Donnerstag, 29. Dezember 2016
Endabrechnung – ein Kurzkrimi zwischen den Jahren
Die weihnachtlichen Familienstreitigkeiten waren überstanden, jetzt war Zeit bis Silvester durchzuatmen und Kriminalkommissarin Sabine Kerkenbrock hoffte, dass es in Bielefeld keine Grabbel- und Fummelattacken im neuen Bahnhofsviertel gab, wo sich seit einigen Jahren die Partymeile der Ostwestfalenmetropole befand; überschaubarer, als vormals die Altstadt, aber auch entgrenzter was die Schwelle zur Gewaltbereitschaft betraf. Sie stand vor dem Kaffeeautomaten und wartete auf zwei Portionen gut durchgesäuertes Magenkrebsgebräu, für sie selbst mit Milchpulver zum vermeintlichen Latte Macchiato mutiert, für ihren Kollegen Stefan Keller in seiner ganzen schwarzbitteren Grausamkeit. „Hauptsache kein Glühwein mehr, keine Gans und keine Plätzchen.“, murmelte Kerkenbrock und fragte sich, warum der Automat eigentlich keine Heißwasser-Funktion hatte, in das man sich seinen eigenen Gesundheitsteebeutel hängen konnte. Magen- und Darmtee oder wenigstens Fenchel wäre jetzt genau das Richtige.
Als sie das Büro mit den schäbigen Kunststoffbechern betrat, stöhnte sie auf. „Oh nein, Herr Keller, bitte nicht, nicht dieser Blick. Sagen Sie mir, dass sie einfach nur Sodbrennen haben!“
„Noch nicht.“, erwiderte Keller kurz angebunden. „Aber ich fürchte, das wird sich im Laufe des Tages noch einstellen. Wir müssen in die Markgrafenstraße, Kreiskirchenamt.“
„Da, wo auch unsere Leute sitzen?“
„Ja genau. Aber mit unseren Leuten hat das nichts zu tun. Es liegt eine Leiche in einem der Büros.“
„Gibt es schon Hinweise, was uns erwartet?“
„Leider nein.“
Sie stürzten den Kaffee hinunter und beide dachten, dass sie ihrem Magen diese Tortur besser erspart hätten.
In der Markgrafenstraße gab es mal wieder keinen freien Parkplatz, ein Kollege schickte sie zwei Straßen weiter, da sei noch etwas frei. Draußen war es grau und feucht und der spätdezemberliche Nieselregen drang durch jede Faser und ließ Sabine Kerkenbrocks blonde Locken noch krauser werden. Der Kollege, der ihnen den Parkplatztipp gegeben hatte, führte sie zum Tatort bzw. zum Fundort der Leiche. Die Gerichtsmedizinerin Konstanze Flegel war inzwischen auch schon eingetroffen und beugte sich über den Toten, einen Mann mittleren Alters in legerer Kleidung. „Eckart Rodeheger.“, erklärte der Streifenbeamte, der als erster am Fundort eingetroffen war. „Jugendreferent in Ubbedissen. Gefunden hat ihn der Verwaltungsangestellte Karsten Evers, der in diesem Büro arbeitet. Wollen Sie ihn sprechen?“
„Ja, natürlich.“, antwortete Keller und Der Kollege führte ihn zu dem Zeugen. „Mein Name ist Stefan Keller“, stellte der Kommissar sich vor. „Ich leite die Ermittlungen. Können Sie mir noch einmal beschreiben, was genau sich hier ereignet hat?“
„Also der Herr Rodeheger hat mich aufgesucht wegen eines Problems an dem Gebäude, in dem er tätig ist. Ich bin hier im Kreiskirchenamt zuständig für die Gebäudeunterhaltung. Er hatte einige Fragen und um die zu klären, habe ich meinen Kollegen, den Herrn Rüther von der Finanzabteilung aufgesucht, das hat eine ganze Weile gedauert und als ich zurück kam, lag er hier am Boden. Ich habe sofort einen Rettungswagen verständigt, ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun können, doch es kam jede Hilfe zu spät.“
„Ist Ihnen nichts Besonderes an dem Jugendreferenten aufgefallen?“
„Er war ziemlich aufgeregt, ich dachte noch, der muss sich mal beruhigen, schließlich geht es nicht um Leben und Tod, sondern nur um einen feuchten Keller. Dass es tatsächlich so schlimm um ihn stand, habe ich nicht geahnt.“
„Aber was bitte hatte der feuchte Keller mit der Finanzabteilung zu tun?“
„Ich musste ein wenig recherchieren. Wegen des Kellers hatten wir vor drei Monaten eine Firma beauftragt und ich war mir sicher, dass mittlerweile alles in Ordnung war und ich selbst die Rechnung abgezeichnet hatte. Herr Rodeheger behauptete aber, es sei zwar mal jemand von der Firma da gewesen und hätte auch etwas getan, das Problem sei aber nach wie vor nicht behoben.“
Keller ließ sich noch einmal detailliert erklären, wann genau Rodeheger eingetroffen war, wann Evers das Büro verlassen und wann genau er zurück gekehrt war. Er notierte sich die Zeiten mehr aus Routine, denn aus Notwendigkeit, sicher hatte der Verstorbene einen Herzinfarkt oder plötzlichen Herzstillstand erlitten.
Konstanze Flegel winkte ihn beiseite und flüsterte: „Das scheint mir nicht ganz koscher zu sein. Der Notarzt, der mit dem Rettungswagen kam, hat einen anaphylaktischen Schock in Betracht gezogen und aus dem Mund des Verstorbenen riecht es nach Erdnuss, aber hier steht nirgendwo etwas zu Essen oder zu Trinken herum.“
Keller ließ den Blick schweifen. In einem Regal standen einige Kaffeetassen. Er nahm sie in Augenschein, aber sie waren sauber gespült. Trotzdem wies er die Spurensicherung an, die Tassen mitzunehmen.
Nachdem sie alles gründlich betrachtet hatten, interviewten sie Herrn Rüther aus der Finanzabteilung, der die Aussage seine Kollegen Evers bestätigte.
„Wir mussten ziemlich lange suchen, bis wir die Rechnung gefunden hatten und bei dem, was an Leistungen aufgelistet war, konnte es eigentlich nicht sein, dass der Keller immer noch feucht war. Vermutlich ist er das auch nicht mehr.“
„Wie meinen Sie das?“
„Ach wissen Sie, der Herr Rodeheger war bei uns in der Verwaltung bekannt wie ein bunter Hund.Verschwörungstheoretiker par excellence. Und er hatte immer etwas zu meckern. Jedes Mal, wenn ich ihm einen Sachbuchauszug oder eine Saldenliste gemailt habe, rief er mich an, hatte Nachfragen und immer mit so einem investigativen Unterton, so als seien wir hier alle Verbrecher, die sein Privatvermögen veruntreuen. Fürchterlich war der. Meine Kollegin, die Frau Schöne, konnte ihn auch nicht leiden. Wenn sie nur aus der Ferne seine schnarrende Stimme hörte, suchte sie umgehend das Weite.“
„Ist die Frau Schöne denn auch zu sprechen?“
„Eigentlich schon, aber sie ist gerade nicht an ihrem Platz. Vermutlich mach sie eine längere Pause und tauscht Weihnachtsgeschenke um.“
Die zweiten Tageshälfte nutzten Keller und Kerkenbrock für Verwaltungstätigkeiten, denn bevor sie weiter ermittelten, wollten sie zunächst das Obduktionsergebnis abwarten.
Am nächsten Morgen legte Konstanze Flegel die Ergebnisse vor. Rodeheger war tatsächlich an einem anaphylaktischen Schock gestorben, er hatte allergisch auf eine geringe Menge Erdnussmus reagiert, die sich in seinem Magen gefunden hatte, aufgelöst in einem gesüßten Milchkaffee. Das roch nach vorsätzlicher Vergiftung und Keller erklärte:
„Ich weiß, wer es war, ich will nur noch wissen warum. Kerkenbrock, telefonieren Sie doch mal herum, ab der Rodeheger Kollegen hatte, die etwas über diesen feuchten Keller wissen.“
Schon bald hatte die junge Beamtin Erfolg. Eine Kollegin aus Sieker wusste näheres zu berichten: „Der Keller im Jugendhaus Ubbedissen steht schon seit Jahren unter Wasser, die Bausubstanz ist total angegriffen und überall breitet sich Schimmel aus. Die Baufirma, die das in Ordnung bringen sollte, hatte da ein paar Tage herumgepfuscht, das Wasser abgepumpt und Ventilatoren aufgestellt, ein bisschen Zeug rein und raus geschleppt, aber nicht wirklich etwas an den Ursachen verändert. Innerhalb einer Woche war wieder alles voller Wasser.“
Keller rief noch einmal im Kreiskirchenamt an und ließ sich mit der Finanzabteilung verbinden. Er bekam sofort Frau Schöne an den Apparat. „Ach, die Frau Schöne, ich hoffe Sie sind im Bilde. Könnten Sie mir die Rechnung der Baufirma faxen, die in Ubbedissen im Jugendzentrum den Keller trockengelegt haben will?“
„Ach von der Firma Ruschmeier? Warten Sie, ich suche den Beleg eben raus.“
Innerhalb von Minuten hatte Keller die Rechnung auf dem Schreibtisch. Er entdeckte, dass die Firma eine Tochter der Gieseking GmbH war, einem regionalen Bauunternehmen, das immer wieder in die Schlagzeilen geriet, weil es permanent expandierte und eine Bude nach der anderen aufkaufte. Als Keller bei der Firma Ruschmeier anrief, um genau zu fragen, welche Arbeiten seinerzeit in Ubbedissen ausgeführt worden waren, verwies man ihn direkt an die Firmenleitung und verband ihn mit Rafael Butenuth, dem Eigentümer der Ruschmeier-Gruppe.
„Guten Tag, mein Name ist Stefan Keller von der Kripo Bielefeld. Ich hätte Fragen an Sie in Bezug auf Herrn Karsten Evers...“
„Was wollen Sie von meinem Schwager?“, blaffte Butenuth ihn an.
„Herr Evers ist Ihr Schwager?“
„Ja, worum geht es denn?“
„Um den Auftrag im Jugendzentrum Ubbedissen, den Herr Evers Ihnen erteilt hat. Die Trockenlegung des Kellers.“
„Und was hat die Kriminalpolizei damit zu tun?“
„Der Jugendreferent, der dort gearbeitet hat, wurde im Büro Ihres Schwager tot aufgefunden.“
Keller hörte, wie Butenuth am anderen Ende der Leitung heftig schluckte. Jetzt wusste er auch warum und es war nur noch eine Sache der Kriminaltechnik, den Mord zu beweisen.
„Wie sind Sie drauf gekommen?“, fragte Kerkenbrock.
„Der Kaffee im Magen des Opfers, keine Angaben von Evers, dass er einen Kaffee geholt hätte und keine benutzte Tasse weit und breit.“ erklärte Keller. „Evers hat seinem Schwager die Aufträge zugeschustert, Rodeheger hatte ihn deswegen auf dem Kieker; keine örtlichen Firmen, überhöhte Preise und sogar nicht geleistete Arbeiten die trotzdem in Rechnung gestellt und ohne mit der Wimper zu zucken bezahlt wurden. Rodeheger hat ihm die Pistole auf die Brust gesetzt, er hat dem Jugendreferent erst einmal einen Kaffee geholt und weil er irgendwann einmal mitbekommen hatte, dass der Mann eine Erdnussallergie hat, hat er ihm ein bisschen Erdnusscreme in den gesüßten Milchkaffee gerührt, das schmeckt man nicht so ohne weiteres, schon gar nicht, wenn man aufgeregt ist. Er hat die Wirkung abgewartet und als Rodheger zusammenbrach, hat Evers die Tasse gespült und ist zu seinem Kollegen gelaufen, wo er sich lange genug aufhielt, um sicher sein zu können, dass der Jugendreferent inzwischen verstorben war. Wir haben jetzt alles, was wir brauchen. Schnappen wir ihn uns.“

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Samstag, 24. Dezember 2016
Obstbaumverein VI - Schluss des Improvisationskrimis
Im Vordergrund stand völlig unverfänglich die Pfarrerin mit einem Glas Wasser oder Limo, aber im Hintergrund spielte Rüdiger mit einem Jojo, ein Jojo in den Farben des Regenbogens. Sie bat die Pfarrerin um eine Lupe. Das Spielzeug sah exakt genauso aus wie das, was Lilith gestern Abend fest in ihrer kleinen Hand gehalten hatte. Natürlich konnte das ein Zufall sein, sicher gab es nicht nur ein Jojo in dieser Art auf der ganzen Welt, aber vielleicht hatte Rüdiger etwas mit der Entführung zu tun, wenn sie sich auch nicht vorstellen konnte, warum.
Wenig später klingelte ihr Mobiltelefon. Es war der leitende Ermittler der Polizei: „Frau Ordelheide, wir haben die Frau mit dem Husky ausfindig gemacht, sie wird soeben vernommen. Sie behauptet, sie habe nur einem Bekannten einen Gefallen getan und sei sich gar nicht bewusst gewesen, dass es sich um eine Entführung handele. Der Bekannte hatte erklärt, er wolle Ihnen eine Überraschung bereiten und zu gegebener Zeit IhreTochter unvermutet auftauchen lassen. Sie sollte das Kind überreden, sie zu begleiten und Ihre Tochter dann so lange beschäftigen, bis er sie informiere, wo sie das Kind hinbringen solle und genau das habe sie getan. Jetzt vermutet sie, ihr Bekannter habe Sie vielleicht damit beeindrucken wollen, dass er die Entführung Ihrer Tochter aufklärt und Ihr Kind rettet.“
„Etwa so wie ein Feuerwehrmann, der einen Brand legt, damit er etwas zu löschen hat?“, fragte Griseldis verstört.
„Ja, damit könnte man es durchaus vergleichen.“, antwortete der Ermittler. „Unser Problem ist, dass die Täterin aus falsch verstandenem Ehrgefühl ihren Auftraggeber nicht. preisgeben will. Vielleicht denkt sie sich das auch alles nur aus. Haben Sie denn eine Idee, um welchen Bekannten es sich handeln könnte?“
„Natürlich.“, antwortete Griseldis. „Sie etwa nicht?“
„Ich verstehe nicht ganz.“, entgegenete der Beamte.
„Ihr Kollege, der gestern bei mir war.“, erklärte Griseldis, „reagierte nicht gerade begeistert auf die Anwesenheit von Rüdiger Nolting, einem Ihrer ehemaligen Mitarbeiter. Ich habe mich gefragt warum, aber natürlich war ich in erster Linie mit der unmittelbaren Sorge um meine Tochter beschäftigt. Herr Nolting drängte mir ununterbrochen ungebeten seine Hilfe auf und hat mich später, als die Kinder im Bett waren, bedrängt, mit näher kommen zu dürfen. Als ich ihn zurückgewiesen habe, hat er äußerst verschnupft reagiert und Konsequenzen angekündigt. Heute Vormittag haben mehrere Mitglieder seines Vereins mich im Büro aufgesucht und sich auffälllig kühl mir gegenüber verhalten. Er rächt sich dafür, dass seine Rechnung nicht aufgegangen ist.“
„Aber ich bitte Sie, gute Frau, dass sind doch Räuberpistolen.“
„Und weinn ich Beweise habe?“
„Was für Beweise?“
„Ein Jojo, ein Foto und sicher finden Sie in Herrn Noltings Wohnung Hinweise auf eine Bekanntschaft mit der Frau, die meine Tochter entführt hat, wenn nicht sogar irgendwelche Aufzeichnungen.“
„Wir werden der Sache nachgehen, aber versprechen kann ich Ihnen nichts.“
„Das müssen Sie auch nicht.“, antwortete Griseldis und beendete das Gespräch. Dann sagte sie. „Es reicht ja auch, wenn ich verspreche, dass er dafür zur Rechenschaft gezogen wird. Und wenn die Polizei ihm auch nichts nachweisen kann, es gibt noch ein paar Leute in diesem vermaledeiten Haufen, zu denen ich einen besseren Draht habe als Rüdiger Nolting und die übernehmen dann, dass er eine Dauerpackung bekommt. Der wird keine Freude mehr haben.“
„Von welchem vermaledeiten Haufen sprichst du, Griseldis?“, fragte die Pfarrerin.
„Von Rüdigers Haufen.“, antwortete Griseldis. „Vom Obstbaumverein.“

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Obstbaumverein V - Fortsetzung des Improvisationskrimis
Nun wäre es eigentlich auch Zeit für Rüdiger Nolting gewesen, die Familie in Ruhe zu lassen, aber er sah sich wohl als unverzichtbarer Retter und erklärte: „Bring du nur mal die Lilith ins Bett, wir Männer erzählen uns solange Witze und braten ein paar Spiegeleier und wenn Lilith noch Hunger hat, bringen wir ihr etwas rauf.“
„Lieber keine Spiegeleier.“, erwiderte Griseldis. „Ich kümmere mich um Lilith und dann um Jonathan.“
Sie verschwand in Liliths Zimmer und zog ihrer Tochter vorsichtig die Kleidung aus. Zum Glück entdeckte sie keine Wunde, Beule oder Schramme, aber sie hatte trotzdem Angst, etwas noch viel Schlimmeres könnte ihrer kleinen Tochter widerfahren sein. Aber jetzt sollte sie sich erst einmal sicher und behütet fühlen – und gerettet. Sie half ihr in den Pyjama und sang ein Schlaflied und wie von Zauberhand fielen Lilith die Augen zu und sie sank in die gnädige Bewusstlosigkeit des Tiefschlafs.
Als Griseldis wieder in die Küche kam, war auch Jonathan auf der Bank eingeschlafen. Rüdiger fragte flüsternd, wo sein Zimmer sei und trug ihn ins Bett. Nun war alles getan und Griseldis hätte sich am liebsten aufs Sofa gesetzt und ganz allein eine halbe Stunde entspannt vor dem Zubettgehen, doch daraus wurde nichts. Rüdiger erklärte: „Ich habe uns in der Zwischenzeit mit dem Taxi eine Flasche Wein kommen lassen. Jetzt trinken wir beide erst einmal einen Schluck und dann siehst du alles viel entspannter.“
„Ich trinke nur ganz selten Alkohol, Rüdiger.“, erklärte Griseldis.
„Das ehrt dich.“, erwiderte er mit einem väterlich wohlwollenden Lächeln, dem ein aggressiver Unterton innewohnte und sie fröstelte innerlich. Dann meinte er: „Aber in so einer besonderen Situation tut ein Schluck Wein wirklich gut.“
Griseldis war viel zu erschöpft, um zu protestieren und ließ sich von Rüdiger zum gemeinsamen Weintrinken im Wohnzimmer nötigen. Doch schon nach zwei Schlucken merkte sie, dass sie ihn nicht eine Sekunde länger in ihrer Näher ertragen konnte.
„Du, ich muss jetzt wirklich ins Bett.“, sagte sie. „Ich habe morgen so viel zu erledigen, das schaffe ich nicht, wenn ich nicht ausreichend Schlaf bekomme.“
„Kein Problem.“, erwiderte der rüstige Rentner. „Geh du nur schlafen, ich räume hier noch ein bisschen auf.“
„Du musst hier nicht aufräumen. Die zwei Gläser kriege ich morgen schon noch gespült.“
„Griseldis.“, sagte er sanft und etwas in seinem Ton ließ ihr Blut gefrieren. „Du musst nicht die ganze Last der Welt allein auf deinen zarten Schultern tragen. Ich bin jetzt für dich da. Lass dich einfach fallen.“ Er rückte deutlich näher an sie heran. Sie roch eine Mischung aus Schweiß und schlechten Magensäften, die eine Alarmglocke in ihrem Kopf auslöste. „Viel zu nah!“, meldete ihr Gehirn.
„Rüdiger, ich wäre jetzt wirklich gern allein.“, sagte sie bestimmt und stand vom Sofa auf, um einerseits Abstand herzustellen und andererseits zu verdeutlichen, dass sein Besuch nun wirklich beendet war. Er reagierte deutlich verschnupft, gab aber immer noch nicht auf.
„Jetzt sträub dich doch nicht dagegen.“, flüsterte er heiser, stand auf ging auf sie zu und fasste sie an die Schultern. „Ich merke doch, dass du es auch willst.“
Griseldis verpasste ihrem inneren netten Mädchen einen gewaltigen Arschtritt und holte die Bitch aus der Ecke.
„Nimm die Hände weg!“, sagte sie laut und deutlich. „Oder muss ich erst deine ehemaligen Kollegen anrufen?“
Jetzt war Rüdiger sichtlich verärgert. „So ist das also.“ zischte er. „Aber eins sag ich dir: das wird ein Nachspiel haben.“ Dann verließ er eilig die Wohnung.
Griseldis atmete erleichtert durch. Sie trank das Glas Wein leer, das von Rüdiger goss sie in die Spüle und wusch es mit sehr heißem Wasser ab, damit nichts von ihm sich in ihrer privaten Umgebung festsetzte. Vor dem Zubettgehen sah sie noch einmal nach Lilith. Die kleine Faust des Mädchens hielt einen Gegenstand fest umschlossen. Die Mutter bog vorsichtig einen Finger nach dem anderen zurück und zum Vorschein kam ein kleines Jojo in den Farben des Regenbogens, das hatte sie nie zuvor bei ihr gesehen.
Die Ereignisse des Tages waren so erschöpfend gewesen, dass sie in einen tiefen und traumlosen Schlaf fiel. Am nächsten Morgen funktionierte sie wie eine Maschine, entschuldigte Lilith in der Schule, machte Jonathan das Frühstück und schickte ihn zum Bus, rief bei der Pfarrerin an, um zu erklären, warum sie heute nicht zur Arbeit erscheinen konnte fuhr mit ihrer Tochter, als sie so weit war, ins Polizeipräsidium, ging einkaufen, kochte, sah sich mit den Kindern etwas im Fernsehen an und brachte sie wieder zu Bett. Lilith sprach immer noch nicht und die Polizeipsychologin hatte empfohlen, ihr noch bis zum Abend Zeit zu lassen, sie dann aber, falls sie immer noch nicht sprechen sollte, stationär zu behandeln. Griseldis war verzweifelt, am nächsten Morgen lieferte sie ihre Tochter in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ab und fuhr völlig verstört zur Arbeit. Im Büro war alles wie gewohnt, das lenkte sie ab und so etwas wie Normalität erhielt Einzug in ihr Inneres, allerdings nur für kurze Zeit.
Im Laufe des Vomittags tauchten diverse Gemeindeglieder im Büro auf, die ihr eigentlich immer freundlich und wohlwollend begegnet waren, heute aber deutlich unterkühlt und zurückweisend auf sie reagierten, so als hätte sie eine Grenze überschritten und wäre nicht die Mutter eines Kindes, das einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Um die Mittagszeit fiel ihr auf, dass sämtliche Besucher Mitglieder des Obst- und Gartenbauvereins waren. Hatten sie Wind davon bekommen, dass Griseldis ihre Feierstunden im Gemeindehaus als befremdlich empfand? Sie hatte nicht überall damit hinterm Berg gehalten, doch wer mochte sie verpetzt haben?
Nach der Mittagspause schneite die Pfarrerin vorbei, die am Vormittag zwei Beerdigungen gehabt hatte und sich nun erkundigen wollte, wie es der Gemeindesekretärin und ihren Kindern ergangen war. Griseldis konnte nicht länger an sich halten und brach in Tränen aus. „Heute Vormittag waren total viele Leute hier und sie haben mich alle behandelt, als wäre ich eine Nestbeschmutzerin oder eine Kriminelle, ich kann das gar nicht verstehen, die wissen doch sicher längst alle, was in meiner Familie passiert ist.“
„Wir gehen jetzt erst mal bei mir zu Hause einen Kaffee trinken und dann erzählst du mir alles.“, erwiderte die Pfarrerin und Griseldis nahm das Angebot dankbar an. Sie berichtete von der Entführung, den bangen Stunden und schließlich auch von Rüdiger Noltings Grenzüberschreitungen.
„Das wundert mich gar nicht.“, erklärte die Pfarrerin. „Bei mir hat er es auch schon einmal versucht, furchtbar lästig der Typ. Seine Ehefrau scheint ihm zur Bestätigung seines männlichen Egos nicht zu reichen, ich denke nicht, dass er ein hormonelles Problem hat, so alt und unsportlich wie er ist. Auf jeden Fall schien er zu glauben, dass ich mich nach seiner Zuwendung sehnte, weil ich allein lebe und mich sicher nach einem liebenden Mann verzehre. Vielleicht tue ich das auch, aber nicht nach so einem miefigen Großvater. Komm, ich zeige dir mal Fotos von unserem Betriebsausflug von vor zwei Jahren, da klebt er ständig an meiner Seite.“
Sie kramte eine Kiste aus dem Regal und zeigte Griseldis Aufnahmen von ausgelassenen Geselligkeiten im Biergarten eines idyllischen Ausflugslokals. Plötzlich entdeckte sie etwas auf einem der Fotos, das ihren Atem stocken ließ.
WIE GEHT ES WEITER? DIE ERSTE WAHL ENTSCHEIDET.
a) Auf dem Foto sieht Griseldis eine Frau mit einem Husky.
b) Auf dem Foto sieht Griseldis Rüdiger mit einem Jojo.
c) Auf dem Foto sieht Griseldis Rüdiger, der mit einem Foto von Griseldis posiert.

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Mittwoch, 21. Dezember 2016
Obstbaumverein IV - Fortsetzung des Improvisationskrimis
„Den Jungen haben Sie aber noch nicht befragt?“
„Doch doch, aber fragen Sie ihn ruhig selbst noch einmal, ich kann dann ja meine Erkenntnisse ergänzen.“
Der Beamte war nicht sonderlich zufrieden mit der Situation, denn ihn interessierte, was ein Zeuge bei der ersten Befragung erzählte, wenn die Erinnerung noch frisch und unverstellt war. Sein Exkollege hätte das wissen müssen, aber er hatte wohl ein größeres Interesse daran, die junge Mutter zu beeindrucken, als das verlorene Kind zu retten.
Er stellte Jonathan die gleichen Fragen und hörte ebenfalls die Geschichte vom Klettergerüst, der Ablenkung durch die Frau mit dem Husky und der anschließend unauffindbaren kleinen Schwester. Dann klingelte es erneut an der Haustür. Griseldis rannte zum Summer und riss die Wohnungstür auf. Ein kleiner Schatten betrat den Hausflur und blieb stehen. Die beunruhigte Mutter machte das Licht im Treppenhaus an und erschrak, obwohl sie eigentlich erleichtert hätte sein müssen: Dort stand lebendig und an einem Stück ihre kleine Tochter Lilith, aber Griseldis hatte zu viele Fantasy- und Horrorstreifen gesehen, die nun beim Anblick ihrer auf den zweiten Blick deutlich veränderten Tochter furchtbare Assoziationen in ihr wachriefen. Das Kind war kreidebleich, die Augen starr ins Leere gerichtet, die Haare merkwürdig glatt gebürstet, wo sie eigentlich immer zerwühlt waren und das sonst so strahlende, lebenslustige, quirlige Mädchen stand still und reglos da, als sei es ein Automat. Die Mutter riss sich zusammen und stürzte sich auf ihr Kind. „Lilith!“, rief sie erleichtert, schlang ihre Arme um die Kleine und blickte in die großen, leeren Augen. „Wo bist du gewesen?“
Lilith antwortete nicht.
„Wer hat dir denn so schön die Haare gekämmt? Oder hast du das etwa selbst gemacht?“
Ihre Tochter sah sie schweigend an, als spräche sie eine andere Sprache. Griseldis war vollkommen verzweifelt. Sie schob das Mädchen in die Wohnung, schloss die Tür und zog ihr ganz vorsichtig den Mantel aus. Doch auch der Lieblingskakao, der Bruder und das Kuschelkaninchen konnten die Kleine zu keiner Äußerung hinreißen. Rüdiger Nolting und sein Ex-Kollege beobachteten die Szene betroffen, als der diensthabende Beamte Griseldis schließlich für eine kurze Unterredung vor die Tür bat.
„Frau Ordelheide, ich verstehe, dass sie ihre Tochter jetzt am liebsten erst einmal nicht mehr hergeben möchten, aber erstens müssen wir schnellstens erfahren, was dem Kind zugestoßen ist, um den oder die Täter zu fassen, damit nicht noch mehr passiert und außerdem bin ich überzeugt, dass die Kleine dringend psychologische Hilfe benötigt, damit sie dieses Trauma möglichst schadenfrei verarbeiten kann. Wir haben hervorragende Kontakte und ich würde sie dringend bitten, gleich morgen früh mit der Kleinen ins Präsidium zu kommen. Je länger sie mit der Behandlung warten, umso langwieriger und mühevoller wird die Therapie.“
„In Ordnung.“, antwortete Griseldis wie ferngesteuert. „Ich hoffe, sie kann heute Nacht schlafen. Ich muss einiges organisieren, denn eigentlich müsste ich morgen früh arbeiten, aber ich denke, bei so einem Notfall, hat die Gemeinde sicher Verständnis.“
„Steht der Vater des Kindes nicht zur Verfügung?“
„Nein, der weiß nicht einmal, dass er ein Kind hat.“
„Dann sind Sie also vollkommen allein mit der Situation?“
„Ich habe Freunde.“
„Wie Herrn Nolting?“
„Herr Nolting ist nur ein beruflicher Kontakt, aber sogar der unterstützt mich, wie Sie sehen. Ich schaffe das schon. Das Wichtigste ist, dass Lilith wieder zu Hause ist und sie sieht nicht so aus, als wäre sie verletzt.“
„Wenn Ihnen später doch noch etwas auffallen sollte, bitte ich Sie, uns umgehend zu informieren und nicht bis morgen früh damit zu warten.“
„Muss ich eigentlich zu einer bestimmten Zeit im Präsidium sein oder kann ich warten, bis Lilith ausgeschlafen und in Ruhe gefrühstückt hat?“
„Geben Sie ihr so viel Zeit wie sie braucht.“
„Danke.“
Der Beamte verabschiedete sich und ließ Griseldis eine Visitenkarte da.
WIE GEHT ES WEITER? DIE ERSTE WAHL ENTSCHEIDET.
a) Griseldis wäre jetzt gern mit den Kindern allein, aber Rüdiger Nolting geht einfach nicht.
b) Jonathan sieht aus dem Fenster und schreit panisch auf.
c) Beim Zubettbringen entdeckt Griseldis doch körperliche Verletzungen an ihrer Tochter

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Montag, 19. Dezember 2016
Obstbaumverein III - Fortsetzung des Improvisationskrimis
Als sie zu Hause ankam, stürmte Jonathan ihr aufgeregt entgegen. Sie drückte ihn fest an sich und erklärte: „Das ist Rüdiger, der hat mal bei der Polizei gearbeitet und will uns helfen. Jetzt gehen wir rein und du erzählst uns noch mal ganz in Ruhe, was eigentlich passiert ist.“
Sie nahmen am Küchentisch Platz und Rüdiger ging wie selbstverständlich an den Schrank, holte drei Gläser heraus und goss jedem ein Glas Wasser ein. Jonathan berichtete: „Wir waren auf dem Spielplatz, direkt am Teich und Lilith hat auf dem Klettergerüst gespielt. Da war eine Frau mit einem Husky und den fand ich ganz schön und hab den gestreichelt. Und als die Frau weiter gegangen ist bin ich zu dem Gerüst gelaufen und Lilith war weg. Ich habe sie gerufen und überall die Büsche abgesucht, aber nichts gefunden.“
Es klingelte an der Tür. Griseldis wurde starr vor Angst. Möglicherweise gab es schon schlimme Nachrichten, aber es half ja nichts. Sie öffnete die Wohnungstür und betätigte den Summer für die Haustür.
Ein Beamter von der Polizeidienststelle teilte ihr mit, dass man eine Spur verfolge. „Eine Zeugin hat beobachtet, wie ein Paar sich dem Spielplatz näherte. Sie hätten einen Hund dabei gehabt. Am Spielplatz haben sie sich getrennt und der Mann ist in die Mitte des Platzes gegangen, während die Frau am Rand stehen geblieben ist. Sie hat sich zunächst nichts dabei gedacht, aber dann die Durchsage im Radio gehört und überlegt, dass das Paar sich eigentlich seltsam verhalten hat. Sie hält es für möglich, dass der Mann ihre Tochter überredet hat, ihn zu begleiten.“
„Und was passiert jetzt?“
„Die Frau kommt aufs Revier, damit wir ein Phantombild erstellen können. Außerdem würde ich gern Ihren Sohn befragen. Vielleicht hat er das Paar ebenfalls bemerkt.“
„Das ist sehr wahrscheinlich. Er war von einem Husky abgelenkt, den eine Frau dabei hatte. Vielleicht war das die Strategie.“
Der Beamte folgte Griseldis in die Küche. Als er Rüdiger bemerkte zuckte er kurz zusammen. „Ach, Herr Nolting, sind Sie mit der Familie verbunden?“
„Sozusagen.“, antwortete Rüdiger. „Ich kenne Frau Meissner von ihrer Arbeitsstelle, sie ist die Verwaltungsfachkraft im Gemeindebüro der Kirchengemeinde, in der ich wohne.“
WIE GEHT ES WEITER? DIE ERSTE WAHL ENTSCHEIDET.
a) Der Beamte befragt zunächst das Kind und nimmt Griseldis dann beiseite, um sie vor Rüdiger zu warnen.
b) Nach eingehender Beschreibung fällt Rüdiger plötzlich auf, dass er das Paar höchstwahrscheinlich kennt.
c) Lilith steht plötzlich vor der Tür, bringt aber kein Wort heraus.

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