Donnerstag, 11. Juli 2019
Was für ein Vertrauen – Kurzkrimi in vier Teilen – 4. Teil
Sie schlug die waz auf, fand die gleichen Spekulationen wie in den Ruhrnachrichten. Sogar die Kirchentagszeitung hatte vorsichtig gemutmaßt, dass hier möglicherweise eine neue Dimension des modenenden Islamismus und Antisemitismus oder aber des Naziterrors entstand. Gestern hatten sie zusätzlich noch Linksradikale im Visier gehabt, Morde an Besuchern des Kirchentages, fanden so ganz durchgeknallte Antiimperialisten, die das Feindbild Kirche pflegten, vielleicht akzeptabel. Aber ein durch Regenbogen-Anstecker deutlich erkennbarer Homosexueller, der gerade auf dem Rückweg einer Veranstaltung der HuK war, das passte in kein Linkes Profil, auch kein noch so durchgeknalltes.
Sie grinste in sich hinein. Die hatten ja sowas von keine Ahnung. Aber es ärgerte sie auch. Fiel denn niemandem auf, auf welchen Abgrund die Gesellschaft zuraste? Wie die Kirche im Begriff war, sich selbst abzuschaffen? Die falschen Propheten machten sich überall breit, insbesondere auf dem Kirchentag. Überall Multikulti und als interreligiöser Dialog deklariertes Anbiedern an Religionsgemeinschaften, die sich ihrerseits alles andere als Toleranz auf die Fahne schrieben. Schwule und Lesben bekamen Gottes Segen in völliger Ignoranz von Levitikus 18,22 und sie bekamen sogar eine Plattform auf dem Kirchentag, um für sich zu werben.
Die erste, die sie sich vorgenknöpft hatte, das war noch zufällig geschehen. Sie hatte in der U-Bahn erklärt, wie sehr sie sich freue, dass sie sich nicht mehr fremdschämen müsse für die Kirchentagslieder absingenden christlichen Imperialisten, die den kirchenfernen Bewohnern der Gastgeber-Stadt ihre Spiritualität aufoktroyierten. Dann hatte sie begeistert von ihrem Kabarett-Abend berichtet. Auch so eine Seuche. Überall auf dem Kirchentag traten Kabarettisten auf, die die Kirche, die Christen und ihre zentrale Veranstaltung verhöhnten und dafür auch noch Beifall ernteten. Da war der Entschluss in ihr gereift, endlich aktiv zu werden und aufzuräumen. Weg mit den Nestbeschmutzern, Irrläufern und inneren Feinden. Sie war der Lästertasche bis in die Unterkunft gefolgt, hatte sich mit dem falschen Mitarbeiterausweis hineingemogelt und gewartet, bis es still wurde. Als die Tante ihr kabarettistisches Bier wegbringen musste, war sie ihr hinterher geschlichen. Ein beherzter Klimmzug über die Toilettentrennwand und schon hatte sie sie überrascht, als sie sich gerade wieder die Hose hochgezogen hatte. Wie gut, dass sie immer ihr klappbares Gemüsemesser dabei hatte, es hatte eine höllisch scharfe Klinge und so ein Schnitt durch die Halsschlagader war schnell erledigt.

Am nächsten Morgen war sie dann gezielt zu der jüdisch-christlich-islamischen Bibelarbeit gegangen und war nach dem gleichen, bewährten Muster vorgegangen.

Bei der HuK war es schwieriger gewesen, viel zu viel Betrieb auf den Toiletten und außerdem wollte sie auch mal einen Mann erwischen. Darum hatte sie sich an die Fersen dieser offensichtlich stockschwulen Regenbogentucke geheftet und war schneller zum Zug gekommen, als sie es erwartet hätte. Der Überraschungsmoment war auf ihrer Seite gewesen, als sie ihm von hinten die Lederschnur ihres Assisi-Kreuzes um den Hals schlang und so lange zuzog, bis er nicht mehr zuckte. Sie war doch überrascht, wieviel Kraft sie in Händen und Armen hatte. Dann hatte sie ihm seinen Schal um den Hals geknotet und ihn damit an der Haltestange aufgehängt. Das war schon deutlich schwieriger gewesen, aber der Kerl hatte keinen Mumm in den Knochen, darum auch nur wenig Muskeln und war erstaunlich leicht gewesen. Zum Glück war niemand zugestiegen und sie hatte die Bahn bei der übernächsten Haltestelle verlassen können, ohne dass jemand den Wagen betreten hatte.

Als nächstes wüde sie sich den Referenten von „Generation Lobpreis“ vornehmen. Diese arroganten Besserwisser, die die endlich wieder aufkeimende Frömmigkeit der jungen Generation mit allen Mitteln zu bekämpfen suchten. Sie stieg aus der Bahn und schlenderte beschwingt über das Messegelände. Als sie die Halle erreicht hatte, griff sie in der linken Jackentasche nach ihrem Mitarbeiterausweis. Da war er nicht. Sie suchte in der rechten Tasche, im Rucksack, in den Hosentaschen. Er war verschwunden und eine eiskalte Erkenntnis überkam sie, als ihr bewusst wurde, bei welcher Gelegenheit er ihr höchstwahrscheinlich aus der Tasche gerutscht war...

ENDE

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Was für ein Vertrauen – Kurzkrimi in vier Teilen – 3. Teil
Gero war noch ganz gefangen von den Eindrücken. „Bibel-Bitches“, das hatte ihm gefallen und wie sie es geschaft hatten, in der fast als homoerotisches Rührstück angelegten Neuauflage der Geschichte von David und Jonathan eine kabarettistische Linie durchzuziehen, die zudem noch treffsicher und punktgenau die aktuellen homophobischen Restposten in der Evangelischen Kirche aufs Korn nahm, das war schon ganz goßes Kino. Darum merkte er auch nicht, dass sich seit dem Ende der Veranstaltung eine Peson an seine Fersen geheftet hatte, die ihn nicht aus den Augen ließ. Nicht einmal, als er beschäftigungslos an der nahezu verlassenen Haltestation auf die nächste U-Bahn wartete.

War ein super Konzert, fand René und fragte Carl nun schon zum dritten Mal: „Ey, Kalle, war doch'n super Konzert, oder etwa nicht?“
Aber Carl antwortete nicht, er war tief versunken im Tequila-Sunrise-Land, denn er hatte nicht nur seine eigene 1-Liter-Thermoskanne weggebechert sondern auch noch mehr als die Hälfte von Janas Cocktail vernichtet, die vertrug ja nichts und hatte schon die Flagge gestrichen, als sie erste Anzeichen eines Schwipses an sich bemerkte. Alle andern waren auch gut drauf, darum würden sie es auch hinbekommen, Carl unbeschadet in die Schule zu schaffen. Falls er sich übergeben musste, tat er das hoffentlich noch bevor sie ihren Schlafraum erreichten und bitte auch außerhalb der U-Bahn.

Gero war erleichtert. Endlich fuhr seine Linie ein, erstaunlich leer, genau wie der Haltepunkt. War ja klar, dass der Veranstaltungsort der HuK – Homosexuelle und Kirche – weit raus an den Stadtrand verlegt worden war, in die Schmuddelecke, damit kein anständiger Jugendlicher sich hier her verirrte. War eben nicht nur Putin, der Toleranz heuchelte und Hass lebte. Aber ihm sollte es recht sein. Konnte er wenigstens noch ein bisschen in Ruhe vor sich hin träumen. Er betrat einen leeren Wagen und setzte sich entspannt gleich auf den erstbesten Platz. Mit dem Rücken zur Tür, damit Zusteigende ihn nicht von seinen Gedanken ablenkten und direkt am Gang, damit kein unangenehmer Mensch sich neben ihn setzte. Er wollte einfach nur seine Ruhe haben.

Es waren noch fünf Minuten bis zur Abfahrt. Carl lag mittlerweile zusammengerollt wie eine Katze am Boden und rührte sich nicht mehr. Er war zwar kein Hundert-Kilo-Brocken, eher ein dünnes Hemd, aber wenn er da so lag wie ein Mehlsack, würde es ein hartes Brot, ihn in die Bahn zu hiefen. René schüttelte ihn und schrie ihn an. Allmählich packte ihn die Panik. Erst als die Bahn endlich einfuhr, begannen Carls Augenlider zu flattern. Mit vereinten Kräften zogen sie ihn auf die Füße und schoben ihn in den nächsten Wagen. Hier riss Carl plötzlich die Augen auf, genau wie alle anderen. An der obersten Haltestange war ein lebendig grüner Kirchentagsschal befestigt. Am anderen Ende hing ein Mensch mit hervorquellenden Augen und blauer Zunge. Wären sie nicht so betrunken gewesen, hätten sie ihn vielleicht noch losgemacht, doch starr vor Anst, schafften sie es nicht einmal, aus der Bahn zu flüchten. Schreiend und zitternd warteten sie auf die nächste Gelegenheit, die Bahn wieder zu verlassen und dann, wenn sie in Sicherheit waren, die Polizei zu informieren. Carls Mageninhalt drängte nach draußen und dann sah es so aus, als habe der Erhängte der Nachwelt zum Abschied ein säuerlich riechendes Geschenk hinterlassen.

Forsetzung folgt

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