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Samstag, 29. Dezember 2018
The Day After - weihnachtlicher Kurzkrimi
c. fabry, 17:42h
„Es ist vollbracht!“ stieß Tessa hervor. Sie war wirklich heilfroh, dass sie keinen festen Partner hatte, mit dem sie das Ritual ebenfalls hätte vollziehen müssen. Sie lag da in ihrem kuscheligen Bett, es herrschte absolute Ruhe im Haus, alle anderen waren auswärts zur zweiten Runde Gans mit Rotkohl, Feuerzangenbowle und Familiensystemfehler-bedingtem Spontanerbrechen. Sie dagegen würde gleich den ganzen Zimt und Honigkerzenduft wegduschen, ausgiebig frühstücken und es sich mit der neuen Krimischwarte auf dem Sofa gemütlich machen. Sie würde keinesfalls ans Telefon gehen, die Tür nicht öffnen, das Smartphone war ausgeschaltet, endlich Weihnachten!
Doch schon beim Frühstück spürte sie, dass die Gespenster vom Vortag sie noch nicht aus ihren Klauen ließen. Ihr großer Bruder Robert war ja ganz umgänglich gewesen, hatte sich aber meistens schweigend im Hintergrund gehalten. Seine Frau Gesine dagegen war wie immer in Höchstform gewesen, trat in jeden Fettnapf und wenn keiner aufgestellt war, dann suchte sie sich einen. „Und mit wem hast Du dieses Jahr Heilig Abend verbracht, Tessa?“ „Ob wir Edeltraud wohl nächstes Jahr im Pfelgeheim besuchen müssen? Ich meine ja nur, Friedhelm ist auch nicht mehr der Jüngste. Und auf seine Töchter kann er nicht zählen.“ „Ach ja, der Robert hat ja auch schon einmal über eine Haartransplantation nachgedacht, aber das ist viel zu teuer und älter wird man trotzdem, da kann man noch so viel an sich machen lassen, das ist trotzem nicht zu übersehen.“
Übertroffen wurde Gesine nur von Tessas großer Schwester Hanna, die darauf erwiderte: „Stimmt, da hilft kein Schlupflider-Lifting, keine Collagen-Spritzen in die plissierten Lippen, keine Fettaubsaugung und keine Besenreiserverödung, wenn das Hirn alt ist, die unsportlichen Knochen klapprig und die Esslust größer als der Verstand. Da spart man lieber schon mal für die Beerdigung.“
Hanna war unmöglich, aber für diesen Hieb gegen die lästige Schwägerin liebte Tessa ihre Schwester von ganzem Herzen.
„War aber 'ne Schöne Beerdigung.“, bemerkte Tessas Mutter Edeltraut mit einem seelenvollen Lächeln.
„Wir sind hier auf keiner Beerdigung.“, wies Gesine sie barsch zurecht. „Es ist Weihnachten. Wir feiern die Geburt Christi und deine ganze Familie ist zusammengekommen.“
Edeltraut schwieg, behielt aber ihr entrücktes Lächeln bei. Friedhelm stapelte energisch das Kaffeegeschirr und trug es in die Küche. Tessa folgte ihm.
„Komm Papa“, sagte sie. „Ich räume das Geschirr in die Maschine“
„Oh, ist dir heute weihnachtlich zumute?“, fragte Friedhelm sarkastisch. „Gib dir keine Mühe. Wenn du dich das ganze Jahr nicht kümmerst, kannst du dich Weihnachten auch ruhig bedienen lassen.“
„Papa, ich wohne mehr als fünfhundert Kilometer weit weg. Ich muss arbeiten. Wie soll ich mich da kümmern?“
„Könntest dir ja hier in der Nähe was suchen.“
„Als Archivarin? Weißt du wie viele Stellen es da bundesweit gibt? Ich kann froh sein, wenn ich meinen Job behalte. Was tun denn Robert und Gesine? Und was ist mit Hanna und Helmut? Gehen die dir vielleicht zur Hand?“
„Hanna geht wenigstens ab und zu mit Mama Kleidung kaufen oder zum Frisör.“
„Ja“, entgegenete Tessa, „das, was ihr Spaß macht.“
Hanna hatte die Küche betreten. „Das macht schon lange keinen Spaß mehr.“, schnaubte sie. „Ich muss die ganze Zeit aufpassen, dass sie nicht wegläuft oder die Umkleidekabine mit einem Stehklo verwechselt. Aber das kann unser Nesthäkchen sich natürlich nicht vorstellen. Du siehst Mama ja nur zwei Mal im Jahr.“
„Drei Mal.“, korrigierte Tessa sie.
„Stimmt. Zu Papas Geburtstag kommst du ja auch und frisst dich durch.“
„Und was tut Robert?“, fragte Tessa angrifflustig.
„Robert ist Arzt.“, antwortete Friedhelm knapp, als würde das alles rechtfertigen. „Und seine Gesine backt uns zu jeder Familienfeier eine schöne Torte.“
„Coppenrath und Wiese.“, bemerkte Hanna. „Mit Eierlikör und frischen Maraschino-Kirschen verfeinert.“
„Bescherung!“, trällerte Gesine aus dem Wohnzimmer.
„Oh je!“, flüsterte Tessa. „Nicht schon wieder die Champagner-Trüffel mit 10000 Kalorien.“
„Aber Gesine isst die doch so gern.“, erwiderte Hanna. „Sicher blutet ihr jedes Mal das Herz, wenn sie sie zu Weihnachten abgeben muss, die edlen Pralinen.“
„Vielleicht sollte ich sie diesmal aufheben und sie ihr nächstes Jahr zu Weihnachten zurückschenken.“
„Hast du die etwa gegessen?“
„Bist du verrückt? Ich habe die direkt entsorgt. So was esse ich nicht.“
Es gab selbst gemachten Whisky-Sahne-Likör, keine Trüffel. Gesine hatte aufgerüstet. Sie wollte ihre Schwägerinnen nicht nur in die Fettleibigkeit treiben, sie wollte auch deren Lebern zerstören. Möglicherweise hatte sie etwas Crack untergemischt.
Sie waren ihr alle gehörig auf den Zeiger gegangen, nur ihrer Mutter konnte sie nichts übel nehmen, sie war ja völlig hilflos und am Ende hatte ihr sogar Hanna leidgetan, als sie im Flur auf Helmut, Hannas Ehemann, traf, der nervös auf seinem Handy herumtippte und sie ansah, als hätte sie ihn beim Masturbieren erwischt. Er sah sich sicher keine Damenwäsche-Annoncen an, stattdessen lief da womöglich etwas mit einer jungen Kollegin, gab ja haufenweise davon in der kirchlichen Jugendarbeit. Und Helmut war zwar ein alter Sack, hatte sich aber gut gehalten, viel besser als Hanna, die vom Hass auf ihre Eltern und ihre jüngeren Geschwister, wenn nicht gleich auf die ganze Welt regelrecht verzehrt wurde. Bei Hanna hätten auch keine Schönheitsoperationen mehr geholfen und sie musste furchtbar darunter leiden, denn sie hatte mindestens zwanzig Jahre lang keine Gelegenheit ausgelassen, ihrer kleinen Schwester unter die Nase zu reiben, dass sie im Gegensatz zu ihr haufenweise aufregenden Sex mit häufig wechselnden, hochattraktiven Partnern hatte. Das war schon eine ganze Weile vorbei und nun rächte Helmut sich weidlich. Ob er im nächsten Jahr wohl noch an der Damast-gedeckten Tafel Platz nehmen würde?
Das Buch lachte sie an. Sie goss sich ein großes Glas von Gesines Likör ein. Sehr süß, aber auch aromatisch, leicht torfig-rauchig mit einer feinen Kaffeenote. Sie versank in ihrem Krimi, sehr düster, sehr englisch, das Opfer war vergiftet worden, ein Gift, das einen langsam wegdämmern ließ, verabreicht in Champagner-Trüffeln und feinem Whisky-Likör.
ENDE
Doch schon beim Frühstück spürte sie, dass die Gespenster vom Vortag sie noch nicht aus ihren Klauen ließen. Ihr großer Bruder Robert war ja ganz umgänglich gewesen, hatte sich aber meistens schweigend im Hintergrund gehalten. Seine Frau Gesine dagegen war wie immer in Höchstform gewesen, trat in jeden Fettnapf und wenn keiner aufgestellt war, dann suchte sie sich einen. „Und mit wem hast Du dieses Jahr Heilig Abend verbracht, Tessa?“ „Ob wir Edeltraud wohl nächstes Jahr im Pfelgeheim besuchen müssen? Ich meine ja nur, Friedhelm ist auch nicht mehr der Jüngste. Und auf seine Töchter kann er nicht zählen.“ „Ach ja, der Robert hat ja auch schon einmal über eine Haartransplantation nachgedacht, aber das ist viel zu teuer und älter wird man trotzdem, da kann man noch so viel an sich machen lassen, das ist trotzem nicht zu übersehen.“
Übertroffen wurde Gesine nur von Tessas großer Schwester Hanna, die darauf erwiderte: „Stimmt, da hilft kein Schlupflider-Lifting, keine Collagen-Spritzen in die plissierten Lippen, keine Fettaubsaugung und keine Besenreiserverödung, wenn das Hirn alt ist, die unsportlichen Knochen klapprig und die Esslust größer als der Verstand. Da spart man lieber schon mal für die Beerdigung.“
Hanna war unmöglich, aber für diesen Hieb gegen die lästige Schwägerin liebte Tessa ihre Schwester von ganzem Herzen.
„War aber 'ne Schöne Beerdigung.“, bemerkte Tessas Mutter Edeltraut mit einem seelenvollen Lächeln.
„Wir sind hier auf keiner Beerdigung.“, wies Gesine sie barsch zurecht. „Es ist Weihnachten. Wir feiern die Geburt Christi und deine ganze Familie ist zusammengekommen.“
Edeltraut schwieg, behielt aber ihr entrücktes Lächeln bei. Friedhelm stapelte energisch das Kaffeegeschirr und trug es in die Küche. Tessa folgte ihm.
„Komm Papa“, sagte sie. „Ich räume das Geschirr in die Maschine“
„Oh, ist dir heute weihnachtlich zumute?“, fragte Friedhelm sarkastisch. „Gib dir keine Mühe. Wenn du dich das ganze Jahr nicht kümmerst, kannst du dich Weihnachten auch ruhig bedienen lassen.“
„Papa, ich wohne mehr als fünfhundert Kilometer weit weg. Ich muss arbeiten. Wie soll ich mich da kümmern?“
„Könntest dir ja hier in der Nähe was suchen.“
„Als Archivarin? Weißt du wie viele Stellen es da bundesweit gibt? Ich kann froh sein, wenn ich meinen Job behalte. Was tun denn Robert und Gesine? Und was ist mit Hanna und Helmut? Gehen die dir vielleicht zur Hand?“
„Hanna geht wenigstens ab und zu mit Mama Kleidung kaufen oder zum Frisör.“
„Ja“, entgegenete Tessa, „das, was ihr Spaß macht.“
Hanna hatte die Küche betreten. „Das macht schon lange keinen Spaß mehr.“, schnaubte sie. „Ich muss die ganze Zeit aufpassen, dass sie nicht wegläuft oder die Umkleidekabine mit einem Stehklo verwechselt. Aber das kann unser Nesthäkchen sich natürlich nicht vorstellen. Du siehst Mama ja nur zwei Mal im Jahr.“
„Drei Mal.“, korrigierte Tessa sie.
„Stimmt. Zu Papas Geburtstag kommst du ja auch und frisst dich durch.“
„Und was tut Robert?“, fragte Tessa angrifflustig.
„Robert ist Arzt.“, antwortete Friedhelm knapp, als würde das alles rechtfertigen. „Und seine Gesine backt uns zu jeder Familienfeier eine schöne Torte.“
„Coppenrath und Wiese.“, bemerkte Hanna. „Mit Eierlikör und frischen Maraschino-Kirschen verfeinert.“
„Bescherung!“, trällerte Gesine aus dem Wohnzimmer.
„Oh je!“, flüsterte Tessa. „Nicht schon wieder die Champagner-Trüffel mit 10000 Kalorien.“
„Aber Gesine isst die doch so gern.“, erwiderte Hanna. „Sicher blutet ihr jedes Mal das Herz, wenn sie sie zu Weihnachten abgeben muss, die edlen Pralinen.“
„Vielleicht sollte ich sie diesmal aufheben und sie ihr nächstes Jahr zu Weihnachten zurückschenken.“
„Hast du die etwa gegessen?“
„Bist du verrückt? Ich habe die direkt entsorgt. So was esse ich nicht.“
Es gab selbst gemachten Whisky-Sahne-Likör, keine Trüffel. Gesine hatte aufgerüstet. Sie wollte ihre Schwägerinnen nicht nur in die Fettleibigkeit treiben, sie wollte auch deren Lebern zerstören. Möglicherweise hatte sie etwas Crack untergemischt.
Sie waren ihr alle gehörig auf den Zeiger gegangen, nur ihrer Mutter konnte sie nichts übel nehmen, sie war ja völlig hilflos und am Ende hatte ihr sogar Hanna leidgetan, als sie im Flur auf Helmut, Hannas Ehemann, traf, der nervös auf seinem Handy herumtippte und sie ansah, als hätte sie ihn beim Masturbieren erwischt. Er sah sich sicher keine Damenwäsche-Annoncen an, stattdessen lief da womöglich etwas mit einer jungen Kollegin, gab ja haufenweise davon in der kirchlichen Jugendarbeit. Und Helmut war zwar ein alter Sack, hatte sich aber gut gehalten, viel besser als Hanna, die vom Hass auf ihre Eltern und ihre jüngeren Geschwister, wenn nicht gleich auf die ganze Welt regelrecht verzehrt wurde. Bei Hanna hätten auch keine Schönheitsoperationen mehr geholfen und sie musste furchtbar darunter leiden, denn sie hatte mindestens zwanzig Jahre lang keine Gelegenheit ausgelassen, ihrer kleinen Schwester unter die Nase zu reiben, dass sie im Gegensatz zu ihr haufenweise aufregenden Sex mit häufig wechselnden, hochattraktiven Partnern hatte. Das war schon eine ganze Weile vorbei und nun rächte Helmut sich weidlich. Ob er im nächsten Jahr wohl noch an der Damast-gedeckten Tafel Platz nehmen würde?
Das Buch lachte sie an. Sie goss sich ein großes Glas von Gesines Likör ein. Sehr süß, aber auch aromatisch, leicht torfig-rauchig mit einer feinen Kaffeenote. Sie versank in ihrem Krimi, sehr düster, sehr englisch, das Opfer war vergiftet worden, ein Gift, das einen langsam wegdämmern ließ, verabreicht in Champagner-Trüffeln und feinem Whisky-Likör.
ENDE
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