Freitag, 14. Juni 2019
Teufels Werk und Gottes Auftrag – ein Peter Margo Dreiteiler – Teil 2
In Harrys Bar saßen die gewohnten Gestalten, doch statt wie üblich mit ein bis zwei Islay-Scotch mein sirrendes Gehirn zu betäuben, bestellte ich mir einen erfrischenden Mojito und zwar einen alkoholfreien.
„Steigst du jetzt auf Kinder-Cocktails um?“, fragte Harry mit einem schiefen Grinsen.
„Ich brauche heute Abend einen klaren Kopf“, rechtfertigte ich mich, „und außerdem tut die eine oder andere Scotch-Pause meiner Leber auch ganz gut.“

An der Theke saß Struppi, der eigentlich Thorsten hieß, aber das hatten die meisten seiner Bekannten längst vergessen. Er blickte trübe in sein Bierglas und nahm hin und wieder einen Schluck.
„Und?“, fragte ich. „Wo hast du bei den letzten Wahlen dein Kreuz gemacht?“
„Hier, auf dem Deckel.“, antwortete er, ohne mich anzusehen.
„Du gehst nicht hin?“
„Nicht mehr.“
„Warum nicht?“
„Weil das Kapital regiert und die Politiker nur als Marionetten benutzt. Das will ich nicht auch noch mit meiner Stimme legitimieren.“
„Und was tust du stattdessen?“
„Trinken.“
„Verstehe.“

Struppi war fertig mit dieser Welt und es gab auch keine andere, mit der er hätte neu anfangen können. War auch ein blöder Ansatz, die Leute zu fragen, was sie gewählt hatten, darum ging es ja nicht. Gut, mich interessierten vorzugsweise die Ängste derer, die dem rechten Lager zusprachen, aber ob gerade die mir bereitwillig Auskunft gaben? Und ob die sich überhaupt in Harrys Bar verliefen?

„Was sind das eigentlich für Leute, die plötzlich die Rechtspopulisten wählen, als hätten sie all die Jahre auf diese Gelegenheit gewartet?“, murmelte ich vor mich hin.
„Und da fragst du mich, wo ich mein Kreuzchen gemacht habe?!“
Struppí sah mich wütend an. „Traust du mir so etwas entsetzlich Dummes zu? Meinst du, ich hab' mir die Birne jetzt komplett weggeballert?“
„Nein, natürlich nicht.“, entschuldigte ich mich. „Ich hab' nicht richtig nachgedacht.“
„Eben.“, schnaubte Struppi. „Sind doch diese akkuraten Vollblut-Rollrasen-Verleger mit den gestärkten Hemdkragen und den getrimmten Vollbärten, die immer allen erklären müssen, wie man es richtig macht. Die die Schnauze voll davon haben, dass nie jemand auf sie hört, obwohl sie doch längst für alles die Lösung haben. Und dann kommt ein blonder Björnd und verspricht feierlich, dass sie endlich ernstgenommen werden.“
„Und was ist mit dem abgehängten Präkariat?“, fragte ich.
„Die sind harmlos.“, erwiderte Struppi. „Nix im Kopf und nix im Ärmel. Die gehen beim nächsten Mal nicht hin oder wählen die Tierschutzpartei.“

Bei der Aussicht auf Recherchen im mittelständischen Bildungsverweigerungsmillieu brauchte ich doch noch einen Scotch als Absacker. Scheiß auf Hochsommer, scheiß auf Leberwerte, dachte ich. Anders halte ich das nicht aus.
Ich schlief schlecht in dieser Nacht, träumte wirres Zeug von zitternden Scheitelglatzen, die in randvollen Hosen mit dem Barttrimmer ihren Rollrasen gegen das Gesindel verteidigten. Das Gesindel waren Struppi und ich und Samir aus der schäbigen Dönerbude mit der ausgeblichenen Bosporus-Fototapete.
Ein fieses Bohren und Stechen im Oberbauch schrie nach Haferschleim und Kamillentee, aber für so etwas hatte ich keine Zeit. Ein starker Kaffee und eine einer jungfräulichen Packung entnommene Zigarette mussten vorerst reichen.
„Scheiß Auftraggeber!“, fluchte ich vor mich hin.
„Nanana.“, hörte ich eine blass klingende Stimme. „Diese Beschimpfung ist aber definitiv nicht gegendert.“
„Oh Gott!“, rief ich. „Wo soll ich denn nach diesen Rasierwasser-marinierten Vertikutierer-Fetischisten suchen?“
„Im Baumarkt.“, schlug Gott vor und materialisierte sich allmählich im Türrahmen.
„Und dann?“, fragte ich. „Frage ich, ob er irgendwelchen Rechtspopulisten seine Stimme geben würde und wenn ja, woher seine Übervorteilungsängste kommen?“
„Darauf muss ich nicht wirklich antworten, oder?“, fragte Gott.
„Nein, ich weiß selbst, dass das nicht funktioniert. Besser ich stelle eine unauffällige Fangfrage, um herauszufinden, ob jemand zur Zielgruppe gehört und dann muss ich das Gespräch irgendwie dahin lenken, die Person zu fragen, wann sie zum letzten Mal in ihrem Leben das Gefühl hatte, dass die Welt für sie in Ordnung ist.“
„Und dann?“, fragte Gott.
„Dann kann ich aus dem verlorenen Idyll, nach dem sie sich sehnt, Rückschlüsse über die Ursachen ziehen und was genau das Gefühl ausgelöst hat, die Sicherheit und Geborgenheit verloren zu haben.“
Ich wartete auf Antwort, aber Gottes Gestalt hatte sich bereits wieder aufgelöst. War das alle echt oder litt ich an Wahnvorstellungen? Ich lief ins Bad und zog meine Brieftasche aus der Brusttasche des gestrigen Oberhemdes. Der üppige Vorschuss ließ sie prall und deformiert erscheinen. Wahnvorstellungen zahlten keine Vorschüsse.

Fortsetzung folgt.

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Vorgestern war meine Welt in Ordnung. Da hatte ich aber brutal viel Tabs intus. Auch weil es am Glauben mangelt.

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Ich kann Ihnen gerade nicht ganz folgen. Sie waren vorgestern auf Tabs und im Lot, aber auch deshalb im Lot, weil Sie nicht an Gott glauben? Und heute sind Sie nicht mehr im Lot, wegen zu wenig Tabletten?

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Frau Fabry. Wenn sie sagen ich habe mich völlig undeutlich ausgedrückt wird es wohl so sein. Allerdings so wie sie dass jetzt wiedergebeben wird`s schon sehr semantisch. Ich habe doch nur ihren Text gelesen und bin proaktiv geworden. Sicherheit und Geborgenheit war auch Thema im Text. Die bekomme ich anscheinend nur durch Tabs. Als Kind habe ich die noch herbei gebetet.

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Ach so. Also gibt Ihre Nerventante auch keine Geborgenheit? Aber ist sicher auch schwierig bei der professionellen Distanz. Ich weiß auch nicht, wie Sie das lösen könnten, Sie erwähnen ja immer mal wieder, dass Sie sich mit Beziehungen schwer tun. Ich hoffe, Sie haben trotzdem einen schönen Sommertag.

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Muss ich schon wieder intervenieren. Doch meine Nerven Tante ist wie ein Fels in der Brandung. Einmal im Monat für eine Stunde. die gute Frau ist ja nicht meine lebensabschnittspartnerin. da kann man auch nichts mehr machen das ist wie es ist. Was was soll sie machen oder was soll ich machen. Was ich beschreibe ist ja das selbstverständnis was man hat. Ihren Protagonisten in dem Text scheint ja auch was verlustig gegangen zu sein. Ich beschreibe ja eine Bild wo alle gewissheiten verloren gegangen sind. Das kann doch jedem passieren oder nicht.

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Ja, das stimmt
Hing mir auch schon so.

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Sind wir wieder bei der ausgangssituation. Was haben sie dann gemacht als sie an so einem Punkt im Leben waren. Ich habe zu den taps gegriffen ehrlich gesagt. Eventuell haben sie halt im Glauben gefunden.

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Ach, wenn das so einfach wäre. Gott offenbart sich mir in der Regel in der Begegnung mit anderen Menschen, aber auch in kontemplativen Prozessen. Das geht aber nicht auf Knopfdruck, da ist man immer auf die Gnade angewiesen. Vielleicht habe ich ja auch nur religiöse Wahnvorstellungen und Gott existiert nicht. Wer kann das verlässlich wissen?

Lange Rede, kurzer Sinn: Geborgenheit erfahre ich durch Menschen, der Glaube allein würde auch nicht verhindern, dass ich eingehe wie eine Primel. Es heißt zwar: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, dass aus dem Munde Gottes geht.", aber ich entgegne: "Der Mensch lebt auch nicht von jahrtausendealten Worten allein, sondern von Berührungen - seelisch wie körperlich - von anderen Menschen.

Gelgentlich ist es auch wohltuender, Tiere zu streicheln oder im Wlad spazieren zu gehen ;-)

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In dieser Frage bin ich ganz bei ihnen wie man so schön sagt. ich mache in dieser Sache einen eklatanten Mangel aus denn ich auch nicht ausfüllen oder beheben kann. Ist was tiefenpsychologisches befürchte ich und natürlich auch eine soziale Frage. Die richtig tollen Weiber ganz ehrlich gesagt haben wir alle ihren Platz im Leben längst gefunden. Mit mir machen die ja nur noch über Bande eventuell in Kommentaren und solchen Dingen. Einmal im Jahr auch Kekse histaminfreie Kekse oder bei der Nerven tante eine Stunde im Monat. ich scheine in dieser Frage Beziehung Nähe und Wärme nicht sehr gut verdrahtet zu sein neurologisch. Das werden sie wohl besser hinbekommen haben in ihrem Leben davon gehe ich fest aus.

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Das war aber auch ein Glücksfall, der an ein Wunder grenzte. Ist mir regelrecht zugelaufen, das Exemplar ;-) und würde sich sicher nicht mit irgend jemand anderem wiederholen lassen.

Ansonsten leide ich bis heute unter großer Unsicherheit, wieviel Nähe zu mir meine Mitmenschen ertragen können und manchmal bin ich tief verletzt von Kleinigkeiten, die vermutlich einfach so, gendankenlos herausgehauen wurden. Dann zieht es mir den Boden unter den Füßen weg, zumal ich mir meine Mimosenhaftigkeit nicht anmerken lassen will, wer will schon mit Samthandschuhen angefasst werden, das macht doch keinen Spaß und dann gibt es ja auch die, die einen gern zum Opfer machen, wenn sie merken, dass sie ein leichts Spiel haben. Sie sehen, mein inneres Kind hat auch nicht alle Latten am Zaun. Aber ich gebe es regelmäßig im Småland ab, damit ich im Alltag funktioniere.

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Das ist nur menschlich allzu menschlich denke ich. Allerdings ist dies genau mein Thema über dass ich schreibe. Ich sitze doch nicht aufgelöst vor ihnen und Träne ihnen ihre handtasche voll. Nur kommt das nicht immer so gut an habe ich das Gefühl. Wir wollen ja alles souverän sein und optimiert und entsprechend geschätzt und geachtet und nicht auf unsicherem Grund dahin balancierend von einem Moment zum nächsten. Genau dieser Punkt den sie beschreiben ist im Grunde mein lebensthema. ich werde dann ihren Text weiter lesen und gucken wohin das führt.

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Ja, aber hin und wieder wäre einer zum Handtasche vollheulen auch ganz heilsam. Nur will man das Keinem zumuten.

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