... newer stories
Sonntag, 21. Januar 2024
Spoiler 14 - nichts für Kinder
c. fabry, 19:15h
1988
Die Kopfschmerzen, mit denen Horst an einem trüben Märzmorgen aufwachte, waren nicht stark, aber penetrant. Er hatte am Vorabend ein paar Gedecke zu viel versenkt. Mürrisch setzte er sich an den Frühstückstisch und versuchte mit Kaffee und Schinkenbroten den Schmerz zu vertreiben, doch er hielt sich beharrlich.
Ingrid fragte Raimund, ob sie am Mittwoch in die Stadt fahren könnten, um sich nach einem Konfirmationsanzug und Schuhen umzusehen.
"Hört auf zu quatschen!", blaffte Horst. "Ich hab' Kopfschmerzen!"
"Dann solltest du nicht regelmäßig mehr trinken als du verträgst.", wies Ingrid ihn zurecht.
Horst schlug ihr unvermittelt ins Gesicht und brüllte: "Und jetzt halt' die Klappe, sonst gibt's mehr davon!"
Für den Rest des Frühstücks duckten die anderen Familienmitglieder sich weg. Dann ging er in den Stall, um die Tiere zu versorgen.
Als er sich nach zwei-ein-halb Stunden zum zweiten Frühstück setzte und die Post durchsah, fiel ihm ein offizielles Schreiben der Schule seines Sohnes in die Hände: da stand etwas von mangelhaften Leistungen in Englisch und Deutsch und von Gefährdung der Versetzung.
"Verdammt!", fluchte Horst. "Der Junge ist doch schon einmal sitzen geblieben. Kann der sich nicht mal ein bisschen mehr anstrengen?"
"Sprache kann er nicht so gut.", entschuldigte Ingrid ihn. "Vielleicht braucht er ein paar Nachhilfestunden.
"So ein Tinnef!", schnaubte Horst. "Das kostet nur mein Geld, das sich irgendein pickliger Student in die Tasche steckt und bringt am Ende trotzdem nichts. Nur Zeitverschwendung und Ärger hat man mit dem Jungen. Das Einzige, was da hilft, ist eine anständige Tracht Prügel, damit der seine Schularbeiten ordentlich macht. Dem zeige ich schon, wo der Hammer hängt, wenn der heute Mittag nach Hause kommt."
Ingrid machte sich berechtigte Sorgen. Sie wollte nicht erneut die Blutergüsse und Schürfwunden kühlen müssen, die Horst dem Jungen mit dem Ledergürtel beibrachte. Und wer konnte schon mit Gewissheit sagen, dass er nicht eines Tages bleibende körperliche Schäden davontrug? Von den seelischen ganz zu schweigen. Beim Kartoffeln Schälen grübelte sie verzweifelt, wie sie Horst davon abhalten konnte, Raimund zu verdreschen.
Etwa zehn Minuten, bevor das Mittagessen fertig war, ging Ingrid in den Stall, um Horst Bescheid zu geben. Zum Mittagessen wusch er sich und zog sich gründlich um, um anschließend ein Nickerchen auf dem Sofa zu halten. Raimund war noch nicht aus der Schule zurück und Lisbeth deckte den Tisch. Ingrid konnte ihren Mann nirgends finden, weder beim Vieh, noch auf dem Plumpsklo, noch in der Scheune. Auf den Feldern gab es in dieser Woche nichts zu tun, da fiel ihr Blick auf das Getreidesilo. Die Abdeckung war zur Seite gezogen, so dass es nach oben offen stand. Richtig, er hatte beim zweiten Frühstück davon gesprochen, das im Silo irgendetwas nicht in Ordnung sei und er das reparieren müsse. Sie rief ihn, aber er antwortete nicht. Hatte das Problem mit den drohenden Prügeln für Raimund sich am Ende von selbst erledigt? War Horst schlecht geworden oder war er abgerutscht und ins Korn geraten? Darin versank man ja wie in Treibsand und musste jämmerlich ersticken.
Ingrid kletterte an den Außensprossen hoch, um sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Sie war regelrecht enttäuscht, als sie Horst im Inneren des Silos entdeckte: quicklebendig auf den inneren Sprossen, mit einem Eimer und einer Maurerkelle.
"Essen ist gleich fertig.", rief sie zu ihm hinunter.
"ich auch.", antwortete er. "Die Löcher sind geflickt, muss nur noch trocknen. Den Deckel mach' ich heute Abend wieder drauf."
Er stieg an den Eisenbügeln nach oben. Als er angekommen war, wandte er noch einmal den Blick aufs Getreide und sagte: "Is' noch alles schön trocken, scheint nichts passiert zu sein."
In diesem Moment gab Ingrid einem Impuls nach, einer inneren Stimme, die ihr sagte, dass sich diese Gelegenheit sicher nie wieder böte. Sie versetzte Horst einen kräftigen Tritt, der stürzte schreiend in die losen Weizenkörner und versank. Noch guckte der Kopf heraus und er rief: "Hol die Feuerwehr, du dumme Nuss, aber schnell!"
"Mach ich.", sagte Ingrid und kletterte nach unten. Doch sie tat nichts dergleichen. Die Zeit würde für sie arbeiten. Und zwar schnell. Als sie in die Küche kam, war Raimund schon zu Hause. Die Speisen standen dampfend in heißen Schüsseln auf dem Tisch. Ingrid schob Raimund Kartoffeln und Gulasch hin.
"Wo bleibt denn Horst?", fragte Lisbeth ärgerlich.
"Sagt, er kommt gleich.", erwiderte Ingrid und nahm sich von den Butterbohnen. Wenn sie das nächste Mal nach ihm sah, würde sich das Problem erledigt haben.
Eine halbe Stunde später war die Feuerwehr auf dem Hof, dann die Polizei, dann der Leichenwagen. Ingrids Rechnung war aufgegangen und alle kondolierten ihr wegen des schrecklichen Verlustes durch einen tragischen Arbeitsunfall. Nicht einmal Lisbeth hegte einen Verdacht.
Sie brachten die Beerdigung hinter sich, wie es sich gehörte und danach organisierte Ingrid Nachhilfe für Raimund. Er würde es schaffen, dafür würde sie sorgen, mit echter Unterstützung anstelle von Einschüchterung und Gewalt.
Zum Glück zahlte die Versicherung eine ordentliche Summe, sodass Ingrid landwirtschaftliche Helfer bezahlen konnte, die die schweren Arbeiten übernahmen. Mehr als die Hälfte der Acker- und Weideflächen verpachtete sie. Die konnte Raimund übernehmen, wenn er soweit war. Sie verkaufte auch einen Großteil des Viehs, behielt nur ein paar Schweine, vier Kühe und die Hühner.
Die Kopfschmerzen, mit denen Horst an einem trüben Märzmorgen aufwachte, waren nicht stark, aber penetrant. Er hatte am Vorabend ein paar Gedecke zu viel versenkt. Mürrisch setzte er sich an den Frühstückstisch und versuchte mit Kaffee und Schinkenbroten den Schmerz zu vertreiben, doch er hielt sich beharrlich.
Ingrid fragte Raimund, ob sie am Mittwoch in die Stadt fahren könnten, um sich nach einem Konfirmationsanzug und Schuhen umzusehen.
"Hört auf zu quatschen!", blaffte Horst. "Ich hab' Kopfschmerzen!"
"Dann solltest du nicht regelmäßig mehr trinken als du verträgst.", wies Ingrid ihn zurecht.
Horst schlug ihr unvermittelt ins Gesicht und brüllte: "Und jetzt halt' die Klappe, sonst gibt's mehr davon!"
Für den Rest des Frühstücks duckten die anderen Familienmitglieder sich weg. Dann ging er in den Stall, um die Tiere zu versorgen.
Als er sich nach zwei-ein-halb Stunden zum zweiten Frühstück setzte und die Post durchsah, fiel ihm ein offizielles Schreiben der Schule seines Sohnes in die Hände: da stand etwas von mangelhaften Leistungen in Englisch und Deutsch und von Gefährdung der Versetzung.
"Verdammt!", fluchte Horst. "Der Junge ist doch schon einmal sitzen geblieben. Kann der sich nicht mal ein bisschen mehr anstrengen?"
"Sprache kann er nicht so gut.", entschuldigte Ingrid ihn. "Vielleicht braucht er ein paar Nachhilfestunden.
"So ein Tinnef!", schnaubte Horst. "Das kostet nur mein Geld, das sich irgendein pickliger Student in die Tasche steckt und bringt am Ende trotzdem nichts. Nur Zeitverschwendung und Ärger hat man mit dem Jungen. Das Einzige, was da hilft, ist eine anständige Tracht Prügel, damit der seine Schularbeiten ordentlich macht. Dem zeige ich schon, wo der Hammer hängt, wenn der heute Mittag nach Hause kommt."
Ingrid machte sich berechtigte Sorgen. Sie wollte nicht erneut die Blutergüsse und Schürfwunden kühlen müssen, die Horst dem Jungen mit dem Ledergürtel beibrachte. Und wer konnte schon mit Gewissheit sagen, dass er nicht eines Tages bleibende körperliche Schäden davontrug? Von den seelischen ganz zu schweigen. Beim Kartoffeln Schälen grübelte sie verzweifelt, wie sie Horst davon abhalten konnte, Raimund zu verdreschen.
Etwa zehn Minuten, bevor das Mittagessen fertig war, ging Ingrid in den Stall, um Horst Bescheid zu geben. Zum Mittagessen wusch er sich und zog sich gründlich um, um anschließend ein Nickerchen auf dem Sofa zu halten. Raimund war noch nicht aus der Schule zurück und Lisbeth deckte den Tisch. Ingrid konnte ihren Mann nirgends finden, weder beim Vieh, noch auf dem Plumpsklo, noch in der Scheune. Auf den Feldern gab es in dieser Woche nichts zu tun, da fiel ihr Blick auf das Getreidesilo. Die Abdeckung war zur Seite gezogen, so dass es nach oben offen stand. Richtig, er hatte beim zweiten Frühstück davon gesprochen, das im Silo irgendetwas nicht in Ordnung sei und er das reparieren müsse. Sie rief ihn, aber er antwortete nicht. Hatte das Problem mit den drohenden Prügeln für Raimund sich am Ende von selbst erledigt? War Horst schlecht geworden oder war er abgerutscht und ins Korn geraten? Darin versank man ja wie in Treibsand und musste jämmerlich ersticken.
Ingrid kletterte an den Außensprossen hoch, um sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Sie war regelrecht enttäuscht, als sie Horst im Inneren des Silos entdeckte: quicklebendig auf den inneren Sprossen, mit einem Eimer und einer Maurerkelle.
"Essen ist gleich fertig.", rief sie zu ihm hinunter.
"ich auch.", antwortete er. "Die Löcher sind geflickt, muss nur noch trocknen. Den Deckel mach' ich heute Abend wieder drauf."
Er stieg an den Eisenbügeln nach oben. Als er angekommen war, wandte er noch einmal den Blick aufs Getreide und sagte: "Is' noch alles schön trocken, scheint nichts passiert zu sein."
In diesem Moment gab Ingrid einem Impuls nach, einer inneren Stimme, die ihr sagte, dass sich diese Gelegenheit sicher nie wieder böte. Sie versetzte Horst einen kräftigen Tritt, der stürzte schreiend in die losen Weizenkörner und versank. Noch guckte der Kopf heraus und er rief: "Hol die Feuerwehr, du dumme Nuss, aber schnell!"
"Mach ich.", sagte Ingrid und kletterte nach unten. Doch sie tat nichts dergleichen. Die Zeit würde für sie arbeiten. Und zwar schnell. Als sie in die Küche kam, war Raimund schon zu Hause. Die Speisen standen dampfend in heißen Schüsseln auf dem Tisch. Ingrid schob Raimund Kartoffeln und Gulasch hin.
"Wo bleibt denn Horst?", fragte Lisbeth ärgerlich.
"Sagt, er kommt gleich.", erwiderte Ingrid und nahm sich von den Butterbohnen. Wenn sie das nächste Mal nach ihm sah, würde sich das Problem erledigt haben.
Eine halbe Stunde später war die Feuerwehr auf dem Hof, dann die Polizei, dann der Leichenwagen. Ingrids Rechnung war aufgegangen und alle kondolierten ihr wegen des schrecklichen Verlustes durch einen tragischen Arbeitsunfall. Nicht einmal Lisbeth hegte einen Verdacht.
Sie brachten die Beerdigung hinter sich, wie es sich gehörte und danach organisierte Ingrid Nachhilfe für Raimund. Er würde es schaffen, dafür würde sie sorgen, mit echter Unterstützung anstelle von Einschüchterung und Gewalt.
Zum Glück zahlte die Versicherung eine ordentliche Summe, sodass Ingrid landwirtschaftliche Helfer bezahlen konnte, die die schweren Arbeiten übernahmen. Mehr als die Hälfte der Acker- und Weideflächen verpachtete sie. Die konnte Raimund übernehmen, wenn er soweit war. Sie verkaufte auch einen Großteil des Viehs, behielt nur ein paar Schweine, vier Kühe und die Hühner.
... link (0 Kommentare) ... comment
... older stories