Dienstag, 6. November 2018
Verbaldiarrhoe - Kurzkrimi mit offenem Ende
c. fabry, 01:38h
„Ich möchte ja noch einmal auf das Jugend-Gottesdienstmodell aus Vennebeck zurückkommen.“
Er rückte seinen Stuhl zurecht, streckte den Rücken durch und setzte zum Angriff an.
„Die sind da wirklich total erfolgreich, die haben da Besucherzahlen von denen wir nur träumen und es wäre ein leichtes, einen Bus mit Konfirmanden und Mitarbeitern zu füllen und dorthin zu fahren, die Jugendlichen wären begeistert und sofort voller Tatendrang, da bin ich sicher. Da wirken unglaublich viele Ehrenamtliche mit, die sind technisch auf dem aktuellsten Stand, da singen alle mit, da wird Theater gespielt, die Predigten richten sich nach dem Thema des Gottesdienstes und nicht nach dem liturgischen Kalender...“
Sie hörte nicht mehr zu, sie sah ihn nur noch plappern. Das war fatal, denn sie war ja schließlich nur hier, um das Protokoll zu führen. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte heraus gelassen, was in ihrem Kopf schrie: „Jetzt halt endlich den Rand, kapier es endlich, dass das keiner hören will. Finde dich damit ab, dass wir hier nicht in der evangelikalen Provinz hocken, wo die Jugendlichen immer so schrecklich dankbar sind, wenn man ihnen ein paar bunte Scheinwerfer, Schlagzeug und die Chance, sich wichtig zu machen anbietet. Steffen hat schon fünfundzwanzig Mal erklärt, dass er für so ein Projekt gar keine Kapazitäten hat. Es gibt auch keine Ehrenamtlichen, die sich das auf die Fahne schreiben würden und unsere Pfarrer sind jetzt schon vollkommen überlastet. Und du kleiner Wichtigtuer, der hier kompensiert, dass er in der harten Arbeitswelt nichts geworden ist, du stellst auch nichts auf die Beine, du laberst nur jedem die ganze Tasche voll und bist jedes Mal beleidigt, wenn bei deinen Pestideen nicht immer alle gleich Hurra schreien. Im Büro hältst du mich nahezu täglich von der Arbeit ab mit deinen immer neuen, genialen Einfällen, aber Absprachen einhalten, das hast du nicht nötig, machst ja alles nur ehrenamtlich.“
Sein Vortrag ließ sich mit ein paar oberflächlichen Sätzen zusammenfassen, er lieferte ohnehin immer den gleichen Sermon ab. Sie war froh, als der Tagesordnungspunkt endlich abgehandelt war, immerhin der vorvorletzte.
Danach ging es kurz um eine Neueinstellung in der Kita und dann um ein neues Konzept für die Raumbelegung im Gemeindehaus. Eigentlich musste sich nur jemand finden, der eine schlaue Excel-Tabelle anlegte, die sie an alle Gruppenleitungen mailen konnte, mit dem Hinweis, sich bei Raumbelegungswünschen zügig zu melden. Aber weit gefehlt. Mister VIP machte auch aus dieser Lapalie einen echten Krisenfall. Sie wollte nur noch nach Hause, war todmüde, morgen früh musste sie wieder die Kinder für Schule und Kita bereit machen, danach ins Büro hetzen und vielleicht blieb ihr zwischen Feierabend und Ende von OGS noch ein kleines Zeitfenster für Steffen...nur davon hätte sie nicht viel, weil sie vermutlich die meiste Zeit über diesen unsäglichen Presbyter wettern und sich Strategien überlegen würden, wie man diese Flausen, die er in so manchen Kopf gesetzt hatte, wieder austrieb.
Es war nicht nur der Stuss, den er redete, es war die Stimme, der Tonfall, die Geschwindigkeit, fast so schlimm, als wenn jemand Kreide auf einer Schiefertafel quietschen ließ oder Technomusik im Nebenraum, während man an einer Migräne laborierte. Ihr Puls beschleunigte sich, der Kopf wurde heiß, der Achselschweiß rann am Oberkörper herunter und sie konnte kaum stillsitzen, so als würde ein Puppenspieler an Marionettenfäden ziehen und sie müsste mit aller Kraft dagegen halten.
Und dann war es irgendwann 23.20 Uhr. Sie wollte noch eben den Laptop im Safe einschließen, da strunzte der Laberhannes doch tatsächlich ins Büro und fragte: „Sag mal, Deine Kinder kommen doch auch bald in das Alter, wo Jugendgottesdienste interessant werden. Hast Du da nicht auch ein begründetes Interesse, dass da endlich mal was passiert? Der Erkens macht ja gar nichts in der Richtung, der fährt nur Kanu, geht Klettern und leitet ein paar Gruppen, wo kaum jemand hingeht. Wir wollen ja schließlich auch kirchlichen Nachwuchs, also religionspädagogische Angebote, Verkündigung, Erbauung, gerade für Jugendliche...“
Diese alten Laptops waren verdammt schwer. Vielleicht hätte sie mit der flachen Seite zuschlagen sollen, aber dann hätte er womöglich weiter geplappert und sie wollte, dass es einfach nur aufhörte. Nicht diskutieren, nicht still erdulden was er redete und seinem herausfordernd, grenzdebilen Erwartungshaltungsblick standhalten. Hätte sie die flache Seite genommen, wäre er einfach nur lauter und schneller geworden, so wie ihre alte Stereoanlage, bei der der Lautstärkeregler in einer Weise defekt war, dass er, wenn man versuchte die Musik leiser zu drehen, manchmal bei jeder Bewegung lauter wurde, egal, in welche Richtung man drehte. Einen Power-Knopf zum Abschalten hatten Presbyter nicht. Da musste man direkt den Stecker ziehen und das hatte sie wohl getan. Er blutete kaum, nur ein winziges Rinnsal sickerte aus der Schläfe. „Ein Felsenbein wie ein Kleinkind.“, dachte sie noch, dann blickte sie auf und sah einen der Pfarrer in der Tür stehen.
WER MAG, KANN EINE FORTSETZUNG SCHREIBEN.
Er rückte seinen Stuhl zurecht, streckte den Rücken durch und setzte zum Angriff an.
„Die sind da wirklich total erfolgreich, die haben da Besucherzahlen von denen wir nur träumen und es wäre ein leichtes, einen Bus mit Konfirmanden und Mitarbeitern zu füllen und dorthin zu fahren, die Jugendlichen wären begeistert und sofort voller Tatendrang, da bin ich sicher. Da wirken unglaublich viele Ehrenamtliche mit, die sind technisch auf dem aktuellsten Stand, da singen alle mit, da wird Theater gespielt, die Predigten richten sich nach dem Thema des Gottesdienstes und nicht nach dem liturgischen Kalender...“
Sie hörte nicht mehr zu, sie sah ihn nur noch plappern. Das war fatal, denn sie war ja schließlich nur hier, um das Protokoll zu führen. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte heraus gelassen, was in ihrem Kopf schrie: „Jetzt halt endlich den Rand, kapier es endlich, dass das keiner hören will. Finde dich damit ab, dass wir hier nicht in der evangelikalen Provinz hocken, wo die Jugendlichen immer so schrecklich dankbar sind, wenn man ihnen ein paar bunte Scheinwerfer, Schlagzeug und die Chance, sich wichtig zu machen anbietet. Steffen hat schon fünfundzwanzig Mal erklärt, dass er für so ein Projekt gar keine Kapazitäten hat. Es gibt auch keine Ehrenamtlichen, die sich das auf die Fahne schreiben würden und unsere Pfarrer sind jetzt schon vollkommen überlastet. Und du kleiner Wichtigtuer, der hier kompensiert, dass er in der harten Arbeitswelt nichts geworden ist, du stellst auch nichts auf die Beine, du laberst nur jedem die ganze Tasche voll und bist jedes Mal beleidigt, wenn bei deinen Pestideen nicht immer alle gleich Hurra schreien. Im Büro hältst du mich nahezu täglich von der Arbeit ab mit deinen immer neuen, genialen Einfällen, aber Absprachen einhalten, das hast du nicht nötig, machst ja alles nur ehrenamtlich.“
Sein Vortrag ließ sich mit ein paar oberflächlichen Sätzen zusammenfassen, er lieferte ohnehin immer den gleichen Sermon ab. Sie war froh, als der Tagesordnungspunkt endlich abgehandelt war, immerhin der vorvorletzte.
Danach ging es kurz um eine Neueinstellung in der Kita und dann um ein neues Konzept für die Raumbelegung im Gemeindehaus. Eigentlich musste sich nur jemand finden, der eine schlaue Excel-Tabelle anlegte, die sie an alle Gruppenleitungen mailen konnte, mit dem Hinweis, sich bei Raumbelegungswünschen zügig zu melden. Aber weit gefehlt. Mister VIP machte auch aus dieser Lapalie einen echten Krisenfall. Sie wollte nur noch nach Hause, war todmüde, morgen früh musste sie wieder die Kinder für Schule und Kita bereit machen, danach ins Büro hetzen und vielleicht blieb ihr zwischen Feierabend und Ende von OGS noch ein kleines Zeitfenster für Steffen...nur davon hätte sie nicht viel, weil sie vermutlich die meiste Zeit über diesen unsäglichen Presbyter wettern und sich Strategien überlegen würden, wie man diese Flausen, die er in so manchen Kopf gesetzt hatte, wieder austrieb.
Es war nicht nur der Stuss, den er redete, es war die Stimme, der Tonfall, die Geschwindigkeit, fast so schlimm, als wenn jemand Kreide auf einer Schiefertafel quietschen ließ oder Technomusik im Nebenraum, während man an einer Migräne laborierte. Ihr Puls beschleunigte sich, der Kopf wurde heiß, der Achselschweiß rann am Oberkörper herunter und sie konnte kaum stillsitzen, so als würde ein Puppenspieler an Marionettenfäden ziehen und sie müsste mit aller Kraft dagegen halten.
Und dann war es irgendwann 23.20 Uhr. Sie wollte noch eben den Laptop im Safe einschließen, da strunzte der Laberhannes doch tatsächlich ins Büro und fragte: „Sag mal, Deine Kinder kommen doch auch bald in das Alter, wo Jugendgottesdienste interessant werden. Hast Du da nicht auch ein begründetes Interesse, dass da endlich mal was passiert? Der Erkens macht ja gar nichts in der Richtung, der fährt nur Kanu, geht Klettern und leitet ein paar Gruppen, wo kaum jemand hingeht. Wir wollen ja schließlich auch kirchlichen Nachwuchs, also religionspädagogische Angebote, Verkündigung, Erbauung, gerade für Jugendliche...“
Diese alten Laptops waren verdammt schwer. Vielleicht hätte sie mit der flachen Seite zuschlagen sollen, aber dann hätte er womöglich weiter geplappert und sie wollte, dass es einfach nur aufhörte. Nicht diskutieren, nicht still erdulden was er redete und seinem herausfordernd, grenzdebilen Erwartungshaltungsblick standhalten. Hätte sie die flache Seite genommen, wäre er einfach nur lauter und schneller geworden, so wie ihre alte Stereoanlage, bei der der Lautstärkeregler in einer Weise defekt war, dass er, wenn man versuchte die Musik leiser zu drehen, manchmal bei jeder Bewegung lauter wurde, egal, in welche Richtung man drehte. Einen Power-Knopf zum Abschalten hatten Presbyter nicht. Da musste man direkt den Stecker ziehen und das hatte sie wohl getan. Er blutete kaum, nur ein winziges Rinnsal sickerte aus der Schläfe. „Ein Felsenbein wie ein Kleinkind.“, dachte sie noch, dann blickte sie auf und sah einen der Pfarrer in der Tür stehen.
WER MAG, KANN EINE FORTSETZUNG SCHREIBEN.
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al bern,
Freitag, 9. November 2018, 14:21
Durch diesen Pfarrer ging ein Ruck und er setzte das Gespräch des Gefallenen in selben Tonfall, Intention und Lautstärke fort.
Was ging hier vor sich?
Besessenheit.
Eine andere Möglichkeit gab es nicht.
Jetzt musste sie schleunigst einen Exorzisten finden, bevor Sonntags der Pfarrer auf die Kanzel stieg und die gesamte, kärglich erscheinende Kirchengemeinde, mit seinem Lamentieren lähmte.
Nur woher nehmen?
Ihr Blick fiel auf den, als Schlagwerkzeug benutzten Laptop und sie hoffte, dass dort nicht innerlich etwas kaputt gegangen war und das Teil noch richtig, wenn auch wie sonst, langsam, funktionierte.
Googel musste helfen wissen.
Was ging hier vor sich?
Besessenheit.
Eine andere Möglichkeit gab es nicht.
Jetzt musste sie schleunigst einen Exorzisten finden, bevor Sonntags der Pfarrer auf die Kanzel stieg und die gesamte, kärglich erscheinende Kirchengemeinde, mit seinem Lamentieren lähmte.
Nur woher nehmen?
Ihr Blick fiel auf den, als Schlagwerkzeug benutzten Laptop und sie hoffte, dass dort nicht innerlich etwas kaputt gegangen war und das Teil noch richtig, wenn auch wie sonst, langsam, funktionierte.
Googel musste helfen wissen.
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al bern,
Samstag, 10. November 2018, 00:16
Was heißt auch?
Abgesehen davon, dass ich nicht konkurrieren, sondern bestenfalls überraschen wollte.
Abgesehen davon, dass ich nicht konkurrieren, sondern bestenfalls überraschen wollte.
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c. fabry,
Samstag, 10. November 2018, 00:36
Alter Wortklauber :-)
Als Konkurrenzversuch habe ich das in der Tat nicht aufgefasst, um was auch? Wo wir doch hier im Massengrab dümpeln, wie immer alle betonen. Außerdem bin ich ja Künstlerin (haha) und echte Künstler*innen (hahaha) konkurrieren nicht sondern inspirieren sich gegenseitig. Also wärmsten Dank für Deine schöne Fortsetzung, um die ich ja auch ausdrücklich gebeten hatte. Und wenn ich nicht drum gebeten hätte, wäre es trotzdem erfreulich gewesen.
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