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Mittwoch, 21. Oktober 2020
Hahn im Korb
c. fabry, 13:44h
Man sprach schon über sie. Judith konnte sich nicht erklären, wie das Gerede zustande kam, aber Renate aus dem Kirchenchor hatte ihr gesteckt, dass da etwas die Runde machte, dass es rumorte.
Dabei gab es überhaupt keinen Anlass, keinen Hinweis darauf, dass sie und Jakob eine Affäre haben könnten und auch ihrerseits keine Grenzüberschreitung, die die Vermutung nahegelegt hätte, sie habe unlautere Absichten. Unlautere Absichten, aus welchem Jahrhundert hatte sie das nur herüber gerettet? Was wäre denn so unlauter an eventuellen Absichten? Wie kamen Menschen dazu, so etwas in andere hineinzuprojizieren? Judith hatte das schon einmal erlebt, vor vielen Jahren, auch damals hatte sie nicht eine Regel verletzt und trotzdem hatte sie das Gefühl gehabt, dass alle in ihren Kopf gucken konnten, in ihr Herz und dann hatten sie sie geschlachtet, in aller Öffentlichkeit, sie der Häme ausgesetzt, dem Gespött, der Verachtung. Das konnte sie nicht noch einmal ertragen. Wenn das nicht aufhörte, würde sie diesmal dafür sorgen, dass es aufhörte. Nein, sie würde niemandem etwas antun – nur sich selbst.
Siemke brühte sich einen Kaffee auf, das hieß, sie ließ es die Hightech-Maschine für sich erledigen. Rüdiger hatte ja immer gemeint, French Press reiche völlig aus, aber Rüdiger gab sich auch mit Aufbackbrötchen zum Frühstück und Dosenravioli zum Abendessen zufrieden. War eigentlich besser, dass er aus ihrem Leben verschwunden war. Nur die Tatsache, dass die kleine Schlampe aus der Verwaltung mit ihm durchgebrannt war, dieses ungebildete Flittchen, diese Tatsache nagte nach wie vor an ihren Eingeweiden. Darum hatte sie auch auch nicht ertragen, wie ihr Kollege Jakob Hahn und seine Kantorin beim kreiskirchlichen Kantorei-Konzert umeinander geschlichen waren. Nicht genug, dass sie zusammen im Auto gekommen waren, die eingebildete B-Musikerin war den ganzen Abend nicht von seiner Seite gewichen, als hätte sie längst den Platz seiner Ehefrau eingenommen. Da konnte man doch nicht tatenlos zusehen. Da musste jemand etwas unternehmen. Darum hatte Siemke so vielen Leuten wie möglich ihren Eindruck geschildert. Nun war es an denen, die tagtäglich mit der Organistin zusammenarbeiteten, dem Arbeitsplatzgeturtel ein Ende zu bereiten.
Dieses Mitarbeiterfest hätte Judith sich gern gespart. Immer dasselbe Nase-in-die-Menge- halten, damit niemand einem vorwerfen konnte, man sei nicht gern in der Gemeinde. Ekelhaft, diese Heuchelei bei halbtrockenem Discounter-Sekt, welken Schnittchen und aufgepimpter Konservensuppe. Der Sekt war heute besonders süßlich, dazu muffig-bitter im Abgang. Billiger Sekt schlug ihr immer auf den Magen, dieser hier aber ganz besonders. Er versetzte innerhalb kürzester Zeit ihre gereizten Schleimhäute in Flammen so wie Jakob ihr Herz. Doch im Gegensatz zum Feuer ihres Herzens bemerkte niemand das Brennen ihrer Magenschleimhaut, aller waren viel zu sehr mit ihren eigenen Bedürfnissen beschäftigt. Allmählich ging der brennende Schmerz in Übelkeit über und zur Vorsicht bewegte Judith sich in Richtung Toiletten.
Katharina verstand überhaupt nicht, warum in diesem Jahr auch die Mitarbeitenden aus ihrer Gemeinde hier zum Fest der Nachbargemeinde eingeladen wurden, wenn es nicht um langfristige Fusionspläne ging. Sie hätte sich sicher eine Ausrede einfallen lassen, aber sie hatte große Lust, ein bisschen mit Jakob Hahn zu flirten, der zartesten Versuchung, seit es Theologen gab und bei dieser Gelegenheit gleich die lästige Konkurrenz aus dem Weg zu räumen. Katharina passte ohnehin viel besser zu ihm als Judith, denn Jakob brauchte eine Frau voller Tatkraft, die die Richtung vorgab, Initiative zeigte, wusste was sie wollte, kombiniert mit einer aparten Erscheinung, schmaler Silhouette und ausdrucksvollen Augen und nicht so eine verhuschte, verträumte B-Musikerin, die nur in Tortenschlachten an vorderster Front kämpfte und sich ihm mäuschenhaft unterordnete. Das fand er für den Augenblick vielleicht ganz reizvoll, aber das tat ihm nicht gut. Katharina musste ihn vor Judith beschützen, ihn retten. Sie hatte immer gern etwas für ihn tun wollen, etwas ganz Großes, ganz exklusiv für Jakob und nun ergab sich die Gelegenheit. Praktischerweise hatte ihr Vater noch etwas von dem längst verbotenen Rattengift im Gartenhäuschen gehabt. Es war zwar nicht das ganz tückische Zeug, bei dem sich die Symptome erst nach Tagen einstellten, aber sie war ganz zufrieden mit der zügigen Wirkung, denn sie wollte schließlich etwas davon haben und das Schauspiel genießen. Eben gerade hatte Judith den Gemeindesaal verlassen, ganz grün im Gesicht war sie, es konnte nicht mehr lange dauern. Katharina musste nun nur gegen die Versuchung ankämpfen, ihr hinterher zu gehen, um ihr auf dem Klo beim Sterben zuzusehen. Aber es fiel ihr nicht schwer, als sie Jakob dort stehen sah, im Gespräch mit einer älteren Dame. Sie gesellte sich einfach dazu und wartete auf ihren Einsatz. „Ach, Arthritis? Ja, das hat meine Mutter auch. Ganz schlimm, schon seit Jahrzehnten. Der Verzicht auf Zucker würde eine deutliche Besserung bringen, aber dazu ist sie nicht bereit, da hält sie lieber die Schmerzen aus...“
Katharina redete einfach immer weiter, bis die ältere Dame aufgab und ihr den Pfarrer überließ. Und sie lachte siegesgewiss in sein wohlwollendes Gesicht.
Judith beugte sich über das Waschbecken und benetzte ihr Gesicht mit kaltem Wasser. Hatte ihr jemand etwas in den Sekt gekippt? Hatte er darum so muffig geschmeckt? Aber wer sollte das gewesen sein und warum?
Herrin über das Buffet und die Getränke war heute Petra, die Kirchmeisterin. Ausgerechnet Petra mit ihrem Hygiene-Fimmel und ihrem Landfrauen-Habitus, die würde so etwas doch eher verhindern, als jemandem die Gelegenheit dazu bieten. Aber sie war schon seltsam verändert in letzter Zeit. Hatte sie sich anfangs hartnäckig, ja fast schon übergriffig mit Judith anfreunden wollen, war sie zunehmend kurz angebunden in letzter Zeit. Immer häufiger schleuderte sie ihr Sätze entgegen wie zum Beispiel: „Wenn du die E-Mail aus dem Gemeindebüro aufmerksam gelesen hättest, wüsstest du, dass die Konfirmationstermine im nächsten Jahr teilweise auf den Samstag gelegt wurden.“
Aber auch unangenehme Zweideutigkeiten kamen ihr vermehrt über die Lippen. „Oh, ist das Röckchen nicht ein bisschen kurz für die Orgel? Aber Jakob ist ja unten im Altarraum unterwegs, dann muss ich mir wohl keine Sorgen machen.“
Petra schien sich auch längst in den Chor der üblen Nachrede eingereiht zu haben. Judiths Magen krampfte sich zusammen. War das nun eine Substanz oder das ganze Elend, von allen möglichen Frauen in der Luft zerrissen zu werden?
Petra war außer sich. Kaum verschwand diese eitle Kirchenmusikerin auf dem Klo, musste Jakob sich schon gleich wieder Sorgen um sie machen. Sie tat immer so unschuldig mit ihrem kuhäugigen Kleinmädchenblick. Verlogen wie sie war, hatte sie Petra anfangs freundschaftliche Gefühle vorgeheuchelt, aber nur aus Berechnung, schließlich wollte sie sich mit der Kirchmeisterin gut stellen, damit die nicht eines Tages ihre Stelle wegrationalisierte. In Wirklichkeit war sie ein arrogantes Bürgertöchterchen, hielt sich für etwas Besseres und schmiss sich wie ein Kätzchen an Jakob, dem das noch nicht einmal auffiel. Sie selbst kannte Jakob schon viel länger, war in seiner Vikariatszeit als Ehrenamtliche mit ihm auf Konfi-Wochenenden gefahren, dann hatten sie sich aus den Augen verloren, Petra war mit ihrer jungen Familie in die Vorstadt gezogen und eines Tages war der alte Pfarrer in den Ruhestand gegangen und Jakob war aufgetaucht. Sie hatte sich so gefreut; um der alten Zeiten willen und weil Jakob einfach ein Sonnenschein war. Und dann war Judith gekommen, mit ihren taillierten Walla-Walla-Kleidchen, ihrer von der Kosmetikerin perfektionierten Gesichtshaut, ihrer leisen Mädchenstimme und ihrer anmaßenden Überzeugung, so wahnsinnig viel mit Jakob gemeinsam zu haben.
In den Küchenschubladen fanden sich nirgends die Quirle für das Handrührgerät, hier herrschte ein einziges Tohuwabohu. Eine Schublade klemmte fürchterlich. Als sie schließlich nach mehrfachem Ruckeln die Ursache entdeckt hatte, wusste sie sofort, wer dafür verantwortlich war. Dieses dämliche Krimi-Dinner, das der Kirchenchor veranstaltet hatte. Petra war so wütend, dass ihr alles egal war. Sie griff sich das Gerät und stapfte zielstrebig zu den Toiletten. Judith hing kotzend über dem Waschbecken. „Oh, hast du nicht aufgepasst?“, entfuhr es ihr, sie konnte an gar nichts anderes denken als an Schwangerschaft.
„Mir ist schlecht.“, antwortete Judith nur. „Ich glaube ich brauche einen Arzt.“
„Das einzige was du brauchst ist Aufmerksamkeit.“, zischte Petra. „Männliche Aufmerksamkeit in großen Dosen. Sonst bist du nicht zufrieden. Wir werden jetzt keinen großen Wirbel um dich veranstalten. Du wirst dich jetzt hübsch zusammenreißen und für die Ehrenamtlichen da sein. Das ist nämlich der Sinn dieses Festes. Und von Jakob lässt du auch die Finger.“
„Nur kein Neid.“, stieß Judith hervor und würgte erneut.
„Was bildest du dir ein?“, schrie Petra und zog Judith mit dem Fleischklopfer eins über. Die schrie vor Schmerz und hob schützend einen Arm. Wäre sie einfach zu Boden gegangen, hätte sich Petras Gemüt wieder beruhigt, aber trotz der Übelkeit kämpfte Judith wie eine Wildkatze, versuchte den Fleischklopfer zu fassen zu kriegen und dann Petras Schlägen auszuweichen. Etwas brach sich Bahn im Inneren der Kirchmeisterin. Der gesammelte Zorn ihres ganzen Lebens brach auf einmal aus ihr heraus und entlud sich auf der sterbenden Kantorin. Auf dem gepflegten Gesicht, den seidigen Haaren, den filigranen Fingern. Am Ende lag da ein blutiger, stöhnender Haufen am Boden des Toiletten-Vorraums, Petra rang nach Luft und fühlte sich zum ersten Mal in ihrem Leben vollkommen befreit. Wenn auch nur für sehr kurze Zeit.
Jakob Hahn war fassungslos. Judith erschlagen von Petra. Die freundliche Judith, mit der er so unkompliziert zusammenarbeiten konnte, wer mochte sie so hassen und warum? Und warum die patente Petra, die doch immer so fröhlich und hilfsbereit, einsatzfreudig und flexibel aufgetreten und außerdem eng mit Judith befreundet gewesen war? Über alles, was an Petra anstrengend und peinlich war, hatte Judith stets großzügig hinweg gesehen.
Katharina Gast, die Kantorin aus der Nachbargemeinde steuerte schon wieder auf ihn zu, um ihn mit ihren Angelegenheiten aus seinen Gedanken zu reißen. Das würde er diesmal nicht zulassen. Unter dem Vorwand, Unterlagen aus seinem Dienstzimmer holen zu müssen, verschwand er nach Hause, wo Birgit sich sehr wunderte und ihn im Arm hielt, als er von all den Schrecknissen berichtete. Gestärkt kehrte er zurück, half der Polizei bei ihren Ermittlungen, so gut er konnte und stellte erleichtert fest, dass Katharina Gast verschwunden war. Er ahnte nicht, was sie als nächstes im Schilde führte.
Dabei gab es überhaupt keinen Anlass, keinen Hinweis darauf, dass sie und Jakob eine Affäre haben könnten und auch ihrerseits keine Grenzüberschreitung, die die Vermutung nahegelegt hätte, sie habe unlautere Absichten. Unlautere Absichten, aus welchem Jahrhundert hatte sie das nur herüber gerettet? Was wäre denn so unlauter an eventuellen Absichten? Wie kamen Menschen dazu, so etwas in andere hineinzuprojizieren? Judith hatte das schon einmal erlebt, vor vielen Jahren, auch damals hatte sie nicht eine Regel verletzt und trotzdem hatte sie das Gefühl gehabt, dass alle in ihren Kopf gucken konnten, in ihr Herz und dann hatten sie sie geschlachtet, in aller Öffentlichkeit, sie der Häme ausgesetzt, dem Gespött, der Verachtung. Das konnte sie nicht noch einmal ertragen. Wenn das nicht aufhörte, würde sie diesmal dafür sorgen, dass es aufhörte. Nein, sie würde niemandem etwas antun – nur sich selbst.
Siemke brühte sich einen Kaffee auf, das hieß, sie ließ es die Hightech-Maschine für sich erledigen. Rüdiger hatte ja immer gemeint, French Press reiche völlig aus, aber Rüdiger gab sich auch mit Aufbackbrötchen zum Frühstück und Dosenravioli zum Abendessen zufrieden. War eigentlich besser, dass er aus ihrem Leben verschwunden war. Nur die Tatsache, dass die kleine Schlampe aus der Verwaltung mit ihm durchgebrannt war, dieses ungebildete Flittchen, diese Tatsache nagte nach wie vor an ihren Eingeweiden. Darum hatte sie auch auch nicht ertragen, wie ihr Kollege Jakob Hahn und seine Kantorin beim kreiskirchlichen Kantorei-Konzert umeinander geschlichen waren. Nicht genug, dass sie zusammen im Auto gekommen waren, die eingebildete B-Musikerin war den ganzen Abend nicht von seiner Seite gewichen, als hätte sie längst den Platz seiner Ehefrau eingenommen. Da konnte man doch nicht tatenlos zusehen. Da musste jemand etwas unternehmen. Darum hatte Siemke so vielen Leuten wie möglich ihren Eindruck geschildert. Nun war es an denen, die tagtäglich mit der Organistin zusammenarbeiteten, dem Arbeitsplatzgeturtel ein Ende zu bereiten.
Dieses Mitarbeiterfest hätte Judith sich gern gespart. Immer dasselbe Nase-in-die-Menge- halten, damit niemand einem vorwerfen konnte, man sei nicht gern in der Gemeinde. Ekelhaft, diese Heuchelei bei halbtrockenem Discounter-Sekt, welken Schnittchen und aufgepimpter Konservensuppe. Der Sekt war heute besonders süßlich, dazu muffig-bitter im Abgang. Billiger Sekt schlug ihr immer auf den Magen, dieser hier aber ganz besonders. Er versetzte innerhalb kürzester Zeit ihre gereizten Schleimhäute in Flammen so wie Jakob ihr Herz. Doch im Gegensatz zum Feuer ihres Herzens bemerkte niemand das Brennen ihrer Magenschleimhaut, aller waren viel zu sehr mit ihren eigenen Bedürfnissen beschäftigt. Allmählich ging der brennende Schmerz in Übelkeit über und zur Vorsicht bewegte Judith sich in Richtung Toiletten.
Katharina verstand überhaupt nicht, warum in diesem Jahr auch die Mitarbeitenden aus ihrer Gemeinde hier zum Fest der Nachbargemeinde eingeladen wurden, wenn es nicht um langfristige Fusionspläne ging. Sie hätte sich sicher eine Ausrede einfallen lassen, aber sie hatte große Lust, ein bisschen mit Jakob Hahn zu flirten, der zartesten Versuchung, seit es Theologen gab und bei dieser Gelegenheit gleich die lästige Konkurrenz aus dem Weg zu räumen. Katharina passte ohnehin viel besser zu ihm als Judith, denn Jakob brauchte eine Frau voller Tatkraft, die die Richtung vorgab, Initiative zeigte, wusste was sie wollte, kombiniert mit einer aparten Erscheinung, schmaler Silhouette und ausdrucksvollen Augen und nicht so eine verhuschte, verträumte B-Musikerin, die nur in Tortenschlachten an vorderster Front kämpfte und sich ihm mäuschenhaft unterordnete. Das fand er für den Augenblick vielleicht ganz reizvoll, aber das tat ihm nicht gut. Katharina musste ihn vor Judith beschützen, ihn retten. Sie hatte immer gern etwas für ihn tun wollen, etwas ganz Großes, ganz exklusiv für Jakob und nun ergab sich die Gelegenheit. Praktischerweise hatte ihr Vater noch etwas von dem längst verbotenen Rattengift im Gartenhäuschen gehabt. Es war zwar nicht das ganz tückische Zeug, bei dem sich die Symptome erst nach Tagen einstellten, aber sie war ganz zufrieden mit der zügigen Wirkung, denn sie wollte schließlich etwas davon haben und das Schauspiel genießen. Eben gerade hatte Judith den Gemeindesaal verlassen, ganz grün im Gesicht war sie, es konnte nicht mehr lange dauern. Katharina musste nun nur gegen die Versuchung ankämpfen, ihr hinterher zu gehen, um ihr auf dem Klo beim Sterben zuzusehen. Aber es fiel ihr nicht schwer, als sie Jakob dort stehen sah, im Gespräch mit einer älteren Dame. Sie gesellte sich einfach dazu und wartete auf ihren Einsatz. „Ach, Arthritis? Ja, das hat meine Mutter auch. Ganz schlimm, schon seit Jahrzehnten. Der Verzicht auf Zucker würde eine deutliche Besserung bringen, aber dazu ist sie nicht bereit, da hält sie lieber die Schmerzen aus...“
Katharina redete einfach immer weiter, bis die ältere Dame aufgab und ihr den Pfarrer überließ. Und sie lachte siegesgewiss in sein wohlwollendes Gesicht.
Judith beugte sich über das Waschbecken und benetzte ihr Gesicht mit kaltem Wasser. Hatte ihr jemand etwas in den Sekt gekippt? Hatte er darum so muffig geschmeckt? Aber wer sollte das gewesen sein und warum?
Herrin über das Buffet und die Getränke war heute Petra, die Kirchmeisterin. Ausgerechnet Petra mit ihrem Hygiene-Fimmel und ihrem Landfrauen-Habitus, die würde so etwas doch eher verhindern, als jemandem die Gelegenheit dazu bieten. Aber sie war schon seltsam verändert in letzter Zeit. Hatte sie sich anfangs hartnäckig, ja fast schon übergriffig mit Judith anfreunden wollen, war sie zunehmend kurz angebunden in letzter Zeit. Immer häufiger schleuderte sie ihr Sätze entgegen wie zum Beispiel: „Wenn du die E-Mail aus dem Gemeindebüro aufmerksam gelesen hättest, wüsstest du, dass die Konfirmationstermine im nächsten Jahr teilweise auf den Samstag gelegt wurden.“
Aber auch unangenehme Zweideutigkeiten kamen ihr vermehrt über die Lippen. „Oh, ist das Röckchen nicht ein bisschen kurz für die Orgel? Aber Jakob ist ja unten im Altarraum unterwegs, dann muss ich mir wohl keine Sorgen machen.“
Petra schien sich auch längst in den Chor der üblen Nachrede eingereiht zu haben. Judiths Magen krampfte sich zusammen. War das nun eine Substanz oder das ganze Elend, von allen möglichen Frauen in der Luft zerrissen zu werden?
Petra war außer sich. Kaum verschwand diese eitle Kirchenmusikerin auf dem Klo, musste Jakob sich schon gleich wieder Sorgen um sie machen. Sie tat immer so unschuldig mit ihrem kuhäugigen Kleinmädchenblick. Verlogen wie sie war, hatte sie Petra anfangs freundschaftliche Gefühle vorgeheuchelt, aber nur aus Berechnung, schließlich wollte sie sich mit der Kirchmeisterin gut stellen, damit die nicht eines Tages ihre Stelle wegrationalisierte. In Wirklichkeit war sie ein arrogantes Bürgertöchterchen, hielt sich für etwas Besseres und schmiss sich wie ein Kätzchen an Jakob, dem das noch nicht einmal auffiel. Sie selbst kannte Jakob schon viel länger, war in seiner Vikariatszeit als Ehrenamtliche mit ihm auf Konfi-Wochenenden gefahren, dann hatten sie sich aus den Augen verloren, Petra war mit ihrer jungen Familie in die Vorstadt gezogen und eines Tages war der alte Pfarrer in den Ruhestand gegangen und Jakob war aufgetaucht. Sie hatte sich so gefreut; um der alten Zeiten willen und weil Jakob einfach ein Sonnenschein war. Und dann war Judith gekommen, mit ihren taillierten Walla-Walla-Kleidchen, ihrer von der Kosmetikerin perfektionierten Gesichtshaut, ihrer leisen Mädchenstimme und ihrer anmaßenden Überzeugung, so wahnsinnig viel mit Jakob gemeinsam zu haben.
In den Küchenschubladen fanden sich nirgends die Quirle für das Handrührgerät, hier herrschte ein einziges Tohuwabohu. Eine Schublade klemmte fürchterlich. Als sie schließlich nach mehrfachem Ruckeln die Ursache entdeckt hatte, wusste sie sofort, wer dafür verantwortlich war. Dieses dämliche Krimi-Dinner, das der Kirchenchor veranstaltet hatte. Petra war so wütend, dass ihr alles egal war. Sie griff sich das Gerät und stapfte zielstrebig zu den Toiletten. Judith hing kotzend über dem Waschbecken. „Oh, hast du nicht aufgepasst?“, entfuhr es ihr, sie konnte an gar nichts anderes denken als an Schwangerschaft.
„Mir ist schlecht.“, antwortete Judith nur. „Ich glaube ich brauche einen Arzt.“
„Das einzige was du brauchst ist Aufmerksamkeit.“, zischte Petra. „Männliche Aufmerksamkeit in großen Dosen. Sonst bist du nicht zufrieden. Wir werden jetzt keinen großen Wirbel um dich veranstalten. Du wirst dich jetzt hübsch zusammenreißen und für die Ehrenamtlichen da sein. Das ist nämlich der Sinn dieses Festes. Und von Jakob lässt du auch die Finger.“
„Nur kein Neid.“, stieß Judith hervor und würgte erneut.
„Was bildest du dir ein?“, schrie Petra und zog Judith mit dem Fleischklopfer eins über. Die schrie vor Schmerz und hob schützend einen Arm. Wäre sie einfach zu Boden gegangen, hätte sich Petras Gemüt wieder beruhigt, aber trotz der Übelkeit kämpfte Judith wie eine Wildkatze, versuchte den Fleischklopfer zu fassen zu kriegen und dann Petras Schlägen auszuweichen. Etwas brach sich Bahn im Inneren der Kirchmeisterin. Der gesammelte Zorn ihres ganzen Lebens brach auf einmal aus ihr heraus und entlud sich auf der sterbenden Kantorin. Auf dem gepflegten Gesicht, den seidigen Haaren, den filigranen Fingern. Am Ende lag da ein blutiger, stöhnender Haufen am Boden des Toiletten-Vorraums, Petra rang nach Luft und fühlte sich zum ersten Mal in ihrem Leben vollkommen befreit. Wenn auch nur für sehr kurze Zeit.
Jakob Hahn war fassungslos. Judith erschlagen von Petra. Die freundliche Judith, mit der er so unkompliziert zusammenarbeiten konnte, wer mochte sie so hassen und warum? Und warum die patente Petra, die doch immer so fröhlich und hilfsbereit, einsatzfreudig und flexibel aufgetreten und außerdem eng mit Judith befreundet gewesen war? Über alles, was an Petra anstrengend und peinlich war, hatte Judith stets großzügig hinweg gesehen.
Katharina Gast, die Kantorin aus der Nachbargemeinde steuerte schon wieder auf ihn zu, um ihn mit ihren Angelegenheiten aus seinen Gedanken zu reißen. Das würde er diesmal nicht zulassen. Unter dem Vorwand, Unterlagen aus seinem Dienstzimmer holen zu müssen, verschwand er nach Hause, wo Birgit sich sehr wunderte und ihn im Arm hielt, als er von all den Schrecknissen berichtete. Gestärkt kehrte er zurück, half der Polizei bei ihren Ermittlungen, so gut er konnte und stellte erleichtert fest, dass Katharina Gast verschwunden war. Er ahnte nicht, was sie als nächstes im Schilde führte.
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Freitag, 2. Oktober 2020
Dumm gelaufen
c. fabry, 17:03h
„Was lange gärt, wird endlich Wut.“, sagte Carola und zog ihm von hinten das Paddel über den Schädel.
Wurde Zeit, dass Breisz den Thron räumte, der würde sich niemals ändern, da nützte auch keine erlebnispädagogische Teambuilding-Aktion. Ein Verwaltungschef, der zu faul ist, seine Unterlagen zu lesen, keinen Überblick hat und lediglich täglich mehrere Mitarbeitende in sein Büro zitiert, um irgendwen für das zusammenzufalten, was mal gerade wieder schief gelaufen ist, irgendwen, der dafür gar keine Verantwortung trägt, lässt Führungskompetenz offensichtlich deutlich vermissen. Doch die Mühlen der evangelischen Kirche mahlen langsam. Zu langsam. Zu träge und geduldig wird jahre- wenn nicht jahrzehntelang der Missstand nicht angegangen, der doch von so vielen beklagt wird.
Carola war zuerst ziemlich angefressen, dass sie mit dem Chef in ein Kanu musste. Er saß hinten und lenkte, was er offenkundig nicht sonderlich beherrschte, das war ja nichts Neues, aber lenken konnte Carola noch viel weniger, sie machte stattdessen die ganze Arbeit – wie immer. Dann hatte ihre Blase gedrückt. Sie hatte ihn gebeten, anzulegen, damit sie kurz im Gebüsch verschwinden konnte. Das hatte sie auch getan. Als sie zurückkam und seine fettige Glatze, gerahmt von den Bügeln seiner Designer-Brille in der Sonne glänzen sah, die geröteten Speckröllchen im ausrasierten Stiernacken, die runden, hängenden Bürohengst-Schultern, das alles wie ein Schandfleck auf der spätsommerlich, sonnendurchfluteten Flussidylle wirkte, da war es über sie gekommen. Sie hatte das Paddel mit ans Ufer genommen, um sich abzustützen. Jetzt war es die perfekte Waffe.
Wenn sie noch eine Woche gewartet hätte, hätte sie erlebt, wie Breisz von allen Verantwortlichkeiten freigestellt worden wäre. Seine Zeit war ohnehin abgelaufen, die Kündigung lag schon in der Schublade.
Dumm gelaufen, Carola.
Wurde Zeit, dass Breisz den Thron räumte, der würde sich niemals ändern, da nützte auch keine erlebnispädagogische Teambuilding-Aktion. Ein Verwaltungschef, der zu faul ist, seine Unterlagen zu lesen, keinen Überblick hat und lediglich täglich mehrere Mitarbeitende in sein Büro zitiert, um irgendwen für das zusammenzufalten, was mal gerade wieder schief gelaufen ist, irgendwen, der dafür gar keine Verantwortung trägt, lässt Führungskompetenz offensichtlich deutlich vermissen. Doch die Mühlen der evangelischen Kirche mahlen langsam. Zu langsam. Zu träge und geduldig wird jahre- wenn nicht jahrzehntelang der Missstand nicht angegangen, der doch von so vielen beklagt wird.
Carola war zuerst ziemlich angefressen, dass sie mit dem Chef in ein Kanu musste. Er saß hinten und lenkte, was er offenkundig nicht sonderlich beherrschte, das war ja nichts Neues, aber lenken konnte Carola noch viel weniger, sie machte stattdessen die ganze Arbeit – wie immer. Dann hatte ihre Blase gedrückt. Sie hatte ihn gebeten, anzulegen, damit sie kurz im Gebüsch verschwinden konnte. Das hatte sie auch getan. Als sie zurückkam und seine fettige Glatze, gerahmt von den Bügeln seiner Designer-Brille in der Sonne glänzen sah, die geröteten Speckröllchen im ausrasierten Stiernacken, die runden, hängenden Bürohengst-Schultern, das alles wie ein Schandfleck auf der spätsommerlich, sonnendurchfluteten Flussidylle wirkte, da war es über sie gekommen. Sie hatte das Paddel mit ans Ufer genommen, um sich abzustützen. Jetzt war es die perfekte Waffe.
Wenn sie noch eine Woche gewartet hätte, hätte sie erlebt, wie Breisz von allen Verantwortlichkeiten freigestellt worden wäre. Seine Zeit war ohnehin abgelaufen, die Kündigung lag schon in der Schublade.
Dumm gelaufen, Carola.
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Samstag, 19. September 2020
Spinner
c. fabry, 13:53h
Sie war schon fünf mal daran vorbei gelaufen. Sie wollte sich jetzt nicht damit befassen. Noch nicht. Aber irgendwann würde sie sich darum kümmern müssen. Bald schon. Bevor es anfing, schlecht zu riechen. Ja, das konnte sie nicht eine Woche herumliegen lassen, so wie er seine Socken im Bad.
Sie mixte sich einen großen Martini, so als sei Sommer, mit Zitrone und Eis, machte sich eine Wärmflasche, stopfte die unter den Pullover, wickelte sich in die dicke Kamelhaardecke und setzte sich so auf den Balkon. Die untergehende Sonne ließ den Cocktail Kristalllüster-artig glitzern, so wie vor vielen Jahren auf der Terrasse mit Meerblick im Norden Siziliens, wenn sich die lauen Aprilabende zum Ende neigten.
Der Alkohol machte ihr das Herz leicht und senkte die Schranken in ihrem Kopf, die Hemmungen, den Ekel. Die Süße half ihr, sich lebendig zu fühlen und die Erinnerung an die Zeit ihrer Jugend tat das Übrige.
Als sie sich frisch gestärkt fühlte, setzte sie sich dem Anblick endlich in vollem Umfang aus. Völlig absurd lag er da neben dem Heimtrainer, dem Spinner, wie er ihn immer wichtigtuerisch genannt hatte. Es roch noch säuerlich nach seinem Schweiß. Seine evangelische Verschwendungsphobie war ihm zum Verhängnis geworden. „Nein, wir müssen keinen neuen Staubsauger kaufen, nur weil das Kabel lose ist, da kann man sich doch einfach in acht nehmen.“
Von morgens bis abends hatte er Konsumverzicht gepredigt. Gegen den Hunger in der Welt. Gegen den Klimawandel. Gegen die Verschwendung von Ressourcen. Gegen die Befeuerung des Kapitalismus. Aber selbst hatte er nie auf etwas verzichtet: alle paar Jahre eine neue Aktenmappe aus feinstem Leder, zwei Mal im Jahr Designerschuhe, alle zwei Jahre eine neue Gregory-Peck-Brille und sogar für den Heimtrainer spezielle Funktionskleidung. Trotzdem hatte der den Spinner regelmäßig mit seinem Schweiß vollgetropft und nie abgewischt.
Er hatte darauf bestanden, dass das Gerät im Wohnzimmer stand. Damit er nebenbei fernsehen konnte. Und – auch wenn er das niemals zugegeben hätte – damit er vor Freunden und Bekannten mit seiner Sportlichkeit protzen konnte. Millionen Männergespräche hatte sie schon über sich ergehen lassen müssen über technische Details des Fitnessgerätes. Dabei stellte es genauso einen Bruch im ästhetischen Konzept des Wohnzimmers dar wie seine leere Hülle.
Komisch. Sie hatte schon seit langem das Gefühl gehabt, eigentlich nur mit einer leeren Hülle verheiratet zu sein. Allerdings einer, die Geräusche machte: unkontrollierte Schnaufer, Schmatzer, permanentes Räuspern, lautstarkes Schnäuzen und vor allem theologische Fachvorträge ohne Substanz.
Was sie aber auch Jahr für Jahr immer mehr gestresst hatte, war die akribische Einhaltung seines Sportprogramms. Das Sirren des Rades, das Schnurrren der Pedale und dazu sein ambitioniertes Keuchen, gepaart mit dem Anblick eines Dahinwelkenden, der verzweifelt gegen den Verfall anstrampelte, in Gestank verbreitenden, hautengen Shirts, unter denen sich der Brustgurt zur Pulskontrolle abzeichnete. Schade sie hatte versäumt zu beobachten, wie die Anzeige ausschlug, in dem Moment als sie das Staubsaugerkabel an den Edelstahlfuß gehalten hatte. Es war Bestimmung gewesen. Sie hatte gesaugt, um das Sirren und Schnaufen zu übertönen, wenigstens für fünfzehn Minuten. Und dann war es passiert: das Kabel war aus dem Gerät gerissen, das Motorengeräusch erstarb und das rythmische Knarzen des Sattels begleitet von der Dynamik des Gerätes und dem schweren Atem des Zwangssportlers füllte den Raum so sehr aus, dass sie nicht mehr atmen konnte. Sie nahm das Kabel in die Hand. Ihm war nicht einmal aufgefallen, dass sie noch gar nicht fertig gesaugt hatte, so sehr war er bei sich und seinen Werten. Und dann hatte sie es einfach getan, ohne über die Folgen nachzudenken. Er hatte kurz innegehalten, sich ein wenig nach hinten überstreckt und war dann abgestürzt.
Jetzt musste sie eine Entscheidung treffen, doch sie spürte, dass sie noch nicht so weit war. Die ersten Jahre mit ihm waren ja noch ganz schön gewesen. Er hatte etwas hergemacht, als Pfarrer ein ordentliches Gehalt verdient, kannte interessante Geschichten und spannende Tatsachen. Nur war dieser Fundus irgendwann erschöpft gewesen, da war nichts Neues mehr hinzu gekommen und er war immer mehr dazu übergegangen, um sich selbst und seine Bedürfnisse zu kreisen. Vielleicht lag das am Beruf, bei dem man immer für andere da sein und sich selbst dauernd zurücknehmen musste. Wo alle einem das Herz ausschütten wollte, aber sich niemand für einen interessierte, außer vielleicht diejenigen, von denen man sich den größtmöglichen Abstand wünschte, weil sie nicht ohne Grund verzweifelt auf der Suche nach Sozialkontakten waren.
Aber in einer ehelichen Lebensgemeinschaft konnte man doch wohl erwarten, dass der Partner auch mal auf die Bedürfnisse seiner Angetrauten Rücksicht nahm und nicht immer und überall die Bedingungen vorgab. Jetzt hatte sie den Rahmen gesprengt und sie war nicht bereit, sich auch noch einen einzigen weiteren Augenblick von ihm einengen zu lassen. Nein, sie würde keineswegs die Polizei anrufen, sich schuldig bekennen und fünfzehn Jahre im Gefängnis büßen. Sie hatte ihre Strafe längst abgesessen, im Voraus.
Der Generalschlüssel für Gemeindehaus und Kirche hing im Pfarrbüro. Im Technikraum lagerte die Küsterin ihr Werkzeug. Da gab es auch eine Feine Stichsäge. Sie selbst hatte im Keller noch feste Malerfolie. Damit ließ sich doch etwas machen. Ihr würde schon etwas einfallen. Aber vorher noch einen schönen Martini auf dem Balkon. Und am Ende des Tages blinzelte sie zuversichtlich in den Sonnenuntergang.
Sie mixte sich einen großen Martini, so als sei Sommer, mit Zitrone und Eis, machte sich eine Wärmflasche, stopfte die unter den Pullover, wickelte sich in die dicke Kamelhaardecke und setzte sich so auf den Balkon. Die untergehende Sonne ließ den Cocktail Kristalllüster-artig glitzern, so wie vor vielen Jahren auf der Terrasse mit Meerblick im Norden Siziliens, wenn sich die lauen Aprilabende zum Ende neigten.
Der Alkohol machte ihr das Herz leicht und senkte die Schranken in ihrem Kopf, die Hemmungen, den Ekel. Die Süße half ihr, sich lebendig zu fühlen und die Erinnerung an die Zeit ihrer Jugend tat das Übrige.
Als sie sich frisch gestärkt fühlte, setzte sie sich dem Anblick endlich in vollem Umfang aus. Völlig absurd lag er da neben dem Heimtrainer, dem Spinner, wie er ihn immer wichtigtuerisch genannt hatte. Es roch noch säuerlich nach seinem Schweiß. Seine evangelische Verschwendungsphobie war ihm zum Verhängnis geworden. „Nein, wir müssen keinen neuen Staubsauger kaufen, nur weil das Kabel lose ist, da kann man sich doch einfach in acht nehmen.“
Von morgens bis abends hatte er Konsumverzicht gepredigt. Gegen den Hunger in der Welt. Gegen den Klimawandel. Gegen die Verschwendung von Ressourcen. Gegen die Befeuerung des Kapitalismus. Aber selbst hatte er nie auf etwas verzichtet: alle paar Jahre eine neue Aktenmappe aus feinstem Leder, zwei Mal im Jahr Designerschuhe, alle zwei Jahre eine neue Gregory-Peck-Brille und sogar für den Heimtrainer spezielle Funktionskleidung. Trotzdem hatte der den Spinner regelmäßig mit seinem Schweiß vollgetropft und nie abgewischt.
Er hatte darauf bestanden, dass das Gerät im Wohnzimmer stand. Damit er nebenbei fernsehen konnte. Und – auch wenn er das niemals zugegeben hätte – damit er vor Freunden und Bekannten mit seiner Sportlichkeit protzen konnte. Millionen Männergespräche hatte sie schon über sich ergehen lassen müssen über technische Details des Fitnessgerätes. Dabei stellte es genauso einen Bruch im ästhetischen Konzept des Wohnzimmers dar wie seine leere Hülle.
Komisch. Sie hatte schon seit langem das Gefühl gehabt, eigentlich nur mit einer leeren Hülle verheiratet zu sein. Allerdings einer, die Geräusche machte: unkontrollierte Schnaufer, Schmatzer, permanentes Räuspern, lautstarkes Schnäuzen und vor allem theologische Fachvorträge ohne Substanz.
Was sie aber auch Jahr für Jahr immer mehr gestresst hatte, war die akribische Einhaltung seines Sportprogramms. Das Sirren des Rades, das Schnurrren der Pedale und dazu sein ambitioniertes Keuchen, gepaart mit dem Anblick eines Dahinwelkenden, der verzweifelt gegen den Verfall anstrampelte, in Gestank verbreitenden, hautengen Shirts, unter denen sich der Brustgurt zur Pulskontrolle abzeichnete. Schade sie hatte versäumt zu beobachten, wie die Anzeige ausschlug, in dem Moment als sie das Staubsaugerkabel an den Edelstahlfuß gehalten hatte. Es war Bestimmung gewesen. Sie hatte gesaugt, um das Sirren und Schnaufen zu übertönen, wenigstens für fünfzehn Minuten. Und dann war es passiert: das Kabel war aus dem Gerät gerissen, das Motorengeräusch erstarb und das rythmische Knarzen des Sattels begleitet von der Dynamik des Gerätes und dem schweren Atem des Zwangssportlers füllte den Raum so sehr aus, dass sie nicht mehr atmen konnte. Sie nahm das Kabel in die Hand. Ihm war nicht einmal aufgefallen, dass sie noch gar nicht fertig gesaugt hatte, so sehr war er bei sich und seinen Werten. Und dann hatte sie es einfach getan, ohne über die Folgen nachzudenken. Er hatte kurz innegehalten, sich ein wenig nach hinten überstreckt und war dann abgestürzt.
Jetzt musste sie eine Entscheidung treffen, doch sie spürte, dass sie noch nicht so weit war. Die ersten Jahre mit ihm waren ja noch ganz schön gewesen. Er hatte etwas hergemacht, als Pfarrer ein ordentliches Gehalt verdient, kannte interessante Geschichten und spannende Tatsachen. Nur war dieser Fundus irgendwann erschöpft gewesen, da war nichts Neues mehr hinzu gekommen und er war immer mehr dazu übergegangen, um sich selbst und seine Bedürfnisse zu kreisen. Vielleicht lag das am Beruf, bei dem man immer für andere da sein und sich selbst dauernd zurücknehmen musste. Wo alle einem das Herz ausschütten wollte, aber sich niemand für einen interessierte, außer vielleicht diejenigen, von denen man sich den größtmöglichen Abstand wünschte, weil sie nicht ohne Grund verzweifelt auf der Suche nach Sozialkontakten waren.
Aber in einer ehelichen Lebensgemeinschaft konnte man doch wohl erwarten, dass der Partner auch mal auf die Bedürfnisse seiner Angetrauten Rücksicht nahm und nicht immer und überall die Bedingungen vorgab. Jetzt hatte sie den Rahmen gesprengt und sie war nicht bereit, sich auch noch einen einzigen weiteren Augenblick von ihm einengen zu lassen. Nein, sie würde keineswegs die Polizei anrufen, sich schuldig bekennen und fünfzehn Jahre im Gefängnis büßen. Sie hatte ihre Strafe längst abgesessen, im Voraus.
Der Generalschlüssel für Gemeindehaus und Kirche hing im Pfarrbüro. Im Technikraum lagerte die Küsterin ihr Werkzeug. Da gab es auch eine Feine Stichsäge. Sie selbst hatte im Keller noch feste Malerfolie. Damit ließ sich doch etwas machen. Ihr würde schon etwas einfallen. Aber vorher noch einen schönen Martini auf dem Balkon. Und am Ende des Tages blinzelte sie zuversichtlich in den Sonnenuntergang.
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Freitag, 11. September 2020
Streit.
c. fabry, 10:59h
Sie hatten sich schon wieder angeschrien. Er konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, wer den Anfang gemacht hatte. Spontan suchte er die Initialzündung bei ihr, aber war das wirklich so? Ja, sie war wie meistens zuerst an die Decke gegangen, war laut geworden, hatte ihn beschimpft, abgewertet, mit Vorwürfen überhäuft. Aber warum? Warum stritten sie ständig? Was passierte da eigentlich, beim Streiten?
Als Streit bezeichnet man die Austragung eines Konfliktes.
Als Streit bezeichnet man eine Störung in der wechselseitigen Beziehung.
Als Streit bezeichnet man die Unvereinbarkeit unterschiedlicher oder sogar konkurrierender Interessen.
Könnte man es so definieren?
Er sah in seinem antiquierten Lexikon nach. Hier gab es nur zusammengesetzte Wörter. Angeblich verstand sich das Wort von selbst.
Im Etymologischen Wörterbuch stand: Geht vermutlich von einer Grundbedeutung „Widerstreben, Starrsinn, Aufruhr“ aus...es gehört also wohl der unter „starren“ dargestellten Wortgruppe.
Als Streit bezeichnet man also ein als negativ empfundenes Ereignis.
Als Streit bezeichnet man etwas, das mit Gegnerschaft verbunden ist.
Als Streit bezeichnet man etwas, bei dem viel Energie im Spiel ist.
Ja, Energie war ja nichts Schlechtes. Streit musste nichts Schlechtes sein. Nicht umsonst sprach man von Streitkultur oder Streitlust.
Die Suchmaschine ergab: heftiges Sichauseinandersetzen, Zanken (mit einem persönlichen Gegner) in oft erregten Erörterungen, hitzigen Wortwechseln, oft auch in Handgreiflichkeiten.
Oder auch: die unverhohlene Austragung einer zwischen mehreren Personen oder Parteien bestehenden Meinungsverschiedenheit, die nicht unbedingt feindselig sein muss, oft aber von starkem emotionalen Charakter ist.
Aber warum? Und was genau machte es so unerträglich? Und half es überhaupt, es zu verstehen?
Es wäre doch alles viel entspannter, wenn er sich nicht mehr für jeden Schmatzer schämen, für jede Verspätung rechtfertigen, für jedes überflüssige Kilo entschuldigen, für jede stehengelassene Tasse beschimpfen lassen musste. Schlafen solange er wollte, Den Fernseher ein- um- und wieder ausschalten, wann er es wollte. Duschen, wenn ihm danach war, essen was ihm schmeckte und so viel ihm behagte, sich verabreden oder sich auch einmal ein ganzes Wochenende in die Wohnung zurückziehen, Musik hören, trainieren, lesen, aus dem Fenster starren.
Er könnte einfach ausziehen. Aber einfach war das nicht. Er hatte es schön hier, sich eingerichtet, ein richtiger Wohlfühlort.
Sie würde niemals ausziehen. Um keinen Preis. Sie war viel zu stolz auf all die liebevollen Details, mit der sie die Wohnung zu ihrem persönlichen Paradies gemacht hatte.
Sie schrie schon wieder. Diesmal waren es die nassen Handtücher auf dem Badezimmerboden. Wieso hängte sie sie nicht einfach über die Heizung und schwieg, so wie andere Frauen?
Sie rannte hin und her. Vom Bad ins Schlafzimmer. Vom Schlafzimmer ins Arbeitszimmer. Vom Arbeitszimmer ins Wohnzimmer. Dabei schrie sie unentwegt. Sie schimpfte, brüllte, würgte, heulte, es war unerträglich. Es gab keinen Knopf zum Abschalten, nur die finale Implosion.
Den Mottek hatte er noch nicht zurückgegeben, darüber hatte sie sich auch schon drei oder fünf mal aufgeregt, weil er immer noch im Flur herumstand und den Parkettfußboden vermackelte. Tat er gar nicht. Er war hart und schwer und ganz besonders mächtig. Er hatte schon immer eine Affinität zu sehr großen Hämmern gehabt. Dieser hier konnte viel. Man musste ihn nur Hochheben, danach nur noch im passenden Moment loslassen.
Als der helle Läufer im Flur sich rot färbte, als es endlich still und die Implosion erfolgt war, kamen endlich längst verdrängte Bilder zurück:
Ihr helles Lachen und das strahlende Gesicht.
Ihr Stöhnen und Schreien und die festen Muskeln unter der glatten Haut.
Der Duft ihres dichten Haares.
Die Abenteuerreisen und die entspannten Wochenenden am Strand.
Die Geburten der gemeinsamen Kinder.
Ihre samtweichen Küsse.
Der Quark-Kirschauflauf mit Gries und Vanille.
Würde doch einsam werden, die Ruhe.
Ob der Schwager den Mottek überhaupt zurück haben wollte?
Als Streit bezeichnet man die Austragung eines Konfliktes.
Als Streit bezeichnet man eine Störung in der wechselseitigen Beziehung.
Als Streit bezeichnet man die Unvereinbarkeit unterschiedlicher oder sogar konkurrierender Interessen.
Könnte man es so definieren?
Er sah in seinem antiquierten Lexikon nach. Hier gab es nur zusammengesetzte Wörter. Angeblich verstand sich das Wort von selbst.
Im Etymologischen Wörterbuch stand: Geht vermutlich von einer Grundbedeutung „Widerstreben, Starrsinn, Aufruhr“ aus...es gehört also wohl der unter „starren“ dargestellten Wortgruppe.
Als Streit bezeichnet man also ein als negativ empfundenes Ereignis.
Als Streit bezeichnet man etwas, das mit Gegnerschaft verbunden ist.
Als Streit bezeichnet man etwas, bei dem viel Energie im Spiel ist.
Ja, Energie war ja nichts Schlechtes. Streit musste nichts Schlechtes sein. Nicht umsonst sprach man von Streitkultur oder Streitlust.
Die Suchmaschine ergab: heftiges Sichauseinandersetzen, Zanken (mit einem persönlichen Gegner) in oft erregten Erörterungen, hitzigen Wortwechseln, oft auch in Handgreiflichkeiten.
Oder auch: die unverhohlene Austragung einer zwischen mehreren Personen oder Parteien bestehenden Meinungsverschiedenheit, die nicht unbedingt feindselig sein muss, oft aber von starkem emotionalen Charakter ist.
Aber warum? Und was genau machte es so unerträglich? Und half es überhaupt, es zu verstehen?
Es wäre doch alles viel entspannter, wenn er sich nicht mehr für jeden Schmatzer schämen, für jede Verspätung rechtfertigen, für jedes überflüssige Kilo entschuldigen, für jede stehengelassene Tasse beschimpfen lassen musste. Schlafen solange er wollte, Den Fernseher ein- um- und wieder ausschalten, wann er es wollte. Duschen, wenn ihm danach war, essen was ihm schmeckte und so viel ihm behagte, sich verabreden oder sich auch einmal ein ganzes Wochenende in die Wohnung zurückziehen, Musik hören, trainieren, lesen, aus dem Fenster starren.
Er könnte einfach ausziehen. Aber einfach war das nicht. Er hatte es schön hier, sich eingerichtet, ein richtiger Wohlfühlort.
Sie würde niemals ausziehen. Um keinen Preis. Sie war viel zu stolz auf all die liebevollen Details, mit der sie die Wohnung zu ihrem persönlichen Paradies gemacht hatte.
Sie schrie schon wieder. Diesmal waren es die nassen Handtücher auf dem Badezimmerboden. Wieso hängte sie sie nicht einfach über die Heizung und schwieg, so wie andere Frauen?
Sie rannte hin und her. Vom Bad ins Schlafzimmer. Vom Schlafzimmer ins Arbeitszimmer. Vom Arbeitszimmer ins Wohnzimmer. Dabei schrie sie unentwegt. Sie schimpfte, brüllte, würgte, heulte, es war unerträglich. Es gab keinen Knopf zum Abschalten, nur die finale Implosion.
Den Mottek hatte er noch nicht zurückgegeben, darüber hatte sie sich auch schon drei oder fünf mal aufgeregt, weil er immer noch im Flur herumstand und den Parkettfußboden vermackelte. Tat er gar nicht. Er war hart und schwer und ganz besonders mächtig. Er hatte schon immer eine Affinität zu sehr großen Hämmern gehabt. Dieser hier konnte viel. Man musste ihn nur Hochheben, danach nur noch im passenden Moment loslassen.
Als der helle Läufer im Flur sich rot färbte, als es endlich still und die Implosion erfolgt war, kamen endlich längst verdrängte Bilder zurück:
Ihr helles Lachen und das strahlende Gesicht.
Ihr Stöhnen und Schreien und die festen Muskeln unter der glatten Haut.
Der Duft ihres dichten Haares.
Die Abenteuerreisen und die entspannten Wochenenden am Strand.
Die Geburten der gemeinsamen Kinder.
Ihre samtweichen Küsse.
Der Quark-Kirschauflauf mit Gries und Vanille.
Würde doch einsam werden, die Ruhe.
Ob der Schwager den Mottek überhaupt zurück haben wollte?
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