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Samstag, 30. Mai 2020
Misanthropie
c. fabry, 18:06h
Überall Baustellen. Es werden immer mehr. Jeder Weg den ich üblicherweise fahre: unpassierbar. Umleitungen oder Baustellenampeln. Und jetzt auch noch das: Jetzt kann ich nicht einmal mehr zu Fuß ins Dorf. Weil die Starkstromkabel unterirdisch verlegt werden. Eigentlich gut, dass die Überlandleitungen wegkommen. Auch gut, dass endlich das letzte Teilstück für den Radweg in die Stadt gebaut wird. Gut, dass es Jobs gibt, und die Infrastruktur nicht zusammenbricht. Aber sie schießen wie Pilze aus dem Boden, die Baustellen, ausgerechnet jetzt, wo in mir auch alles Baustelle ist: unfertig, unaufgeräumt, trist und freudlos, laut und aufdringlich. Wege sind blockiert, Möglichkeiten eingeschränkt, alles ist anstrengend und kompliziert, nicht nur innen, auch sonst, wegen Corona.
Ich weiß, irgendwann wird wieder alles einwandfrei funktionieren und besser als zuvor, nur einiges wird seine Schönheit verloren haben und möglicherweise bin ich dann auch aus dem Rennen. Warum also stillhalten und geduldig verharren, wenn es für mich nichts mehr zu erwarten gibt? Ich könnte endlich mit allen abrechnen, gibt ja nichts mehr zu verlieren. Eine Liste machen von allen, die mir übel mitgespielt haben.
Doch sogar für Hass und Rache fehlt mir die Energie. Höchstens die Despoten dieser Welt würde ich gern dahinschlachten, aber ich würde an keinen einzigen herankommen, nicht einmal auf Heckenschützenlänge und wenn, würde mir das auch nicht weiterhelfen, ich kann nicht schießen, habe nicht einmal eine Waffe.
Überall ist was im Weg. Erlasse, die mir verbieten, Schwimmen zu gehen, die frischen Erdbeeren im Supermarkt zu beschnuppern, liebe Freunde zu umarmen.
Und dann stehen Leute im Weg, vor allem im Supermarkt, vorzugsweise in der Gemüseabteilung. An denen kommt man nicht vorbei. Die Seniorinnen mit Rollator, denen kann ich es ja nachsehen. Aber diese raumgreifenden Konsumterroristinnen, die mit einem Schlachtschiff vorfahren, das ein-ein-halb Parkplätze beansprucht und dann machen sie sich im Laden breit: vor sich den Wagen quer in den Gang geschoben, hinten der Elastanwäschegeformte Junkfood-Hintern, betont sexy herausgestreckt, seitlich die voluminöse Designer-Handtasche mit Goldapplikationen, eingehüllt in eine Duftwolke von Oriental Puff, mit besonders viel Moschus für garantierten Verführungserfolg.
Wie hieß noch einmal dieser verstrahlte Jugendliche im Jugendleiterkurs, der unbedingt Sniper werden wollte? Daniel? Benjamin? Hendrik? Thorben? So einer, der nichts Konstruktives beizutragen hatte, der vor sich hin schwieg und sich alle Mühe gab, aus der Wäsche zu gucken wie ein wachsamer Maulwurf, so wie er es vermutlich aus den drittklassigen, amerikanischen Filmproduktionen kannte, in denen der anständige Soldat den ganzen Dreck um sich herum nicht mehr aushält und endlich aufräumt. - Möchte ich auch. Einfach mal aufräumen mit allem. Den ganzen Dreck wegpusten. Geht aber nicht. Das schafft kein Laubbläser der Welt und auch keine Pumpgun.
Ich schlafe schlecht in letzter Zeit. Schrecke aus Alpträumen hoch. Entweder klopft der Tod an die Tür und ich versuche erfolglos, mich zu verstecken oder unappetitliche Männer drängen mir körperliche Nähe auf, ignorieren mein sichtliches Unbehagen und manipulieren mich dahingehend, dass ich nicht in der Lage bin, sie zurückzuweisen, ich spiele mit, fühle mich schlecht und denke, ich bin ja selbst schuld. Sie stehen mir alle im Weg: der Tod, der meine Pläne durchkreuzt, genauso wie die unappetitlichen Männer.
Jetzt komme ich an meinem Arbeitsplatz an. Gepriesen sei der Shutdown. Ein stilles, leeres Gemeindehaus voller besänftigender Yin-Energien. Ich mache die Tür hinter mir zu. Kein Mucks, kein Lüftchen, keine Tür, keine Schritte.Fabelhaft.
Nach einer Stunde im Büro herrscht plötzlich Unruhe. Es sind die Engagierten von der wunderbaren Brotvermehrung. Lauter hilflose Helfer, die ein bisschen die Welt retten, indem sie übrig gebliebene Lebensmittel an Bedürftige verteilen. Die opfern alles: Ihre kostbare, ereignislose Lebenszeit genauso wie das Wohl der eigenen Kinder. Täglich wird das Grundschulkind mitgenommen, gern bis 22.00 Uhr, weil man es ja nicht allein zu Hause lassen kann. Das Engagement denen zu überlassen, die kein Kind zu betreuen haben, ist natürlich keine Option, da säße man ja zu Hause fest und müsste sich mit der Brut beschäftigen. Mit der Begründung, das Kind könne man schließlich nicht allein lassen, wird es auch mit Gehirnerschütterung zum Einsatz mitgeschleppt. Es läuft ja an Mamas Hand, da stürzt es schon nicht, wenn ihm schwindelig wird. Solange es nicht erbricht, ist alles gut, wenn doch, muss es halt ins Krankenhaus. Wie praktisch, dann hat die Mama endlich mal ihre Ruhe.
Die geschäftigen Pseudo-Altruisten machen Lärm und stören meine Konzentration. Ich packe meine Tasche fürs Homeoffice. Dann schnappe ich mir den Korb mit dem Gemüse, den ich nicht im sonnenbeschienenen Auto stehen lassen wollte. Kurz vor dem Ausgang reißt der Henkel. Paprika, Tomaten, Fenchel, Zucchini und Rübchen kullern in alle Richtungen. Die hilflosen Helfer stürzen eifrig herbei, als hätte ich einen Wettstreit ausgerufen: Wer legt die meisten Gemüsestücke in meinen Korb? Sie grapschen meine Tomaten an, keuchen auf meine Paprikaschoten, kommen ganz nah an mich ran, um mich mit ihrem Todeshauch anzublasen, denn wenn es demnächst einen Hotspot gibt, dann hier, wo die Gefahren ignorierenden, gedankenlosen Altruisten vor lauter grenzenloser Sehnsucht nach Anerkennung und Wertschätzung Aerosolwolken austauschen wie Promiskuitive Körperflüssigkeiten. Und dann nehme ich die Kokosnuss, die ich noch selbst zu fassen bekommen habe und ziehe sie der schludrigen Lebensmittelfee über die Rübe. Zwei Mal, drei Mal, irgendwann höre ich auf zu zählen, höre mich nur Verwünschungen ausstoßen und schreie: Abstand halten! Abstand halten! Hört auf mir auf die Pelle zu rücken und mir überall im Weg rum zu stehen.
Ich schreie noch immer, als ich irgendwann merke, dass niemand mehr da ist. Nur noch Wände und eine verschlossene Tür. Von nun an stehe ich mir selbst im Weg. Dumm gelaufen.
Ich weiß, irgendwann wird wieder alles einwandfrei funktionieren und besser als zuvor, nur einiges wird seine Schönheit verloren haben und möglicherweise bin ich dann auch aus dem Rennen. Warum also stillhalten und geduldig verharren, wenn es für mich nichts mehr zu erwarten gibt? Ich könnte endlich mit allen abrechnen, gibt ja nichts mehr zu verlieren. Eine Liste machen von allen, die mir übel mitgespielt haben.
Doch sogar für Hass und Rache fehlt mir die Energie. Höchstens die Despoten dieser Welt würde ich gern dahinschlachten, aber ich würde an keinen einzigen herankommen, nicht einmal auf Heckenschützenlänge und wenn, würde mir das auch nicht weiterhelfen, ich kann nicht schießen, habe nicht einmal eine Waffe.
Überall ist was im Weg. Erlasse, die mir verbieten, Schwimmen zu gehen, die frischen Erdbeeren im Supermarkt zu beschnuppern, liebe Freunde zu umarmen.
Und dann stehen Leute im Weg, vor allem im Supermarkt, vorzugsweise in der Gemüseabteilung. An denen kommt man nicht vorbei. Die Seniorinnen mit Rollator, denen kann ich es ja nachsehen. Aber diese raumgreifenden Konsumterroristinnen, die mit einem Schlachtschiff vorfahren, das ein-ein-halb Parkplätze beansprucht und dann machen sie sich im Laden breit: vor sich den Wagen quer in den Gang geschoben, hinten der Elastanwäschegeformte Junkfood-Hintern, betont sexy herausgestreckt, seitlich die voluminöse Designer-Handtasche mit Goldapplikationen, eingehüllt in eine Duftwolke von Oriental Puff, mit besonders viel Moschus für garantierten Verführungserfolg.
Wie hieß noch einmal dieser verstrahlte Jugendliche im Jugendleiterkurs, der unbedingt Sniper werden wollte? Daniel? Benjamin? Hendrik? Thorben? So einer, der nichts Konstruktives beizutragen hatte, der vor sich hin schwieg und sich alle Mühe gab, aus der Wäsche zu gucken wie ein wachsamer Maulwurf, so wie er es vermutlich aus den drittklassigen, amerikanischen Filmproduktionen kannte, in denen der anständige Soldat den ganzen Dreck um sich herum nicht mehr aushält und endlich aufräumt. - Möchte ich auch. Einfach mal aufräumen mit allem. Den ganzen Dreck wegpusten. Geht aber nicht. Das schafft kein Laubbläser der Welt und auch keine Pumpgun.
Ich schlafe schlecht in letzter Zeit. Schrecke aus Alpträumen hoch. Entweder klopft der Tod an die Tür und ich versuche erfolglos, mich zu verstecken oder unappetitliche Männer drängen mir körperliche Nähe auf, ignorieren mein sichtliches Unbehagen und manipulieren mich dahingehend, dass ich nicht in der Lage bin, sie zurückzuweisen, ich spiele mit, fühle mich schlecht und denke, ich bin ja selbst schuld. Sie stehen mir alle im Weg: der Tod, der meine Pläne durchkreuzt, genauso wie die unappetitlichen Männer.
Jetzt komme ich an meinem Arbeitsplatz an. Gepriesen sei der Shutdown. Ein stilles, leeres Gemeindehaus voller besänftigender Yin-Energien. Ich mache die Tür hinter mir zu. Kein Mucks, kein Lüftchen, keine Tür, keine Schritte.Fabelhaft.
Nach einer Stunde im Büro herrscht plötzlich Unruhe. Es sind die Engagierten von der wunderbaren Brotvermehrung. Lauter hilflose Helfer, die ein bisschen die Welt retten, indem sie übrig gebliebene Lebensmittel an Bedürftige verteilen. Die opfern alles: Ihre kostbare, ereignislose Lebenszeit genauso wie das Wohl der eigenen Kinder. Täglich wird das Grundschulkind mitgenommen, gern bis 22.00 Uhr, weil man es ja nicht allein zu Hause lassen kann. Das Engagement denen zu überlassen, die kein Kind zu betreuen haben, ist natürlich keine Option, da säße man ja zu Hause fest und müsste sich mit der Brut beschäftigen. Mit der Begründung, das Kind könne man schließlich nicht allein lassen, wird es auch mit Gehirnerschütterung zum Einsatz mitgeschleppt. Es läuft ja an Mamas Hand, da stürzt es schon nicht, wenn ihm schwindelig wird. Solange es nicht erbricht, ist alles gut, wenn doch, muss es halt ins Krankenhaus. Wie praktisch, dann hat die Mama endlich mal ihre Ruhe.
Die geschäftigen Pseudo-Altruisten machen Lärm und stören meine Konzentration. Ich packe meine Tasche fürs Homeoffice. Dann schnappe ich mir den Korb mit dem Gemüse, den ich nicht im sonnenbeschienenen Auto stehen lassen wollte. Kurz vor dem Ausgang reißt der Henkel. Paprika, Tomaten, Fenchel, Zucchini und Rübchen kullern in alle Richtungen. Die hilflosen Helfer stürzen eifrig herbei, als hätte ich einen Wettstreit ausgerufen: Wer legt die meisten Gemüsestücke in meinen Korb? Sie grapschen meine Tomaten an, keuchen auf meine Paprikaschoten, kommen ganz nah an mich ran, um mich mit ihrem Todeshauch anzublasen, denn wenn es demnächst einen Hotspot gibt, dann hier, wo die Gefahren ignorierenden, gedankenlosen Altruisten vor lauter grenzenloser Sehnsucht nach Anerkennung und Wertschätzung Aerosolwolken austauschen wie Promiskuitive Körperflüssigkeiten. Und dann nehme ich die Kokosnuss, die ich noch selbst zu fassen bekommen habe und ziehe sie der schludrigen Lebensmittelfee über die Rübe. Zwei Mal, drei Mal, irgendwann höre ich auf zu zählen, höre mich nur Verwünschungen ausstoßen und schreie: Abstand halten! Abstand halten! Hört auf mir auf die Pelle zu rücken und mir überall im Weg rum zu stehen.
Ich schreie noch immer, als ich irgendwann merke, dass niemand mehr da ist. Nur noch Wände und eine verschlossene Tür. Von nun an stehe ich mir selbst im Weg. Dumm gelaufen.
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