Samstag, 3. Februar 2018
Humankorrosion - dreiteiliger Kurzkrimi - Teil 1
c. fabry, 22:45h
Irene war die Erste. Irene war immer die Erste, darum verwahrte sie auch den Schlüssel. Wenn die beiden Damen eintrudelten, die zum Helfen eingeteilt waren, hatte Irene längst den Kaffee aufgesetzt und die Thermoskannen vorgewärmt: zwei für Bohnenkaffee, zwei für Entkoffeinierten und einmal Teewasser für Herrn Iring.
Den Kuchen brachte Karl-Heinz mit. Karl-Heinz kam immer zu spät, aber sie konnten die Teller ja schon mit den Kuchengabeln auf dem Servierwagen verteilen. Sie füllte gerade das heiße Wasser zum Aufwärmen in die Kaffeekannen, da kam die zwei Jahre jüngere Charlotte im Stechschritt auf das Gemeindehaus zu. Ihr übellauniges Herrenmenschengebaren, das sie nicht erst zur Schau trug, seit sie Neunundsiebzig war, hatte Irene schon oft die gute Laune verdorben. Sie kannten sich seit der Jugend – damals hatten sie zusammen den Mädchenkreis besucht. Charlotte stammte aus der gehobenen Gastronomie und ihre Familie hatte sich schon immer für etwas Besseres gehalten. Sie selbst hatte als Fremdsprachenkorrespondentin gearbeitet und hatte mit ihrem zurückhaltenden Mann zwei Kinder und einen Enkel. Sie hätte allen Grund gehabt, glücklich und zufrieden zu sein, doch sie strahlte nichts als Arroganz, Missgunst und Härte aus.
Ihr folgte Renate auf den Fuß. Die ging Irene auf andere Weise auf die Nerven. Renate wurde mit ihren achtzig Jahren nur noch von ihrem spachteldicken Make-up zusammengehalten, nichts an ihr war echt, aber sie prahlte gern mit den zahlreichen Amouren ihrer ersten vier Lebensdekaden, bis sie schließlich einen sicheren Anker gefunden hatte, der auch bei ihr geblieben war, als die Fassade deutlich zu bröckeln begann. Nun war sie seit fünf Jahren Witwe und hatte keine Kinder, die sie über den Verlust und die Einsamkeit hinwegtrösten konnten.
„Kaffee läuft durch, Teewasser ist aufgesetzt, Kannen sind angewärmt.“, erklärte Irene den Stand der erledigten Aufgaben. „Wenn ihr jetzt schon mal Dessertteller mit Kuchengabeln auf dem Servierwagen bereit stellt, kümmere ich mich um Tassen, Löffel, Zucker und Kondensmilch.“
Im Grunde wäre Irene zufrieden gewesen, wenn sie die Vorbereitungen allein getroffen hätte, aber hier mitzuwirken, das ließen die anderen Damen sich nicht nehmen, auch wenn Renate ohnhin die meiste Zeit hilflos im Weg herumstand und Charlotte mit planlosem, zur Schau gestelltem Aktionismus meistens alles durcheinanderbrachte. So auch jetzt.
„Wieso sollen wir die Teller denn auf den Wagen verteilen, wenn der Kuchen noch gar nicht da ist? Dann muss man sich ja bücken, um die Teilchen auf die Teller in den unteren Etagen zu bugsieren, da geht doch alles daneben.“
„Warum soll da was daneben gehen?“, fragte Irene herausfordernd.
„Na, ja, so ein gedeckter Apfelkuchen, der bricht leicht auseinander.“
„Heute gibt’s Berliner.“
„Na, dann pudern wir alles mit dem Zucker voll.“
„Die sind mit Guss.“
„Aber dann muss man die doch mit der Zange auflegen, sonst hat man gleich ganz klebrige Hände.“
„Ich mach das schnell mit Handschuhen.“
Renate begann zu kichern. „Klingt so, als würdest du ein Kapitalverbrechen planen. Bloß keine Fingerabdrücke auf den Tortentellern hinterlassen.“
„Mach darüber keine Witze.“, fuhr Charlotte Renate an. „Ich weiß zufällig, dass eine Ehegattenmörderin unter uns ist. Ich habe lange gezögert, aber morgen gehe ich zur Polizei.“
Ende Teil 1 – Fortsetzung folgt
Den Kuchen brachte Karl-Heinz mit. Karl-Heinz kam immer zu spät, aber sie konnten die Teller ja schon mit den Kuchengabeln auf dem Servierwagen verteilen. Sie füllte gerade das heiße Wasser zum Aufwärmen in die Kaffeekannen, da kam die zwei Jahre jüngere Charlotte im Stechschritt auf das Gemeindehaus zu. Ihr übellauniges Herrenmenschengebaren, das sie nicht erst zur Schau trug, seit sie Neunundsiebzig war, hatte Irene schon oft die gute Laune verdorben. Sie kannten sich seit der Jugend – damals hatten sie zusammen den Mädchenkreis besucht. Charlotte stammte aus der gehobenen Gastronomie und ihre Familie hatte sich schon immer für etwas Besseres gehalten. Sie selbst hatte als Fremdsprachenkorrespondentin gearbeitet und hatte mit ihrem zurückhaltenden Mann zwei Kinder und einen Enkel. Sie hätte allen Grund gehabt, glücklich und zufrieden zu sein, doch sie strahlte nichts als Arroganz, Missgunst und Härte aus.
Ihr folgte Renate auf den Fuß. Die ging Irene auf andere Weise auf die Nerven. Renate wurde mit ihren achtzig Jahren nur noch von ihrem spachteldicken Make-up zusammengehalten, nichts an ihr war echt, aber sie prahlte gern mit den zahlreichen Amouren ihrer ersten vier Lebensdekaden, bis sie schließlich einen sicheren Anker gefunden hatte, der auch bei ihr geblieben war, als die Fassade deutlich zu bröckeln begann. Nun war sie seit fünf Jahren Witwe und hatte keine Kinder, die sie über den Verlust und die Einsamkeit hinwegtrösten konnten.
„Kaffee läuft durch, Teewasser ist aufgesetzt, Kannen sind angewärmt.“, erklärte Irene den Stand der erledigten Aufgaben. „Wenn ihr jetzt schon mal Dessertteller mit Kuchengabeln auf dem Servierwagen bereit stellt, kümmere ich mich um Tassen, Löffel, Zucker und Kondensmilch.“
Im Grunde wäre Irene zufrieden gewesen, wenn sie die Vorbereitungen allein getroffen hätte, aber hier mitzuwirken, das ließen die anderen Damen sich nicht nehmen, auch wenn Renate ohnhin die meiste Zeit hilflos im Weg herumstand und Charlotte mit planlosem, zur Schau gestelltem Aktionismus meistens alles durcheinanderbrachte. So auch jetzt.
„Wieso sollen wir die Teller denn auf den Wagen verteilen, wenn der Kuchen noch gar nicht da ist? Dann muss man sich ja bücken, um die Teilchen auf die Teller in den unteren Etagen zu bugsieren, da geht doch alles daneben.“
„Warum soll da was daneben gehen?“, fragte Irene herausfordernd.
„Na, ja, so ein gedeckter Apfelkuchen, der bricht leicht auseinander.“
„Heute gibt’s Berliner.“
„Na, dann pudern wir alles mit dem Zucker voll.“
„Die sind mit Guss.“
„Aber dann muss man die doch mit der Zange auflegen, sonst hat man gleich ganz klebrige Hände.“
„Ich mach das schnell mit Handschuhen.“
Renate begann zu kichern. „Klingt so, als würdest du ein Kapitalverbrechen planen. Bloß keine Fingerabdrücke auf den Tortentellern hinterlassen.“
„Mach darüber keine Witze.“, fuhr Charlotte Renate an. „Ich weiß zufällig, dass eine Ehegattenmörderin unter uns ist. Ich habe lange gezögert, aber morgen gehe ich zur Polizei.“
Ende Teil 1 – Fortsetzung folgt
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