Dienstag, 2. Mai 2017
Fünfzehn Siebzehn - Kurzkrimi zum Spekulieren - letzter Teil
Das erste Alibi, das Keller überprüfte, war das der Ehefrau. Die gute Freundin bestätigte den nächtlichen Besuch, es bestand aber immer noch die Restwahrscheinlichkeit, dass die beiden gemeinsame Sache machten, beziehungsweise, dass die Freundin die Pfarrerswitwe deckte.
Susanne Korte war zunächst beim Abendkreis gewesen und dann zu Hause, bei ihrem Mann. Es war unwahrscheinlich, dass er log, zumal seine Frau kein erkennbares Motiv hatte.
Pfarrer Philipp Schwartz, hatte sich tatsächlich in der gesamten letzten Woche zum Bibliologen ausbilden lassen und sich zu diesem Zweck in Josefstal im tiefsten Bayern aufgehalten. Dafür gab es mindestens fünfzehn unabhängige Zeugen.

Kerkenbrock befragte die Superintendentin Marlies Spengler.
„Bruder Münter war ein streitbarer Theologe.“, erklärte sie. „Er stand für seine Überzeugungen ein und nahm kein Blatt vor den Mund. Er hat etliche Kollegen gegen sich aufgebracht – die Konservativen genauso wie die betont Modernen, die unsere Kirche zu einem effektiven Geschäftsmodell umbauen wollen. Sie erkennen sie an ihrem Management-Vokabular, das der freien Wirtschaft entlehnt ist und an ihrem Look: schneidig, hochwertig, dynamisch.“
„So wie Philipp Schwartz?“
„Das haben Sie gesagt.“, bemerkte Marlies Spengler und schmunzelte. „Auf jeden Fall war Thorben Münter kein Fan unserer geplanten Luther-Festivitäten. Er hätte es angemessener gefunden, das Reformations-Jubiläum zum Anlass zu nehmen, welchen Reformbedarf wir nach nunmehr fünfhundert Jahren haben, statt den ollen Luther zum tausendsten Mal zu beweihräuchern. Ich finde ja, beide Positionen haben ihre Berechtigung, darum habe ich mich auch dafür eingesetzt, dass Münter bei der Veranstaltung einen Stand macht. Allerdings hat er sich oft frotzelnderweise als Alibi-Querulaten bezeichnet. Die meisten wollten doch lieber etwas Gefälliges machen: mittelalterliche Küche, Lutherlieder singen, Quizduell, lauter schöne-evangelische-Welt-Aktionen. Jetzt müssen wir erst einmal jemanden finden, der Thorbens Platz einnimmt, das wird nicht einfach.“
„Gibt es Interessenten?“
„Nein. Ich sagte ja. Das wird nicht einfach.“
Kerkenbrock sah die Liste sämtlicher Theologen des Kirchenkreises durch. Dabei fiel ihr etwas Bemerkenswertes auf: Johannes Schwartz. Ist der Mit Philipp Schwartz verwandt?“
„Ja, das ist sein Vater. Eine regionale Pfarrer-Dynastie. Der Vater von Johannes Schwartz war Pfarrer im Kirchenkreis Soest.“
„Und was hält Johannes Schwartz davon, dass da jemand seinem Sohn das Prestige-Projekt madig machen wollte?“
„Nicht viel, vermute ich.“, antwortete die Superintendentin. „Am besten sie fragen ihn selbst. Er gehört zum Team der Stiftskirchengemeinde.“
Das Gespräch mit Johannes Schwartz verlief höchst merkwürdig. Sabine Kerkenbrock hatte die ganze Zeit das Gefühl, sich dafür entschuldigen zu müssen, dass sie erstens als einer jüngeren Generation angehörig, zweitens als Frau und drittens als Nicht-Theologin überhaupt die Stirn besaß, ihm seine wertvolle Zeit zu stehlen und ihn mit Fragen zu belästigen. Sie hätte sich die Befragung auch schenken können. Als sie das Haus verließ, blieb ihr Blick im Inneren der Garage hängen, in der gerade kein Auto stand. Die Sonne wurde von einem großflächigen Fenster am gegenüber liegenden Haus so reflektiert, dass sie den hintersten Winkel der Garage ausleuchtete und da wurden am Boden zwei Sprühdosen angestrahlt in schwarz und rot. Sollte sie den Pfarrer noch dazu befragen? Als sie kam, hatte das Auto noch da gestanden, es war silbergrau. Vermutlich war die Ehefrau damit weggefahren. Wozu brauchte jemand mit einem silbergrauen Wagen Sprühlack in schwarz und rot, ganz besonders in diesem fortgeschrittenen Alter?
Sie rief Keller an und behielt die Garage im Auge, falls Schwartz versuchen sollte, die möglichen Beweise zu vernichten. Der Staatsanwalt reagierte ungewöhnlich schnell oder auch nicht ungewöhnlich, denn er war unter der Hand bekannt dafür, dass er unter einer regelrechten Allergie gegen das gesamte Kirchenvolk litt. So schnell hatten sie noch keinen Durchsuchungsbeschluss erhalten. Sie fanden nicht nur das passende Lackspray, mit dem die Hakenkreuzfahne hergestellt worden war, sondern auch Kaufbelege aus unterschiedlichsten Geschäften, in denen der Täter nach und nach die Tintenfässer erworben hatte. Als besonders spannend erwies sich die im Keller entdeckte Schokokusswurfmaschine, an der sich Tintenflecken befanden.

Mit einem geradezu trotzigen Gesichtsausdruck saß Johannes Schwartz im Verhörraum..
„Sie haben jetzt alle Zeit der Welt, uns zu erzählen wie und warum Sie ihren Kollegen
Thorben Münter getötet haben.“
„Kollege“, schnaubte Schwartz abfällig und seine erschlafften Hamsterbacken bebten vor Erregung. Kerkenbrock konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er eine frappierende, physische Ähnlichkeit mit dem Reformator Luther besaß.
„Münter war nichts weiter, als ein Nestbeschmutzer. Er hat zwar Theologie studiert, aber die wesentlichen Dinge nicht verstanden. Solchen Gesellen muss man beizeiten das Handwerk legen. Ich wollte, dass jeder erkennen kann, was für eine Ratte er war. So wie Martin Luther seinerzeit den Leibhaftigen mit einem Tintenfass verjagt hat, nachdem die 95 Thesen bereits veröffentlicht waren und so wie man im Alten Testament Übeltäter gesteinigt hat, habe ich den Teufel aus ihm herauskatapultiert. 95 Mal habe ich ihn beschossen und 95 Mal den Teufel getroffen.“
„Beschossen?“, fragte Keller „Etwa mit diesem eigens dafür hergestellten Katapult?“
„Das war nicht eigens dafür hergestellt.“, erklärte Johannes Schwartz. „Das ist ein liebenswertes Relikt aus den Siebzigerjahren, das immer noch hin und wieder zum Einsatz kommt. Eine Negerkuss-Wurfmaschine.“
„An Ihrer Sprache erkenne ich deutlich, dass die Hakenkreuzfahne nicht nur der Ablenkung diente, sondern auch Ihrer Überzeugung nicht ganz fernsteht.“, erklärte Kerkenbrock spitz.
„So ein Blödsinn!“, blaffte Schwartz sie an. „Diese ganze politische Korrektheit geht doch immer am Wesentlichen vorbei. Ich sehe mich in der Tradition Dietrich Bohnhoeffers und bin aufgewachsen mit der Rede Martin Luther Kings. Ich bin kein Rassist. , aber den traditionellen Negerkuss plötzlich Schokoschaumkuss zu nennen, nur damit ein paar blasse, magere Mädchen, die glauben, sie verstünden etwas von Ethik und Politik, sich nicht echauffieren, erscheint mir doch reichlich übersteuert.“
„Ich verstehe immer noch nicht, wofür diese Maschine normalerweise gebraucht wird.“, meldete sich Keller zu Wort.
„Man stellt sie auf Gemeinde- oder Kinderfesten auf. Es ist ein Geschicklichkeitsspiel. Man wirf einen Tennisball auf den Auslöser, dann fliegt einem der Negerkuss entgegen und man fängt ihn mit dem Mund auf.“
„Und wie haben Sie es mit den Tintenfässern angestellt?“
„Ich habe den Auslöser mit der Hand betätigt. Ich habe die Maschine auch an verschiedenen Stellen aufgestellt, damit es so aussieht, als sei er von mehreren Beteiligten beworfen worden. Vorher habe ich ihn mit einem Ast außer Gefecht gesetzt und ihn so vor die Mauer platziert, dass sich die Treffer effektvoll über seinen gesamten Körper verteilten.“
„Wie haben Sie ihn dort hin gelockt?“, fragte Keller.
„Ich habe ihn angerufen, mir irgendeinen Namen ausgedacht, wer ich angeblich sei, meine Stimme verstellt und behauptet, ich kenne ihn aus der Presse und dem Internet und ich würde gerade beobachten, wie sich einige Rechtsradikale an der Klosterruine sammelten, die sich auf Luther beriefen. Das müsse er sich ansehen. Er war ziemlich schnell da und einigermaßen verwirrt, als er nichts sah, als eine Hakenkreuzfahne.“
„Die Sie eigenhändig gesprüht hatten.“, ergänzte Kerkenbrock.
„Genau.“, bestätigte sie Schwartz.
„Warum haben Sie die Dosen nach der Tat nicht einfach entsorgt?“, fragte Kerkenbrock.
„Sie waren längst noch nicht verbraucht.“, erwiderte Schwartz. „Ich verabscheue jede Art von Verschwendung.“
„Meinen Sie nicht, dass es eine haltlose Verschwendung war, 95 Tintenfässer zu zerdeppern?“, fragte Keller angewidert.
„Nein.“, erwiderte Schwartz. „Die Symbolkraft dieser Artefakte war durch nichts zu übertreffen.“
„Sie haben das von langer Hand geplant, oder?“, fragte Keller. „Die Kaufbelege für die Tintenfässer waren zum Teil schon drei Monate alt.“
„Allerdings.“, erwiderte Schwartz. „Wenn ich einfach 95 Stück im Internet bestellt hätte, wäre ich ja sofort entlarvt gewesen.“
„Ich verstehe immer noch nicht, warum sie es getan haben.“, sagte Kerkenbrock. „Es gibt doch viele moderne Theologen, die Martin Luther äußerst kritisch gegenüber stehen. Wollten sie die auch alle noch steinigen?“
„Ich bin kein Massenmörder.“, erwiderte Schwartz. „Mir ging es darum einen Meilenstein im Lebenswerk meines Sohnes zu schützen. Er plant dieses besondere Reformationsfest zum Lutherjahr und ich bin wirklich stolz auf ihn, dass er diese Aufgabe mit Bravour bewältigt. Münter hätte alles verdorben, das konnte ich nicht zulassen. Dafür, dass ich verhindern konnte, dass ein Schatten auf den Glanz dieser wunderbaren Veranstaltung fällt, gehe ich gerne in Gefängnis. Das haben schon viele meiner Glaubensbrüder vor mir getan.“
„Wissen Sie was?“, sagte Keller und es gelang ihm nicht im Geringsten seinen tiefen Ekel zu verbergen. „Sie haben dem Anliegen Ihres Sohnes insbesondere dadurch geschadet, weil nun jeder erkennen kann, dass Luthers Entgleisungen so nachhaltig gewirkt haben, dass ein grausamer und völlig sinnloser Mord dabei herausgekommen ist. Ich werde das bei der Pressekonferenz besonders erwähnen.“

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