Freitag, 6. Dezember 2019
Nur die Katze war Zeuge
Ich muss eben noch Louis eine Nachricht schicken, dass wir uns erst nächste Woche wieder treffen, sonst stehen die morgen alle vor der Tür. Wo ist es denn hin, das ungeliebte Artefakt? Ach, verdammt, im Gemeindehaus vergessen und ich dachte doch noch, hoffentlich denke ich dran, es nachher wieder mitzunehmen. Na toll, muss ich noch mal den Laptop hochfahren und allen eine E-mail schicken. Irgendwer wird hoffentlich reingucken und die Botschaft in die Gruppe schreiben.

Es roch komisch. Bosse weigerte sich aufzuwachen, aber etwas in ihm mahnte: steh auf, lauf weg, hier stimmt etwas nicht. Die Filztante hatte ihn vergessen, das tat sie sonst nie, aber heute war sie hektisch aufgebrochen und hatte ihn einfach eingeschlossen. Er hatte Durst, er brauchte frische Luft. Mau. Ob ihn jemand hörte? Miau. Nichts regte sich Miaooooo!!! Keine Reaktion. Nur die Kuscheltiere starrten ihn vorwurfsvoll an. Was kann ich dafür, fauchte er in Richtung der Riesenmaus, die ihm schon lange ein Dorn im Auge war und in ihrer orangen Pracht auf dem Aktenschrank thronte. Irgendwann würde er sie mit seinen scharfen Krallen zerfetzen. Daneben, die kleine Katze aus Kaninchenfell, die rührte sein Herz. Aber sie war kalt wie Eis, hart wie Stein, und unbewegt wie totes Holz. Eine einzige Enttäuschung. Es war schrecklich warm hier drin und die Luft war schlecht. Komm, Filztante, dachte er, lass mich raus. Miaooooooooooooooo!

Die Flammen schlugen in den Himmel, die Zweige der schönen, alten Rotbuche hatten bereits Feuer gefangen und die freiwillige Feuerwehr hatte stundenlang zu tun, bis der Brand endlich gelöscht war. Am Ende lag da nur noch ein Haufen Kohle auf den Fundamenten, das war der Nachteil von Holzrahmenbauweise, im Brandfall blieb kaum etwas übrig.

Es roch komisch. Irgendetwas stimmte hier nicht. Sie bog um die Ecke und sah deutlich, dass tatsächlich etwas aus dem Lot geraten war. Als sie näher kam, konnte sie es erkennen: Es hatte ein verheerendes Feuer gegeben. Es schnürte ihr die Kehle zu. Das Ladekabel, der Akku, es war ihre Schuld. Sie kam vor dem Schutthaufen zum Stehen. Dann zog sich die Schnur um ihre Kehle noch fester zusammen. Bosse. Er hatte sich in ihrem Büro schlafen gelegt. Sie hatte ihn eingeschlossen. Es hatte für ihn kein Entkommen gegeben. Der seidige Kater war jämmerlich verbrannt. Sie würden sie vierteilen. Bei der Untersuchung würden die Reste ihres Handys gefunden werden. Sie hatte das Gemeindehaus in Schutt und Asche gelegt, wenn auch versehentlich, aber sie war verantwortlich für den unermesslichen Schaden, für den grausamen Tod einer kleinen Katze und vielleicht auch… Wann hatte die Hütte gebrannt? War jemand im Haus gewesen und hatte am Ende genauso in der Falle gesessen wie der kleine Bosse?
Ihr Kopf fuhr Karussell. So ging es nicht. Das ging so nicht. Das würde nie wieder gehen. Das würde nie wieder gut werden. Wie sollte sie damit leben? Wie den anderen in die Augen sehen? Wie ihr eigenes Spiegelbild ertragen? Sie brauchte Abstand, musste schnell weg hier. Sie stieg wieder ins Auto und fuhr, fuhr, fuhr. Immer geradeaus auf der breiten Bundesstraße, bis zur nächsten, die noch breiter war, mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von einhundert Kilometern pro Stunde. Sie kam auf 150. Die Lärmschutzwand fand sie immer schon hässlich. Und dann war es gut.

Er betrachtete zufrieden sein Werk. Ausgelacht hatten sie ihn. Zuerst wegen seines Glaubens, der umso viel unerschütterlicher war, als der dieser erbärmlichen Zweifler und notorischen Sünder, die achtlos in den Tag hineinlebten, sich wild durcheinander paarten, konsumierten und alles zumüllten ohne Rücksicht auf Verluste, die den Herrn verhöhnten und all jene, die ihn liebten und fürchteten.
Danach hatten sie ihn immer weniger ernst genommen. Alle seine Warnungen hatten sie in den Wind geschlagen. Wenn er ihnen die Sicherheitsrisiken vor Augen gehalten hatte, hatten sie ihm mangelndes Gottvertrauen vorgeworfen, ausgerechnet ihm, dem Treuen, ausgerechnet sie, die Frevler. Nie hatten sie die Wasserkocher ausgestöpselt, drei Mal schon vergessen, den E-Herd auszuschalten, Fenster waren nicht verschlossen worden und überall brannten ungesicherte Kerzen, gern auch auf trockenem Tannengrün platziert. Es wäre früher oder später sowieso geschehen, er hatte nur für den perfekten Zeitpunkt gesorgt. Nun würden ihnen das Lachen vergehen und er hatte am Ende Recht behalten. Vielleicht würden sie jetzt endlich umkehren, ihre Sündhaftigkeit erkennen und Buße tun.

Für Lenni brach die Welt zusammen, als er von dem tragischen Unfall hörte. Sie war sein Fels in der Brandung gewesen und jetzt war sie einfach weg, von einem Moment zum anderen. Sie hatte eine Familie gehabt, Freunde, ein richtiges Leben, nicht so ein von einer Katastrophe in die andere Gleiten wie er. Aber es war besser geworden, sie hatte ihn unterstützt, von nun an würde sich die Schlagzahl der Katastrophen wieder erhöhen. Und er wäre ihnen schutzlos ausgeliefert.

Bosse lag unter dem Johannisbeer-Busch. Warum war die Filztante sofort wieder abgehauen? Er wollte sie gerade begrüßen, in ihr Auto springen, sicher kannte sie einen anderen guten Ort, wohin sie ihn hätte mitnehmen können. Aber am nächsten Tag war ihr Maskottchen hier heulend herumgeschlichen, ihr musste etwas zugestoßen sein. So ein Jammer, ausgerechnet eine von den netten Menschen, gab doch genug Exemplare, die nur ein Furunkel am Arsch der Welt waren, warum konnte es nicht die einmal erwischen? Solche wie dieser alte Grantler, den er hinter der Hecke bemerkt hatte, nachdem er aus dem heißen Büro herausgekommen war, weil die Filztante es versäumt hatte, das Velux-Fenster ordnungsgemäß zu verschließen. Er hatte es schließlich vom Schreibtisch aus aufgedrückt bekommen und war über das Dach geflüchtet. Der Sprung von da oben saß ihm immer noch in den Knochen, aber er hatte es überlebt. Im Gegensatz zu der fetten Maus und der kalten, kleinen Katze. Der kalten Katze war wenigstens einmal richtig heiß geworden. Jetzt war nur noch kalte Asche von ihr übrig. Von der Filztante womöglich auch. So ein Jammer. Der alte Grantler schlich hier immer noch herum und rieb sich heimlich die Hände. Er hatte Bosses schöne, warme Zuflucht kaputt gemacht und der seidige Kater hatte keine Möglichkeit, irgendjemanden darauf aufmerksam zu machen. Die kochende Wut in seinem kleinen Bauch vertrieb die herbstliche Kälte aus seinen Knochen. Sie machte ihn stark. Sie machte ihm Mut. Und sie schärfte seinen Verstand. Der Apfelbaum an der Straße war ein guter Ausgangspunkt. Hier lauerte er dem radelnden, alten Grantler auf. Für die Filztante, dachte er, als er ihm mitten ins Gesicht sprang und sich in seiner mürben Haut festkrallte. Er brachte ihn zu Fall und konnte gerade noch rechtzeitig zur Seite springen, bevor der LKW sie beide überrollt hätte.

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Diesmal kann auch Herr S. nicht meckern;)

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Warum sollte überhaupt jemand meckern? Und welcher Herr S. meckert denn hier?

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Ach, war doch nur eine harmlose Anspielung darauf, dass der Text diesmal keinerlei Schlüpfrigkeiten enthält. Sorry, kryptische Phase. Zu meckern gibt's hier wirklich nichts.

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Aber vielleicht meckert demnächst der Herr Schlüpftrig, dass es ihm nicht schlüpfrig genug ist oder die Frau P., dass sie es lieber etwas pornografisch hätte und dann muss ich mir wieder über hundert Sauerein ausdenken und dann habe ich schechte Träume.
;-)
Nee, alles nur Quatsch, ich höre jetzt mal besser auf bei mir selbst zu kommentieren.

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