Samstag, 19. August 2017
Abraham ist schuld – vierteiliger Kurzkrimi – Teil IV
Ein Jahr nachdem Hagar von ihrem Sohn getrennt worden war, bat sie Abraham, zu Ismael reisen zu dürfen, denn sie könne nicht von Isaak erwarten, dass er im Alter zwei Mütter versorge. Abraham ließ sie gewähren, gab ihr reichlich gefüllte Wasserschläuche, Trockenfleisch, ungesäuertes Brot und getrocknete Datteln mit und bat sie, Ismael seine wärmsten Grüße zu überbringen. Als Hagar nach mehreren Wochen den neuen Wohnsitz ihres Sohnes erreichte, hatte der dort bereits eine prachtvolle Oase aufgebaut, in der es sich trefflich leben ließ. Wenig später heiratete er und in den langen Nächten unter dem Sternenhimmel der arabischen Wüste erzählte er seine Geschichte und schloss mit den Worten: „...und dann hat mein Vater mich mit der ganzen Herde hier her gebracht und hier habe ich schließlich mein Glück gemacht.“
Als Ismaels Söhne und Töchter heranwuchsen, erzählte ihre Mutter ihnen: „Großvater Ibrahim hat seinen Sohn Ismail in die Wüste geschickt, weil der Bastard Isaak ihn sonst umgebracht hätte. Nur ein paar Tiere durfte er mitnehmen. Aber euer Vater ist klug, stark und mutig und hat eine Menge aus seinem Leben gemacht. Der Isaak, das verwöhnte Nesthäkchen, hat ihm seinen Platz gestohlen, aber er wohnt heute noch in einem Zelt und züchtet Schafe und Ziegen. Nie hat er sich für irgendetwas angestrengt.“ Nejabot, Kedar und Adbeel gehörten begeistert zu, aber die Tochter Mahalat hegte Zweifel an der Darstellung ihrer Mutter, von der sie sich stets wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt fühlte.

Auch Isaak fand seine Frau, Rebekka war ihr Name und der erzählte er: „Mein Halbbruder hat das ganze Vieh bekommen, ich musste ganz von vorn anfangen. Aber das Land, das, was wirklich zählt, das bewohnen wir und wir haben eine blühende Zukunft vor uns.“
Ihren Söhnen Jakob und Esau erzählte Rebekka: „Großvater Abraham hat Ismael, den Bastard, in die Wüste geschickt, aber er musste ihn abfinden. Ismael hat euren Vater immer gequält, darum musste er verschwinden. Seine Nachkommen sind unsere Feinde. Tut euch nicht mit denen zusammen. Jakob, der Jüngere, hing an den Lippen seiner Mutter. Esau, der Ältere ging bald seiner Wege, hatte nichts übrig für das Weibergewäsch und ging lieber jagen. Rebekkas und Isaaks Söhne entzweiten sich, aber sie vertrugen sich schließlich wieder. Und Esau heiratete Mahalat, die Tochter seines Halbonkels Ismael.

Ismaels Kinder erzählten seinen Enkeln: „Euer Großvater sollte geopfert werden. Das hatte Elohim so befohlen, aber er hat es sich anders überlegt und stattdessen ein Tier geopfert und dann ist er mit Ismael gen Osten gezogen und hat den heiligen Tempel wieder aufgebaut. Von Sarah und Isaak spricht heute niemand mehr.“

Isaaks Sohn Jakob erzählte seinen Enkeln: „Euer Urgroßvater sollte Isaak verbrennen, seinen einzigen wahren Sohn, denn den anderen, den Ismael, der nur das Kind einer Zofe war, den hatte er schon mitsamt seiner ägyptischen Mutter in die Wüste geschickt.“

So wurden Geschichte weitererzählt und schließlich aufgeschrieben und abgeschrieben und übersetzt. So vieles ging verloren, so vieles wurde dazu erfunden und zweitausend Jahre später streiten die vermeintlichen Erben um die Wahrheit, dabei weiß man nichts und wird auch nie wissen, nicht einmal, ob es wirklich wahr ist, dass Ismael nach Hebron reiste, als Abraham gestorben war, um ihn gemeinsam mit seinem Halbbruder Isaak an Sarahs Seite zu bestatten.

Kerime sah nichts als weiß. War sie auf dem Weg ins Paradies? Was würde sie dort erwarten? Worauf die Männer spekulierten, war ja hinlänglich bekannt, aber auf was durften die Frauen hoffen? Kerime sehnte sich nach Ruhe, Frieden, Licht, Wärme, Wohlgerüchen und warmen Farben. Gerade jetzt war es zwar ruhig und friedlich, aber ihr war kalt, es roch seltsam und unangenehm und es gab keine Farben, nur weiß. Sie spürte nach, ob sie noch einen Körper hatte. Doch da waren ihre Hände, sie konnte sie bewegen, auch die Füße. Sie spürte ihre Beine, ihre Hüften, den Rücken nur den Bauch konnte sie nicht so richtig fühlen. Oder doch? Sie wusste es nicht. Ob sie sich bewegen konnte? Sie ballte die Hände zu Fäusten. Sie wackelte mit den Zehen. Dann drehte sie den Kopf zur Seite. Was für ein Gestell war das denn? In ihrem Kopf arbeitete es, sie versuchte eine Verbindung herzustellen zwischen dem, was sie sah und dem, was sie bereits kannte. Ihr dämmerte allmählich, wo sie sich befand. Sie fuhr nicht auf ins Paradies, sie lag im Krankenhaus. Wie war sie hier hingekommen? Was war geschehen? Das letzte, an das sie sich erinnern konnte, war die Platte mit Dolma, die sie aufs Buffet gestellt hatte. Welches Buffet eigentlich? Ach ja richtig, Torgays Klassenfest. Sie erschrak. Tuncay, was war mit Tuncay? Sie versuchte, sich aufzurichten, aber ihre Bauchmuskeln gehorchten ihr nicht und da waren überall Schläuche. Sie sah wieder Jörn vor sich. Jörn mit dem Messer, der auf Tuncay losging. Sie musste wissen, was passiert war, doch schon verließen sie die Kräfte und sie sank zurück in die Dunkelheit.
Fünf Stunden später saßen Daniel und Tuncay gemeinsam an Kerimes Krankenbett und warteten ungeduldig darauf, dass sie erwachte. Sie hatte die Messerattacke nicht nur überlebt, sie war auch außer Gefahr, obschon die Klinge einige Organe verletzt hatte, aber die Operateure hatten die Blutung stillen können und die Wunden verschlossen. Tuncay wollte ihr dringend sagen, wie sehr er sie liebte, nicht nur, weil sie ihm das Leben gerettet hatte. Daniel brannte darauf, ihr mitzuteilen, dass Jörn bereits in Untersuchungshaft saß und dass die Chancen gut standen, dass der Staatsanwalt eine sehr lange Haftstrafe beantragen würde. So viele Zeugen hatten beobachtet, was geschehen war, er käme sicher nicht mit einem blauen Auge davon.
Tuncay hielt Kerimes Hand. Er fühlte sich schuldig. Hätte er sich nicht provozieren lassen, läge sie jetzt nicht hier. Wie hatte er es nur so weit kommen lassen können? Er wollte seine schöne Frau zurück haben, heil und gesund. Er weinte. „Und das alles wegen Ibrahim.“, schluchzte er.
„Ja.“, pflichtete Daniel ihm betroffen bei. „Abraham ist schuld.“
ENDE

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Freitag, 11. August 2017
Abraham ist schuld – vierteiliger Kurzkrimi – Teil III
Am nächsten Morgen erschien Vahid zum Frühstück in einem leuchtend weißen Kleid. Er sprach kaum mit Abraham, doch kurz bevor er und seine Mitreisenden aufbrachen und sich für die Gastfreundschaft bedankten, wandte er sich an den Patriarchen: „Noch ehe ein Jahr vergangen ist, wird deine Frau Sarah dein Kind zur Welt bringen und deine Nachkommen werden so zahlreich sein wie die Sandkörner in der Wüste.“
Abraham war zutiefst beeindruckt von den gewichtigen Worten des Fremden, später einmal würde er behaupten, der Mann sei ein Bote Elohims gewesen, einer seiner Engel. Sarah konnte ein lautes Prusten nicht verhindern, doch Abraham schöpfte keinen Verdacht. Er meinte, Sarah lache, weil sie die Prophezeiung für unglaublich hielt, weil sie sich bereits im fortgeschrittenen Alter befand. Abraham nahm die Ankündigung als Aufforderung, dem Glück auf die Sprünge zu helfen und teilte in den 28 folgenden Nächten das Bett ausschließlich mit Sarah. Sie war erleichtert, als er endlich wieder von ihr abließ, doch als sie deutliche Anzeichen einer Schwangerschaft an sich spürte, war sie heilfroh, dass sie sich ihrem Ehemann hingegeben hatte.
Neun Monate später brachte Sarah einen Sohn zur Welt und nannte ihn Isaak, das bedeutet Lachen. Sie behauptete, den Namen habe sie ausgewählt, weil sie bei der Prophezeiung so ungläubig gelacht habe. In Wirklichkeit hatte sie jedoch das Gefühl, beim Anblick ihres Sohnes ständig darüber lachen zu müssen, dass sie Abraham mit demselben Mann ein Kuckucksei ins Nest gelegt hatte wie Hagar.
Der zwölfjährige Ismael dagegen war alles andere als amüsiert über die Ankunft eines Brüderchens, verlor er doch seinen Einzelkindstatus von heute auf morgen. Als Isaak begann, herumzukrabbeln und erste unartikulierte Laute von sich zu geben, ging Ismael dazu über, den Bruder heimlich zu hänseln und zu quälen. Doch Isaak wuchs heran und mit zunehmendem Alter wuchs auch seine Fähigkeit, sich gegen den Größeren zu wehren. Schon bald standen sich die beiden Brüder in Durchtriebenheit und Skrupellosigkeit in nichts nach und Abraham war ihrem ewigen Zwist nicht mehr gewachsen, ganz zu schweigen von den Müttern. Abraham beschloss, durch ein Gottesurteil entscheiden zu lassen, wer sein rechtmäßiger Sohn sein solle. Der Verlierer sollte geopfert werden, so hatte Elohim es ihm im Traum vorgeschlagen. Als er seinen Frauen diesen Plan offenbarte, waren beide gleichermaßen entsetzt.
„Bist du Wahnsinnig, Mann?“, fragte Hagar aufgebracht. „Weißt du eigentlich, wie viel Mühe es macht, einem Kind das Leben zu schenken? Und du willst einfach so leichtfertig einen deiner Söhne ins Feuer werfen, nur weil du ihnen nicht beibringen kannst, sich zu vertragen? Was für ein Vater bist du eigentlich?“
„Es war Elohim, der meinen Söhnen das Leben schenkte. Ihr Frauen wart nur das Gefäß.“
erwiderte Abraham würdevoll.
„So einen Unsinn kann auch nur ein Mann erzählen!“, schimpfte Hagar.
„Und wer sagt dir eigentlich, ob das wirklich Elohim war, der da im Traum zu dir gesprochen hat?“, fragte Sarah. „Vielleicht war es ja auch die Einflüsterung eines Dämons. Schließlich hat Elohim uns diese Söhne geschenkt. Warum sollte er sie uns nehmen?“
„Das weiß nur Elohim.“, erwiderte Abraham und verließ das Zelt.
Die Mütter waren verzweifelt. Stundenlang saßen sie zusammen und arbeiteten an einer Strategie, wie sie das Leben beider Jungen retten könnten. Schließlich kamen sie zu einem Ergebnis, das sie Abraham unterbreiteten. Sarah ergriff das Wort: „Mein lieber Mann. Es ist gut möglich, dass Elohim zu dir gesprochen hat, aber es ist auch möglich, dass du den Ewigen nicht richtig verstanden hast. Vielleicht hat er dich auf die Probe gestellt, um zu prüfen, ob du weise genug bist, um dich als Vater vieler Völker als würdig zu erweisen. Wer aber Vater zweier Söhne ist und einen schlachten muss, weil er anders nicht ihren Streit schlichten kann, der ist nicht weise, sondern ein Idiot, dessen Linie zu Ende geht, noch bevor sie sich verzweigen kann. Du weißt, dass Elohim oft in unverständlichen Bildern und Rätseln spricht. Einen Sohn opfern, heißt nicht, ihn verbrennen, sondern ihn fortschicken. Gib einem die Herde und schicke ihn zu deinem Neffen Lot, den anderen behalte und züchte mit ihm eine neue Herde. Er soll dein Land erben. Wenn die Entscheidung gefallen ist, opfert ihr gemeinsam einen Bock. Das Blut ist für Elohim, der Rest für ein Festmahl mit deiner Sippe und für Almosen für die Besitzlosen.“
Wie Sarah es vorgeschlagen hatte, geschah es. Das Los für die Herde fiel auf Ismael. Abraham zog mit seinem Erstgeborenen nach Osten. In den Nächten am Feuer erklärte Abraham seinem Sohn: „Ich hätte dich lieber bei mir behalten und dir die Herde dazu überlassen, denn du bist mein Erstgeborener. Aber ich kann Isaak nicht leer ausgehen lassen, nicht nachdem seine Mutter so lange auf ihn gewartet hat. Der Besitz der Herde macht dich zu meinem einzig wahren Erben. Du wirst mein Blut in die Welt tragen und die Prophezeiung erfüllen. Und weil du mein wahrer Sohn bist, Ismail, will ich für dich nicht mehr Abraham heißen, sondern Ibrahim.“
Bald erreichten sie einen besonderen Ort in der Wüste. „Mein lieber Sohn“, erklärte Abraham oder Ibrahim, „hier war ich schon einmal vor sehr langer Zeit, als junger Mann, als ich gerade aus meiner alten Heimat aufgebrochen war. Hier betete vor vielen Generationen Adam um die gleiche Säule des Lichts, an der er Elohim verehrt hatte, bevor der ihn aus dem Paradies vertrieben hatte. Die Säule des Lichts erschien und Adam betete zu Elohim, indem er sie umschritt. Doch bald verschwand die Säule und an ihrer Stelle lag dort ein schwarzer Stein. Ein Prophet errichtete an dieser Stelle einen viereckigen Tempel und baute den schwarzen Stein in eine der Ecken ein. Dann schickte Elohim die große Flut und der Tempel liegt seither unter Sand begraben. Wir beide, mein Sohn, werden nun den Sand beiseite wischen und auf den Grundmauern des alten Tempels einen neuen errichten.“
Sie bauten ein Quaderförmiges Gebäude aus schwarzen Steinen und als es fertig war, betete Ibrahim darum, dass dies für immer ein sicherer Ort sein sollte.
Danach verabschiedete er sich von seinem Erstgeborenen und kehrte nach Haran zurück.
Als Abraham nach Haran zurückkehrte, bat er die Frauen, ein besonderes Abendessen zu bereiten und ihn mit Isaak allein essen zu lassen. Als sie das Mahl beendet hatten, richtete er das Wort an seinen Zweitgeborenen: „Mein Sohn“, sagte er, „mein einzig wahrer, denn den anderen hat Elohim fortgeschickt. Er hatte natürlich Anspruch auf eine Abfindung, darum musste ich ihm die Herde überlassen. Aber gräm dich nicht. Die besten Muttertiere und den kräftigsten Bock habe ich dabehalten, außerdem ein junges Ziegenpaar und schon bald haben wir wieder eine Menge prachtvoller Tiere, die du eines Tages erben wirst. Doch dir wird auch dieses Land gehören und Land ist das Einzige, was zählt, das Einzige, was bleibt. Das Land bringt die Nahrung hervor, die Mensch und Tier gedeihen lässt, ist die Heimat, der sichere Boden, auf dem wir unsere Zelte errichten und unsere Nachkommen werden hier vielleicht sogar eines Tages Häuser bauen, Tempel, Burgen und Paläste.
ENDE TEIL III – FORTSETZUNG FOLGT

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Freitag, 4. August 2017
Abraham ist schuld – vierteiliger Kurzkrimi – Teil II
Voll Wonne ließ Abram seine alten Knochen knacken. Die ersten Strahlen der Morgensonne durchdrangen das Zelt und tanzten auf Hagars reizvollen Rundungen. Heute Nacht würde er sich mal eine Pause gönnen, aber morgen wäre Sarai wieder dran. Elohim hatte ihn mit zwei prachtvollen Weibern gesegnet, wenn sie auch nicht besonders fruchtbar waren. Immerhin hatte Hagar vor zehn Jahren den Ismael entbunden, aber Sarais flacher Bauch hatte sich bis heute nicht gerundet, dabei war sie wie Erdbeben und Lava zwischen den Laken. Hagar öffnete ihre ägyptischen Mandelaugen und murmelte: „Steht die Sonne schon hoch?“
„Ja, mein Herz.“, erwiderte Abram zärtlich. „Eigentlich sollte ich dich Feuer machen schicken, aber das kann Sarai ja auch allein bestellen, derweil ich meine Lieblingsfrau noch eine Weile im Arm halte.“
„Ich muss nach Ismael sehen:“, erwiderte Hagar. „Es ging ihm gestern Abend nicht gut. Vielleicht brauchte er nur die Ruhe der Nacht, aber vielleicht braucht er auch Arznei.“
Sie wand sich aus den Armen ihres Mannes und streifte ihr Gewand über. Ihre prachtvollen, glänzenden Locken drehte sie in einen Turban aus blauem Tuch, das ihre bronzefarbene Haut zum Leuchten brachte. Mit wiegenden Hüften verließ sie das Zelt und Abram seufzte vor Entzücken.
Ismael war längst auf den Beinen und melkte die ersten Ziegen. Sarai schichtete gerade Holz und Ziegenkot auf, Hagar brachte das Feuerwerkzeug.
„Wird ein heißer Tag heute.“, meinte sie. „Eigentlich müssten wir nur warten, dann könnte die Sonne den Morgentee bereiten.“
„Abram würde toben, wenn wir den Tee erst zur Mittagszeit fertig hätten.“, erwiderte Sarai. „Vielleicht sollten wir ihm mal einen starken Schlaftrunk brauen, der ihn bis zur Mittagsstunde schlafen lässt, dann könnten wir tatsächlich die Sonne für uns arbeiten lassen und morgens länger schlafen.“
„Die nächste Generation lauert schon.“, entgegnete Hagar grinsend. „Mein Sohn übt schon heimlich Patriarchen-Posen. Wenn Abram morgens nicht wach würde, würde er umgehend sein Erbe antreten und uns schlimmer scheuchen, als der Alte es je vermocht hat.“
„Wenigstens hast du einen Sohn.“, seufzte Sarai.
„Verschaff dir doch auch einen.“, schlug Hagar vor.
„Ich liege doch schon so viele Nächte bei Abram.“, rechtfertigte sich Sarai. „Was soll ich denn noch alles tun? Elohim lässt meinen Leib verdorren und ich weiß nicht warum.“
„Vielleicht ist es ja gar nicht dein Leib, den Elohim verdorren lässt.“, gab Hagar zu bedenken. „Es hat Jahre gedauert, bis ich schwanger wurde, und in den letzten zehn Jahren ist es nicht wieder vorgekommen. Neun Monde bevor Ismael zur Welt kam, habe ich mir Unterstützung außerhalb der Sippe geholt und es hat prompt geklappt.“
„Ich verstehe dich nicht ganz.“, entgegnete Sarai fassungslos, die längst ahnte, was sie nicht glauben konnte.
„Ismaels Vater war ein Fremder, der auf der Durchreise unser Gast war. Ein bildschöner Bursche, ich habe allerdings auch darauf geachtet, dass er Abram etwas ähnlich sah, damit nicht sofort auffällt, dass ich meinem Mann das Kind eines Anderen in die Arme gelegt habe. Aber wie sollte ich mir Nachkommen verschaffen von einem, dessen Samen kraftlos ist? Sicher ist dein Schoß genauso fruchtbar wie meiner, du hast ja noch deinen Blutfluss, versuche es einfach, bevor es zu spät ist.“
Etwa ein Jahr später kamen die Frauen wieder morgens an der Feuerstelle zusammen. Sarai kicherte. „Abram meint, er hat die Lösung für meine Kinderlosigkeit gefunden. Elohim hat angeblich zu ihm gesprochen und angekündigt, dass er so viele Nachkommen haben wird wie Sterne am Himmel und dass wir ab sofort neue Namen bekommen.“
„Und wie heißt du jetzt?“
„Sarah“
„Wie innovativ. Und Abram? Heißt der jetzt Abrm?“
„Nee, Abraham.“
„Das war ja wieder klar. Dein Name wird verstümmelt und seiner aufgebläht und das soll dann gegen Kinderlosigkeit helfen. Die Männer, was die sich immer auf ihre unnützen kleinen Beiträge einbilden. Liegen den ganzen Tag nur rum, trinken Tee, reden mit ihrem eingebildeten Gott und behaupten, uns zu beschützen. Dabei bin ich diejenige, die die Löwen vertreibt und du diejenige, die die Schlangen verscheucht. Und in der Nacht schmiert er uns ein bisschen voll mit dem, was er für seine Nachkommen hält. Die Welt ist schon verrückt, in der ausgerechnet die das Sagen haben, die zu gar nichts nütze sind.“
„Es ist, wie es ist.“, erwiderte Sarah. „Ich bin jetzt Sarah, er Abraham. - Sieh mal, aus dem Westen kommt eine kleine Karawane angerückt.“
„Das bedeutet, wir müssen dreimal soviel Wasser kochen und Brot backen.“, erwiderte Hagar seufzend. „Ich schicke Ismael zur Wasserstelle. Dann können wir noch mehr Körner mahlen und das Feuer schüren.“
Die Frauen arbeiteten unter Hochdruck. Als die Karawane fast bei ihnen angekommen war, blieb Hagar der Mund offen stehen. „Das ist er.“, raunte sie Sarah zu.
„Das ist wer?“, flüsterte Sarah zurück.
„Ismaels Vater. Der mit dem weißen Turban.“
„Oh.“, sagte Sarah nur, denn er war eine beeindruckende Erscheinung, ein bildschöner Mann, der die Besonderheiten verschiedenster Volksgruppen in seinem Gesicht und an seinem Körper vereinte. Er war hoch gewachsen wie die Äthiopier, seine Haut hatte die Farbe von Lehm und die Augen waren schräg wie die der Menschen, die von sehr weit her aus dem Osten kamen. Sein Haar war schwarz und glatt, der Bart dagegen kraus und drahtig und die Lippen geschwungen wie bei denen vom Euphrat- wie auch die von Abraham. Die hohen Wangenknochen stammten wohl ebenfalls aus dem Osten, er stellte die vollendete Komposition aus vielen verschiedenen Völkern dar.
Hagar war schon auf die Gruppe zugegangen, hatte sie begrüßt und ihnen Wasser gereicht. Sarah sah, wie sie sich mit dem schönen Fremden unterhielt und sich dann zu ihr umdrehte. Der Fremde sah sie an mit seinen warmen Mandelaugen und als ihre Blicke sich trafen, empfand Sarah eine verwirrende Mischung aus tiefster Sehnsucht und aufkommenden Fluchtimpulsen. Der Fremde nickte lächelnd und Sarah verschwand im Zelt, verwirrt und aufgewühlt. Sie füllte frisch geröstete Körner in die Getreidemühle und zerrieb den Weizen zwischen den Mühlsteinen. Hagar betrat grinsend das Zelt. „Er ist einverstanden:“, sagte sie.
„Wer ist womit einverstanden?“
„Vahid ist bereit, dich kennenzulernen.“
„Wozu?“
„Damit du dir von ihm Nachkommen verschaffen kannst.“
„Vahid? Was ist das überhaupt für ein Name? Was bedeutet er?“
„Vahid ist ein Name aus dem Reich Elam und er bedeutet: der Einzigartige.“
„Wie passend.“
„Ja, nicht wahr? Ist er nicht entzückend?“
„Er ist so hinreißend, dass ich es kaum aushalte. Wie soll ich mich mit ihm unterhalten, wenn ich ihm in Gedanken bereits die Gewänder von den Hüften reiße?“
„Du schaffst das schon, ich habe das ja schließlich auch hinbekommen.“
„Ja, du. Du bist ja auch selbst so schön wie der Morgen.“, dass Abraham ihr schon viele Male nachts ins Ohr geflüstert hatte, dass er die Liebe eigentlich nur mit ihr genieße und Hagar nur wegen der Nachkommen beschlafe, behielt sie für sich. Allerdings ahnte sie, dass er Hagar dasselbe erzählte und sie war froh, dass die Freundin sie genauso wenig als Rivalin sah, wie sie selbst.
Sarah war mit den Gedanken nicht so recht bei der Sache und hätte Hagar nicht aufgepasst, wäre der Brotteig missraten und die frischen Fladen wären im Feuer verbrannt. Den ganze Tag über waren die Frauen mit dem Zubereiten von Mahlzeiten beschäftigt, während sich der Patriarch mit den Gästen in den Schatten fläzte und sich bedienen ließ. Vahid warf Sarah verheißungsvolle Blicke zu und sie betete, dass Abraham es nicht bemerkte, aber der war so mit seiner narzistischen Selbstdarstellung beschäftigt, dass er kaum wahrnahm, was um ihn herum geschah. Sie raunte Hagar zu: „Beim Gäste unterhalten ist er genauso wie im Bett. Er wird einfach nicht fertig.“
„Das ist bei Vahid auch anders.“, kicherte Hagar. „Er sagte, er glaube, Abraham braucht so lange, weil er seine Vorhaut beschnitten hat. Bei jungen Männern soll das nicht schlecht sein, sonst sind die schon damit zu Ende, wenn du gerade überlegst, dass es dir vielleicht gefallen könnte. Aber wenn sie älter werden, ist es eine Plage mit ihnen. Sie reiben sich in dir und rühren in dir herum und mühen sich ab und du bist mit den Gedanken schon beim Eintopf und der Wäsche und betest, dass sie endlich von dir herunter steigen, damit du wieder Luft bekommst und dich sauber machen kannst.“
„Ach ja.“, erwiderte Sarah. „Dass die Männer uns aber auch immer mit diesem klebrigen Eiter beflecken müssen und uns nicht wie die Blumen bestäuben können. Oder ist das bei Vahid auch anders?“
„Nein, ganz im Gegenteil. Aus seinen Lenden kommt drei Mal soviel Saft, du denkst danach, dein Blutfluss habe eingesetzt. Aber währenddessen denkst du gar nicht.“

In der Nacht schlich Sarah sich aus dem Zelt. In eine Decke gehüllt machte sie sich auf den Weg zur nahe gelegenen Höhle, um dort ein Feuer zu entzünden. Hagar hatte Vahid bei passender Gelegenheit zugeflüstert, dass er die Höhle nachts aufsuchen solle. Hagar hielt Abraham die halbe Nacht auf Trab, bis er schließlich total erschöpft in einen tiefen Schlaf fiel.
Sarahs Feuer verbreitete gerade eine wohlige Wärme in der Höhle, als Vahid eintrat. Sie sprachen kein Wort, sie sahen sich nur an. Sarah breitete die Decke neben dem Feuer aus und legte ihr Gewand ab. Vahid tat es ihr gleich, setzte sich auf die Decke und zog sie zu sich herunter. Hagar hatte nicht zu viel versprochen; Vahid war ein Zauberkünstler. Sie liebten sich nicht nur einmal und als sie nacheinander ins Lager zurück schlichen – sie noch im Mondschein, er in der Morgendämmerung - lagen alle anderen fest in Morpheus Armen und nicht einmal Hagar wusste mit Sicherheit, ob das, was sie eingefädelt hatte, tatsächlich stattgefunden hatte.
ENDE TEIL II – FORTSETZUNG FOLGT

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Freitag, 28. Juli 2017
Abraham ist schuld – vierteiliger Kurzkrimi – Teil I
Es war das zweite Klassenfest an der Grundschule am Tuchtweg. Tuncay verzichtete auf ein gegrilltes Steak, obwohl er einen rasenden Hunger auf Fleisch hatte. Es lag zwar Rindfleisch auf dem Rost, aber halal war es trotzdem nicht. Dass die Schafe, die sie zum Opferfest in der Familie mit einem Spaten schlachteten, genaugenommen auch nicht halal waren, weil sie vom Schächten so viel verstanden wie ein Soziologe vom Mauern, blendete er dabei aus. Er hatte eben seine Prinzipien. Daniel verzehrte auch nur Salat. Das wunderte ihn und er fragte: „Bist du Vegetarier?“
„Nein, Jude.“
„Aber das ist kein Schweinefleisch.“
„Richtig, aber die Steaks sind in Sahne eingelegt und damit nicht koscher. Mal davon abgesehen, auch nicht koscher geschlachtet.“
„Tja“, mischte Jörn sich ein. „Wenn ihr eure Kinder auf eine evangelische Bekenntnisschule schickt, müsst ihr euch nicht wundern, wenn ihr bei euren komplizierten Essgewohnheiten nicht richtig satt werdet. Das ist eben der Vorteil, wenn man Christ ist; man darf alles essen.“
„Klar, auch Scheiße.“, murmelte Tuncay.
„Gleich fängst du dir eine ein!“, drohte Jörn.
„Entspannt euch.“, beschwichtigte Daniel die beiden Hitzköpfe. „Es kann doch jeder essen, was er für richtig hält. Das geht keinen etwas an.“
„Ach“, beklagte sich Jörn. „Aber wenn die Moslems beim Schlachten den Tierschutz nicht einhalten und die armen Viecher kopfüber aufgehängt langsam ausbluten lassen, dann geht mich das als Bürger dieses Landes schon was an! Das sollte man mal mit euch machen und zwar genau dann, wenn euer scheiß Opferfest ist. Könnt euch ja mal selber opfern.“
Tuncay stürmte auf Jörn zu, Daniel ging dazwischen. „Jetzt versaut euren Kindern nicht das Klassenfest, ihr Spinner!“, schimpfte er. „Vom Schächten hast du echt keine Ahnung, Jörn. Das haben nicht die Muslime erfunden, sondern wir Juden und zwar auch aus Gründen des Tierschutzes. Da muss nämlich die Halsschlagader mit einem sauberen, sehr scharfen Messer mit einem einzigen Schnitt blitzschnell geöffnet werden, so dass das Tier sofort das Bewusstsein verliert. In euren Schlachthöfen werden die Tiere auch kopfüber aufgehängt und dann wachen sie oft nochmal auf und werden zuckend ins kochende Wasser getaucht. Also erzähl du uns nichts von Tierschutz, oder willst du behaupten, dass du nur Biofleisch isst?“
„Das ist ja viel zu teuer.“, entschuldigte Jörn sich. „Aber was du da vom Schächten erzählst, ist doch nur graue Theorie. Jeden Herbst marodieren die Moslems durch die Gegend, schwatzen den Bauern Schafe ab, die sie dann im Hinterhof irgendwie schlachten, wenn sie sich nicht sogar nachts auf die Weide schleichen und die Tiere da direkt mit nem Beil erschlagen oder, weil sie zu blöd dafür sind, die schwer verletzten Viecher halb tot liegen lassen. Und wozu das alles? Weil sie immer noch wie in grauer Vorzeit ihre scheiß Schlachtopfer bringen müssen.“
„Du hast echt überhaupt keine Ahnung, Mann.“, erwiderte Tuncay. „Beim Opferfest geht es darum, wie Ibrahim seinen Sohn Ismail opfern sollte, das hatte Allah ihm so aufgetragen. Aber dann schickte Allah einen Widder und den schlachtete Ibrahim anstelle seines Sohnes. Das Fleisch teilte er mit den Armen und in Erinnerung an diese Geschichte feiern wir das Opferfest, treffen uns in den Familien und teilen das Fleisch mit denen, die sich das nicht leisten können.“
„Aber eigentlich hat die Geschichte sich ja etwas anders zugetragen.“, erklärte Daniel. „Ibrahim oder Abraham, wie wir ihn nennen, hatte Ismael mit seiner Mutter Hagar längst in die Wüste geschickt. Haschem hatte ihn beauftragt seinen Sohn Isaak zu opfern, seinen einzigen rechtmäßigen Sohn, von seiner Ehefrau Sarah, denn Ismaels Mutter war nur die Zofe seiner Frau. Gott stellte Abraham damit auf die Probe, wie sehr er ihn liebte und ihm gehorchte. Als klar war, wie treu ergeben Abraham seinem Schöpfer war, zeigte der sich gnädig und schickte einen Widder, der sich im Gestrüpp verfing. Den legte Abraham dann auf den Brandopfer-Altar. Die Muslime haben diese Geschichte verdreht und ihren Stammvater Ismael an die Stelle des jüdischen Stammvaters Isaak gesetzt.“
„Von wegen verdreht!“, protestierte Tuncay. „Der Islam ist die älteste Religion der Welt! Der Islam war schon immer da.“
„Hallo?“, erwiderte Daniel. „Mohammed tauchte erst im 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung auf. Da ist ja das Christentum ein halbes Jahrtausend älter. Und das Judentum ist gleich noch mal ein Jahrtausend älter. Ist doch wohl klar, wer da von wem abgeschrieben hat.“
Jetzt mischte Tuncays Frau Kerime sich ein: „Müsst ihr Männer schon wieder alles aufmischen? Könnt ihr nicht einmal friedlich zusammen feiern? Ist doch egal wen der alte Mann vor dreitausend Jahren schlachten wollte. Der Sinn der Sache ist doch, dass alle sich vertragen. Im Koran wird Isaak übrigens als rechtschaffener Prophet gepriesen und gesegnet. Also vertragt euch.“ Dann wandte sie sich an Jörn: „Als Christ solltest du die Geschichte doch auch kennen. Was wird denn bei euch in der Kirche erzählt?“
„Woher soll ich das wissen?“, erwiderte Jörn. „So genau kenne ich mich in der Bibel nicht aus. Ich bin ja schließlich kein Pastor.“
„Die Geschichte von Abraham und Isaak steht auch in der Bibel.“, erklärte die Lehrerin.
„Na also!“, ereiferte sich Jörn. „Zwei gegen einen. Muslime können eben nur billige Fälschungen abliefern, sonst nichts.“
Daniel schüttelte mit dem Kopf und Tuncay rief: „Und ihr scheiß Deutschen könnt nur Schweinefleisch fressen und Minderheiten verfolgen. Meint, ihr wärt was Besseres, weil ihr Christen seid und habt noch nicht mal Ahnung von eurer Religion.“
„Erzähl du mir nicht, wie ich in meinem Land zu leben habe!“, zischte Jörn und griff sich plötzlich ein Messer, mit dem der Grillmeister große Fleischstücke zerlegte. Kerime ging erneut dazwischen: „Jetzt kommt runter, Männer. Das ist doch total überflüssig, was ihr hier abzieht.“
„Der einzige, der hier gerade was abzieht, ist diese verdammte Kartoffel!“, brüllte Tuncay. Nun brannten Jörn endgültig die Sicherungen durch. Er stürzte sich auf den muslimischen Vater, Kerime warf sich schützend vor ihren Mann. „Ibrahim...“, murmelte sie noch, dann ging sie zu Boden.
ENDE TEIL I – FORTSETZUNG FOLGT

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