Donnerstag, 11. Juli 2019
Was für ein Vertrauen – Kurzkrimi in vier Teilen – 3. Teil
Gero war noch ganz gefangen von den Eindrücken. „Bibel-Bitches“, das hatte ihm gefallen und wie sie es geschaft hatten, in der fast als homoerotisches Rührstück angelegten Neuauflage der Geschichte von David und Jonathan eine kabarettistische Linie durchzuziehen, die zudem noch treffsicher und punktgenau die aktuellen homophobischen Restposten in der Evangelischen Kirche aufs Korn nahm, das war schon ganz goßes Kino. Darum merkte er auch nicht, dass sich seit dem Ende der Veranstaltung eine Peson an seine Fersen geheftet hatte, die ihn nicht aus den Augen ließ. Nicht einmal, als er beschäftigungslos an der nahezu verlassenen Haltestation auf die nächste U-Bahn wartete.

War ein super Konzert, fand René und fragte Carl nun schon zum dritten Mal: „Ey, Kalle, war doch'n super Konzert, oder etwa nicht?“
Aber Carl antwortete nicht, er war tief versunken im Tequila-Sunrise-Land, denn er hatte nicht nur seine eigene 1-Liter-Thermoskanne weggebechert sondern auch noch mehr als die Hälfte von Janas Cocktail vernichtet, die vertrug ja nichts und hatte schon die Flagge gestrichen, als sie erste Anzeichen eines Schwipses an sich bemerkte. Alle andern waren auch gut drauf, darum würden sie es auch hinbekommen, Carl unbeschadet in die Schule zu schaffen. Falls er sich übergeben musste, tat er das hoffentlich noch bevor sie ihren Schlafraum erreichten und bitte auch außerhalb der U-Bahn.

Gero war erleichtert. Endlich fuhr seine Linie ein, erstaunlich leer, genau wie der Haltepunkt. War ja klar, dass der Veranstaltungsort der HuK – Homosexuelle und Kirche – weit raus an den Stadtrand verlegt worden war, in die Schmuddelecke, damit kein anständiger Jugendlicher sich hier her verirrte. War eben nicht nur Putin, der Toleranz heuchelte und Hass lebte. Aber ihm sollte es recht sein. Konnte er wenigstens noch ein bisschen in Ruhe vor sich hin träumen. Er betrat einen leeren Wagen und setzte sich entspannt gleich auf den erstbesten Platz. Mit dem Rücken zur Tür, damit Zusteigende ihn nicht von seinen Gedanken ablenkten und direkt am Gang, damit kein unangenehmer Mensch sich neben ihn setzte. Er wollte einfach nur seine Ruhe haben.

Es waren noch fünf Minuten bis zur Abfahrt. Carl lag mittlerweile zusammengerollt wie eine Katze am Boden und rührte sich nicht mehr. Er war zwar kein Hundert-Kilo-Brocken, eher ein dünnes Hemd, aber wenn er da so lag wie ein Mehlsack, würde es ein hartes Brot, ihn in die Bahn zu hiefen. René schüttelte ihn und schrie ihn an. Allmählich packte ihn die Panik. Erst als die Bahn endlich einfuhr, begannen Carls Augenlider zu flattern. Mit vereinten Kräften zogen sie ihn auf die Füße und schoben ihn in den nächsten Wagen. Hier riss Carl plötzlich die Augen auf, genau wie alle anderen. An der obersten Haltestange war ein lebendig grüner Kirchentagsschal befestigt. Am anderen Ende hing ein Mensch mit hervorquellenden Augen und blauer Zunge. Wären sie nicht so betrunken gewesen, hätten sie ihn vielleicht noch losgemacht, doch starr vor Anst, schafften sie es nicht einmal, aus der Bahn zu flüchten. Schreiend und zitternd warteten sie auf die nächste Gelegenheit, die Bahn wieder zu verlassen und dann, wenn sie in Sicherheit waren, die Polizei zu informieren. Carls Mageninhalt drängte nach draußen und dann sah es so aus, als habe der Erhängte der Nachwelt zum Abschied ein säuerlich riechendes Geschenk hinterlassen.

Forsetzung folgt

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