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Freitag, 6. September 2019
Fauxpas
c. fabry, 11:55h
Sie hatte dem kleinen Racker nur die Leviten lesen wollen, ihm nicht damit auf den Kopf schlagen und schon gar nicht das Genick brechen wollen. Sie war keine Mörderin. Sie hatte noch nie jemanden totgeschlagen, nicht einmal geohrfeigt. Das war ein Versehen, dafür musste man doch Verständnis haben. Nein, ihr schwante, dass niemand dafür Verständnis haben würde. So etwas durfte einfach nicht passieren, schon gar nicht nach dem, was er getan hatte. Jeder Richter würde von einem eindeutigen Motiv sprechen. Sie hatte nur eine Chance. Sie musste dafür sorgen, dass niemand auf die Idee kam, sie mit diesem Grauen in Verbindung zu bringen.
Sie spürte noch immer das sanft nachgebende Fleisch seines Oberkörpers. Er hatte sie umarmt, als wäre es das letzte Mal. War es ja auch, zumindest für sechs Wochen. Unter ihren Händen hatte sie seine harten Muskeln gefühlt und er hatte seine rauhe Wange an der ihren gerieben wie zu einem Kuss. Eine halbe Unendlichkeit hatten sie so dagestanden, die Körper fest aneinandergedrückt, dann hatten sie loslassen müssen, ein letzter Blick in die traurigen Augen, gemurmelte Abschiedsfloskeln und von da an nur noch Erinnerung.
Sie wusste, dass es nicht ging. Sie passten nicht zusammen, zu verschieden war ihre Lebensweise, zu unterschiedlich ihre Alltagsbedürfnisse und trotzdem verging kein Tag, an dem sie sich nicht vor Sehnsucht nach ihm verzehrte. Schon bald würden sie sich wiedersehen, aber dann wüde es auch nicht mehr lange dauern und sie mussten sich für immer verabschieden.
Fünfzehn Jahre lang hatte sie als Theologin im Schuldienst mal mit großer Freude, mal mit letzter Kraft ihren Job gemeistert. Den männlichen Kollegen war sie dabei weitestgehend aus dem Weg gegangen. Da gab es zwar einige, mit denen sie sich einigermaßen gut verstand – meistens waren das auch Geisteswissenschaftler – aber angefreundet hatte sie sich immer nur mit Frauen.
Vor Fünf Jahren war Gregor aufgetaucht – Fachlehrer für Geschichte und Religion, hatte die Stelle gewechselt, weil seine Frau karrierebedingt hatte umziehen müssen, war ihr gefolgt um seine letzten Dienstjahre an einem neuen Ort durzustarten. Was für ein Mann! Und wie er aussah, so umwerfend, dass es kaum zum Aushalten war. Sie war ihm instinktiv aus dem Weg gegangen, um sich nicht Hals über Kopf hoffnungslos zu verlieben. Sie, in ihrer Mittelmäßigkeit auf allen Ebenen, wem konnte sie sich schon zumuten? Bestenfalls denen, die für sie gleichermaßen eine Zumutung darstellten. Darum war sie ja noch immer allein und würde es auch wohl bis zum Ende bleiben.
Doch dann hatten sie vor zwei Jahren dieses Projekt mit allen Religionslehrern gestartet. Die anderen Kollegen gingen ihr in ihrer schmerbäuchigen Selbstherrlichkeit zwar gehörig auf die Nerven, aber es war eine helle Freude, sich mit den Frauen darüber die Mäuler zu zerreißen und dann hatte es sich irgendwie ergeben, dass sie und Gregor das Projekt nach außen vertraten, in zahlreichen Gremien, bei öffentlichen und schulinternen Veranstaltungen. Sie waren ein gutes Team geworden, hatten auch das eine oder andere private Wort gewechselt und Gregor hatte sich an Herzlichkeit oft selbst übertroffen, seiner Freude Ausdruck verliehen, wenn er sie nach einer längeren Pause wiedersah, sie umarmt und angestrahlt.
Dann war es doch passiert. Sie hatte sich verliebt. Gregor war der erste, an den sie dachte, wenn sie morgens aufwachte und der letzte, bevor sie abends einschlief. Und im Tagesverlauf schlich er sich regelmäßig in ihr Bewusstsein. Sie wollte ihn so sehr, obwohl sie genau wusste, dass es niemals gutgehen konnte. In einem halben Jahr würde er für immer aus ihrem Leben verschwinden und alles um sie herum würde zurücksinken in das Aschegrau, in dem sie auch die Jahre zuvor verbracht hatte.
Ihr Mobiltelefon zwitscherte. Ihr Herz schien sich irgendwo zwischen Kopf und Hals eingenistet zu haben, so fühlte es sich jedenfalls an. Sie strich über das Display und klickte irritiert auf die von einer ihr unbekannten Person abgeschickte Nachricht.
„FIKT IHR NACH DEN FERJEN WIDER AUF DEM SCHULHOF?“ stand da.
Ein übler Schülerstreich. Irgendwer bekam doch immer ihre Mobilfunknummer heraus. Dann kam schon die nächste Nachricht. Diesmal ein Foto. Sie erkannte sofort sein blau-weiß gestreiftes Fischerhemd und ihre graue Seidenbluse, seine schwarz-grau melierten Locken und das eigene silberblonde Haar, dass zerwühlt um ihren Kopf loderte. Ihre Hände auf seinen Schulterblättern und der selbstvergessen, leicht geöffnete Mund über ihren hingebungsvoll geschlossenen Augen.
Später schloss sie dem jungen Schüler die Augen. Es war nun nicht mehr zu ändern. Er hatte sein Smartphone nicht mit einem Passwort geschützt, sie konnte das Foto einfach löschen, ebenso wie seine Nachricht an sie. Sie löschte die Nachricht auch auf dem eigenen Telefon, allerdings nicht, ohne vorher noch einmal ausgiebig das Foto zu betrachten, das sich für immer auf der Festplatte ihres Gehirns einbrennen würde. Schade, dass es kein Foto von der anderen Seite gab. Zu gern hätte sie Gregors Gesicht gesehen.
Das dicke Buch wischte sie ab und ließ es dann fallen. Danach verließ sie die Wohnung auf leisen Sohlen und betete inständig, dass niemand sie gesehen hatte.
Auf dem Heimweg dudelte plötzlich die Melodie von „Another Shade Of Pale“ in ihrer Handtasche. Verstört griff sie nach dem Telefon. Gregor rief an.
„Hallo Sabine“, begrüßte er sie aufgeregt. „Hast Du auch das tolle Foto von uns bekommen?“
ENDE
Sie spürte noch immer das sanft nachgebende Fleisch seines Oberkörpers. Er hatte sie umarmt, als wäre es das letzte Mal. War es ja auch, zumindest für sechs Wochen. Unter ihren Händen hatte sie seine harten Muskeln gefühlt und er hatte seine rauhe Wange an der ihren gerieben wie zu einem Kuss. Eine halbe Unendlichkeit hatten sie so dagestanden, die Körper fest aneinandergedrückt, dann hatten sie loslassen müssen, ein letzter Blick in die traurigen Augen, gemurmelte Abschiedsfloskeln und von da an nur noch Erinnerung.
Sie wusste, dass es nicht ging. Sie passten nicht zusammen, zu verschieden war ihre Lebensweise, zu unterschiedlich ihre Alltagsbedürfnisse und trotzdem verging kein Tag, an dem sie sich nicht vor Sehnsucht nach ihm verzehrte. Schon bald würden sie sich wiedersehen, aber dann wüde es auch nicht mehr lange dauern und sie mussten sich für immer verabschieden.
Fünfzehn Jahre lang hatte sie als Theologin im Schuldienst mal mit großer Freude, mal mit letzter Kraft ihren Job gemeistert. Den männlichen Kollegen war sie dabei weitestgehend aus dem Weg gegangen. Da gab es zwar einige, mit denen sie sich einigermaßen gut verstand – meistens waren das auch Geisteswissenschaftler – aber angefreundet hatte sie sich immer nur mit Frauen.
Vor Fünf Jahren war Gregor aufgetaucht – Fachlehrer für Geschichte und Religion, hatte die Stelle gewechselt, weil seine Frau karrierebedingt hatte umziehen müssen, war ihr gefolgt um seine letzten Dienstjahre an einem neuen Ort durzustarten. Was für ein Mann! Und wie er aussah, so umwerfend, dass es kaum zum Aushalten war. Sie war ihm instinktiv aus dem Weg gegangen, um sich nicht Hals über Kopf hoffnungslos zu verlieben. Sie, in ihrer Mittelmäßigkeit auf allen Ebenen, wem konnte sie sich schon zumuten? Bestenfalls denen, die für sie gleichermaßen eine Zumutung darstellten. Darum war sie ja noch immer allein und würde es auch wohl bis zum Ende bleiben.
Doch dann hatten sie vor zwei Jahren dieses Projekt mit allen Religionslehrern gestartet. Die anderen Kollegen gingen ihr in ihrer schmerbäuchigen Selbstherrlichkeit zwar gehörig auf die Nerven, aber es war eine helle Freude, sich mit den Frauen darüber die Mäuler zu zerreißen und dann hatte es sich irgendwie ergeben, dass sie und Gregor das Projekt nach außen vertraten, in zahlreichen Gremien, bei öffentlichen und schulinternen Veranstaltungen. Sie waren ein gutes Team geworden, hatten auch das eine oder andere private Wort gewechselt und Gregor hatte sich an Herzlichkeit oft selbst übertroffen, seiner Freude Ausdruck verliehen, wenn er sie nach einer längeren Pause wiedersah, sie umarmt und angestrahlt.
Dann war es doch passiert. Sie hatte sich verliebt. Gregor war der erste, an den sie dachte, wenn sie morgens aufwachte und der letzte, bevor sie abends einschlief. Und im Tagesverlauf schlich er sich regelmäßig in ihr Bewusstsein. Sie wollte ihn so sehr, obwohl sie genau wusste, dass es niemals gutgehen konnte. In einem halben Jahr würde er für immer aus ihrem Leben verschwinden und alles um sie herum würde zurücksinken in das Aschegrau, in dem sie auch die Jahre zuvor verbracht hatte.
Ihr Mobiltelefon zwitscherte. Ihr Herz schien sich irgendwo zwischen Kopf und Hals eingenistet zu haben, so fühlte es sich jedenfalls an. Sie strich über das Display und klickte irritiert auf die von einer ihr unbekannten Person abgeschickte Nachricht.
„FIKT IHR NACH DEN FERJEN WIDER AUF DEM SCHULHOF?“ stand da.
Ein übler Schülerstreich. Irgendwer bekam doch immer ihre Mobilfunknummer heraus. Dann kam schon die nächste Nachricht. Diesmal ein Foto. Sie erkannte sofort sein blau-weiß gestreiftes Fischerhemd und ihre graue Seidenbluse, seine schwarz-grau melierten Locken und das eigene silberblonde Haar, dass zerwühlt um ihren Kopf loderte. Ihre Hände auf seinen Schulterblättern und der selbstvergessen, leicht geöffnete Mund über ihren hingebungsvoll geschlossenen Augen.
Später schloss sie dem jungen Schüler die Augen. Es war nun nicht mehr zu ändern. Er hatte sein Smartphone nicht mit einem Passwort geschützt, sie konnte das Foto einfach löschen, ebenso wie seine Nachricht an sie. Sie löschte die Nachricht auch auf dem eigenen Telefon, allerdings nicht, ohne vorher noch einmal ausgiebig das Foto zu betrachten, das sich für immer auf der Festplatte ihres Gehirns einbrennen würde. Schade, dass es kein Foto von der anderen Seite gab. Zu gern hätte sie Gregors Gesicht gesehen.
Das dicke Buch wischte sie ab und ließ es dann fallen. Danach verließ sie die Wohnung auf leisen Sohlen und betete inständig, dass niemand sie gesehen hatte.
Auf dem Heimweg dudelte plötzlich die Melodie von „Another Shade Of Pale“ in ihrer Handtasche. Verstört griff sie nach dem Telefon. Gregor rief an.
„Hallo Sabine“, begrüßte er sie aufgeregt. „Hast Du auch das tolle Foto von uns bekommen?“
ENDE
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