Freitag, 7. Oktober 2016
1983 – Kurzkrimi, Teil I – zum Raten und Weiterspinnen
c. fabry, 15:53h
Noch gestern hatte das schwer verletzte Mädchen an der Herz-Lungen-Maschine gehangen, nun war sie endlich erwacht und atmete wieder selbstständig. Gabi Schulze war sechzehn Jahre alt und auf einer Landstraße zwischen zwei Dörfern lebensgefährlich verletzt aufgefunden worden. Sechs Wochen war das inzwischen her, und die Blätter begannen sich gelb zu färben und von den Bäumen zu segeln.
Ein junger Mann saß an ihrem Bett. Sie kannte ihn nicht und sah verwirrt in sein Gesicht. „Können Sie mich verstehen, Fräulein Schulze?“, fragte er die Patientin.
„Ja“, antwortete sie heiser und äußerst leise. „Aber wer sind Sie?“
„Mein Name ist Stefan Keller. Ich arbeite für die Kriminalpolizei.“
Was er ihr nicht verriet, war die Tatsache, dass er nicht etwa als leitender Ermittler unterwegs war, sondern als Praktikant bei der Kripo, er steckte noch mitten in der Ausbildung zum Kriminalkommissar.
Er erklärte weiter: „Ich möchte Sie befragen, um herauszufinden, was eigentlich passiert ist, also wie sie in diese Lage geraten sind.“
„Das weiß ich selbst nicht.“, erwiderte das Mädchen. „Ich glaube, ein Auto hat mich angefahren. Irgendetwas hat mich vom Rad gerissen und dann habe ich nur noch Reifen gesehen, die haarscharf an meinem Kopf vorbei gerauscht sind. Ich dachte noch, jetzt bist du gleich tot und dann wurde es ja auch schon dunkel.“
„Wissen Sie noch, was Sie vorher gemacht haben?“
„Ich war im Gemeindehaus. Beim Jugendkreis.“
„War da irgendjemand mit dem Auto?“
„Nein, da kommen alle mit dem Fahrrad oder werden von ihren Eltern mit dem Auto abgeholt.
„Dann wären Sie aber kaum allein unterwegs gewesen oder jemand von den Eltern wäre mit dem Auto an Ihnen vorbei gefahren.“
„Nein, die waren ja alle schon weg. Ich bin etwas länger geblieben.“
„Warum?“
„Weiß ich nicht mehr. Ich habe noch mit irgendwem geredet.“
Der Arzt betrat das Krankenbett und bat den Polizeibeamten zu gehen. Es sei genug für heute, die Patientin brauche Ruhe.
Stefan Keller suchte Gabi Schulzes Elternhaus auf. Frau Schulze öffnete ihm die Tür. Sie sah müde aus, aber einigermaßen entspannt, weil ihre Tochter auf dem Weg der Besserung war und die Ärzte ihr zugesichert hatten, dass sie keine bleibenden Schäden zurückbehalten würde.
„Haben Sie irgendeine Idee, Frau Schulze, wer ihre Tochter vorsätzlich angefahren haben könnte?“, fragte Stefan Keller.
„Um Gottes Willen, nein.“ Antwortete die. Gabriela ist ein ganz normales Mädchen, das zur Schule geht, ein paar Freundinnen hat und ehrenamtlich in der Gemeinde mitarbeitet, wer sollte ihr etwas antun wollen? Das muss ein Unfall gewesen sein oder jemand, der völlig wahnsinnig ist.“
„Also ist sie das berühmte unbescholtene Mädchen, das nichts und niemanden gegen sich aufbringt?“
„Wieso fragen Sie das?“
„Weil ich den Eindruck habe, dass es hier vielleicht doch ein Geheimnis gibt, mit dem alle hinterm Berg halten, warum auch immer. Vielleicht sind Sie um den Ruf Ihrer Tochter besorgt, aber bedenken Sie bitte, wenn es ein Mordversuch war, könnte der Täter auch ein zweites Mal zuschlagen und dann Erfolg haben.“
„Nun ja, in der Gemeinde wird zum Teil schon über Gabriela geredet, aber das ist alles Blödsinn. Ich singe ja im Kirchenchor und Edeltraut Bonhörster, die hat mich schon mehrmals angesprochen, dass die Leute in der Gemeinde sich wundern, dass Gabriela keinen Gottesdienst auslässt und so oft im Gemeindehaus zu tun hat. Niemand in ihrem Alter tut das, aber das ist eben, weil die Kirche ihr Leben ist, sie will auch später einmal Pfarrerin werden, früh übt sich, was ein Meister werden will. Aber meine Mitsängerinnen im Kirchenchor und einige aus dem Presbyterium meinen wohl, Gabriela hätte da andere Interessen, die vor allem im Pfarrhaus lägen.“
„Was meinen Sie damit?“
„Ich meine damit, dass die Leute ihr unterstellen, sie mache dem Pfarrer den Hof.“
„Und was denken Sie darüber?“
„Das ist natürlich vollkommener Unsinn! Pastor Berger macht sich doch nicht an Minderjährige heran und meine Tochter schwärmt für irgendwelche Schauspieler und nicht für so einen soliden Mittvierziger. Aber von den Frauen aus dem Chor haben, glaube ich, so einige ein Auge auf ihn geworfen. Sie würden sich natürlich nie blamieren, indem sie versuchen würden, ihn zu bezirzen, sie wissen dass sich das nicht gehört und dass sie auch keine Chance hätten. Aber dann soll so ein sechzehnjähriges Mädchen sich das gefälligst auch nicht erlauben. Und das ärgert sie am meisten, dass die Sechzehnjährige ihn vielleicht rumkriegen würde. Das ist natürlich Quatsch, aber diese Waschweiber sind so eifersüchtig, da geht in den Köpfen so einiges durcheinander. Am schlimmsten ist Hannelore Albrecht. Die sagt mir ja nichts, dafür ist sie sich viel zu fein, aber die guckt mich an, als käme ich aus der Gosse und hinter meinem Rücken spricht sie schlecht über meine Tochter, dabei ist sie selber ganz wild auf den Berger, nur deshalb sitzt sie ja auch im Bibelkreis.“
„Wer ist Hannelore Albrecht?“
„Ach, die wohnt ganz in der Nähe des Gemeindehauses. Ist ganz aktiv in der CDU. Ihr Mann ist Ingenieur und sie ist Hausfrau und neben der Politik geht sie eben noch zum Bibelkreis und sitzt seit Neuestem auch im Presbyterium.“
„Und wer hat Sie noch einmal auf das Gerede angesprochen?“
„Edeltraut Bonhörster. Die singt mit mir im Chor und sitzt auch im Presbyterium und ihre Tochter Tanja, geht mit Gabriela zur Schule. Aber die glaubt das alles nicht, die hat mir nur von dem Gerede erzählt.“
Viel mehr war aus Gabrielas Mutter nicht herauszubekommen und Keller entschloss sich, die weniger tratschsüchtige Presbyterin aufzusuchen.
Eldeltraut Bonhörster bestätigte die Existenz der Gerüchte und erklärte: „Meine Tochter meint ja, dass Gabriela sich wohl für einen anderen gestandenen Mann interessiert als für den Pfarrer. Zuerst wollte sie nichts sagen und erklärte, sie hätte sich schon genug verplappert, aber dann habe ich ihr klar gemacht, dass es auch in Gabrielas Interesse ist, Licht in das Dunkel zu bringen. Das Mädchen hat sich wohl unsterblich in ihren Geschichts- und Religionslehrer verliebt. Der wohnt auch hier und ist sehr engagiert in der Gemeinde. Meine Tochter sagt, es gebe Hinweise, dass er einem kleinen Techtelmechtel gegenüber nicht abgeneigt sei, aber ich weiß nichts, das sind alles nur Mutmaßungen. Und selbst wenn, dann könnte ich mir nicht vorstellen dass jemand sie deshalb umzubringen versucht, weder seine Frau, die nie ernsthaft eifersüchtig auf ein junges Mädchen wäre, noch er selbst, um einen Fehltritt zu vertuschen.“
„Wie heißt der Lehrer?“
„Michael Müller. Er wohnt ganz in der Nähe des Gemeindehauses. Ich kann Ihnen Adresse und Telefonnummer aufschreiben.“
Bei Familie Müller traf Keller niemanden an, stellte aber fest, dass Familie Albrecht direkt nebenan wohnte. Warum nicht einmal mit der missgünstigen Presbyterin plaudern?
Ein junges Mädchen beziehungsweise eine sehr junge Frau öffnete ihm die Tür. Eine schlanke, sportliche Erscheinung, hochwertig gekleidet mit einem betont ernsthaften, ein wenig mürrischen Gesichtsausdruck.
„Ich hätte gern Frau Hannelore Albrecht gesprochen. Mein Name ist Stefan Keller und ich bin von der Kriminalpolizei.“
„Meine Mutter ist gerade nicht zu Hause.“, erwiderte die junge Frau so langsam und gelangweilt, dass Keller befürchtete, sie würde gleich im Stehen einschlafen.
„Aber wenn Sie die Tochter sind, können Sie mir vielleicht weiterhelfen. Haben Sie etwas beobachtet oder bemerkt im Zusammenhang mit Gabriela Schulzes Unfall, der sich vor sechs Wochen ereignet hat?“
„Darüber weiß ich nichts.“, erwiderte das Mädchen. „Sie war genau wie ich beim Jugendkreis und ist erst nach mir nach Hause gefahren.“
„Verraten Sie mir Ihren Namen?“
„Klara Albrecht.“
„Und sie kennen Gabriela Schulze nur vom Jugendkreis?“
„Ja, sie ist Teilnehmerin seit ungefähr zwei Jahren. Und ich leite den Kreis, habe ich damals vom Jugendwart übernommen, als es noch einen gab. Jetzt gibt die Kirche dafür ja kein Geld mehr aus und wir Ehrenamtlichen müssen alles allein machen.“
„Was wissen Sie über Gabi Schulze?“
„Sie kommt halt einmal die Woche. Im Kindergottesdienst-Helferkreis ist sie auch noch. Das habe ich auch mal gemacht, aber jetzt, wo es aufs Abi zugeht, habe ich damit aufgehört. Gabi ist ein bisschen übereifrig. Sie will überall mitmischen, ist aber eigentlich noch lange nicht so weit.“
„Warum, glauben Sie, will sie überall mitmischen?“
„Meine Mutter meint ja, dass sie sich für Pastor Berger interessiert, weil der auch immer so ein Gewese um sie macht, aber ich glaube, das tut er nur, weil er ihre Tante so gut kennt. Gabi hat wirklich gar nichts drauf. Sie würde, glaube ich, gern den Jugendkreis übernehmen, spätestens, wenn ich Abi gemacht habe und zum Studium wegziehe. Aber ich sehe das nicht, weder theologisch noch pädagogisch. Andererseits ist Herr Berger froh, wenn er ein dummes Huhn findet, das den Kreis leitet und zwar so, wie er sich das vorstellt. Ich habe mich ja öfter mit ihm angelegt, da ist ihm so ein treudoofes Mäuschen natürlich lieber.“
„Haben Sie schon einen Führerschein, Fräulein Albrecht?“
„Nein, ich bin noch dabei. Warum fragen Sie?“
„Reine Routine.“
„Und übrigens sagt man nicht mehr Fräulein. Man nennt unverheiratete Männer ja auch nicht Herrlein.“
„Entschuldigen Sie bitte, aber um Sie mit Frau Albrecht anzusprechen, dafür erscheinen Sie mir noch reichlich jung. Wann kommt ihre Mutter zurück?“
„Das weiß ich nicht.“
„Dann komme ich später noch einmal vorbei.“
Mittlerweile stand bei Familie Müller ein schwarzer Taunus vor der Tür. Keller klingelte erneut an der Haustür und ein schlanker, gut angezogener Mittdreißiger öffnete ihm, Michael Müller, der Lehrer. Keller stellte sich vor und kam sofort zur Sache: Ob er Gabi Schulze an besagtem Unfalltag gesehen habe.
„Ja, sie war direkt davor hier bei mir, nach dem Jugendkreis. Sie hat mir den Gemeindehausschlüssel zurück gebracht. Ich habe einen und sie leiht ihn sich manchmal, wenn sie schon ins Haus will und Klara Albrecht noch nicht da ist, zum Beispiel.“
„Hat sie nur den Schlüssel abgegeben oder ist sie zu Ihnen ins Haus gekommen?“
„Sie bat darum, kurz hereinkommen zu dürfen, sie wollte mich sprechen.“
„Worum ging es?“
„So eine Art theologisches Problem. Sie war wohl mit Klara aneinandergeraten. Klara ist eine sehr entschiedene Christin, sie glaubt, dass Menschen, die sich nicht zum Evangelium bekennen, in der ewigen Verdammnis landen. Gabriela ist da sehr viel liberaler, sie glaubt, dass es auf die guten Absichten und Taten ankommt und ich glaube, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Ich hatte aber kein Interesse, zwei Stunden darüber zu diskutieren. Als mir klar wurde, dass sie kein dringendes persönliches Problem hatte, habe ich die Diskussion abgebrochen und sie gebeten zu gehen, weil wir ja schließlich beide am nächsten Morgen zur Schule mussten.“
Keller wurde hellhörig. „Vermuten Sie ein tieferliegendes Motiv für ihre Bitte um ein Gespräch? War das theologische Thema möglicherweise nur ein Vorwand?“
„Ich weiß nicht was Sie meinen.“
„Vielleicht hatte das Mädchen weitergehende Absichten. Es kommt doch gelegentlich vor, dass Schülerinnen sich in ihren Lehrer verlieben. Vielleicht hat sie einfach ihre Nähe gesucht und war dann verständlicherweise verletzt, als sie sie so kurz angebunden abgefertigt haben.“
Müller blickte nachdenklich und betroffen drein. „Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Ich denke, Gabriela ist einfach ein Mädchen, dass sich für religiöse Themen interessiert. Sie ist kirchlich sozialisiert, die Gemeinde ist ihre Heimat, da fühlt sie sich aufgehoben. Sie ist sehr sensibel und gefühlsbetont, also in spiritueller Hinsicht. Ich glaube junge Männer sind noch kein Thema für sie.“
„Na, wenn Sie sich da mal nicht irren.“, sagte Keller, verabschiedete sich und ließ einen grübelnden Michael Müller zurück.
ENDE TEIL I – TEIL II FOLGT AM 14.10.2016
Who done ist? Was glaubt Ihr liebe Leserinnen und Leser? Ratet doch mal und schreibt mir Eure Prognosen.
Ein junger Mann saß an ihrem Bett. Sie kannte ihn nicht und sah verwirrt in sein Gesicht. „Können Sie mich verstehen, Fräulein Schulze?“, fragte er die Patientin.
„Ja“, antwortete sie heiser und äußerst leise. „Aber wer sind Sie?“
„Mein Name ist Stefan Keller. Ich arbeite für die Kriminalpolizei.“
Was er ihr nicht verriet, war die Tatsache, dass er nicht etwa als leitender Ermittler unterwegs war, sondern als Praktikant bei der Kripo, er steckte noch mitten in der Ausbildung zum Kriminalkommissar.
Er erklärte weiter: „Ich möchte Sie befragen, um herauszufinden, was eigentlich passiert ist, also wie sie in diese Lage geraten sind.“
„Das weiß ich selbst nicht.“, erwiderte das Mädchen. „Ich glaube, ein Auto hat mich angefahren. Irgendetwas hat mich vom Rad gerissen und dann habe ich nur noch Reifen gesehen, die haarscharf an meinem Kopf vorbei gerauscht sind. Ich dachte noch, jetzt bist du gleich tot und dann wurde es ja auch schon dunkel.“
„Wissen Sie noch, was Sie vorher gemacht haben?“
„Ich war im Gemeindehaus. Beim Jugendkreis.“
„War da irgendjemand mit dem Auto?“
„Nein, da kommen alle mit dem Fahrrad oder werden von ihren Eltern mit dem Auto abgeholt.
„Dann wären Sie aber kaum allein unterwegs gewesen oder jemand von den Eltern wäre mit dem Auto an Ihnen vorbei gefahren.“
„Nein, die waren ja alle schon weg. Ich bin etwas länger geblieben.“
„Warum?“
„Weiß ich nicht mehr. Ich habe noch mit irgendwem geredet.“
Der Arzt betrat das Krankenbett und bat den Polizeibeamten zu gehen. Es sei genug für heute, die Patientin brauche Ruhe.
Stefan Keller suchte Gabi Schulzes Elternhaus auf. Frau Schulze öffnete ihm die Tür. Sie sah müde aus, aber einigermaßen entspannt, weil ihre Tochter auf dem Weg der Besserung war und die Ärzte ihr zugesichert hatten, dass sie keine bleibenden Schäden zurückbehalten würde.
„Haben Sie irgendeine Idee, Frau Schulze, wer ihre Tochter vorsätzlich angefahren haben könnte?“, fragte Stefan Keller.
„Um Gottes Willen, nein.“ Antwortete die. Gabriela ist ein ganz normales Mädchen, das zur Schule geht, ein paar Freundinnen hat und ehrenamtlich in der Gemeinde mitarbeitet, wer sollte ihr etwas antun wollen? Das muss ein Unfall gewesen sein oder jemand, der völlig wahnsinnig ist.“
„Also ist sie das berühmte unbescholtene Mädchen, das nichts und niemanden gegen sich aufbringt?“
„Wieso fragen Sie das?“
„Weil ich den Eindruck habe, dass es hier vielleicht doch ein Geheimnis gibt, mit dem alle hinterm Berg halten, warum auch immer. Vielleicht sind Sie um den Ruf Ihrer Tochter besorgt, aber bedenken Sie bitte, wenn es ein Mordversuch war, könnte der Täter auch ein zweites Mal zuschlagen und dann Erfolg haben.“
„Nun ja, in der Gemeinde wird zum Teil schon über Gabriela geredet, aber das ist alles Blödsinn. Ich singe ja im Kirchenchor und Edeltraut Bonhörster, die hat mich schon mehrmals angesprochen, dass die Leute in der Gemeinde sich wundern, dass Gabriela keinen Gottesdienst auslässt und so oft im Gemeindehaus zu tun hat. Niemand in ihrem Alter tut das, aber das ist eben, weil die Kirche ihr Leben ist, sie will auch später einmal Pfarrerin werden, früh übt sich, was ein Meister werden will. Aber meine Mitsängerinnen im Kirchenchor und einige aus dem Presbyterium meinen wohl, Gabriela hätte da andere Interessen, die vor allem im Pfarrhaus lägen.“
„Was meinen Sie damit?“
„Ich meine damit, dass die Leute ihr unterstellen, sie mache dem Pfarrer den Hof.“
„Und was denken Sie darüber?“
„Das ist natürlich vollkommener Unsinn! Pastor Berger macht sich doch nicht an Minderjährige heran und meine Tochter schwärmt für irgendwelche Schauspieler und nicht für so einen soliden Mittvierziger. Aber von den Frauen aus dem Chor haben, glaube ich, so einige ein Auge auf ihn geworfen. Sie würden sich natürlich nie blamieren, indem sie versuchen würden, ihn zu bezirzen, sie wissen dass sich das nicht gehört und dass sie auch keine Chance hätten. Aber dann soll so ein sechzehnjähriges Mädchen sich das gefälligst auch nicht erlauben. Und das ärgert sie am meisten, dass die Sechzehnjährige ihn vielleicht rumkriegen würde. Das ist natürlich Quatsch, aber diese Waschweiber sind so eifersüchtig, da geht in den Köpfen so einiges durcheinander. Am schlimmsten ist Hannelore Albrecht. Die sagt mir ja nichts, dafür ist sie sich viel zu fein, aber die guckt mich an, als käme ich aus der Gosse und hinter meinem Rücken spricht sie schlecht über meine Tochter, dabei ist sie selber ganz wild auf den Berger, nur deshalb sitzt sie ja auch im Bibelkreis.“
„Wer ist Hannelore Albrecht?“
„Ach, die wohnt ganz in der Nähe des Gemeindehauses. Ist ganz aktiv in der CDU. Ihr Mann ist Ingenieur und sie ist Hausfrau und neben der Politik geht sie eben noch zum Bibelkreis und sitzt seit Neuestem auch im Presbyterium.“
„Und wer hat Sie noch einmal auf das Gerede angesprochen?“
„Edeltraut Bonhörster. Die singt mit mir im Chor und sitzt auch im Presbyterium und ihre Tochter Tanja, geht mit Gabriela zur Schule. Aber die glaubt das alles nicht, die hat mir nur von dem Gerede erzählt.“
Viel mehr war aus Gabrielas Mutter nicht herauszubekommen und Keller entschloss sich, die weniger tratschsüchtige Presbyterin aufzusuchen.
Eldeltraut Bonhörster bestätigte die Existenz der Gerüchte und erklärte: „Meine Tochter meint ja, dass Gabriela sich wohl für einen anderen gestandenen Mann interessiert als für den Pfarrer. Zuerst wollte sie nichts sagen und erklärte, sie hätte sich schon genug verplappert, aber dann habe ich ihr klar gemacht, dass es auch in Gabrielas Interesse ist, Licht in das Dunkel zu bringen. Das Mädchen hat sich wohl unsterblich in ihren Geschichts- und Religionslehrer verliebt. Der wohnt auch hier und ist sehr engagiert in der Gemeinde. Meine Tochter sagt, es gebe Hinweise, dass er einem kleinen Techtelmechtel gegenüber nicht abgeneigt sei, aber ich weiß nichts, das sind alles nur Mutmaßungen. Und selbst wenn, dann könnte ich mir nicht vorstellen dass jemand sie deshalb umzubringen versucht, weder seine Frau, die nie ernsthaft eifersüchtig auf ein junges Mädchen wäre, noch er selbst, um einen Fehltritt zu vertuschen.“
„Wie heißt der Lehrer?“
„Michael Müller. Er wohnt ganz in der Nähe des Gemeindehauses. Ich kann Ihnen Adresse und Telefonnummer aufschreiben.“
Bei Familie Müller traf Keller niemanden an, stellte aber fest, dass Familie Albrecht direkt nebenan wohnte. Warum nicht einmal mit der missgünstigen Presbyterin plaudern?
Ein junges Mädchen beziehungsweise eine sehr junge Frau öffnete ihm die Tür. Eine schlanke, sportliche Erscheinung, hochwertig gekleidet mit einem betont ernsthaften, ein wenig mürrischen Gesichtsausdruck.
„Ich hätte gern Frau Hannelore Albrecht gesprochen. Mein Name ist Stefan Keller und ich bin von der Kriminalpolizei.“
„Meine Mutter ist gerade nicht zu Hause.“, erwiderte die junge Frau so langsam und gelangweilt, dass Keller befürchtete, sie würde gleich im Stehen einschlafen.
„Aber wenn Sie die Tochter sind, können Sie mir vielleicht weiterhelfen. Haben Sie etwas beobachtet oder bemerkt im Zusammenhang mit Gabriela Schulzes Unfall, der sich vor sechs Wochen ereignet hat?“
„Darüber weiß ich nichts.“, erwiderte das Mädchen. „Sie war genau wie ich beim Jugendkreis und ist erst nach mir nach Hause gefahren.“
„Verraten Sie mir Ihren Namen?“
„Klara Albrecht.“
„Und sie kennen Gabriela Schulze nur vom Jugendkreis?“
„Ja, sie ist Teilnehmerin seit ungefähr zwei Jahren. Und ich leite den Kreis, habe ich damals vom Jugendwart übernommen, als es noch einen gab. Jetzt gibt die Kirche dafür ja kein Geld mehr aus und wir Ehrenamtlichen müssen alles allein machen.“
„Was wissen Sie über Gabi Schulze?“
„Sie kommt halt einmal die Woche. Im Kindergottesdienst-Helferkreis ist sie auch noch. Das habe ich auch mal gemacht, aber jetzt, wo es aufs Abi zugeht, habe ich damit aufgehört. Gabi ist ein bisschen übereifrig. Sie will überall mitmischen, ist aber eigentlich noch lange nicht so weit.“
„Warum, glauben Sie, will sie überall mitmischen?“
„Meine Mutter meint ja, dass sie sich für Pastor Berger interessiert, weil der auch immer so ein Gewese um sie macht, aber ich glaube, das tut er nur, weil er ihre Tante so gut kennt. Gabi hat wirklich gar nichts drauf. Sie würde, glaube ich, gern den Jugendkreis übernehmen, spätestens, wenn ich Abi gemacht habe und zum Studium wegziehe. Aber ich sehe das nicht, weder theologisch noch pädagogisch. Andererseits ist Herr Berger froh, wenn er ein dummes Huhn findet, das den Kreis leitet und zwar so, wie er sich das vorstellt. Ich habe mich ja öfter mit ihm angelegt, da ist ihm so ein treudoofes Mäuschen natürlich lieber.“
„Haben Sie schon einen Führerschein, Fräulein Albrecht?“
„Nein, ich bin noch dabei. Warum fragen Sie?“
„Reine Routine.“
„Und übrigens sagt man nicht mehr Fräulein. Man nennt unverheiratete Männer ja auch nicht Herrlein.“
„Entschuldigen Sie bitte, aber um Sie mit Frau Albrecht anzusprechen, dafür erscheinen Sie mir noch reichlich jung. Wann kommt ihre Mutter zurück?“
„Das weiß ich nicht.“
„Dann komme ich später noch einmal vorbei.“
Mittlerweile stand bei Familie Müller ein schwarzer Taunus vor der Tür. Keller klingelte erneut an der Haustür und ein schlanker, gut angezogener Mittdreißiger öffnete ihm, Michael Müller, der Lehrer. Keller stellte sich vor und kam sofort zur Sache: Ob er Gabi Schulze an besagtem Unfalltag gesehen habe.
„Ja, sie war direkt davor hier bei mir, nach dem Jugendkreis. Sie hat mir den Gemeindehausschlüssel zurück gebracht. Ich habe einen und sie leiht ihn sich manchmal, wenn sie schon ins Haus will und Klara Albrecht noch nicht da ist, zum Beispiel.“
„Hat sie nur den Schlüssel abgegeben oder ist sie zu Ihnen ins Haus gekommen?“
„Sie bat darum, kurz hereinkommen zu dürfen, sie wollte mich sprechen.“
„Worum ging es?“
„So eine Art theologisches Problem. Sie war wohl mit Klara aneinandergeraten. Klara ist eine sehr entschiedene Christin, sie glaubt, dass Menschen, die sich nicht zum Evangelium bekennen, in der ewigen Verdammnis landen. Gabriela ist da sehr viel liberaler, sie glaubt, dass es auf die guten Absichten und Taten ankommt und ich glaube, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Ich hatte aber kein Interesse, zwei Stunden darüber zu diskutieren. Als mir klar wurde, dass sie kein dringendes persönliches Problem hatte, habe ich die Diskussion abgebrochen und sie gebeten zu gehen, weil wir ja schließlich beide am nächsten Morgen zur Schule mussten.“
Keller wurde hellhörig. „Vermuten Sie ein tieferliegendes Motiv für ihre Bitte um ein Gespräch? War das theologische Thema möglicherweise nur ein Vorwand?“
„Ich weiß nicht was Sie meinen.“
„Vielleicht hatte das Mädchen weitergehende Absichten. Es kommt doch gelegentlich vor, dass Schülerinnen sich in ihren Lehrer verlieben. Vielleicht hat sie einfach ihre Nähe gesucht und war dann verständlicherweise verletzt, als sie sie so kurz angebunden abgefertigt haben.“
Müller blickte nachdenklich und betroffen drein. „Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Ich denke, Gabriela ist einfach ein Mädchen, dass sich für religiöse Themen interessiert. Sie ist kirchlich sozialisiert, die Gemeinde ist ihre Heimat, da fühlt sie sich aufgehoben. Sie ist sehr sensibel und gefühlsbetont, also in spiritueller Hinsicht. Ich glaube junge Männer sind noch kein Thema für sie.“
„Na, wenn Sie sich da mal nicht irren.“, sagte Keller, verabschiedete sich und ließ einen grübelnden Michael Müller zurück.
ENDE TEIL I – TEIL II FOLGT AM 14.10.2016
Who done ist? Was glaubt Ihr liebe Leserinnen und Leser? Ratet doch mal und schreibt mir Eure Prognosen.
... comment
dreadpan,
Freitag, 7. Oktober 2016, 17:06
Es war Pastor Berger
Gabi hatte durch einen Zufall herausgefunden, das Gott tot ist, und diese Erkenntnis hatte sie tief erschüttert. Sie suchte Rat und Trost beim Pastor, doch der sorgte sich mehr darum, was das allgemeine Bekanntwerden der schrecklichen Nachricht in der Gemeinde und darüber hinaus anrichten könne und fuhr sie über den Haufen. Bin mal gespannt, ob er seine, sicher gut gemeinte, böse Tat vollenden wird, oder ob man ihm auf die Schliche kommt!
... link
c. fabry,
Samstag, 8. Oktober 2016, 13:07
Interessante Wendung!
Danke für Deinen kreativen Tipp. Wie findet man zufällig heraus, dass Gott tot ist? Aber wenn so etwas natürlich die Runde macht, ist der Pfarrer bald arbeitslos.
... link
dreadpan,
Samstag, 8. Oktober 2016, 13:50
Ja ebent, das will er ja nicht, ohne Job dastehen...
...wobei fairerweise gesagt sein Hauptmotiv ein altruistisches ist, denn er denkt mehr an die verheerenden psychosozialen Auswirkungen solch einer unfrohen Botschaft auf seine Schäfchen.
Der Zufall, der Gabi die Erleuchtung brachte, könnte ein Unfall in der Bibliothek gewesen sein, wo ihr ein schweres Regal mit einer kommentierten Nietzsche-Gesamtausgabe auf den Kopf gefallen ist, der ihr ein Nah-Todes-Erlebnis verschaffte, in der sie in einer unendlichen langen Schlange steht, wo alle Seelen, die seit dem Dahinscheiden Jehovas selbst dahingeschieden sind, warten müssen, bis sich die Nachlassverwalter des Herrn über das Prozedere bei der Bearbeitung der Afterlife-Asyl-Anträge irgendwann mal geeinigt haben werden.
Der Zufall, der Gabi die Erleuchtung brachte, könnte ein Unfall in der Bibliothek gewesen sein, wo ihr ein schweres Regal mit einer kommentierten Nietzsche-Gesamtausgabe auf den Kopf gefallen ist, der ihr ein Nah-Todes-Erlebnis verschaffte, in der sie in einer unendlichen langen Schlange steht, wo alle Seelen, die seit dem Dahinscheiden Jehovas selbst dahingeschieden sind, warten müssen, bis sich die Nachlassverwalter des Herrn über das Prozedere bei der Bearbeitung der Afterlife-Asyl-Anträge irgendwann mal geeinigt haben werden.
... link
birgitdiestarke,
Samstag, 8. Oktober 2016, 16:47
Hehe, gefällt mir!
Soviel Fantasie habe ich allerdings nicht.
Ich tippe mehr auf Mutter Albrecht, die eifersüchtige, die glaubt, dass Gabilein hinter dem Pastor her ist. Tochter Albrecht schliesse ich aus, die ist so von sich selbst überzeugt, dass sie Gabi gar nicht als Konkurrenz ansieht. Und der Lehrer scheint ehrlich ahnungslos zu sein, womit ich auch seine Frau ausschliessen würde.
Ich tippe mehr auf Mutter Albrecht, die eifersüchtige, die glaubt, dass Gabilein hinter dem Pastor her ist. Tochter Albrecht schliesse ich aus, die ist so von sich selbst überzeugt, dass sie Gabi gar nicht als Konkurrenz ansieht. Und der Lehrer scheint ehrlich ahnungslos zu sein, womit ich auch seine Frau ausschliessen würde.
... link
dreadpan,
Samstag, 8. Oktober 2016, 20:14
Mutter Albrecht kommt mir ebenfalls sehr verdächtig vor,
vor allem, weil sie Hannelore heisst. Hannelore ist ein Name, der bei Mörderinnen statistisch signifikant überdurschnittlich häufig vorkommt. (Daran glaube ich ganz ganz fest ;))
Aber echt, der Name ist gut gewählt, da wird einem ganz anders bei. "Hannelore Albrecht und ihre Familie singen Weihnachtslieder." Als Niedersachse kommt mir da ganz nostalgisch der Stollen aus der Ostzone wieder hoch.
Aber echt, der Name ist gut gewählt, da wird einem ganz anders bei. "Hannelore Albrecht und ihre Familie singen Weihnachtslieder." Als Niedersachse kommt mir da ganz nostalgisch der Stollen aus der Ostzone wieder hoch.
... link
c. fabry,
Samstag, 8. Oktober 2016, 22:17
Leute, Ihr seid echt die Geilsten! Es macht großen Spaß, Eure Kommentare zu lesen!
... link
... comment
dreadpan,
Mittwoch, 12. Oktober 2016, 12:08
Irgendwo im Text sind Hinweise versteckt,
für die ich zu doof bin. Können Sie das nächste mal was einfacheres machen, so wie Kommissar Kniffel? Oder wie die Wolfgang Ecke Ratekrimis, wo da manchmal ein Bild mit bei war und Schwierigkeitsgerade von ein bis drei Sterne?
... link
c. fabry,
Mittwoch, 12. Oktober 2016, 16:10
Nee, Nee, Nee, Dreadpan
Es geht ja nicht um richtig oder falsch sondern um die verschiedenen Filme in den Köpfen meiner Leserinnen und Leser, auf die ich neugierig bin. Es gibt keinen Ach-das-hätte-ich-doch-merken-müssen-der-Gärtner-hat-ja-jedes-Mal-zugesehen-Effekt. Ich biete nur Möglichkeiten, die eigenen Feindbilder zu kultivieren. Übermorgen können Sie dann meine Feindbildversion lesen, wobei ich zu geben muss, dass die mir persönlich unsympathischste Figur nicht der Täter bzw. die Täterin ist. Vielleicht hilft Ihnen das schon als Ausschluss-Kriterium.
... link
... comment
lalol,
Mittwoch, 12. Oktober 2016, 16:08
Ich tippe auf den Lehrer, der ein Verhältnis mit Klara eingegangen ist. Das hat Gabi herausgefunden. Der junge Herr Keller sollte sich den Taunus mal genauer ansehen. Die Mutter Klaras, Frau Albrecht sieht in Gabi eine Konkurrentin, die Klaras Stellung in der Kirche gefährden könnte.
... link
c. fabry,
Donnerstag, 13. Oktober 2016, 14:52
Auch nicht schlecht!
Also gleich zwei Verdächtige?
... link
lalol,
Donnerstag, 13. Oktober 2016, 21:43
Frau Albrecht streut nur Gerüchte.
Aber, sollte der Lehrer ein Verhältnis mit einer seiner Schülerinnen haben, die noch dazu Abitur macht, möglicherweise sogar einen Leistungskurs bei ihm besucht, dann würde das seiner Karriere auf jeden Fall schaden.
Vielleicht wäre dieses Geheimnis ja einen Mordversuch Wert.
Hmm, das würde weiterhin Lebensgefahr für Gabi bedeuten.
Aber, sollte der Lehrer ein Verhältnis mit einer seiner Schülerinnen haben, die noch dazu Abitur macht, möglicherweise sogar einen Leistungskurs bei ihm besucht, dann würde das seiner Karriere auf jeden Fall schaden.
Vielleicht wäre dieses Geheimnis ja einen Mordversuch Wert.
Hmm, das würde weiterhin Lebensgefahr für Gabi bedeuten.
... link
c. fabry,
Freitag, 14. Oktober 2016, 02:55
Ich freue mich über Euch aktive Rätselrater,
genauso hatte ich mir das nämlich vorgestellt. Könnte die vermeintliche Affäre mit dem Lehrer nicht auch ein geschicktes Ablenkungsmanöver der Täterin oder Täterin-Mutter sein? Oder steht Frau Albrecht vielleicht selbst auf den Lehrer, will aber auf keinen Fall in Versuchung geraten und belastet ihn deshalb? Morgen wird alles verraten - sorry - heute abend :-)
... link
... comment