Samstag, 30. Dezember 2017
Tölpel, die in Flüsse fallen - abgeschlossener Kurzkrimi
c. fabry, 17:43h
Das Jahr ging zu Ende und meine Bilanz war erschreckend. Die 500,-€ vom letzten Auftrag waren längst verbraucht und seitdem hatte niemand mehr im Vorbeigehen das Schild „Peter Margo - private Ermittlungen“ gelesen und zum Anlass genommen, mich zu einem Erstgespräch aufzusuchen. Ich dachte gerade daran, Manufactum Konkurrenz zu machen und meine spartanische Einrichtung aus einem schweren Eichenschreibtisch, einem schwarzen Bakelit-Telefon und dem gigantischen Deckenventilator bei e-bay zu versteigern und ein letztes Mal so viel vom besten Whisky der Stadt zu trinken, dass ich beim Hinübergleiten in die unendliche Dunkelheit nichts mehr spüren würde; keinen Schmerz, keine Angst keine Trauer, ja nicht einmal Bedauern.
Doch da unterbrach ein dezentes Klopfen meine düsteren Gedanken und Leben regte sich wieder in mir, vielleicht tauchte der Engel aus der Adventszeit noch einmal auf und beauftragte mich nun, die drei goldenen Haare des Teufels zu stehlen. Doch was da mein Büro betrat, passte in seiner Unscheinbarkeit und Mittelmäßigkeit genau in meine gegenwärtige Lebenslage. Es handelte sich um ein androgynes Wesen mit vollem, durchgestuftem, glanzlosem Haar. Die Person wirkte geradezu alterslos und musste irgendwann zwischen 1960 und 1990 zur Welt gekommen sein. Der Körper war weder kraftlos noch athletisch, die Größe etwa 1,70 Meter, die Augen grau, die Haut klar, aber grobporig und selbst, als es begann zu sprechen, vermochte ich nicht zu sagen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte.
„Bitte finden Sie für mich heraus, wie es zu diesen beiden Geschichten kommen konnte und wie sie zusammenhängen.“
Es legte eine Klatschspalten-Seite einer provinziellen Tageszeitung auf den Schreibtisch. Das Druckerzeugnis stammte vom 21. Dezember und zwei Artikel waren rot eingekreist. Der erste lautete:
MANN STIRBT BEINAHE BEI MORDVERSUCH
Berlin (dpa). Ein 19-Jähriger, der versucht haben soll, eine 17-Jährige in der Berliner Havel zu ertränken, muss sich voraussichtlich wegen versuchten Mordes verantworten. Das teilte die Polizei mit. Der Mann wäre dabei fast selbst ertrunken, weil er Nichtschwimmer ist. Die Frau konnte sich selbst befreien und ans Ufer retten. Sie erlitt eine Unterkühlung. Es handele sich um eine Beziehungstat: Die beiden seien früher ein Paar gewesen, hieß es.
Im zweiten Artikel war Folgendes zu lesen:
BLÖDELEI ENDET IM BACHBETT
Sölden (dpa). Ein Pärchen aus Westfalen ist wegen einer Blödelei im Winterurlaub in Sölden im Krankenhaus gelandet. Ein 30-Jähriger hatte seine 27 Jahre alte Freundin aus Spaß über das Geländer einer Brücke gehalten und dabei das Gleichgewicht verloren. Die Touristen stürzten vier Meter tief. Die Frau wurde schnell geborgen, der Mann erlitt schwerste Verletzungen, er wurde von der Feuerwehr aus dem Wasser geholt.
Ich sah es verständnislos an und fragte: „Welche Anhaltspunkte gibt es und wer sind Sie überhaupt?“
„Anhaltspunkte?“, fragte es. „Sie sind privater Ermittler. Ich muss Ihnen doch wohl nicht Ihren Job erklären. Und was Ihre zweite Frage betrifft, ich bin der Totgeglaubte, den sie nirgends finden konnten.“
„Welcher Totgeglaubte?“
„Gott.“
Ein Irrer. Sollte ich direkt den Psychiatrischen Krisendienst anrufen oder einfach mitspielen? Schließlich schien er weder sich selbst noch andere zu gefährden. Ich entschied mich für letzteres.
„Wie wollen Sie mich denn bezahlen, Gott?“
„Bar und im Voraus.“ Er legte ein dickes Bündel Scheine auf meinen Schreibtisch. Ich zählte nach, genau 10000 Mäuse.
„Ich denke“, erklärte Gott, „damit sollten Entgelt und Spesen für die kommenden zwei Monate abgedeckt sein.“
Ich grunzte zustimmend und konnte mir die Frage dann aber doch nicht verkneifen:
„Wenn Sie Gott sind, dann müssen Sie doch wissen, was hinter diesen Geschichten steckt. Sie kennen doch jeden Menschen und wissen sogar im Voraus schon alles über ihn.“
„Wer hat Ihnen denn den Blödsinn erzählt?“
„Äh, der Pfarrer, Religionslehrer, meine Eltern, was weiß ich.“
„Ja, Menschen verlieren sich in ihren naiven Wünschen und Vorstellungen und steigern sich so lange hinein, bis sie es mit der Wirklichkeit verwechseln.“
„Aber wenn Sie nicht allwissend sind, was berechtigt Sie dann, sich Gott zu nennen?“
„Ich selbst berechtige mich.“
„Und warum?“
„Weil ich es will.“
„Und warum erscheinen Sie mir nicht als alter Mann mit Bart oder als starker Superheld?“
„Ich könnte Ihnen auch als bildschöne Frau erscheinen.“, erwiderte Gott lächelnd.
„Und warum tun Sie das nicht?“
„Jeder bekommt den Gott, den er verdient. Und jetzt gehen Sie an die Arbeit. Sonst stürze ich Sie ins Verderben.“
Er verließ mein Büro so leise und behutsam, wie er gekommen war.
Ich seufzte tief, rief bei der Redaktion der vorliegenden Tageszeitung an und bekam nach etlichen Telefonaten auch mit der Deutschen Presse-Agentur endlich die Namen des verunfallten Paares, das im österreichischen Sölden ins Flussbett gestürzt war. Mit dem Missgeschick wollte ich beginnen, den Mordversuch erst am Ende beleuchten, immer vom Einfachen zum Schwierigen und nicht umgekehrt.
Ich bin kein Mann der großen Worte und möchte Sie mit epischen Berichten meiner nun folgenden Recherchereisen sowie den jeweiligen wechselnden Befindlichkeiten verschonen, aber Ihnen die Ergebnisse meiner Recherche nicht vorenthalten. Ich landete zunächst bei Inga L. in Bielefeld, die sich noch immer um ihren schwer verletzten Freund sorgte, der in einem österreichischen Krankenhaus seiner baldigen Transportfähigkeit entgegenfieberte. Wie war es zu ihrem Missgeschick gekommen? Sie erklärte mir Folgendes: „Magnus und ich standen auf der Brücke und überall diese atemberaubende Landschaft, es war so romantisch, aber dann fiel uns auf, dass diese Romantik ja fast schon ins Kitschige abglitt und dass wir uns fühlten wie die Darsteller eines billigen Remakes eines romantischen Filmklassikers. Uns fielen Bekannte aus unserer Schulzeit ein. Beim Klassentreffen kurz nach dem Abi lösten sie allgemeines Fremdschämen aus – sie hatten in der Tanzschule einen Street-Dance-Kurs belegt und sich an den Hebefiguren aus Step Up versucht. Magnus hob mich hoch, nannte mich Saskia und schrie, dass ich ja so leicht wie eine Feder wäre. Dabei ist Saskia ziemlich moppelig, aber ihr Stefan ist auch ein echter Kleiderschrank, darum hat er es geschafft, sie in die Luft zu stemmen. Tja, Magnus hat es bei mir dann aber leider übertrieben und das Gleichgewicht verloren. Den Rest wissen Sie ja.“
Als nächstes suchte ich Saskia und Stefan K. In Porta Westfalica auf. Das Einfamilienhaus aus weißem Klinker, umgeben von Puschenrasen, Kies und Hainbuchenhecken passte zu dem von Inga L. beschriebenen Ehepaar. Als die Frau mir jedoch die Tür öffnete und mich ins Wohnzimmer bat, entdeckte ich überall seltsame Accessoires der Esoterik-Szene. Als ich sie fragte, ob sie vom Missgeschick ihrer Bekannten aus Bielefeld gehört habe, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht und sie gestand mir mit leuchtenden Augen, dass sie sich auf schwarze Magie verstehe. Sie selbst habe die beiden aus der Ferne zu Fall gebracht, denn sie hätten sie während einer furchtbaren Ferienfreizeit ständig wegen ihrer ausgeprägten Rundungen gehänselt und danach auch wegen ihrer posttraumatischen Belastungsstörungen, die die damals 10-Jährige aufgrund eines erschütternden Ereignisses während der Freizeit erlitten hatte. Bei einem Zeltlager im niedersächsischen Wallenhorst bei Osnabrück, war sie wegen Inga K.s und Magnus F.s Hänseleien vom Platz gelaufen und hatte erleben müssen, wie direkt vor ihren Augen ein junges Paar im Mittellandkanal ertrank. Sie hatte auf der nahegelegenen Brücke einen Schatten hinweg huschen sehen und sie war sicher, dass das der Teufel gewesen war.
Ich verließ die Wahnsinnige, recherchierte aber in den Pressearchiven und tatsächlich fand ich heraus, dass der psychisch kranke Detlev R., das Paar damals von der Brücke gestürzt hatte, das sich auf dem Geländer akrobatisch ineinander verschlungen hatte. Detlev R. lebte mittlerweile in Hannover in einer feuchten Souterrain-Wohnung nahe der Leine. Als er mir die Tür öffnete, ließ er mich arglos eintreten und schon bald ahnte ich warum. Er bereitete sich gerade darauf vor, in die Fußstapfen des berühmten Massenmörders Hamann zu treten und offenbar sollte ich sein erstes menschliches Opfer abgeben. Es gelang mir, ihm das Schlachtermesser zu entwinden und darüber hinaus ein Geständnis. Bereits seit geraumer Zeit produzierte er falsche Braunschweiger Würste aus dem Fleisch von Kaninchen und Ratten. Seine Abnehmer saßen – wie sollte es anders sein – direkt in Braunschweig. Es handelte sich um ein Metzger-Ehepaar, die ihn mit der passenden Gewürzmischung, Därmen, Klammern und Werkzeug für die Wurstherstellung versorgten und ihm seine Produkte zu Schleuderpreisen abkauften. Ich versprach ihm, ihn nicht bei der Polizei anzuzeigen. Ich hielt mein Versprechen und informierte den sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt Hannover. Wie ich später hörte, mussten die Mitarbeitenden den Flüchtenden verfolgen, bis er schließlich stolperte und in die Leine fiel. Er konnte gerettet werden und wurde in eine geschlossene Einrichtung der forensischen Psychiatrie verbracht.
Ich fuhr weiter nach Braunschweig. Dort konnte ich nur noch die Scherben zusammenkehren. Das Metzger-Ehepaar war von Detlev R. Bereits gewarnt worden und hatte sich mitsamt seinem erheblichen Vermögen nach Übersee abgesetzt. Den Laden hatten sie einem zugedröhnten Punk-Pärchen übergeben, einfach damit jemand da war und nicht auffiel, dass sie sich aus dem Staub gemacht hatten. Einigen Braunschweiger Fascho-Glatzen, war aber sofort aufgefallen, dass anstelle des blitzsauberen Metzgerpaares nun ein paar schmuddelige Zecken planlos hinter der Theke herumlungerten. Sie verdächtigten sie, das Metzgerehepaar ermordet zu haben und trieben sie in einem Akt von Selbstjustiz wie die Hamelner Ratten in die nahegelegene Oker, wo sie fast ertranken. Zum Glück hatte die Frau kurz vorher eine SMS verschickt und auch eine Antwort darauf erhalten. Die Spur führte mich nach Berlin – in ein besetztes Haus im westlichen Stadtteil Wannsee, ein äußerst ungewöhnlicher Ort für Hausbesetzer, aber sie hatten es wirklich nett in der verwunschenen, etwas heruntergekommenen Jugendstilvilla im Grünen und die unkonventionellen Bewohner luden mich zu Kaffee und Keksen ein. Ich hätte es wissen müssen, die Kekse hatten es in sich und darum bin ich nicht sicher, ob ich alles, was mir die jungen Leute nun erzählten, richtig in Erinnerung habe. Ein seltsamer Freak namens Marlon F., der mit seinen vermögenden Erziehungsberechtigten im Haus schräg gegenüber lebte und tagein, tagaus nur in seinem Zimmer saß und abwechselnd seinem PC oder seinem Smartphone Gesellschaft leistete, war an einem lauen Sommerabend vor die Tür getreten und Josie H. begegnet. Josie war eine 16-jährige Trebegängerin gewesen und hatte in dem besetzten Haus untertauchen können. Das lag mittlerweile ein Jahr zurück – in der Zwischenzeit hatte Josie versucht, Marlon aus seiner Konsum- und Computer-Hölle zu erlösen, hatte ihm die Schönheiten der Natur gezeigt, inklusive jene, die sie permanent mit sich herumtrug, der Junge hatte ein wenige Farbe bekommen und gelernt, in ganzen Sätzen zu sprechen. Aber Josie war flatterhaft wie ein Schmetterling und intelligent wie eine Nobelpreisträgerin gewesen und des unansehnlichen, geistig unflexiblen Hikikomori-Kandidaten bald überdrüssig geworden. Als der kurz vor Weihnachten feststellte, dass es für ihn nicht einen einzigen Grund gab, sich auf das Fest zu freuen, weil ihm nichts mehr einfiel, das er sich hätte wünschen können, außer seine Beziehung mit Josie H. wieder aufzunehmen, entschloss er sich, das Haus erneut zu verlassen. Doch als er ihr, nachdem er sie zu einem Spaziergang an der Havel überredet hatte, seinen Vorschlag unterbreitete, hatte die Angebetete nur entnervt mit den Augen gerollt. In blinder Wut hatte er sie in die Havel gestoßen und unter Wasser gedrückt. Dabei geriet er in die Strömung und weil er nicht schwimmen konnte, wäre er beinahe ertrunken, hätte nicht Josie K. sich schnell ans Ufer gerettet und einen Passanten gebeten, einen Notruf abzusetzen.
Ich habe Marlon F. Im Krankenhaus besucht. Er hadert mit seinem Schicksal. An allem, sagte er, sei nur sein Halbbruder Magnus schuld. Magnus durfte damals bei der Mutter bleiben und lebt übrigens in Bielefeld. Magnus hat eine Freundin und ein Talent, sich beim Fallen in Flüsse lebensgefährlich zu verletzen. Marlon hat gegoogelt. Die Lutter mit ihrem Knöchel- bis Kniehohen Bachbett liegt nicht weit von seinem Haus entfernt.
Als ich pünktlich zum Jahreswechsel Gott von meinem Recherchen in Kenntnis setzte, lauschte er schmunzelnd meinem Bericht. „Ist das nicht irre?“, fragte er. „Wie das Eine mit dem Anderen zusammenhängt? Wie eine unendliche Kette aus Millionen bunter Perlen. Das hast Du wirklich gut gemacht. Gehen wir eine Scotch trinken. Ich lad' dich ein.“
Doch da unterbrach ein dezentes Klopfen meine düsteren Gedanken und Leben regte sich wieder in mir, vielleicht tauchte der Engel aus der Adventszeit noch einmal auf und beauftragte mich nun, die drei goldenen Haare des Teufels zu stehlen. Doch was da mein Büro betrat, passte in seiner Unscheinbarkeit und Mittelmäßigkeit genau in meine gegenwärtige Lebenslage. Es handelte sich um ein androgynes Wesen mit vollem, durchgestuftem, glanzlosem Haar. Die Person wirkte geradezu alterslos und musste irgendwann zwischen 1960 und 1990 zur Welt gekommen sein. Der Körper war weder kraftlos noch athletisch, die Größe etwa 1,70 Meter, die Augen grau, die Haut klar, aber grobporig und selbst, als es begann zu sprechen, vermochte ich nicht zu sagen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte.
„Bitte finden Sie für mich heraus, wie es zu diesen beiden Geschichten kommen konnte und wie sie zusammenhängen.“
Es legte eine Klatschspalten-Seite einer provinziellen Tageszeitung auf den Schreibtisch. Das Druckerzeugnis stammte vom 21. Dezember und zwei Artikel waren rot eingekreist. Der erste lautete:
MANN STIRBT BEINAHE BEI MORDVERSUCH
Berlin (dpa). Ein 19-Jähriger, der versucht haben soll, eine 17-Jährige in der Berliner Havel zu ertränken, muss sich voraussichtlich wegen versuchten Mordes verantworten. Das teilte die Polizei mit. Der Mann wäre dabei fast selbst ertrunken, weil er Nichtschwimmer ist. Die Frau konnte sich selbst befreien und ans Ufer retten. Sie erlitt eine Unterkühlung. Es handele sich um eine Beziehungstat: Die beiden seien früher ein Paar gewesen, hieß es.
Im zweiten Artikel war Folgendes zu lesen:
BLÖDELEI ENDET IM BACHBETT
Sölden (dpa). Ein Pärchen aus Westfalen ist wegen einer Blödelei im Winterurlaub in Sölden im Krankenhaus gelandet. Ein 30-Jähriger hatte seine 27 Jahre alte Freundin aus Spaß über das Geländer einer Brücke gehalten und dabei das Gleichgewicht verloren. Die Touristen stürzten vier Meter tief. Die Frau wurde schnell geborgen, der Mann erlitt schwerste Verletzungen, er wurde von der Feuerwehr aus dem Wasser geholt.
Ich sah es verständnislos an und fragte: „Welche Anhaltspunkte gibt es und wer sind Sie überhaupt?“
„Anhaltspunkte?“, fragte es. „Sie sind privater Ermittler. Ich muss Ihnen doch wohl nicht Ihren Job erklären. Und was Ihre zweite Frage betrifft, ich bin der Totgeglaubte, den sie nirgends finden konnten.“
„Welcher Totgeglaubte?“
„Gott.“
Ein Irrer. Sollte ich direkt den Psychiatrischen Krisendienst anrufen oder einfach mitspielen? Schließlich schien er weder sich selbst noch andere zu gefährden. Ich entschied mich für letzteres.
„Wie wollen Sie mich denn bezahlen, Gott?“
„Bar und im Voraus.“ Er legte ein dickes Bündel Scheine auf meinen Schreibtisch. Ich zählte nach, genau 10000 Mäuse.
„Ich denke“, erklärte Gott, „damit sollten Entgelt und Spesen für die kommenden zwei Monate abgedeckt sein.“
Ich grunzte zustimmend und konnte mir die Frage dann aber doch nicht verkneifen:
„Wenn Sie Gott sind, dann müssen Sie doch wissen, was hinter diesen Geschichten steckt. Sie kennen doch jeden Menschen und wissen sogar im Voraus schon alles über ihn.“
„Wer hat Ihnen denn den Blödsinn erzählt?“
„Äh, der Pfarrer, Religionslehrer, meine Eltern, was weiß ich.“
„Ja, Menschen verlieren sich in ihren naiven Wünschen und Vorstellungen und steigern sich so lange hinein, bis sie es mit der Wirklichkeit verwechseln.“
„Aber wenn Sie nicht allwissend sind, was berechtigt Sie dann, sich Gott zu nennen?“
„Ich selbst berechtige mich.“
„Und warum?“
„Weil ich es will.“
„Und warum erscheinen Sie mir nicht als alter Mann mit Bart oder als starker Superheld?“
„Ich könnte Ihnen auch als bildschöne Frau erscheinen.“, erwiderte Gott lächelnd.
„Und warum tun Sie das nicht?“
„Jeder bekommt den Gott, den er verdient. Und jetzt gehen Sie an die Arbeit. Sonst stürze ich Sie ins Verderben.“
Er verließ mein Büro so leise und behutsam, wie er gekommen war.
Ich seufzte tief, rief bei der Redaktion der vorliegenden Tageszeitung an und bekam nach etlichen Telefonaten auch mit der Deutschen Presse-Agentur endlich die Namen des verunfallten Paares, das im österreichischen Sölden ins Flussbett gestürzt war. Mit dem Missgeschick wollte ich beginnen, den Mordversuch erst am Ende beleuchten, immer vom Einfachen zum Schwierigen und nicht umgekehrt.
Ich bin kein Mann der großen Worte und möchte Sie mit epischen Berichten meiner nun folgenden Recherchereisen sowie den jeweiligen wechselnden Befindlichkeiten verschonen, aber Ihnen die Ergebnisse meiner Recherche nicht vorenthalten. Ich landete zunächst bei Inga L. in Bielefeld, die sich noch immer um ihren schwer verletzten Freund sorgte, der in einem österreichischen Krankenhaus seiner baldigen Transportfähigkeit entgegenfieberte. Wie war es zu ihrem Missgeschick gekommen? Sie erklärte mir Folgendes: „Magnus und ich standen auf der Brücke und überall diese atemberaubende Landschaft, es war so romantisch, aber dann fiel uns auf, dass diese Romantik ja fast schon ins Kitschige abglitt und dass wir uns fühlten wie die Darsteller eines billigen Remakes eines romantischen Filmklassikers. Uns fielen Bekannte aus unserer Schulzeit ein. Beim Klassentreffen kurz nach dem Abi lösten sie allgemeines Fremdschämen aus – sie hatten in der Tanzschule einen Street-Dance-Kurs belegt und sich an den Hebefiguren aus Step Up versucht. Magnus hob mich hoch, nannte mich Saskia und schrie, dass ich ja so leicht wie eine Feder wäre. Dabei ist Saskia ziemlich moppelig, aber ihr Stefan ist auch ein echter Kleiderschrank, darum hat er es geschafft, sie in die Luft zu stemmen. Tja, Magnus hat es bei mir dann aber leider übertrieben und das Gleichgewicht verloren. Den Rest wissen Sie ja.“
Als nächstes suchte ich Saskia und Stefan K. In Porta Westfalica auf. Das Einfamilienhaus aus weißem Klinker, umgeben von Puschenrasen, Kies und Hainbuchenhecken passte zu dem von Inga L. beschriebenen Ehepaar. Als die Frau mir jedoch die Tür öffnete und mich ins Wohnzimmer bat, entdeckte ich überall seltsame Accessoires der Esoterik-Szene. Als ich sie fragte, ob sie vom Missgeschick ihrer Bekannten aus Bielefeld gehört habe, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht und sie gestand mir mit leuchtenden Augen, dass sie sich auf schwarze Magie verstehe. Sie selbst habe die beiden aus der Ferne zu Fall gebracht, denn sie hätten sie während einer furchtbaren Ferienfreizeit ständig wegen ihrer ausgeprägten Rundungen gehänselt und danach auch wegen ihrer posttraumatischen Belastungsstörungen, die die damals 10-Jährige aufgrund eines erschütternden Ereignisses während der Freizeit erlitten hatte. Bei einem Zeltlager im niedersächsischen Wallenhorst bei Osnabrück, war sie wegen Inga K.s und Magnus F.s Hänseleien vom Platz gelaufen und hatte erleben müssen, wie direkt vor ihren Augen ein junges Paar im Mittellandkanal ertrank. Sie hatte auf der nahegelegenen Brücke einen Schatten hinweg huschen sehen und sie war sicher, dass das der Teufel gewesen war.
Ich verließ die Wahnsinnige, recherchierte aber in den Pressearchiven und tatsächlich fand ich heraus, dass der psychisch kranke Detlev R., das Paar damals von der Brücke gestürzt hatte, das sich auf dem Geländer akrobatisch ineinander verschlungen hatte. Detlev R. lebte mittlerweile in Hannover in einer feuchten Souterrain-Wohnung nahe der Leine. Als er mir die Tür öffnete, ließ er mich arglos eintreten und schon bald ahnte ich warum. Er bereitete sich gerade darauf vor, in die Fußstapfen des berühmten Massenmörders Hamann zu treten und offenbar sollte ich sein erstes menschliches Opfer abgeben. Es gelang mir, ihm das Schlachtermesser zu entwinden und darüber hinaus ein Geständnis. Bereits seit geraumer Zeit produzierte er falsche Braunschweiger Würste aus dem Fleisch von Kaninchen und Ratten. Seine Abnehmer saßen – wie sollte es anders sein – direkt in Braunschweig. Es handelte sich um ein Metzger-Ehepaar, die ihn mit der passenden Gewürzmischung, Därmen, Klammern und Werkzeug für die Wurstherstellung versorgten und ihm seine Produkte zu Schleuderpreisen abkauften. Ich versprach ihm, ihn nicht bei der Polizei anzuzeigen. Ich hielt mein Versprechen und informierte den sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt Hannover. Wie ich später hörte, mussten die Mitarbeitenden den Flüchtenden verfolgen, bis er schließlich stolperte und in die Leine fiel. Er konnte gerettet werden und wurde in eine geschlossene Einrichtung der forensischen Psychiatrie verbracht.
Ich fuhr weiter nach Braunschweig. Dort konnte ich nur noch die Scherben zusammenkehren. Das Metzger-Ehepaar war von Detlev R. Bereits gewarnt worden und hatte sich mitsamt seinem erheblichen Vermögen nach Übersee abgesetzt. Den Laden hatten sie einem zugedröhnten Punk-Pärchen übergeben, einfach damit jemand da war und nicht auffiel, dass sie sich aus dem Staub gemacht hatten. Einigen Braunschweiger Fascho-Glatzen, war aber sofort aufgefallen, dass anstelle des blitzsauberen Metzgerpaares nun ein paar schmuddelige Zecken planlos hinter der Theke herumlungerten. Sie verdächtigten sie, das Metzgerehepaar ermordet zu haben und trieben sie in einem Akt von Selbstjustiz wie die Hamelner Ratten in die nahegelegene Oker, wo sie fast ertranken. Zum Glück hatte die Frau kurz vorher eine SMS verschickt und auch eine Antwort darauf erhalten. Die Spur führte mich nach Berlin – in ein besetztes Haus im westlichen Stadtteil Wannsee, ein äußerst ungewöhnlicher Ort für Hausbesetzer, aber sie hatten es wirklich nett in der verwunschenen, etwas heruntergekommenen Jugendstilvilla im Grünen und die unkonventionellen Bewohner luden mich zu Kaffee und Keksen ein. Ich hätte es wissen müssen, die Kekse hatten es in sich und darum bin ich nicht sicher, ob ich alles, was mir die jungen Leute nun erzählten, richtig in Erinnerung habe. Ein seltsamer Freak namens Marlon F., der mit seinen vermögenden Erziehungsberechtigten im Haus schräg gegenüber lebte und tagein, tagaus nur in seinem Zimmer saß und abwechselnd seinem PC oder seinem Smartphone Gesellschaft leistete, war an einem lauen Sommerabend vor die Tür getreten und Josie H. begegnet. Josie war eine 16-jährige Trebegängerin gewesen und hatte in dem besetzten Haus untertauchen können. Das lag mittlerweile ein Jahr zurück – in der Zwischenzeit hatte Josie versucht, Marlon aus seiner Konsum- und Computer-Hölle zu erlösen, hatte ihm die Schönheiten der Natur gezeigt, inklusive jene, die sie permanent mit sich herumtrug, der Junge hatte ein wenige Farbe bekommen und gelernt, in ganzen Sätzen zu sprechen. Aber Josie war flatterhaft wie ein Schmetterling und intelligent wie eine Nobelpreisträgerin gewesen und des unansehnlichen, geistig unflexiblen Hikikomori-Kandidaten bald überdrüssig geworden. Als der kurz vor Weihnachten feststellte, dass es für ihn nicht einen einzigen Grund gab, sich auf das Fest zu freuen, weil ihm nichts mehr einfiel, das er sich hätte wünschen können, außer seine Beziehung mit Josie H. wieder aufzunehmen, entschloss er sich, das Haus erneut zu verlassen. Doch als er ihr, nachdem er sie zu einem Spaziergang an der Havel überredet hatte, seinen Vorschlag unterbreitete, hatte die Angebetete nur entnervt mit den Augen gerollt. In blinder Wut hatte er sie in die Havel gestoßen und unter Wasser gedrückt. Dabei geriet er in die Strömung und weil er nicht schwimmen konnte, wäre er beinahe ertrunken, hätte nicht Josie K. sich schnell ans Ufer gerettet und einen Passanten gebeten, einen Notruf abzusetzen.
Ich habe Marlon F. Im Krankenhaus besucht. Er hadert mit seinem Schicksal. An allem, sagte er, sei nur sein Halbbruder Magnus schuld. Magnus durfte damals bei der Mutter bleiben und lebt übrigens in Bielefeld. Magnus hat eine Freundin und ein Talent, sich beim Fallen in Flüsse lebensgefährlich zu verletzen. Marlon hat gegoogelt. Die Lutter mit ihrem Knöchel- bis Kniehohen Bachbett liegt nicht weit von seinem Haus entfernt.
Als ich pünktlich zum Jahreswechsel Gott von meinem Recherchen in Kenntnis setzte, lauschte er schmunzelnd meinem Bericht. „Ist das nicht irre?“, fragte er. „Wie das Eine mit dem Anderen zusammenhängt? Wie eine unendliche Kette aus Millionen bunter Perlen. Das hast Du wirklich gut gemacht. Gehen wir eine Scotch trinken. Ich lad' dich ein.“
... comment
schreibmandietrichurich,
Mittwoch, 3. Januar 2018, 14:51
Hab leider
noch nicht ganz durchgeblickt. Ich glaub ich muss es noch ein zweites Mal lesen. Liebe Grüsse!
... link
c. fabry,
Mittwoch, 3. Januar 2018, 18:09
Du bist nicht allein ;-)
mein Mann hat beim Vorlesen auch zwischendurch den Faden verloren. Ist auch nicht so wichtig. Die Zeitungsartikel standen tatsächlich so in der Tagespresse und haben mir Lust gemacht, mir ein bisschen Blödsinn aus den Fingern zu saugen - so zum Jahresabschluss.
... link
schreibmandietrichurich,
Mittwoch, 3. Januar 2018, 22:00
Na,
dann bin ich ja beruhigt. Hatte schon ernsthafte Zweifel an meinem Auffassungsvermögen. Also vielen Dank für die Aufklärung. Und - man muss doch auch mal rumspinnen dürfen, gell.
... link
... comment