Freitag, 8. Mai 2020
Mitten ins Herz
Montag, 4. Mai 2020

c. fabry, 15:13h - hier der versprochene Krimi:

Was für ein bescheidener Tag das wieder war. Keller war im Urlaub und kurz vorm Wochenende, kurz vor Feierabend kam der Notruf. „BIENE, Du musst noch mal raus. Leichenfund im Villenviertel.“
„In welchem?“, fragte Kriminalkommissarin Sabine Kerkenbrock, die nichts mehr hasste, als wenn der saublöde Kosename aus ihrer Vorpubertät von den gendertechnisch zurückgebliebenen Kollegen als Anrede missbraucht wurde.
„Sieben Hügel.“
„Na ja“, schnaubte sie. „Mehr so unterste Oberschicht. Das sind die Schlimmsten.“

Das HAUS lag im unteren Abschnitt der Straße, wo die Häuser nicht ganz so idyllisch im Grünen versunken waren, dafür aber moderner und großzügigeren Ausmaßes. Die KTU war schon im Gange, die Leiche, eine Frau in den Vierzigern, lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Fußboden ihres Wohnzimmers, in ihrem Rücken steckte ein PFEIL, der nur von einem kleinen Blutfleck umgeben war – ein Hinweis darauf, dass er mitten ins Herz getroffen hatte. Die gigantische Schiebetür zur Terrasse stand offen, überall im Garten war die Spurensicherung aktiv, über dem Wald malte die Abendsonne einen farbenprächtigen REGENBOGEN in die Wolken. Sabine Kerkenbrock war plötzlich froh, dass sie hier nicht gemeinsam mit ihrem Kollegen Keller ermitteln musste, der vermutlich ohne jegliches Mitgefühl für das Opfer herumgefrotzelt hätte, dass man bei solchen Geldsäcken ja immer das Gefühl habe, sie hätten es im Grunde nicht anders verdient und seien am Ende womöglich nur Opfer ihrer eigenen Gier und Herzlosigkeit geworden.

Sie lag schon etwa 24 Stunden so da. Wie furchtbar!, dachte Kerkenbrock. Ganz allein in diesem riesigen Haus, niemand bekommt etwas mit…
„Wie ist sie denn überhaupt aufgefunden worden?“
„Der Nachbarin ist beim Gassigehen mit ihrem Hund aufgefallen, dass jedes Mal die Terrassentür so weit offen stand, auch als es empfindlich kühl war. Dann hat sie mehrmals täglich versucht, das Opfer über das Festnetztelefon zu erreichen und sich gedacht, sie sei vielleicht länger unterwegs und habe es versäumt die Terrassentür zu schließen. Am späten Nachmittag habe sie sich dann entschlossen, die Polizei zu informieren, damit die offene Hintertür keine Diebe auf den Plan rief. Die Kollegen sind dann über den Zaun durch den Garten auf die Terrasse und ins Haus gelangt und haben die Ermordete aufgefunden.“
„Wie ist die Spurenlage bisher?“
„Bescheiden. Kaum Fingerabdrücke, Fasern oder Haare. Der Täter oder die Täterin scheint nicht im Haus gewesen zu sein, sondern den Pfeil vom Garten aus abgeschossen zu haben, was man auch aus der Position des Opfers und der offenen Tür schlussfolgern kann.“
„Vom Garten oder vom Wald aus?“
„Wissen wir noch nicht. Der Garten ist aber wahrscheinlicher, vom Wald aus liegen zu viele Hindernisse in der Schusslinie.“
„Gibt es Fußspuren?“
„Kaum. Der Boden war gestern noch knochentrocken.“
„Keine ungewöhnlichen Funde im Garten?“
„Nichts.“

Die Sterne glitzerten schon am Nachthimmel, als Kerkenbrock den Tatort wieder verlassen konnte. Statt direkt ins Präsidium zu fahren machte sie noch einen kurzen Spaziergang, um wieder ins Lot zu kommen. Eine STERNSCHNUPPE zischte durchs mondlose Dunkel. Auch etwas, das das Opfer, Larissa Schaffeld, nie mehr erleben würde. Die Chance, sich etwas zu wünschen hatte sie verpasst.

Später im Präsidium konfrontierte sie Heidenreich mit einer Besonderheit: „Mir war aufgefallen, dass in diesem peinlich geordneten Haushalt eine Schreibtischschublade halb offen stand. Sie war leer. Mitten auf dem Schreibtisch lag eine LUPE. Die hätte normalerweise sicher in einem Becher gestanden oder in einer Schublade gelegen. Auf der Lupe sind tatsächlich andere Fingerabdrücke, als im Rest der Wohnung. Möglicherweise hat sich jemand etwas genauer angesehen, bevor es entwendet wurde. Vielleicht eine wertvolle Briefmarke oder ein Schmuckstück.“

Heidenreichs Hypothesen ließen sich nicht bestätigen. Larissa Schaffeld hatte weder der Sammelleidenschaft gefrönt noch wertvollen Schmuck getragen. Das schloss zwar nicht aus, dass sie welchen besaß, stellte aber nicht den favorisierten Ermittlungsansatz dar. An ihrem Arbeitsplatz zeigten sich die Kolleginnen und Kollegen erschüttert. Larissa Schaffeld hatte zu den fleißigen und zurückhaltenden Mitarbeiterinnen gehört, verantwortungsbewusst, fair und kollegial, keine bissige Stute, die Rachegelüste auf sich zog. Sie sei so sanft und freundlich gewesen, erklärte eine Mitarbeiterin, dass die harten Hunde im Team sie höhnisch als „das SCHAF“ bezeichnet hätten.
Opferlamm – dachte Kerkenbrock und setzte einige Beamte auf eine akribische Untersuchung des Arbeitsbereichs der Ermordeten an.

Mehrere gerieten ins Visier der Ermittlungen, einer aber ganz besonders. Alle nannten ihn den FISCH. Nicht etwa, weil er wie ein Fisch aussah, jedoch alles andere an ihm war fischig: aalglatt flutschte er an allem vorbei, was sich ihm in den Weg stellte, umging Hindernisse und ließ sich auf nichts festlegen. Eiskalt war er auch, vermeintlich emotionslos und vollkommen Empathie-befreit. Sogar ein unangenehmer Körpergeruch ging von ihm aus.

Sein jüngstes Projekt hatte er so weit vorangetrieben, dass er damit endlich auf den WELTmarkt drängen konnte. Und dann stellte das Schaf alles in Frage. Noch nicht sicher hatte sie gesagt, müsste erst noch gründlich geprüft und getestet werden. Doch je länger sie ihn aufhielt, umso größer war die Gefahr, dass jemand vor ihm als erster mit einer Lösung auf den Markt drängte, dann wäre es zu spät für ihn.

Überführt wurde er, weil Kerkenbrock aufgrund des dienstlichen Konfliktes mit Larissa Schaffeld seine Fingerabdrücke nehmen ließ.

Als sie ihn mit den Ergebnissen der kriminaltechnischen Untersuchung konfrontierten, brach er ein und gab alles zu. Sein Anwalt hatte ihm schließlich auch zu lückenloser Offenheit geraten und so erzählte er:

„Sie hatte von einem Foto gesprochen, mir gedroht, dass es mich bei etwas zeige, das mir deutlich zum Nachteil gereiche. Sollte ich gegen alle Vorsicht mein Projekt durchdrücken und damit die Seriosität der Firma gefährden, würde sie diese Karte ausspielen.

Da habe ich dann entschieden, dass sie weg muss. Ich habe die Umgebung ihres Hauses begutachtet und dann den sauberen Schuss geplant, mit meinem Sportbogen und einem Standardpfeil. Zwei Mal musste ich unverrichteter Dinge wieder umkehren. Beim dritten Mal war die Situation günstig. Ich habe präzise geschossen, ich bin ein formidabler Schütze. Dann bin ich ins Haus gelaufen, habe ihren Tod festgestellt und mich umgesehen. In der Schreibtischschublade habe ich das Foto gefunden. Die Schublade habe ich mit einem Taschentuch geöffnet. Weil ich auf dem Foto nicht alles erkennen konnte, habe er die Lupe zur Hand genommen, dabei nicht an Fingerabdrücke gedacht. Auf dem Foto erkannte ich mich und meine Geliebte ganz winzig im Außenspiegel eines Autos. Wenn man das Bild aber vergrößerte, erkannte man mich deutlich beim leidenschaftlichen Kuss mit einer Frau, die nicht meine war.“
„Und das alles für fünfzehn Jahre Haft.“, stöhnte Kerkenbrock. „Auch wenn Ihnen wegen Ihrer Geständigkeit und vielleicht später wegen guter Führung ein Teil der Haft erlassen wird. Sie bekommen in ihrem Geschäft doch keine zweite Chance.“
„Man wird sehen“, erwiderte der Fisch mit gespielter Demut und Kerkenbrock ahnte, dass er sein Revier schon vollgelaicht hatte. Dieser Mörder kam ganz bestimmt wieder auf die Füße.

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