Freitag, 12. April 2019
Warum? - Ein folgenreicher Kurzkrimi
Keller watet durch Blut. So viele Tote. Ein regelrechtes Massaker. Dabei war er gerade eben noch im Tal der Glückseligen. Auf eine flüchtige Berührung folgte eine leidenschaftliche Umarmung. Lippen haben einander gesucht und gefunden. Er fühlt noch die seidige Haut, schmeckt den warmen Mund, riecht ihren berauschenden Atem, hat ihre kleinen Seufzer im Ohr und jetzt das. Überall eingedrückte Schädel, schmieriges, schwarzes und grellrotes Blut, sogar Stücke grauer Hirnsubstanz. Hier hatte jemand eine gehörige Portion Wut im Bauch. Verrenkte Leiber in besudelter Kleidung und über allem der metallische Geruch des gerinnenden Lebenssaftes, der sich mit den in Todesangst abgesonderten Exkrementen vermischte.

„Was sind das für Leute?“, fragt Keller den Beamten, der die Sicherung des Tatorts geleitet hat.
„Kreissynodalvorstand.“, erklärt der Kollege. „Quasi die geschäftsführende Leitung des Kirchenkreises.“
„Zeugen? Anhaltspunkte?“
„Bisher nichts.“

Keller sucht die Gerichtsmedizinerin auf.
„Gibt es schon Infos? Todeszeit? Tatwaffe?“
„Die Zeit lässt sich eingrenzen zwischen 19.00Uhr und 19.46 Uhr. 19.00 Uhr war Sitzungsbeginn, um19.46 ist der Synodaljugendreferent eingetreten und hat dieses Blutbad hier vorgefunden.“
„Wieso hat Küthe mir nichts davon gesagt?“, ärgert sich Keller und schüttelt mit dem Kopf.
„Und gibt es eine Tatwaffe?“
„Nein, aber es muss sich um ein ziemlich fieses Schlagwerkzeug handeln, etwas das mit viel Wucht eingesetzt werden kann und viele Spitzen hat. Ich tippe auf einen Morgenstern.“
„Wie martialisch!“
„Ja, das finde ich auch. Hat bestimmte einen religiösen Hintergrund. Morgenstern ist ja auch die Übersetzung von von Luzifer, dem gefallenen Engel, der auch als Satan bekannt ist.“
„Du meinst, hier war ein Satanist am Werk?“
„Oder jemand, der die Truppe hier für Diener des Bösen hält. Auf jeden Fall ein Irrer. Also viel Spaß bei der Suche.“
Keller könnte heulen. Der Taumel des Glücks ist vollends verflogen. Der Moment ist Vergangenheit, die Leidenschaft schon erkaltet, wie die seelenlosen Leiber am Boden dieses Raums. Er ist schon wieder ganz im Scheitern angekommen, in der Ohnmacht, in der Sinnlosigkeit. So viele Leben, einfach brutal ausgelöscht. Warum?
Antwortversuche werden folgen.

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Freitag, 5. April 2019
Angst
A möchte B gern so viel sagen. A traut sich nicht, bekommt die Zähne nicht auseinander.
B möchte A berühren. B traut sich nicht. A wirkt so verschlossen. Dabei ist A ganz verschossen.
A versucht etwas Nähe.
B traut dem Versuch nicht. Sicher ein Missverständnis. B geht auf Distanz.
A ist peinlich berührt.
B macht nun doch einen kleinen Schritt auf A zu.
A ist verunsichert und reagiert ruppig. Handelt wie ferngesteuert.
B ist verletzt. Geht auf Distanz.

Zeit verstreicht.

A fasst sich ein Herz und öffnet sich.
B fürchtet sich vor Missverständnissen und geht auf Distanz, wendet sich A aber trotzdem zu.
A schöpft Hoffnung. Phantasiert von Zeiten, in denen es besser wird.
B ruft A an und weckt große Erwartungen.
A spricht mit zartem Schmelz.
B fürchtet, hier könne etwas aus dem Ruder laufen.
B spricht kurz und knapp, formell und seelenlos.
A ist enttäuscht. Träume zerfallen zu Staub.
A spricht nun auch sachlich und abschließend.
B legt auf, hätte gern mehr gesagt, aber wusste nicht was.
A hofft auf die nächste Begegnung.
B auch.

Zeit verstreicht.

B will A umarmen.
A fürchtet, in der Umarmung vor Leidenschaft zu zerfließen und wird steif wie ein Brett.
B glaubt, dass A sich ekelt und schreckt zurück.
A glaubt, schon überreagiert und B verschreckt zu haben.
Beide gehen auf Distanz.
Der Abstand wird größer, die Sehnsucht wird schmerzhafter.
A bekommt Magenschmerzen und ein bitteres Gesicht.
B sieht in As Augen nur noch Kälte und Desinteresse.
B wendet sich vollends ab.
A beginnt, innerlich zu verbrennen.
B muss sich schützen, hält das alles nicht mehr aus.
A hält es auch nicht mehr aus und macht ein Ende mit sich.
B ist erschüttert.
Das Kommissariat hält B für durchtrieben. Für ein stalkendes Monster, dass sich für Zurückweisung gerächt hat.
Wenn B sich nur getraut hätte.
Oder A.
Am besten beide.
Doch waren beide gefangen.
B nun sogar doppelt.
A ist frei.

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Freitag, 22. März 2019
Black Story
Rot gefärbtes Wasser gurgelt im kreisenden Strudel in den Abfluss. Ihr nasser Körper erträgt klaglos die Nadelstiche des kräftigen Duschstrahls. Auf dem Boden liegt eine Engelkarte. Was ist passiert?

Silvia eine alleinstehende, hauptberufliche Kirchenmaus mittleren Alters, zerfressen von unerfüllter Liebe zu einem Kollegen hat sich vor einiger Zeit Engelkarten zugelegt – sieben mal sieben Karten mit aquarellierten Abbildungen der Engel Gabriel, Michael, Jerachmiel, Raguel, Raphael, Uriel und Suriel. Jeder der sieben Engel hat sieben Facetten. Heute hat sie Raguel gezogen, einen weißer Engel, der mit feuerroten Flügen durch eine Tür tritt und zwei Menschen zusammen führt. Der Text auf der Karte lautet: Der Engel der Offenheit ist an Deiner Seite. Er schenkt Dir die Kraft, auszusprechen, was Dein Herz bewegt und der Wahrheit mutig ins Auge zu sehen.
Die Karte hat sie in die Gesäßtasche ihrer Jeans geschoben, sie sollte sie den Tag über begleiten, sie würde sie gelegentlich hervorholen, um sich daran zu erinnern. Aber dann überkommt sie plötzlich eine Eingebung, eine Ahnung, warum sie ausgerechnet diese Karte gezogen hat, eine Aufforderung, eine Inspiration.

Nun weiß Silvia, was zu tun ist. Es ist an der Zeit, endlich ihre heimliche Liebe zu offenbaren. Voller Elan geht sie unter die Dusche, um sich für ihr Geständnis zurecht zu machen. Vor Aufregung flattert ihr Herz und sie genießt es, den prickelnden Strahl des Duschwassers auf ihrer Haut zu spüren. Der Wasserdruck ist enorm, fast schmerzhaft wie die Haut an vielen kleinen Punkten malträtiert wird. Sie läßt die Ströme über ihre Kopfhaut prasseln. Ihr Herz pocht, sie spürt es in der Brust, am Hals, in den Schläfen. Plötzlich tut der Kopf weh. Ihr wird schwindelig, das linke Bein will sie nicht mehr tragen, sie will das mit dem linken Arm ausgleichen, aber der gehorcht ihr nicht mehr. Sie bricht zusammen und verflucht im nächsten Moment die scharfkantige Schiene der schadhaften Tür. Blut tritt aus und misch sich mit dem stetig nachlaufenden Wasser zu einem Strudel aus Hibiskustee oder rotem Malwasser oder …

Sie hat aufgehört zu denken. Sie denkt gar nichts mehr. Sie fühlt auch nichts mehr. Ihre Haut ist nur noch die elastische Hülle eines sich zersetzenden Organismus.Die Engelkarte ist beim Entkleiden aus der Gesäßtasche der Jeans herausgerutscht. Hohnlachend leuchtet sie auf dem weißen Fliesenboden.

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Freitag, 15. März 2019
Stammschwimmer
Wie durch einen Schleier fließenden Satins schnitten ihre Arme durch die weiche, glatte Wasseroberfläche und ließen sie durch das wohltemperierte Blau gleiten. Die Bahn war frei und die winterliche Mittagssonne zauberte entzückende Lichtreflexe, die ihre geschundene Seele streichelten.
Heute keine selbstdarstellungswütigen Fleischbrocken, die rücksichtslos durch das Wasser pflügten, als hätten sie ihre Bahnen gepachtet. Keine penetrant billig duftenden Seeschnecken, die zum Kaffeekränzchen alle Bahnen blockierten. Keine Tranfunzeln, die mitten im Becken herumstanden, nur um ihr neues Knie zu bewegen. So sollte es sein. So sollte es bleiben.

Kerkenbrock starrte in blankem Entsetzen auf das fünfte Opfer in dieser Serie. Schon wieder die durchtrennte Beinschlagader und weit und breit keine Tatwaffe. Die Kommissarin fragte sich, wer über eine derartige Kaltblütikeit verfügte. Bisher war die einzige Verbindung zwischen den Opfern die Verletzung der fingerdicken Arterie, die einen tödlichen Blutverlust zur Folge gehabt hatte.

Eine ältere Dame aus Westerenger, Fleischereifachverkäuferin im Ruhestand – da hatten sie schon militante Tierschützer in Betracht gezogen.
Dann hatte es diesen Mathelehrer aus Werther erwischt. Die Opfer hatten einander nicht gekannt, aber wer konnte wissen, ob der oder die Täter*in nicht mit beiden eine Rechnung offen gehabt hatte? Die Schweinemörderkomplizin und der erbarmungslose Pauker, der die Abiturpläne zunichte gemacht hatte.
Die fünfunddreißigjährige Verwaltungsangestellte aus Spenge passte dann aber gar nicht ins Bild. Sie taugte nicht als Aggressorin, die uferlose Gegenaggression provozierte. Sie war ein gesichtsloses Rädchen im Getriebe gewesen, einsam und von einem unübersehbaren Hüftleiden gebeutelt.
Aus den Unterlagen der Jöllenbecker Zahnärztin, die das vierte Opfer gewesen war, ging rein gar nichts hervor; kein möglicher Behandlungsfehler, der Rache auf den Plan gerufen hätte.
Und hier lag nun ein Junge aus Enger, gerade mal dreizehn Jahre alt, schlank und hübsch und voller definierter Muskeln. Enfach ausgelöscht. Es war entsetzlich.

Fünfundzwanzig Bahnen lagen hinter ihr, fünfundfünfzig noch vor ihr. Es wurde etwas voller. Jeder Besucher, der die Schwimmhalle betrat, bekam ihren argwöhnischen Blick zu spüren. „Nicht in meine Bahn!“, dachte sie jedes Mal. „Nicht in meine Bahn!“
Als könnten sie ihre Gedanken hören, kam ihr niemand in die Quere. Jahrelang war sie voller Rücksicht auf alle anderen dauernd im Slalom herumgezappelt, war ausgebremst und angerempelt worden, hatte es klaglos ertragen, doch damit war jetzt Schluss. Sie schwamm ihre Bahn und niemand kam ihr in die Quere.

Die Tür zu den Duschen öffnete sich und das Walross stapfte aufs Becken zu; die Dicke mit der Warze auf der linken Wange. Als sie ihr das letzte Mal begegnet war, hatte die sie ständig aus der Bahn gedrängt, auf die sie gerade ausgewichen war. Die Dicke stieg ins Wasser und Tatsache, ohne sich vorher umzusehen, stieß sie sich vom Beckenende ab und schlug mit ihren schweren Armen im Rückenkraul ins Wasser. Direkt auf den ersten Metern schwamm sie eine ältere Dame über den Haufen. Die nächste Bahn zog sie im Brustschwimmen, aber genauso blind und wüst – glücklicherweise in gebührendem Abstand. Sie sollte ihr bloß nicht zu nahe kommen. Dem Jungen, der ohne abzuwarten, ob die Bahn frei war, vom Ein-Meter-Brett gesprungen war, hatte sie sich direkt im Anschluss vorgknöpft.
Bei der zähen, alten Schachtel war es komplizierter gewesen. Ganze acht Mal hatte sie ihre energische Rücksichtslosigkeit ertragen müssen. Dieser blasierte Herrenmenschen-Ausdruck in ihren Augen, der harte Zug um den Mund, der eisern trainierte, dainwelkende Körper, dessen Verfall sie ihre Lebensgier entgegensetzte. Die Alte war beim Umkleiden so schnell, dass sie schließlich ihr Pensum verkürzt hatte, um vor ihr draußen zu sein und ihr auf dem Parkplatz aufzulauern. Dann hatte sie sie verfolgt und tagelang beobachtet. Zahnärztin war sie gewesen, sie hätte auf Studienrätin getippt, Englisch und Geographie. Sie hatte sie im Garten erledigt. Die würde ihr nie mehr den Weg abschneiden.

Die Acqua-Joggerin war dagegen ein leichtes Opfer gewesen. Von ihr hatte sie sich regelrecht verfolgt gefühlt. Wenn sie schon mit ihrem tumben Gesichtsausdruck und den beiden Schwimmgürteln – einem natürlichen und einem aus Styropor – in die Halle humpelte, war ein unangenehmes Kitzeln ihren Nacken hinaufgekrochen. Die lahme Ente hampelte immer genau mitten im Becken herum, und alle mussten um sie herumschwimmen. Und immer war sie in ihre Bahn gekommen und hatte sie debil angeglotzt. Es war nicht zu ertragen gewesen. Sie hatte immer nahezu zeitgleich mit ihr das Becken verlassen, um sie auch unter der Dusche anzuglotzen und auf dem Weg in die Umkleiden war sie mit ihren quietschenden Badelatschen hinter ihr hergewatschelt. Nach dem Schwimmen war sie im selben Supermarkt gewesen und hatte in derselben abgelegenen Ecke des Parkplatzes ihr Auto abgestellt. Ein kurzer Schnitt und die Sache war erledigt gewesen.

Der Angeber mit dem breiten Kreuz hatte ihr dagegen Respekt abverlangt. Typisch Mann, war er einfach immer seine Bahn geschwommen. Im Platzhirschkraul hatte er mit jedem Arm- und Beinschlag zum Ausdruck gebracht, dass Teilen nicht zu seinen Kernkompetenzen gehörte. Niemand machte ihm dieses Privileg streitig, obwohl kein Anspruch bestand. Er nahm es sich einfach. Im Gegenzug hatte sie ihm das Leben genommen. Das war nur gerecht. Er schien ein Kämpfer zu sein. Sie hatte ihn wochenlang beschattet, um seine Achillesferse zu finden. Gut, dass er Lehrer war – das erweiterte den Kreis der Verdächtigen auf hunderte von Schüler*innen. Und gab es einen geeigneteren Ort als die Lehrertoilette, einen wehrloseren Moment für einen Mann als den, wo er mit der Hose auf den Knöcheln unter Anspannung sein Innerstes nach außen kehrte, ganz bei sich selbst und sich in Sicherheit wähnend? Der Geruch hingegen war unangenehm gewesen. Er hatte sich eine ganze Weile in ihrem limbischen System festgesetzt.

Der Geruch war auch bei ihrem ersten Opfer ein Thema gewesen. Billig, pudrig und süß und derartig überdosiert, dass jedes Mal eine Wolke davon übers Wasser geschwebt war, wenn die Oma im Weg war. Und sie war ständig im Weg gewesen. Furchtbar langsam und ihre Pausen hatte sie stets im ungünstigsten Moment beendet. Immer, wenn sie eine Bahn geschafft hatte und direkt die nächste starten wollte, wartete die Oma, bis sie am Beckenende angekommen war und schwamm dann in die Blockadeposition, statt noch ein paar Sekunden zu warten bis die ohnehin viel schnellere Schwimmerin wieder durchgestartet war. Nun konnte sie ihretwegen die unterirdischen Ströme blockieren und den Fährmann auf dem Styx zur Weißglut bringen. Hier war sie nicht mehr im Weg.

Das Walross kam schnaubend näher. „Na warte“, dachte sie. „Mein Messer ist noch nicht satt und an dir ist wenigstens richtig was dran.“
Und das wurde ihr zum Verhängnis, denn den Panzer aus Fett konnte sie nicht tief genug durchdringen.

Wenn man lange in einen Abgrund blickt, blickt der Abgrund irgendwann zurück. Kommissarin Kerkenbrock hatte viele schlaflose Nächte vor sich.

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