Freitag, 28. Juni 2019
Was für ein Vertrauen – Kurzkrimi in vier Teilen – 1. Teil
c. fabry, 11:11h
Sie sah die Menschenmassen immer noch vor sich: sportlich beschuhte Füße, mit bedruckten, grünen Baumwollschals dekorierte Rucksäcke, drahtig alternde Frauen mit energischer Studienrätinnenmiene, kauzige Frührentner, die optisch unverkennbar ihrer Pfadfinder-Jugendzeit nachtrauerten, lebenshungrige Jugendliche und ebenso hungrige alte Menschen. Sie hatte noch das Gemurmel im Ohr, die Gesprächsfetzen: „Bei der nächsten müssen wir aussteigen.“ , „Ich hab' schon elf Perlen, mir fehlt nur noch die Bierperle.“, „Da will ich morgen auch hin, aber die Halle ist sicher schon eine Stunde vorher überfüllt.“
Jetzt sollte die Müdigkeit ihren Job machen, auch wenn die Füße schmerzten und irgendjemand ein paar Isomatten weiter leise schnarchte. Aber sie spürte, dass das dritte alkoholfreie Weizenbier, das sie zum Absacken im Nachtcafé getrunken hatte, seinen Tribut forderte.
Schon wieder über die endlosen Flure huschen, um sich erneut Erleichterung zu verschaffen? Vielleicht ging es ja bis zum Wecken. Waren ja nur noch ein paar Stunden. Sie versuchte, den unangenehmen Blasendruck zu verdrängen. Es ging nicht. Stöhnend schälte sie sich aus dem Schlafsack, schlüpfte in die Sandalen und machte sich auf den Weg.
Die Notbeleuchtung und die warmen Erdtöne der Fußbodenfliesen ließen sie fast vergessen, dass sie in einem Schulgebäude unterwegs war. Wie viel anders die Atmosphäre wohl an einem gewöhnlichen Vormittag war, wenn lärmende Schülerinnen und Schüler hier vor und nach dem Unterricht umher wuselten. Jetzt war es dämmrig, still und die warme Luft stand zwischen den Wänden wie Gallert.
Grell war dagegen das Licht im Toilettenraum, hier war die Stille weniger einschläfernd, wenn auch genauso wohltuend. Das war ja das Schöne am Kirchentag, dass man sich überall sicher und geborgen fühlte, selbst in der größten und wildesten Großstadt.
Das schützte sie allerdings nicht vor der obligatorischen Reiseobstipation. Ihr Bauch war so kugelrund wie in der 22. Schwangerschaftswoche, und obwohl sie den ganzen Tag fast nur Berge von Obst und Gemüse veschlang, behielt sie alles bei sich und fühlte sich wie ein zu fest aufgeblasener Mediziball, rund und schwer und kurz vorm Platzen. Sie würde die gegenwärtige Einsamkeit nutzen, um durch entspanntes und beharrliches Sitzen dem Stuhlgang eine Chance zu geben. Unter den gegebenen Umständen hatte sie keine Hemmungen, der Natur ihren Lauf zu lassen.
Etwas regte sich in der Kabine neben ihr. Erst ein Rascheln, dann ein Röcheln. War da nebenan jemand auf dem Klo eingeschlafen? Oder gar kollabiert? War ja nicht unwahrscheinlich bei all den ihre Erschöpfungsgrenzen ständig überschreitenden Alten.
„Hallo?“, fragte sie ängstlich. „Brauchen Sie Hilfe?“
Es war weiterhin nicht mehr als ein Röcheln zu hören. Sie riss eilig die Hose hoch, spülte instinktiv und trat vor die Tür der Nachbarkabine. Sie war nicht verschlossen. Fatalerweise ging die Toilettentür nach innen auf und die röchelnde Person schien am Boden zu liegen. Immer wieder drückte sie kraftvoll gegen die Tür, es war eine gewaltige, träge Masse, gegen die sie ankämpfte und ihre Kräfte waren begrenzt. Immer wieder schob sie, um die Lücke zwischen Tür und Rahmen auf ein Maß zu drücken, das es ihr erlaubte, sich hindurchzuzwängen und nach der offenbar hilflosen Person zu sehen. Der Schweiß lief ihr längst in Strömen den Rücken herunter und ihr Kopf fühlte sich fiebrig heiß an, als sie es endlich schaffte, in die Kabine zu gelangen.
Eine blutüberströmte Frau im reifen Alter lag da gekrümmt am Boden. Sie hatte eine klaffende Wunde am Hals, ihre Kleidung hatte sich vollgesaugt und trotzdem lag sie in einer hellroten Pfütze. Noch lebte sie, aber ein sehr blasses Dreieck um Kinn, Mund und Nase gab zu erkennen, dass es jeden Augenblick vorbei sein würde...
FORTSETZUNG FOLGT.
Jetzt sollte die Müdigkeit ihren Job machen, auch wenn die Füße schmerzten und irgendjemand ein paar Isomatten weiter leise schnarchte. Aber sie spürte, dass das dritte alkoholfreie Weizenbier, das sie zum Absacken im Nachtcafé getrunken hatte, seinen Tribut forderte.
Schon wieder über die endlosen Flure huschen, um sich erneut Erleichterung zu verschaffen? Vielleicht ging es ja bis zum Wecken. Waren ja nur noch ein paar Stunden. Sie versuchte, den unangenehmen Blasendruck zu verdrängen. Es ging nicht. Stöhnend schälte sie sich aus dem Schlafsack, schlüpfte in die Sandalen und machte sich auf den Weg.
Die Notbeleuchtung und die warmen Erdtöne der Fußbodenfliesen ließen sie fast vergessen, dass sie in einem Schulgebäude unterwegs war. Wie viel anders die Atmosphäre wohl an einem gewöhnlichen Vormittag war, wenn lärmende Schülerinnen und Schüler hier vor und nach dem Unterricht umher wuselten. Jetzt war es dämmrig, still und die warme Luft stand zwischen den Wänden wie Gallert.
Grell war dagegen das Licht im Toilettenraum, hier war die Stille weniger einschläfernd, wenn auch genauso wohltuend. Das war ja das Schöne am Kirchentag, dass man sich überall sicher und geborgen fühlte, selbst in der größten und wildesten Großstadt.
Das schützte sie allerdings nicht vor der obligatorischen Reiseobstipation. Ihr Bauch war so kugelrund wie in der 22. Schwangerschaftswoche, und obwohl sie den ganzen Tag fast nur Berge von Obst und Gemüse veschlang, behielt sie alles bei sich und fühlte sich wie ein zu fest aufgeblasener Mediziball, rund und schwer und kurz vorm Platzen. Sie würde die gegenwärtige Einsamkeit nutzen, um durch entspanntes und beharrliches Sitzen dem Stuhlgang eine Chance zu geben. Unter den gegebenen Umständen hatte sie keine Hemmungen, der Natur ihren Lauf zu lassen.
Etwas regte sich in der Kabine neben ihr. Erst ein Rascheln, dann ein Röcheln. War da nebenan jemand auf dem Klo eingeschlafen? Oder gar kollabiert? War ja nicht unwahrscheinlich bei all den ihre Erschöpfungsgrenzen ständig überschreitenden Alten.
„Hallo?“, fragte sie ängstlich. „Brauchen Sie Hilfe?“
Es war weiterhin nicht mehr als ein Röcheln zu hören. Sie riss eilig die Hose hoch, spülte instinktiv und trat vor die Tür der Nachbarkabine. Sie war nicht verschlossen. Fatalerweise ging die Toilettentür nach innen auf und die röchelnde Person schien am Boden zu liegen. Immer wieder drückte sie kraftvoll gegen die Tür, es war eine gewaltige, träge Masse, gegen die sie ankämpfte und ihre Kräfte waren begrenzt. Immer wieder schob sie, um die Lücke zwischen Tür und Rahmen auf ein Maß zu drücken, das es ihr erlaubte, sich hindurchzuzwängen und nach der offenbar hilflosen Person zu sehen. Der Schweiß lief ihr längst in Strömen den Rücken herunter und ihr Kopf fühlte sich fiebrig heiß an, als sie es endlich schaffte, in die Kabine zu gelangen.
Eine blutüberströmte Frau im reifen Alter lag da gekrümmt am Boden. Sie hatte eine klaffende Wunde am Hals, ihre Kleidung hatte sich vollgesaugt und trotzdem lag sie in einer hellroten Pfütze. Noch lebte sie, aber ein sehr blasses Dreieck um Kinn, Mund und Nase gab zu erkennen, dass es jeden Augenblick vorbei sein würde...
FORTSETZUNG FOLGT.
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