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Samstag, 20. Mai 2017
Kita-Cluedo – Auflösung – Die Geschichte hinter der Geschichte
c. fabry, 17:09h
Donnerstag, 11.25 Uhr
Ingo Sondermühlen stieg aus seinem weißen Kleinwagen. Der Lack war schadhaft und glanzlos, aber das fiel bei einem weißen Auto nicht so eklatant ins Auge. Er hatte lange überlegt, ob er es wagen sollte. Wenn ihn nun jemand erwischte? Die Kinder nebenan in der Kita waren krakeelend in ihr Spiel vertieft. Immer wieder linste er zu den Fenstern der Nummer 25 herüber, um einen Blick auf Annika zu erhaschen. Dabei ging er möglichst unauffällig auf und ab.
11.45 Uhr
Heute war im Puff nicht viel zu tun. Hatten die am Mittwoch wohl nicht so viel Betrieb. Es war ja auch besonders schönes Wetter und die Leute hatten sich in den Biergärten gedrängt wie Zwiebeln auf dem Acker. Manchmal gab es besonders unappetitliche Flecken, denn manche Freier standen auf Spielchen mit Exkrementen und die Nutten machten nur das Gröbste weg, dafür hatten sie ja schließlich eine Putzfrau. Das war bei dem anderen Anstellungsträger schon angenehmer, auch wenn er nicht so gut zahlte. Ganz früher, da war es noch richtig gut gewesen. Da hatte sie einen Job als Reinigungskraft in ihrer Kirchengemeinde gehabt. Sie hatte Gemeindehaus und Kirche geputzt, der Küster war nur für geistliche Aufgaben zuständig gewesen. Die Kirche hatte sie anständig bezahlt, mit allen Sicherheiten und Zusatzversorgungen. Aber dann war ihnen nach und nach die Kohle ausgegangen. Die Sekretärin hatte ihr gesteckt, dass der Laden nur Pleite ging, weil die viel zu vielen Pfarrer frühzeitig in Rente gingen und dadurch natürlich noch länger lebten und Jahrzehntelang Ruhegehalt kassierten, schon ab 58 und das alles ohne Abzüge. Darum verschwanden nach und nach alle anderen Berufsgruppen aus der Kirche und irgendwann würden die Pfarrer alles allein machen müssen oder es ihren Ehrenamtlichen aufhalsen, bis die auch die Schnauze voll hätten und dann wäre aber so was von Schluss mit lustig. Sie hatten ihr dann diesen Job bei der Service-Abteilung der Diakonie angeboten und sie hatte angenommen, was blieb ihr anderes übrig? Zwei Einsatzorte, täglich geteilter Dienst und viel weniger Lohn, da hatte sie sich dann den Turnhallenjob gesucht und schließlich den besser bezahlten Job im Puff. Hier ließ man sie wenigstens in Ruhe. In der Diakonie stand immer einer hinter ihr und machte Stress. Der Schlimmst von allen war der Chef, dieser Frederking. Wenn er auf seinem lächerlichen Segway die Bielefelder Dorfstraße herunterfuhr, war das schon peinlich genug, aber am lächerlichsten war es, wenn er damit von seinem Büro in den Aufzug fuhr und wenn er Mitarbeitenden begegnete, stieg er nicht ab, sondern blieb auf seinem Sockel stehen und bellte Kommandos oder andere Demütigungen. Sie hatte sich ihm gegenüber immer so ausgeliefert gefühlt in ihrer ohnmächtigen Wut.
Dann, etwa vor einem halben Jahr, hatte sie zufällig ein Video auf Youtube entdeckt: In dem Puff, in dem sie arbeitete, feierten drei Männer ausgelassen mit sechs Nutten eine Champagner-Orgie im Whirlpool: Der Industrielle Auer von der Eurodent, der Oberkirchenfuzzi Schuster und mittendrin Frederking, in einem Arm eine Nutte, im anderen eine Flasche Schampus und das Goldkettchen glitzerte an seinem Hals. Wer auch immer das gefilmt und ins Netz gestellt hatte, hatte sich natürlich strafbar gemacht, aber sie hatte sich das Filmchen gesichert: auf der Festplatte und auf einem Stick. Mit diesem Stick hatte sie Frederking in der Hand. Sie arbeitete nur noch an dem perfekten Plan, wie sie ihn damit erpressen konnte, ohne dass ihr etwas nachzuweisen war und sie stand kurz vor der Lösung des Problems.
12.10 Uhr
Die Erzieherin auf dem Außengelände schien auf ihn aufmerksam geworden zu sein. Ingo Sondermühlen gab sein Vorhaben für heute auf. Annika lief ihm so schnell nicht weg. Er könnte ja am Samstag wieder kommen, dann war kein Betrieb in der Kita, aber immer noch genug Geschäftigkeit auf der Straße.
16.30 Uhr
Frau Ludwig, die gegenüber der Kita wohnt, trank einen Kaffee und guckte aus dem Küchenfenster. Da kam gerade die müde Putzfrau. Der sah man
überdeutlich an, dass sie wirklich gar keine Freude am Leben hatte, dachte Frau Ludwig.
16.36 Uhr
Jennifer Werning war vollkommen fertig mit den Nerven. Schon wieder hatte der Chef sie nicht pünktlich gehen lassen. Er wollte sie damit mürbe machen, damit sie schließlich das Handtuch warf, da war sie sich sicher. Der alte Macho aus dem 20. Jahrhundert wollte keine Mütter in seinem Laden, nur Männer, die sich auf ihre Arbeit konzentrierten, weil sie da ihre Ruhe hatten, statt sich den Herausforderungen des Familienlebens zu stellen. Von den echten Vollzeitarbeitern alter Schule einmal abgesehen hatte er gern knackige, junge Dinger als Mitarbeiterinnen, damit man etwas zu gucken und zu schäkern hatte. So war Jennifer auch vor acht Jahren an den Job gekommen. Jetzt würden die Ladies in der Kita ihr wieder ihre sauertöpfische Mine präsentieren, weil sie nicht pünktlich Feierabend machen konnten. Wie weit dieser Schneeballeffekt wohl reichte? Sie eilte ins Gebäude und sah die alte Schlüter, die sich gerade an ihrem Putzwagen zu schaffen machte. Sie war die Sisyphusarbeit gegen die Diakonie dermaßen leid. Mit dem Essen kamen sie einfach nicht voran und diese schmuddelige Schluderputze wurden sie auch nicht los. Aber heute hatte sie keine Lust, sich mit diesem Haufen Präkariat auseinanderzusetzen. Sie wollte nur noch Lilly abholen und dann nichts wie nach Hause.
16.41 Uhr
Frau Ludwig von gegenüber hatte den Kaffee noch nicht ausgetrunken. Diese Yuppie-Mutti, die gerade zu spät gekommen war, zog jetzt ihre bedauernswerte Tochter hinter sich her.
17.05 Uhr
Regina Heuer atmete tief durch. Sie war freundlich zu Jennifer Werning gewesen, war niemandem auf die Füße getreten und hatte der Schlüter eine deutliche Ansage gemacht. Jetzt wollte sie nur noch ihre Ruhe haben. Sie setzte sich in ihren Wagen und machte sich auf den langen Heimweg.
17.07 Uhr
Frederking stieg auf seinen Segway. Wie schön, dass die Räume der Geschäftsleitung der
Eurodent nur einen knappen Kilometer entfernt lagen. So kam er wenigstens an die frische Luft. Gut gelaunt rauschte er die Bielefelder Dorfstraße hinunter, grüßte flüchtig Bekannte und kam nach wenigen Minuten vor Auers Bürotür an, doch der war nicht da. Hatte ihn sein Rotarier-Kollege doch glatt versetzt. Vielleicht war er ja in ihrem Stammlokal. Frederking rauschte zurück zur Diakonie. Unterwegs genehmigte er sich in einem der zahlreichen Backshops einen Coffee to go. Normalerweise war es seinem Alter nicht unbedingt von Nutzen, den Blutdruck unnötig in die Höhe zu treiben, aber er wollte seinen Feierabend auf besondere Weise beschließen und dazu erwies sich die Wirkung der Betablocker, die er regelmäßig einnahm, als äußerst kontraproduktiv. Nur ein starker Kaffee konnte dieses Ärgernis ausgleichen.
17.20 Uhr
Regina Heuer brauchte zwar nur noch fünf Minuten bis sie zu Hause war, doch beim Blick auf die Tankanzeige stellte sie fest, dass das Benzin zur Neige ging. Sie steuerte die nächste Tankstelle an und befüllte den Wagen. Als sie bezahlen wollte, entdeckte sie, dass sie ihr Portemonnaie nicht dabei hatte. Sicher lag es noch in der Einrichtung. Sie erklärte dem Kassierer ihre missliche Lage, der schrieb sich ihre Nummer auf und willigte ein, dass sie auf dem Rückweg bezahlen konnte. Bei der Rückkehr zur Kita geriet sie in einen hartnäckigen Stau und verfluchte sich selbst für ihre eigene Schusseligkeit.
17.26 Uhr Frederking hatte die letzten unangenehmen Telefongespräche für heute abgearbeitet, den Segway im Büro eingeschlossen und saß in seinem 380er BMW auf dem Weg zum Hexenhaus, seinem Lieblings-Märchenwald für Erwachsene. Für erwachsene Männer. Für erwachsene Männer mit Steherqualitäten. Vielleicht würde er Auer dort antreffen, wenn nicht, auch gut. Angelina wartete sicher schon gut ausgeruht auf ihren Königstiger.
Donnerstag, 17.29 Uhr Langsam, fast in Zeitlupe, schließt Pascal seine Wohnungstür auf. Den heutigen Tag hat er gerettet. Sogar für morgen und übermorgen hat er gesorgt. Vielleicht kümmert er sich übermorgen schon um Nachschub, aber morgen wird er den ganzen Tag zu Hause bleiben und sich einfach bei ein paar Ego Shootern entspannen; es am Samstag vielleicht auch bei ein, zwei Blowjobs belassen. Das heute war wirklich die Hölle. Er war schon leicht auf turkey und seine Sinne hatten sich angefühlt wie Einflugschneisen. Widerlich gestunken hatte der Kerl. Überall in diesem verdammten Auto gab es Stellen, an denen man sich stieß und der Kerl hat eine mächtige Palme gehabt, das war alles andere als schmerzfrei über die Bühne gegangen. Aber er hatte gut gezahlt, das war die Hauptsache. Jetzt hatte er genug Stoff für zwei Tage und um das alles zu vergessen. Er warf sich aufs Bett und gab sich der Wirkung der immer noch recht frisch verabreichten Droge hin. Vor Mitternacht war er kaum ansprechbar.
Donnerstag , 17.34 Uhr
Raimund wunderte sich, warum sich fast eine Stunde, nachdem Daniela die Wohnung verlassen hatte, noch immer keine Ruhe in ihm ausbreiten wollte. Jetzt konnte er nicht einmal mehr abschalten, wenn sie weg war. Wenn er nur an sie dachte, lief ihm die Galle über. Was hatte er nur damals an ihr gefunden? Vermutlich gar nichts, dachte er, sie war einfach die Einzige, die er hatte haben können. Eine Zeitlang war das ja in Ordnung gewesen, aber die letzten fünfzehn Jahre waren die Hölle gewesen und es war in jedem Jahr schlimmer geworden. Es war nicht zum Aushalten. Er musste etwas unternehmen. Er stemmte sich aus dem Sofa, griff zuerst in die Küchenschublade und dann ans Schlüsselbrett. Zum Glück hatte Daniela keinen Führerschein, sonst wäre sie ja jetzt selbst mit dem Auto losgezogen.
Donnerstag, 17.45 Uhr
Frau Ludwig von gegenüber hatte gerade die Wäsche aus der Maschine geholt. Auf dem Weg vom Bad in den Keller kam sie am Flurfenster vorbei und wunderte sich über den älteren Bauarbeiter-Typen, der jetzt noch in die Kita stiefelte. Ließen die etwa die Putzfrau mit den Handwerkern allein? Und welche Firma schickte denn nach Feierabend noch Mitarbeiter vorbei? Aber was ging es sie an? Sie seufzte und ging in den Garten, um die Wäsche aufzuhängen.
Donnerstag 17.46 Uhr
Daniela schmerzte der Rücken. Das tägliche Putzen tat ihr überhaupt nicht gut. Und sie hatte ja noch 15 Jahre bis zur Rente. Ob sie das wohl durchhielt? Plötzlich war der Schmerz einfach nur noch unerträglich. Sie bekam keine Luft mehr, da stimmt etwas nicht. Jemand stand hinter ihr. Sie spürte, wie es warm an ihrem Rücken herunter lief. Mit letzter Kraft sah sie sich um und blickte in ein Gesicht, das ihr vertraut und fremd zugleich vorkam. Raimund, dachte sie noch, dann spürte sie, wie sie der Welt entschwand.
Raimund zog das Fleischmesser wieder heraus. Er war sich nicht sicher, ob sie wirklich tot war, aber er konnte das auf keinen Fall noch einmal tun. Er ließ die Waffe fallen, streifte geistesgegenwärtig die Handschuhe ab und steckte sie in die Hosentasche. Dann konnte er nicht mehr denken, wollte nur noch weg.
Donnerstag, 18.05 Uhr
Regina Heuer steuerte die Bürotür an und hoffte, dass Daniela Schlüter ihr nicht noch einmal über den Weg lief. Im Augenwinkel bemerkte sie, dass da irgendetwas nicht stimmte. Da war etwas Großes, das da nicht hingehörte und sich nicht bewegte. Sie wandte den Blick zur Seite und sah Daniela Schlüter blutend am Boden liegen.
Ingo Sondermühlen stieg aus seinem weißen Kleinwagen. Der Lack war schadhaft und glanzlos, aber das fiel bei einem weißen Auto nicht so eklatant ins Auge. Er hatte lange überlegt, ob er es wagen sollte. Wenn ihn nun jemand erwischte? Die Kinder nebenan in der Kita waren krakeelend in ihr Spiel vertieft. Immer wieder linste er zu den Fenstern der Nummer 25 herüber, um einen Blick auf Annika zu erhaschen. Dabei ging er möglichst unauffällig auf und ab.
11.45 Uhr
Heute war im Puff nicht viel zu tun. Hatten die am Mittwoch wohl nicht so viel Betrieb. Es war ja auch besonders schönes Wetter und die Leute hatten sich in den Biergärten gedrängt wie Zwiebeln auf dem Acker. Manchmal gab es besonders unappetitliche Flecken, denn manche Freier standen auf Spielchen mit Exkrementen und die Nutten machten nur das Gröbste weg, dafür hatten sie ja schließlich eine Putzfrau. Das war bei dem anderen Anstellungsträger schon angenehmer, auch wenn er nicht so gut zahlte. Ganz früher, da war es noch richtig gut gewesen. Da hatte sie einen Job als Reinigungskraft in ihrer Kirchengemeinde gehabt. Sie hatte Gemeindehaus und Kirche geputzt, der Küster war nur für geistliche Aufgaben zuständig gewesen. Die Kirche hatte sie anständig bezahlt, mit allen Sicherheiten und Zusatzversorgungen. Aber dann war ihnen nach und nach die Kohle ausgegangen. Die Sekretärin hatte ihr gesteckt, dass der Laden nur Pleite ging, weil die viel zu vielen Pfarrer frühzeitig in Rente gingen und dadurch natürlich noch länger lebten und Jahrzehntelang Ruhegehalt kassierten, schon ab 58 und das alles ohne Abzüge. Darum verschwanden nach und nach alle anderen Berufsgruppen aus der Kirche und irgendwann würden die Pfarrer alles allein machen müssen oder es ihren Ehrenamtlichen aufhalsen, bis die auch die Schnauze voll hätten und dann wäre aber so was von Schluss mit lustig. Sie hatten ihr dann diesen Job bei der Service-Abteilung der Diakonie angeboten und sie hatte angenommen, was blieb ihr anderes übrig? Zwei Einsatzorte, täglich geteilter Dienst und viel weniger Lohn, da hatte sie sich dann den Turnhallenjob gesucht und schließlich den besser bezahlten Job im Puff. Hier ließ man sie wenigstens in Ruhe. In der Diakonie stand immer einer hinter ihr und machte Stress. Der Schlimmst von allen war der Chef, dieser Frederking. Wenn er auf seinem lächerlichen Segway die Bielefelder Dorfstraße herunterfuhr, war das schon peinlich genug, aber am lächerlichsten war es, wenn er damit von seinem Büro in den Aufzug fuhr und wenn er Mitarbeitenden begegnete, stieg er nicht ab, sondern blieb auf seinem Sockel stehen und bellte Kommandos oder andere Demütigungen. Sie hatte sich ihm gegenüber immer so ausgeliefert gefühlt in ihrer ohnmächtigen Wut.
Dann, etwa vor einem halben Jahr, hatte sie zufällig ein Video auf Youtube entdeckt: In dem Puff, in dem sie arbeitete, feierten drei Männer ausgelassen mit sechs Nutten eine Champagner-Orgie im Whirlpool: Der Industrielle Auer von der Eurodent, der Oberkirchenfuzzi Schuster und mittendrin Frederking, in einem Arm eine Nutte, im anderen eine Flasche Schampus und das Goldkettchen glitzerte an seinem Hals. Wer auch immer das gefilmt und ins Netz gestellt hatte, hatte sich natürlich strafbar gemacht, aber sie hatte sich das Filmchen gesichert: auf der Festplatte und auf einem Stick. Mit diesem Stick hatte sie Frederking in der Hand. Sie arbeitete nur noch an dem perfekten Plan, wie sie ihn damit erpressen konnte, ohne dass ihr etwas nachzuweisen war und sie stand kurz vor der Lösung des Problems.
12.10 Uhr
Die Erzieherin auf dem Außengelände schien auf ihn aufmerksam geworden zu sein. Ingo Sondermühlen gab sein Vorhaben für heute auf. Annika lief ihm so schnell nicht weg. Er könnte ja am Samstag wieder kommen, dann war kein Betrieb in der Kita, aber immer noch genug Geschäftigkeit auf der Straße.
16.30 Uhr
Frau Ludwig, die gegenüber der Kita wohnt, trank einen Kaffee und guckte aus dem Küchenfenster. Da kam gerade die müde Putzfrau. Der sah man
überdeutlich an, dass sie wirklich gar keine Freude am Leben hatte, dachte Frau Ludwig.
16.36 Uhr
Jennifer Werning war vollkommen fertig mit den Nerven. Schon wieder hatte der Chef sie nicht pünktlich gehen lassen. Er wollte sie damit mürbe machen, damit sie schließlich das Handtuch warf, da war sie sich sicher. Der alte Macho aus dem 20. Jahrhundert wollte keine Mütter in seinem Laden, nur Männer, die sich auf ihre Arbeit konzentrierten, weil sie da ihre Ruhe hatten, statt sich den Herausforderungen des Familienlebens zu stellen. Von den echten Vollzeitarbeitern alter Schule einmal abgesehen hatte er gern knackige, junge Dinger als Mitarbeiterinnen, damit man etwas zu gucken und zu schäkern hatte. So war Jennifer auch vor acht Jahren an den Job gekommen. Jetzt würden die Ladies in der Kita ihr wieder ihre sauertöpfische Mine präsentieren, weil sie nicht pünktlich Feierabend machen konnten. Wie weit dieser Schneeballeffekt wohl reichte? Sie eilte ins Gebäude und sah die alte Schlüter, die sich gerade an ihrem Putzwagen zu schaffen machte. Sie war die Sisyphusarbeit gegen die Diakonie dermaßen leid. Mit dem Essen kamen sie einfach nicht voran und diese schmuddelige Schluderputze wurden sie auch nicht los. Aber heute hatte sie keine Lust, sich mit diesem Haufen Präkariat auseinanderzusetzen. Sie wollte nur noch Lilly abholen und dann nichts wie nach Hause.
16.41 Uhr
Frau Ludwig von gegenüber hatte den Kaffee noch nicht ausgetrunken. Diese Yuppie-Mutti, die gerade zu spät gekommen war, zog jetzt ihre bedauernswerte Tochter hinter sich her.
17.05 Uhr
Regina Heuer atmete tief durch. Sie war freundlich zu Jennifer Werning gewesen, war niemandem auf die Füße getreten und hatte der Schlüter eine deutliche Ansage gemacht. Jetzt wollte sie nur noch ihre Ruhe haben. Sie setzte sich in ihren Wagen und machte sich auf den langen Heimweg.
17.07 Uhr
Frederking stieg auf seinen Segway. Wie schön, dass die Räume der Geschäftsleitung der
Eurodent nur einen knappen Kilometer entfernt lagen. So kam er wenigstens an die frische Luft. Gut gelaunt rauschte er die Bielefelder Dorfstraße hinunter, grüßte flüchtig Bekannte und kam nach wenigen Minuten vor Auers Bürotür an, doch der war nicht da. Hatte ihn sein Rotarier-Kollege doch glatt versetzt. Vielleicht war er ja in ihrem Stammlokal. Frederking rauschte zurück zur Diakonie. Unterwegs genehmigte er sich in einem der zahlreichen Backshops einen Coffee to go. Normalerweise war es seinem Alter nicht unbedingt von Nutzen, den Blutdruck unnötig in die Höhe zu treiben, aber er wollte seinen Feierabend auf besondere Weise beschließen und dazu erwies sich die Wirkung der Betablocker, die er regelmäßig einnahm, als äußerst kontraproduktiv. Nur ein starker Kaffee konnte dieses Ärgernis ausgleichen.
17.20 Uhr
Regina Heuer brauchte zwar nur noch fünf Minuten bis sie zu Hause war, doch beim Blick auf die Tankanzeige stellte sie fest, dass das Benzin zur Neige ging. Sie steuerte die nächste Tankstelle an und befüllte den Wagen. Als sie bezahlen wollte, entdeckte sie, dass sie ihr Portemonnaie nicht dabei hatte. Sicher lag es noch in der Einrichtung. Sie erklärte dem Kassierer ihre missliche Lage, der schrieb sich ihre Nummer auf und willigte ein, dass sie auf dem Rückweg bezahlen konnte. Bei der Rückkehr zur Kita geriet sie in einen hartnäckigen Stau und verfluchte sich selbst für ihre eigene Schusseligkeit.
17.26 Uhr Frederking hatte die letzten unangenehmen Telefongespräche für heute abgearbeitet, den Segway im Büro eingeschlossen und saß in seinem 380er BMW auf dem Weg zum Hexenhaus, seinem Lieblings-Märchenwald für Erwachsene. Für erwachsene Männer. Für erwachsene Männer mit Steherqualitäten. Vielleicht würde er Auer dort antreffen, wenn nicht, auch gut. Angelina wartete sicher schon gut ausgeruht auf ihren Königstiger.
Donnerstag, 17.29 Uhr Langsam, fast in Zeitlupe, schließt Pascal seine Wohnungstür auf. Den heutigen Tag hat er gerettet. Sogar für morgen und übermorgen hat er gesorgt. Vielleicht kümmert er sich übermorgen schon um Nachschub, aber morgen wird er den ganzen Tag zu Hause bleiben und sich einfach bei ein paar Ego Shootern entspannen; es am Samstag vielleicht auch bei ein, zwei Blowjobs belassen. Das heute war wirklich die Hölle. Er war schon leicht auf turkey und seine Sinne hatten sich angefühlt wie Einflugschneisen. Widerlich gestunken hatte der Kerl. Überall in diesem verdammten Auto gab es Stellen, an denen man sich stieß und der Kerl hat eine mächtige Palme gehabt, das war alles andere als schmerzfrei über die Bühne gegangen. Aber er hatte gut gezahlt, das war die Hauptsache. Jetzt hatte er genug Stoff für zwei Tage und um das alles zu vergessen. Er warf sich aufs Bett und gab sich der Wirkung der immer noch recht frisch verabreichten Droge hin. Vor Mitternacht war er kaum ansprechbar.
Donnerstag , 17.34 Uhr
Raimund wunderte sich, warum sich fast eine Stunde, nachdem Daniela die Wohnung verlassen hatte, noch immer keine Ruhe in ihm ausbreiten wollte. Jetzt konnte er nicht einmal mehr abschalten, wenn sie weg war. Wenn er nur an sie dachte, lief ihm die Galle über. Was hatte er nur damals an ihr gefunden? Vermutlich gar nichts, dachte er, sie war einfach die Einzige, die er hatte haben können. Eine Zeitlang war das ja in Ordnung gewesen, aber die letzten fünfzehn Jahre waren die Hölle gewesen und es war in jedem Jahr schlimmer geworden. Es war nicht zum Aushalten. Er musste etwas unternehmen. Er stemmte sich aus dem Sofa, griff zuerst in die Küchenschublade und dann ans Schlüsselbrett. Zum Glück hatte Daniela keinen Führerschein, sonst wäre sie ja jetzt selbst mit dem Auto losgezogen.
Donnerstag, 17.45 Uhr
Frau Ludwig von gegenüber hatte gerade die Wäsche aus der Maschine geholt. Auf dem Weg vom Bad in den Keller kam sie am Flurfenster vorbei und wunderte sich über den älteren Bauarbeiter-Typen, der jetzt noch in die Kita stiefelte. Ließen die etwa die Putzfrau mit den Handwerkern allein? Und welche Firma schickte denn nach Feierabend noch Mitarbeiter vorbei? Aber was ging es sie an? Sie seufzte und ging in den Garten, um die Wäsche aufzuhängen.
Donnerstag 17.46 Uhr
Daniela schmerzte der Rücken. Das tägliche Putzen tat ihr überhaupt nicht gut. Und sie hatte ja noch 15 Jahre bis zur Rente. Ob sie das wohl durchhielt? Plötzlich war der Schmerz einfach nur noch unerträglich. Sie bekam keine Luft mehr, da stimmt etwas nicht. Jemand stand hinter ihr. Sie spürte, wie es warm an ihrem Rücken herunter lief. Mit letzter Kraft sah sie sich um und blickte in ein Gesicht, das ihr vertraut und fremd zugleich vorkam. Raimund, dachte sie noch, dann spürte sie, wie sie der Welt entschwand.
Raimund zog das Fleischmesser wieder heraus. Er war sich nicht sicher, ob sie wirklich tot war, aber er konnte das auf keinen Fall noch einmal tun. Er ließ die Waffe fallen, streifte geistesgegenwärtig die Handschuhe ab und steckte sie in die Hosentasche. Dann konnte er nicht mehr denken, wollte nur noch weg.
Donnerstag, 18.05 Uhr
Regina Heuer steuerte die Bürotür an und hoffte, dass Daniela Schlüter ihr nicht noch einmal über den Weg lief. Im Augenwinkel bemerkte sie, dass da irgendetwas nicht stimmte. Da war etwas Großes, das da nicht hingehörte und sich nicht bewegte. Sie wandte den Blick zur Seite und sah Daniela Schlüter blutend am Boden liegen.
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