Freitag, 11. Mai 2018
Romina und Julian - abschlossener Dorfkrimi
c. fabry, 11:57h
Sie war aufgewachsen in Kapulen, eine Katholenkapulette, wie sie drüben in Monta sagten. Monta war seit jeher evangelisch, genaugenommen seit 1520, als die Reformation das Dreihundert-Seelen-Dorf erreichte. Doch bis nach Kapulen waren Luthers Thesen nicht gekommen. Damals hatten die Nachbardörfer in zwei verschiedenen Fürstentümern gelegen und so war Kapulen katholisch geblieben.
„Wir laufen hier nicht durcheinander.“, hatte Oma Inge immer gesagt und Romina hatte nie gefragt, warum. So war es eben. Sie hatte nie jemanden aus Monta kennengelernt, die waren eben anders. Wenn sie morgens im Schulbus dazu gestiegen waren, hatten sie immer etwas Beängstigendes an sich gehabt. Die Jungen waren rüpelhafter, die Mädchen aufgedonnerter als in Kapulen. Das lag wohl am Protestantismus, meinten die Alten. Die Jungen schoben es auf die bessere Anbindung an die Kreisstadt mit ihren Verlockungen – dort gab es eine Disco und auch zwei bis drei Kneipen, in denen sich überwiegend Jugendliche trafen.
Doch dann, mit siebzehn, war sie auf diese Sommerfreizeit vom Stadtjugendring gefahren. Die Hälfte kam direkt aus der Stadt, die andere Hälfte aus den umliegenden Dörfern. Romina war die Einzige aus Kapulen gewesen und Julian der Einzige aus Monta. Sie hatten beide begriffen, dass sie längst in einer Welt lebten, in der es keine Rolle mehr spielte, ob jemand evangelisch oder katholisch war, dass es auch in Ordnung war, Buddhist oder Muslim zu sein, ja dass es sogar ging überhaupt keine Religion zu haben. Und aus welchem Dorf man stammte, war schon einmal gar nicht von Interesse.
Umso größer war der Schock gewesen, als sie mit ihrer neu erworbenen, freiheitlich-toleranten Gesinnung in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt waren und gemerkt hatten, dass sie selbst sich zwar bewegt hatten, die Menschen in ihren Dörfern aber keineswegs.
Sie wollten trotzdem nicht mehr ohneeinander, hatten sich verabredet, verliebt und schließlich verlobt.
„Eine Katholen-Kapulette?“, hatte Julians Mutter gewettert. „Da kannst du ja gleich ins Kloster gehen. Die lässt dich nur im Nachthemd ran. Mit dem Finger haben die damals auf mich gezeigt, weil ich vor der Hochzeit schwanger war. Und erst recht auf Rethemeiers Gisela, wo angeblich keiner wusste, wer der Vater war. Aber als sie sich im Wald aufgehängt hat, da stand im Abschiedsbrief, dass einer von den verkommenen Jungs aus Kapulen sie beim Maifest abgefüllt und mehr vergewaltigt als verführt hatte. Den haben sie nie dafür drangekriegt. Konnte man angeblich nicht beweisen. Konnte einfach beichten gehen und weitermachen. In dem Dorf ist alles an Schlechtigkeit versammelt, was der Satan sich ausgedacht hat. Lass die Finger, von dem Drecksluder, sonst steckt sie dich noch an!“
„Warum ausgerechnet so ein Dreckskerl aus Monta?“, hatte Rominas Vater gebrüllt. „Ich verbiete dir, dich weiter mit dem rumzutreiben, das sind alles gottlose Assoziale. Die haben bei ihren Vatertagsausflügen unsere Felder verwüstet und einmal sogar in der Osternacht ein Schaf auf der Weide geschlachtet, mit dem Spaten! Ein hochträchtiges Muttertier. Das Lamm war natürlich auch hin. Und weil die eigenen Kerle nichts taugten, stiegen die Mädels aus Monta unseren Burschen hinterher und wenn es ihnen dann leidtat, dass sie sie ran gelassen hatten, erzählten sie überall herum, die hätten sie belästigt. Einmal sollte ein Bursche sogar ein Mädchen vergewaltigt haben. Für so einen bist du viel zu schade und der kommt mir auch nicht ins Haus!“
Als schließlich beide mit eingeschlagenen Schädeln am Flussufer lagen, kam niemand zur Besinnung. Die aus Monta sagten, da hätten die Katholen-Kapulen wohl einen Ehrenmord begangen. Und die aus Kapulen meinten, die rechthaberischen Evangelen würden sogar ihre eigenen Leute töten, um ihren Willen durchzusetzen. Der unfähige leitende Ermittler der Mordkommission hielt gemeinschaftlichen Freitod für erwiesen.
Sie wurden getrennt bestattet, Romina und Julian und zwischen den Friedhöfen kniete ihr künftiger Trauzeuge und weinte und betete und beschloss fortzugehen und in ein Dorf zu ziehen, in dem es zwei Kirchtürme gab, einen katholischen und einen evangelischen und wo der Katholik gleich neben der Protestantin wohnte und wo bei der Maifeier der Protestant mit der Katholikin tanzte, wo es ökumenische Gottesdienste und Trauungen gab und wo man das Verbindende suchte und das Trennende stehen ließ wie eine besondere Pflanze oder eine eigenartige Skulptur, die alle sahen, aber an der sich niemand störte.
„Wir laufen hier nicht durcheinander.“, hatte Oma Inge immer gesagt und Romina hatte nie gefragt, warum. So war es eben. Sie hatte nie jemanden aus Monta kennengelernt, die waren eben anders. Wenn sie morgens im Schulbus dazu gestiegen waren, hatten sie immer etwas Beängstigendes an sich gehabt. Die Jungen waren rüpelhafter, die Mädchen aufgedonnerter als in Kapulen. Das lag wohl am Protestantismus, meinten die Alten. Die Jungen schoben es auf die bessere Anbindung an die Kreisstadt mit ihren Verlockungen – dort gab es eine Disco und auch zwei bis drei Kneipen, in denen sich überwiegend Jugendliche trafen.
Doch dann, mit siebzehn, war sie auf diese Sommerfreizeit vom Stadtjugendring gefahren. Die Hälfte kam direkt aus der Stadt, die andere Hälfte aus den umliegenden Dörfern. Romina war die Einzige aus Kapulen gewesen und Julian der Einzige aus Monta. Sie hatten beide begriffen, dass sie längst in einer Welt lebten, in der es keine Rolle mehr spielte, ob jemand evangelisch oder katholisch war, dass es auch in Ordnung war, Buddhist oder Muslim zu sein, ja dass es sogar ging überhaupt keine Religion zu haben. Und aus welchem Dorf man stammte, war schon einmal gar nicht von Interesse.
Umso größer war der Schock gewesen, als sie mit ihrer neu erworbenen, freiheitlich-toleranten Gesinnung in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt waren und gemerkt hatten, dass sie selbst sich zwar bewegt hatten, die Menschen in ihren Dörfern aber keineswegs.
Sie wollten trotzdem nicht mehr ohneeinander, hatten sich verabredet, verliebt und schließlich verlobt.
„Eine Katholen-Kapulette?“, hatte Julians Mutter gewettert. „Da kannst du ja gleich ins Kloster gehen. Die lässt dich nur im Nachthemd ran. Mit dem Finger haben die damals auf mich gezeigt, weil ich vor der Hochzeit schwanger war. Und erst recht auf Rethemeiers Gisela, wo angeblich keiner wusste, wer der Vater war. Aber als sie sich im Wald aufgehängt hat, da stand im Abschiedsbrief, dass einer von den verkommenen Jungs aus Kapulen sie beim Maifest abgefüllt und mehr vergewaltigt als verführt hatte. Den haben sie nie dafür drangekriegt. Konnte man angeblich nicht beweisen. Konnte einfach beichten gehen und weitermachen. In dem Dorf ist alles an Schlechtigkeit versammelt, was der Satan sich ausgedacht hat. Lass die Finger, von dem Drecksluder, sonst steckt sie dich noch an!“
„Warum ausgerechnet so ein Dreckskerl aus Monta?“, hatte Rominas Vater gebrüllt. „Ich verbiete dir, dich weiter mit dem rumzutreiben, das sind alles gottlose Assoziale. Die haben bei ihren Vatertagsausflügen unsere Felder verwüstet und einmal sogar in der Osternacht ein Schaf auf der Weide geschlachtet, mit dem Spaten! Ein hochträchtiges Muttertier. Das Lamm war natürlich auch hin. Und weil die eigenen Kerle nichts taugten, stiegen die Mädels aus Monta unseren Burschen hinterher und wenn es ihnen dann leidtat, dass sie sie ran gelassen hatten, erzählten sie überall herum, die hätten sie belästigt. Einmal sollte ein Bursche sogar ein Mädchen vergewaltigt haben. Für so einen bist du viel zu schade und der kommt mir auch nicht ins Haus!“
Als schließlich beide mit eingeschlagenen Schädeln am Flussufer lagen, kam niemand zur Besinnung. Die aus Monta sagten, da hätten die Katholen-Kapulen wohl einen Ehrenmord begangen. Und die aus Kapulen meinten, die rechthaberischen Evangelen würden sogar ihre eigenen Leute töten, um ihren Willen durchzusetzen. Der unfähige leitende Ermittler der Mordkommission hielt gemeinschaftlichen Freitod für erwiesen.
Sie wurden getrennt bestattet, Romina und Julian und zwischen den Friedhöfen kniete ihr künftiger Trauzeuge und weinte und betete und beschloss fortzugehen und in ein Dorf zu ziehen, in dem es zwei Kirchtürme gab, einen katholischen und einen evangelischen und wo der Katholik gleich neben der Protestantin wohnte und wo bei der Maifeier der Protestant mit der Katholikin tanzte, wo es ökumenische Gottesdienste und Trauungen gab und wo man das Verbindende suchte und das Trennende stehen ließ wie eine besondere Pflanze oder eine eigenartige Skulptur, die alle sahen, aber an der sich niemand störte.
... comment
birgitdiestarke,
Samstag, 12. Mai 2018, 23:34
Das gefiel mir extra gut!
Man denkt immer, das ist vorbei, aber mitnichten ... es ist immer noch hochaktuell!
... link
c. fabry,
Sonntag, 13. Mai 2018, 17:59
Danke, vielmals!
Ja, nichts ist vorbei, wobei der krasse Krieg zwischen Evangelen und Katholen eigentlich stellvertretend für änliche Konflikte steht. ich wüsste nicht, wo es tatsächlich noch so zugeht wie im 30-jährigen Krieg ;-)
... link
al bern,
Sonntag, 20. Mai 2018, 12:58
In Irland.
Aber Selbstmord durch eingeschlagene Schädel find ich gut.
Aber Selbstmord durch eingeschlagene Schädel find ich gut.
... link
c. fabry,
Sonntag, 20. Mai 2018, 15:28
Aber in Irland ist das das auch nicht mehr so daily terror wie beispielsweise noch in den 80ern.
... link
... comment