefunden.“
„Wo genau haben Sie denn gesucht?“
„An den üblichen Orten.“
„Und die wären?“
„In alten und neuen Kirchen, in Gemeindekreisen, in der Natur, beim Bibellesen, in anderen Religionen, ja sogar in mir selbst, ganz lange habe ich in mich hineingehorcht, aber ich konnte ihn nirgends entdecken.“
Die Maus hatte ja offenkundig nicht mehr alle Latten am Zaun, aber ich beschloss mitzuspielen, man konnte nie wissen, was in so einem Fall für einen heraussprang.
„Woran haben Sie denn in der Vergangenheit bemerkt, dass er da war?“
„Manchmal fühlte ich mich ganz leicht, manchmal, als sei ich voller Licht und manchmal auch einfach geborgen, so, als würde ich getragen. Alles ergab einen Sinn und fügte sich wunderbar zusammen. Aber das Wichtigste war die Hoffnung. Es ist ja nicht so, dass ich früher keine Schwierigkeiten hatte, aber da war immer diese Hoffnung, ja sogar die Gewissheit, dass sich alles zum Guten wenden würde. Und dann wusste ich, Gott ist bei mir. Doch seit einiger Zeit ist er weg.“
„Aber vielleicht hat er sich ja wirklich nur versteckt.“, überlegte ich.
„Ja.“, erwiderte die junge Frau. „Zuerst dachte ich das ja auch. Aber dann fiel mir auf, dass er nicht nur mich im Stich gelassen hat. Es heißt bei Jesaja: das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht und über denen, die da wohnen im finstern Lande scheint es hell. - Aber das Licht scheint nicht. Überall leben Leute in der Dunkelheit. In China gibt es Menschen, die haben in ihrem ganzen Leben noch nie den Himmel gesehen, geschweige denn die Sonne, weil sie ständig unter einer riesigen Smog-Glocke leben. Sie wissen doch sicher selbst, dass es überall in der Welt gnadenlose Ausbeutung, Unterdrückung, Hunger, Krieg und Vertreibung gibt, da bleibt es dunkel, da scheint kein Licht. Je länger ich darüber nachdenke, umso klarer wird für mich, dass irgendjemand Gott getötet haben muss.“
„Und ich soll jetzt für Sie herausfinden wer?“
„Ja, ich bitte Sie darum.“
„Ich bin nicht billig, Lady. 40 € die Stunde plus Spesen. Können Sie sich das leisten?“
„Ich zahle Ihnen fünfhundert im Voraus. Wenn das verbraucht ist, können Sie die Ermittlungen abbrechen, aber ich hoffe, Sie werden vorher fündig. Nehmen Sie den Auftrag an?“
„Aber sicher, Lady.“, antwortete ich. Ich war gerade ziemlich klamm und selbst wenn ich nichts herausfand, sollte es mein Schaden nicht sein. Warum also nicht einmal ein bisschen ins Blaue ermitteln? „Ich mach mich gleich an die Arbeit und melde mich, sobald ich etwas herausgefunden habe. Lassen Sie mir Ihre Telefonnummer da?“
„Und was ist mit E-Mail?“
„Gehen Sie nicht ans Telefon?“
„Doch schon, aber ich bin nicht immer telefonisch erreichbar.“
„Dann versuch ich es eben noch einmal.“
„Haben Sie keinen Internetauftritt?“, fragte sie verwundert.
„Wie haben Sie mich gefunden?“, lautete meine Gegenfrage.
„Im Vorbeigehen habe ich das Schild gesehen.“, antwortete sie.
„Sehen Sie.“, entgegnete ich. „So mach ich das. Ich konzentriere mich aufs Wesentliche.“
Sie notierte ihre Nummer und verabschiedete sich.

Die halbe Nacht las ich diesen Jesaja und auch die Querverweise. Ich fand heraus, dass das Licht von einem Superhelden ausging, der Wunder wirken, den Frieden bringen und für Gerechtigkeit sorgen würde. Ein paar hundert Jahre, nachdem diese Prophezeiung notiert worden war, kam
Jesus von Nazareth zur Welt und um ihn rankten sich Legenden und viele sahen in ihm die Erfüllung der Prophezeiung. Er wurde tatsächlich ermordet, bzw. hingerichtet, aber wenn ich meinen Quellen Glauben schenken konnte, kehrte er kurz nach seinem Tod zurück und machte noch 40 Tage weiter, bevor er spurlos verschwand, d.h., das stimmt nicht ganz, denn er hinterließ haufenweise Spuren in der Geschichte und in den Köpfen und Herzen der Menschen. So lebte er ewig weiter und eigentlich müsste er das immer noch tun, aber meine Klientin hatte da ihre Zweifel. Irgendjemand hatte ihn also möglicherweise ein zweites Mal verschwinden lassen und nun ging es um die Frage des Motivs. Wer hat ein Interesse daran, Gott zu töten? Wem spuckt der Allmächtige in die Suppe?

Ich lief durch die Straßen – Harrys Bar war längst geschlossen – es denkt sich auch besser, wenn man einen Fuß vor den anderen setzt. Doch mir fiel nichts ein und so ging ich schließlich in mein winziges Apartment, legte mich in mein ungemachtes Bett und fiel in einen bleiernen Schlaf.

Am nächsten Morgen, nach einem schwarzen Kaffee und einem alten Milchbrötchen ging ich meine Überlegungen etwas systematischer an: Was waren die häufigsten Mordmotive?
Eifersucht
Kränkung
Existenzangst
Gier
Eifersucht schloss ich aus, mit Gott ging niemand eine Paarbeziehung ein. Nicht einmal die Nonnen, die sich als Bräute Christi bezeichneten und einen Verlobungsring am Finger trugen, lebten ernsthaft in einer Paarbeziehung mit ihrem Erlöser.
Kränkung kam da schon eher in Frage. Schließlich konnte man behaupten, von Gott gedemütigt worden zu sein, wenn das Leben einen in die Knie zwang und man seiner Würde beraubt wurde. Also standen schon einmal alle Entrechteten und vom Schicksal Gebeutelten unter Generalverdacht.
Existenzangst schied ebenfalls aus. Wer beim Kampf ums Überleben knappe Ressourcen verteidigt oder erobert, tut das immer in Konkurrenz zu anderen Wesen aus Fleisch und Blut, mit Gott zankt man nicht um den Braten oder um die günstige Wohnung oder um den Fortbestand der eigenen Firma.
Und schließlich die Gier. Um Gier ging es ja meistens. Selbst Beziehungstaten aus Eifersucht lag eigentlich Gier zugrunde. Ich überlegte, wer wohl der gierigste Mensch in meiner Umgebung war und dachte sofort an von Contzen, der mit seinem Riesenverlagshaus alle kleinen Konkurrenten nach und nach vom Markt verdrängte.
Seine Vorzimmerdame wollte mich zuerst nicht zu ihm lassen.
„Haben Sie einen Termin?“, fragte sie schnippisch?
„Nein.“, erklärte ich. „Aber ich ermittle in einem mutmaßlichen Mordfall und wie Sie sich denken können, kann so etwas nicht warten.“
„Können Sie sich ausweisen?“
„Selbstverständlich.“ Ich zeigte ihr meine Lizenz.
„Privatermittler.“ Sie rümpfte verächtlich die Nase. „Ich bin nicht sicher, ob Herr von Contzen bereit ist, Sie zu empfangen; verpflichtet ist er dazu jedenfalls nicht. Aber ich kann ihn ja einmal fragen.“
Sie verschwand hinter einer gepolsterten Doppeltür und kehrte kurz darauf zurück.
„Sie haben Glück.“, erklärte sie. „Der Herr von Contzen ist neugierig.“

Ich betrat die Höhle des Löwen, die beinahe genauso minimalistisch ausgestattet war wie mein Büro, nur war alles dreimal so groß und zehnmal so edel und die Außenfassade war komplett verglast.
„Sie ermitteln in einem Mordfall?“, fragte von Contzen, der mir in einem lässigen Designeranzug entgegentrat und mir die Hand reichte.
„In der Tat.“, erwiderte ich. „Margo ist mein Name. Es ist nicht ausgemacht, ob es wirklich um Mord geht. Zunächst einmal könnte man es auch wie eine Vermisstenmeldung behandeln.“
Wortlos wies von Contzen auf die bequemen Stühle am Besprechungstisch und wir nahmen beide Platz. Dann fragte er: „Und warum befasst sich nicht die Polizei mit dieser Angelegenheit?“
„Meine Auftraggeberin ist skeptisch, ob sie überhaupt ermitteln würden.“
„Warum?“
„Wenn es keinen deutlichen Hinweis auf ein Verbrechen gibt, gehen die erst einmal davon aus, dass der Vermisste von sich aus das Weite gesucht hat. Meine Klientin geht aber von einem Gewaltverbrechen aus.“
„Um wem handelt es sich bei dem Opfer?“
„Um Gott.“
„Wir bitte?“
„Ja, Sie haben richtig gehört. Meine Klientin sagt, er sei abhanden gekommen. Sie vermisse ihn schon länger. Nun meine Frage an Sie: Kannten Sie den Vermissten?“
„Nicht persönlich.“, antwortete Contzen. „Aber ich habe von ihm gehört. In ein paar Wochen ist ja auch wieder Weihnachten, da wird er dann ganz sicher wiedergeboren.“
Von Contzen lachte ironisch.
„Sie gehen also auch davon aus, dass er getötet wurde?“
„Sicher.“, antwortete Contzen und lachte noch lauter. „Wurde ja gekreuzigt, aber keine Sorge, der ist ein Stehaufmännchen.“
Der Verleger klopfte sich auf die Schenkel, begeistert von seinem eigenen Witz. Das alte Milchbrötchen machte sich wieder bemerkbar, ob es wohl gleich auf seinem hochwertigen Wollteppichboden landen würde?
„Wie standen Sie denn zu Gott?“, fragte ich.
„Ach wissen Sie.“, antwortete mein Gesprächspartner. „Ich bin Materialist. Religion ist etwas für Leute, die Trost brauchen. Bei mir hingegen läuft der Laden. Gott interessiert mich nicht, es sei denn, jemand schreibt ein gutes Buch über ihn.“
„Und wenn er plötzlich hier auftauchen würde?“
„Das ist doch Quatsch!“
„Mal angenommen, er würde sie überraschen.“
„Ich würde ihn für einen Psychopathen halten und die Polizei rufen.“
„Das glaube ich Ihnen aufs Wort, zumindest wenn er sich Ihnen in menschlicher Gestalt präsentieren würde, aber angenommen er wäre ganz anders und es gäbe keinen Zweifel und Sie wüssten, dass es Gott ist.“
„Sie verschwenden meine Zeit, Herr...Herr...“
„Margo“
„Ja, genau, Herr Margo. Ich schlage vor, Sie befragen einen Geistlichen. Der hält sicher die Antworten für sie bereit, nach denen Sie suchen. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich habe eine Menge zu tun.“

Ich verabschiedete mich und setzte von Contzen oben auf die Liste. Er wollte nicht über Gott reden, er war ihm lästig, stand ihm im Weg, behinderte ihn beim Erreichen seiner Ziele.

Nach zwei Tagen war der Vorschuss meiner Klientin aufgebraucht. Ich bestellte sie in mein Büro, ich wollte ihr wenigstens einen anständigen Bericht abliefern, wenn ich schon weder Opfer noch Täter präsentieren konnte.
„Hören Sie, Lady“, erklärte ich. „Ich habe Gott nicht gefunden, nicht einmal ein Spur von ihm. Die Zahl der infrage kommenden Täter ist uferlos, aber da Gott kein Mensch ist, den man erschießen kann, vermute ich, dass auch der Täter eine Energie ist, die wirkt, ein körperloses, allgegenwärtiges Wesen, das so wie Gott zwar spürbar aber nicht fassbar ist.“
„Und was für ein Wesen soll das sein?“, fragte sie ratlos.
„Die Gier.“
„Die Gier?“
„Ja, wer von Gier erfüllt ist, ganz egal ob Gier nach Geld, Land, Macht, Aufmerksamkeit, Sex, Essen, Bequemlichkeit oder was auch immer, dem steht Gott im Weg, denn Gott ist kein Automat der Bedürfnisse auf Abruf befriedigt. Gott fordert die Menschen heraus, stellt Anforderungen, verlangt Mitgefühl, Bereitschaft zu teilen und zu helfen. Das stört, das nervt. Und wenn sich die Gier in einem Menschen ausbreitet und immer mehr Raum einnimmt, dann ist da kein Platz mehr für Gott und der Mensch eliminiert Gott in sich, er löscht den göttlichen Funken und wird zur seelenlosen Fressmaschine. Das ist wie eine Seuche und sie breitet sich gerade über die ganze Welt aus. Je weniger Menschen von Gott erfüllt sind, umso weniger wahrnehmbar wird er und umso geringer sind auch seine Möglichkeiten zu wirken. Er wird immer körperloser.“
„Können wir die Seuche stoppen?“, fragte meine Klientin.
„Solange es noch Menschen gibt, die noch nicht vollständig von der Gier beherrscht sind, ja.“, antwortete ich. „Mit jedem Kind, das zur Welt kommt, erschafft Gott sich selbst eine neue Möglichkeit, zu uns zurückzukehren und es ist unserer Aufgabe, ihm dabei zu helfen, den Raum für sich zu erobern. Wir müssen dafür sorgen, dass die Gier in den Herzen unserer Kinder keinen Platz findet.“
„Wie soll das gehen?“
„Das weiß ich auch nicht. Lady. Aber ich bin sicher, Sie finden es heraus.“

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