Sonntag, 28. Mai 2017
Ein Gugelhupf für ein Gospelsolo
Das Chorwochenende kam ihr im Rückblick vor wie 14 Tage Robinson-Club. So intensiv, so voller Begegnungen und endlich hatte sie zeigen können, was in ihr steckte; ein ganzes langes Wochenende hindurch. Sie hatte gesehen, wie es allen durch Mark und Bein ging, als sie „I Will Follow Him“ zum Besten gegeben hatte.
Lilian hatte keine Zeit, sie musste sich auf eine Prüfung vorbereiten, darum hatte sie ihren Part übernommen und nach ihren Auftritten war sie ganz sicher gewesen, dass das junge Küken ihr nicht das Wasser reichen konnte.
Doch dann – am Sonntag Vormittag, kurz vor der Rückreise – hörte sie zufällig auf der Toilette ein Gespräch zwischen Beate und Gudula mit an:
„Ich bin ja heilfroh, wenn Lilian endlich ihre Prüfung hinter sich hat und wieder bei den Proben dabei ist.“, sagte Beate.
„Ach komm.“, erwiderte Gudula. „So schlecht hat Heike doch gar nicht gesungen. Für die Proben war das völlig okay.“
Solange Lilian da war, würde sie das Solo nicht singen können. Sie erklärte sich bereit, Lilian nachher die Noten vorbei zu bringen, die an diesem Wochenende neu dazugekommen waren, damit sie sich bis zur Probe am Dienstag Abend auf den neuesten Stand bringen konnte – ihre Prüfung stand Montag Mittag an. Wenn man so im Prüfungsstress war, konnte man einen saftigen Kuchen gebrauchen, von dem man sich von Zeit zu Zeit eine Scheibe abschneiden konnte. Sie zauberte ihren berühmten Mandel-Gugelhupf mit Bittermandelöl und echter Vanille – das Rezept veränderte sie nur um eine kleine, kaum wahrnehmbare Variante, von der sie sich aber eine große Wirkung versprach. Lilian würde sich am Dienstag krank melden und sie würde das Solo erneut singen. Irgendwann konnten sie es ihr einfach nicht mehr wegnehmen, schließlich waren sie nicht im gnadenlosen Show-Business unterwegs, sondern der Gospelchor einer evangelischen Kirchengemeinde, eine Gruppe, für die christliche Werte im Vordergrund standen.
Pünktlich zur Kaffeezeit stand sie vor Lilians Tür. Die junge Frau öffnete nach einer Weile. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, die Haare waren nicht gekämmt und sie war nachlässig gekleidet.
„Hallo Lilian, ich wollte dir schon einmal die Noten für Dienstag vorbei bringen und hier einen schönen Gugelhupf, damit du beim Lernen bei Kräften bleibst.“
„Oh, danke.“, antwortete Lilian. „Was ist denn da drin?“
„Eier, Butter, Zucker, Bittermandelöl, Vanillemark, Dinkelmehl, ungeschälte, gemahlene Mandeln, Backpulver und Milch.“
„Ja, super, danke. „Zucker und Fett ist ja gut für die Nerven.“
„Ja, und Mandeln sind basisch, damit du nicht übersäuerst. Und als Belohnung nach der Prüfung ist das ja auch das Richtige. So ein Gugelhupf hält sich ja ein paar Tage.“
„Toll. Du ich würde dich ja gerne zum Kaffee einladen, aber...“
„Nein, nein, du sollst ja lernen. Und ich habe auch überhaupt keine Zeit. Ich muss ja erst einmal die Wäsche vom Wochenende waschen. Viel Glück morgen und dann bis Dienstag.“
„Ja, danke. Bis Dienstag. Tschüss.“
Sie rieb sich die Hände: „Heute back ich, morgen wart ich, übermorgen singe ich der Lilian ihr Lied – ach wie gut dass niemand weiß, in welchen Kuchen sie gleich beißt.“

Am Montag nach der Arbeit putzte sie ihre Wohnung gründlich – schließlich hatte sie am Wochenende keine Zeit gehabt und es lenkte sie ein wenig von der Aufregung ab – so ganz risikolos war ihr kleiner Anschlag nicht gewesen. Man könnte ihr auf die Schliche kommen und dann wäre alle Hoffnung auf das Solo vergebens.

Dienstag Abend. Nach und nach trudelten alle ein. Wie sie erwartet hatte, tauchte Lilian nicht auf. Aber sie hatte sich bei niemandem abgemeldet. Sie erschien einfach nicht. Vielleicht war die Wirkung so durchschlagend, dass sie gar nicht mehr vom Klo herunterkam. Vielleicht hatte sie es nicht einmal mehr zur Prüfung geschafft und hatte sich frustriert zu Hause eingeigelt. Aber darüber musste sie sich nicht den Kopf zerbrechen. So ein junges, hübsches, talentiertes Ding wie Lilian bekam immer mehr als eine zweite Chance, das bräche ihr nicht das Genick.
Sie sang das Solo und in der Gewissheit, dass es ihr niemand mehr streitig machen würde, quoll ihr Brustkorb über vor Inbrunst.

Nach der Probe erklärte Beate: „Ich fahre noch mal eben bei Lilian vorbei und sehe nach dem rechten. Hoffentlich ist mit der Prüfung gestern alles gut gegangen.“
„Vielleicht feiert sie immer noch.“, erwiderte Gudula, „und hat die Chorprobe darüber ganz vergessen."

Am Mittwoch hatte sie Schwierigkeiten, sich bei der Arbeit zu konzentrieren. Sie hatte unruhig geschlafen, war immer wieder aus wilden Träumen aufgewacht, an die sie sich nicht erinnern konnte. Und jetzt schwankte sie zwischen Euphorie, wegen des sicheren Solos und einer diffusen Angst, dass da irgendetwas aus dem Ruder lief.

Sie hatte sich gerade einen Kaffee gekocht, da klingelte es an der Wohnungstür. Gudula stand dort und ihre Augen bewegten sich unruhig. „Du, die Lilian ist gestorben.“
Die Nachricht erreichte zuerst ihren Nacken, ging von dort auf direktem Weg zum Solar Plexus und wanderte dann langsam übers Rückenmark unter ihre Schädeldecke. Die Rechenleistung ihrer Neuronen erwies sich als schwer verlangsamt. Das passte nicht zusammen. Rizinusöl brachte niemanden um, es täuschte im schlimmsten Fall einen schweren Magen-Darm-Infekt vor. Es musste einen anderen Grund geben. Ihr Kuchen hatte nichts damit zu tun. Schließlich erwiderte sie: „Aber wie kann das sein? Sie war doch jung und gesund.“
„Ihr Freund hat sie Montag Nachmittag in der Wohnung gefunden. Er wollte sie von der Prüfung abholen, doch da war sie nicht aufgetaucht. Darum ist er zu ihr nach Hause, er hatte einen eigenen Schlüssel. Sie lag im Wohnzimmer. Der Arzt hat dann festgestellt, dass sie schon seit Sonntag Nachmittag tot war. Sie hatte einen anaphylaktischen Schock.“
„Wogegen war sie denn allergisch?“
„Gegen Haselnüsse.“
„Aber das wird sie doch gewusst haben.“
„Sicher, aber sie hat wohl von einem Kuchen gegessen, der Haselnüsse enthielt. Vielleicht hat sie das nicht gewusst.“
„Mein Gott, wie furchtbar.“
„Ja, furchtbar. Du ich muss jetzt weiter, ich wollte noch ein paar Leuten Bescheid sagen. Wir sehen uns dann am Sonntag.“
„Ja natürlich.“
Gudula ging die Treppe herunter. Sie schloss die Tür. Haselnüsse. Sie hatte gemahlene Mandeln in den Kuchen getan. Hatten die vielleicht Spuren von Nüssen enthalten? Aber wenn das so gefährlich war, hätte Lilian doch niemals... Sie öffnete den Deckel der Wertstofftonne. Da lag noch das ganze Verpackungsmaterial von Sonntag. Sie fischte die Mandeltüten aus dem Eimer. „Sunmaid“ stand darauf. „Gemahlene Haselnüsse“.

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der titel alleine macht ja schon den mund wässrig!
hoffentlich werden wieder viele sterben, ich fang gleich ma mitm lesen an....

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oh wie schön, ein makaberer unfall
das ist zur abwechslung mal ganz apart. dabei fühlt sich die story sonst total klassisch an. könnte ich mir gut als episode der "krimistunde" vorstellen, die es in den achtzigern immer im tv gegeben hat. so kleine feine makabre geschichten für genießer, da war auch oft lecker essen mit im spiel, wie diese gefrorene lammkeule...

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Interessanter Hinweis :-)
In den Achtzigern - also bei Derrick, dem Alten und so wohnten die Beteiligten aber immer in so luxuriösen Architektenhäusern mit offenem Kamin, Designermöbeln und Luxusflokati. Die Männer kompensierten ihre durch Sportabstinenz und Spirituosen-Rituale gebeutelte, dahinwelkende Körperlichkeit durch legere weiße Jacketts zum schwarzen Rollkragen oder das bordeauxfarbene Halstuch zum offenen Hemdkragen, dazu die goldene Armbanduhr, der Cognacschwenker auf dem Mamorcouchtisch und er selbst lässig mit übereinandergeschlagenen Beinen in den Ledersessel drapiert. Die Frauen dagegen waren spindeldürr, spachteldick geschminkt und mit 1 Liter Festiger onduliert und alle redeten immer so blasiert, geschwollen daher mit wichtigtuerischem Gesichtsausdruck: Ich bin reich, ich bin gebildet, ich habe Probleme, die du kleinbürgerlicher Kommissar gar nicht verstehen kannst. Alle sprachen immer mit gedämpfter Stimme, auch die Kommissare und die Zuschauerinnen fanden den dackelgesichtigen Tappert auch noch sexy, iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiigitt!
Wir haben als Kinder diese Scheiße in Nachbarns unkonventioneller Industriellen-Hütte nachgespielt, das fand ich cool. Im Wohnzimmer meiner Eltern (goldfarbene Plüschpolstermöbel, Velourteppichboden, perverse Perserbrücke und Nußbaum-Schrank, sowie ein Set aus Zinnbechern und -Kannen war dann immer die Location für Sissy oder das Haus am Eton Place. Scheiße, vielleicht sollte ich mal einen Derrick-Fanfiction-Krimi schreiben, was meinst Du? Aber da muss man sich, glaube ich, die Erlaubnis holen oder ich nenne ihn Kommissar Steven Terry und sein Assistent heißt Willi Lüttke.

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Solo-Sängerin nicht ganz wider Willen ...
Ohne Tote geht es bei dir ja nie ab. Arme Lillian, so früh durch Haselnüsse dahingerafft und all die Arbeit für die Prüfung für die Katz.

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