Freitag, 5. Oktober 2018
Mikrokosmos – Kurzkrimi in drei Teilen - 1. Teil
Es war tatsächlich kein schöner Anblick. Die Hitze hatte zu extremen Muskelkontraktionen geführt und er sah aus, wie ein überdimensioniertes Brathähnchen. Keller schämte sich für den Vergleich. Der, dessen sterbliche Überreste hier in der ausgebrannten Toilette lagen, war einmal ein Mensch gewesen, der Küster dieses beeindruckenden Meisterwerkes moderner Architektur. Was für ein Glück, dass die Flammen nicht auf den Innenraum der Kirche übergegriffen hatten. Der Tathergang war ziemlich offensichtlich: Jemand hatte den Sanitärraum unauffällig mit reichlich Feuerwerkskörpern gespickt und durch die Lüftung eine Lunte nach draußen gelegt. Sobald der Küster Johann Georg Klaaßen die Toilette aufgesucht hatte, war die Tür mit einem Besen verbarrikadiert und die Lunte gezündet worden. Vermutlich hatte Klaaßen noch verzweifelt versucht, sich aus der Hölle von Lärm, Rauch und Feuer zu befreien, konnte aber nicht entkommen, war erstickt und schließlich verkohlt. Wer kam auf die Idee, so grausam zu töten? Oder steckte am Ende gar keine Tötungsabsicht dahinter?
Kriminalhauptkommissar Stefan Keller wandte sich an seine junge Kollegin Sabine Kerkenbrock: „Finden Sie nicht auch, dass das etwas von Hooligan-Methoden hat oder von denen aus der autonomen Szene?“
„Na, das bedeutet ja nun alles und nichts.“, erwiderte Kerkenbrock. „Da ist ja alles drin von wütenden Fans bis hin zu politischen Extremisten, egal ob links oder rechts. Sieht halt nach extremer Gewalt aus. Meinetwegen auch nach junger, extremer Gewalt. Vielleicht hatte er als Küster Stress mit den Jugendlichen.“
„Gibt es denn hier überhaupt Jugendarbeit?“
„Gibt immer welche - und wenn es nur ein paar Nerds sind, die nicht wissen, wo sie sonst hingehen sollen.“

Bernd Hucke von der Kulturgruppe hatte den Toten gefunden. Nun pirschte er sich an die sich beratenden Beamten heran und erklärte: „Den Rabauken, die hier zum sogenannten offenen Treff kommen, sollten Sie mal auf den Zahn fühlen. Jeden Freitag machen die hier Randale, und am Samstag Morgen musste der Herr Klaaßen immer die Bierflaschen und die Zigarettenkippen einsammeln. Der hat denen so oft die Leviten gelesen und es hat nichts genützt. Noch letzte Woche hat er ihnen erklärt, wenn er noch einmal samstags so eine Schweinerei hier vorfindet, sorgt er persönlich dafür, dass der offene Treff dicht gemacht wird.“
Sabine Kerkenbrock bekam nur die Hälfte von dem mit, was der aufgebrachte Rentner von sich gab. Sie starrte angeekelt auf den Faden aus Speichel, Schleim und Zahnbelag, der sich wie Spinnensekret zwischen Ober- und Unterlippe in die Länge zog.

Auf dem Fahrrad kam ein tätowiertes Wesen mit grünen Haaren und viel Metall im Gesicht auf den Parkplatz gefahren. Es handelte sich bei näherer Betrachtung um ein männliches Exemplar der Gattung Homo Sapiens, das definitiv weniger als zwanzig Jahre alt war.
„Kehrt da wohl der Täter zum Tatort zurück?“, wisperte Keller mit einem ironischen Grinsen, denn der Jugendliche bediente alle Klischees des gewaltbereiten Exremisten. Pfarrerin Angelika Zettel, die mittlerweile ebenfalls eingetrudelt war, eilte dem Jugendlichen entgegen. „Oh Julian, ich glaube Ihr könnt Euch heute nicht treffen, hier ist etwas ganz furchtbares passiert und das Gemeindehaus wird wohl bis auf Weiteres geschlossen.“
Kerkenbrock war der Pfarrerin hinterher geeilt und erklärte: „Bitte schicken Sie niemanden weg. Das Gemeindehaus müssen Sie nicht schließen, ganz im Gegenteil, es wird unsere zentrale Befragungsstelle, sobald wir hier mit der Spurensicherung fertig sind. - Und wer sind Sie?“, wandte sie sich höflich an den Jugendlichen.
„Julian Schlüter. Ich leite die Band von TEN SING.“
„Und ihr seid hier Freitags immer im offenen Treff?“
„Nee, höchstens ab und zu und eher so einzeln. Also ich hab' keinen großen Bock auf die Leute, sind ziemliche Flachnasen. Wir treffen uns hier mehrmals die Woche und heute planen wir eigentlich einen langen Probetag.“
„Das wäre aber mehr als pietätlos.“, funkte Pfarrerin Zettel dazwischen
„Wieso, was ist denn passiert?“, fragte Julian noch immer ahnungslos.
„Der Küster ist in der Kirche verbrannt.“, erklärte Kerkenbrock. „Sie waren nicht zufällig gestern Abend hier in der Nähe?“
„Was? Nein, wieso? Denken Sie etwa, ich hätte Feuer gelegt? Ich meine, Grund genug, hätten wir vielleicht gehabt, aber so was macht doch keiner. Das war bestimmt ein Unglücksfall.“
„Nein, es war Mord.“, erklärte Keller, der in der Zwischenzeit dazu gekommen war. „Warum hätten Sie einen Grund gehabt?“
Julian musste schlucken. „So meinte ich das nicht.“, erwiderte er. „Wie gesagt, keiner von uns würde jemanden umbringen, nicht einmal den Küster, aber Klaaßen hat schon immer reichlich rumgestresst. Am meisten ist er auf die Leute vom offenen Treff los gegangen, die sind zwar nicht die Schlausten und müllen hier oft alles zu, aber sie hätten den mal reden hören sollen, wie der sie beschimpft hat. Da kamen so Sprüche wie „asoziale Brut vom arbeitsscheuen Gesindel“ oder „schwarzgesichtige Muselmänner, die sich in unseren christlichen Räumen breit machen“, da kam uns echt oft genug die Galle hoch. Und der hat dafür nie Lack gekriegt. Die Eltern von den OT-Leuten, die kümmern sich halt nicht so viel, denen ist das egal und wenn wir mal unsere Jugendpresbyterin oder die Pfarrer drauf angesprochen haben, hieß es immer, wir kümmern uns darum und dann ist nie was passiert.“
„Da ist schon etwas passiert.“, widersprach die Pfarrerin. „Wir haben das nur nicht an die große Glocke gehängt. Da haben mehrfach Gespräche mit Herrn Klaaßen stattgefunden. Und kürzlich gab es dann ja auch weitreichende Konsequenzen.“
„Ja, aber nur weil unsere Eltern Sturm gelaufen sind, nachdem er ständig unsere Proben gestört hat und immer meinte wir wären zu laut oder wir würden beim Tische Rücken den Boden vermackeln und lauter so ein Zeug. Ständig hat er in unserem Materialraum rumgepfuscht und behauptet, er hätte aufgeräumt, hat dauernd Sachen weggeschmissen, die wir noch brauchten. Nie durfte irgend etwas von uns mal für zwei Tage stehen bleiben, aber wenn die Kulturgruppe hier ihr Programm gemacht hat, dann hatten die ihr Zeug überall rumstehen, aber das sind ja auch rechtschaffene Rentner und keine dreckigen Jugendlichen.“
„Kommen gleich noch mehr von Euch?“, fragte Keller.
Julian nickte mit dem Kopf.
Nach der eingehenden Befragung der überwiegend behütet aufgewachsenen Tensinger, nahm Kerkenbrock ihren älteren Kollegen vertraulich beiseite: „Ich weiß ja nicht, aber nach allem, was die Teenager über diese Rentnergang erzählt haben, sollten wir uns die vielleicht einmal genauer vorknöpfen.“
„Welche Rentnergang?“
„Na, die Kulturgruppe. Die scheinen ja jeden, der ihnen auch nur im Ansatz in die Quere kommt, direkt fertigzumachen.“

Fortsetzung folgt nächsten Freitag

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Freitag, 28. September 2018
Zwergenaufstand – ein krimifantastischer Vierteiler – Teil 4
Der erste, den er auswählte, war der braune Bodo. Sie nannten ihn so, weil er hellbraune Kleidung bevorzugte. Der braune Bodo plapperte nur nach, was sein Anführer ihm vorsagte und blickte stumpfer drein als seine Axt, die von unzähligen Fehlschlägen ganz schartig geworden war. Rolo beobachtete ihn. Bodo aß gern gut abgehangenes Fleisch und trank noch lieber krügeweise Met. Alles andere war ihm eigentlich egal. Nur, wenn ihm jemand Angst machte, das Fleisch könne knapp werden und der Met-Strom könne versiegen, empfand sein Saurierhirn das als lebensbedrohlich und er wurde zum Tier. Sobald sein Anführer ihm mitteilte, wer der Grund für die Bedrohung sei, drosch er so lange mit seiner Axt auf ihn ein, bis er traf oder es seinem Opfer gelungen war, zu fliehen. Rolo sprach ihn an: „Gehen wir ein Met trinken?“
„Wieso wir?“, fragte Bodo erstaunt.
„Wieso nicht?“
„Wenn du mittrinkst, bleibt nicht so viel für mich.“
„Wenn du nicht mit mir kommst, kriegst du gar nichts von meinem Met.“
„Wieso dein Met?“
„Ich hab' ein Fässchen.“
„Wieso willst du mir was abgeben?“
„Allein saufen macht keinen Spaß.“
„Hast du keine Freunde?“
„Nein.“
„Dann bin ich jetzt dein Freund.“

Sie begannen zu trinken. Nach dem ersten Becher sagte Bodo: „Mein Anführer lädt mich immer nur auf einen Becher ein. Nie auf ein halbes Fass.“
„Dein Anführer ist ja auch ein Parasit.“, erwiderte Rolo.
„Wieso?“
„Er füttert dich an, damit du ihm vertraust und dann saugt er dich leer.“
„Ist er eine Mücke oder was?“
„Nein. Eine Mücke zapft dich nur an. Er saugt dich leer. Du sollst dich prügeln und er lässt sich dafür feiern.“
„Hm. Aber er ist mein Anführer.“
„Warum?“
„Weil er schlauer ist als ich.“
„Gibt auch andere, die schlauer sind als du.“
„Hey, werd' nicht frech!“
„Gibt auch viele, die schlauer sind als ich.“
„Ja, kann sein. Zapf mal nach.“

Und so tranken und redeten sie drei Nächte und drei Fässer lang. Bodo erzählte seine traurige Geschichte und Rolo erzählte auch eine traurige Geschichte, die viel Ähnlichkeit mit seinem wirklichen Leben hatte. Sie wurden so etwas wie Freunde, und auch wenn Bodo noch immer ein weißer Zwerg war, so hatte Rolos Met eine Menge Gift aus seinem Körper gespült und als der Rausch verflogen war, kam da so etwas wie Erkenntnis in des braunen Bodos Kopf und auch ein Funken Verstand. Er zog in eine andere Gegend, verriet seinem Anführer nicht, wohin, konzentrierte sich auf Fleisch und Met und ließ sich von niemandem mehr einreden, es könne knapp werden.

Und Rolo der Dottergelbe zog weiter, um den nächsten zu entgiften. Und er schrieb an seine Vetter und Gefährten, dass sie es ihm gleich täten. Und dann lernte er Rowina kennen eine rot-orange Schönheit, die wich nicht mehr von seiner Seite und er nicht mehr von der ihren. Doch Rowina hatte ein Geheimnis, das sie nicht einmal Rolo offenbarte, denn sie war ausgezogen, die Männer zu entgiften, aber das ist eine andere Geschichte.

Ende

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Freitag, 21. September 2018
Zwergenaufstand – ein krimifantastischer Vierteiler – Teil 3
Überall standen Fläschchen und andere Glaskörper herum, aufwändige Konstruktionen von Kolben und Röhrchen mit großen blauen Flammen darunter und überall zischte und brodelte es. Zwei Riesen in weißen Kitteln waren emsig damit beschäftigt, Pülverchen zusammenzurühren, Flüssigkeiten einzufüllen und abzuzapfen, Fläschchen zu etikettieren und Dinge in Bücher zu schreiben. Rolo versteckte sich in einer dunklen Ecke und wartete bis zum Abend, als die Riesen das Labor schließlich verließen. Er nutzte die gesamte Nacht, um alles genauestens in Augenschein zu nehmen. Am Ende war ihm klar, was hier gebraut wurde: Es waren Gifte, die die Riesen den Zwergen in die Fertignahrung mischten, davon veränderten sich ihre Gehirne. Sie wurden gleichzeitig gierig und ängstlich. Sie bekamen schreckliche Angst vor allem Unbekannten und noch größere Angst, im Leben zu kurz zu kommen, nicht genug abzubekommen, sie wurden nicht mehr satt und zufrieden – und sie verloren ihre Farbe. Die weißen Zwerge waren total vollgepumpt mit den Giften. Im Zwuselland aß man noch meistenteils das eigene Gemüse und Fleisch von selbst gezüchteten Tieren. Nur wenige liebten die Industrienahrung aus Zworderos.
Aber unter den zugereisten, bunten Zwergen schien es auch Vergiftungserscheinungen zu geben, denn sie konnten sich ja nicht selbst versorgen und mussten das Gift der Riesen genauso essen. Aber sie wurden nicht weiß wie die Giftzwerge aus Zworderos. Statt der Farbe verloren sie ihre Form. Alles Weiche und Runde an ihnen wurde hart und kantig, spitz und scharf. Sie wollten nur noch töten und verletzen, das Denken und Einfühlen hatten sie auch abgestellt. Sie waren die schärfsten Feinde der weißen Zwerge. Nun konnte man meinen, man müsse nur abwarten, dass sie sich gegenseitig auslöschten, aber das funktionierte nicht, denn die farbigen Giftzwerge hatten schadhafte Augen und verwechselten helle Regenbogenzwerge mit weißen Zwergen.
Nun musste Rolo nur noch herausbekommen, warum die Riesen die Zwerge vergifteten. Was hatten sie davon?

Als am Morgen die Weißkittel zurückkehrten, schlich Rolo sich durch die Tür in die höheren Etagen des Gebäudes. In einem großen Saal gingen Riesen ein und aus, stopften sich mit Essen voll, führten Gespräche und taten was auch immer. Sie aßen so gierig, dass immer etwas herunter fiel, für Rolo waren das immer noch große Brocken und er konnte sich eine Weile hier einquartieren, um herauszufinden, was sie trieben und am Ende zu verstehen, warum sie so handelten, wie sie es taten.
Er blieb einen ganzen Monat dort. Essen und Trinken gab es reichlich, versteckte Winkel, in denen er sich verborgen halten konnte, waren ebenfalls vorhanden. Nachts schlief er auf den weichen Polstern und sein Geschäft verrichtete er in den Futternäpfen, die die Riesen überall für ihre Hunde aufgestellt hatten. Als der Mond sich einmal gefüllt und wieder geleert hatte, besaß er genug Informationen.
Die Riesen hier waren nicht etwa diejenigen, die die Geschicke des Landes führten. Von denen tauchten nur vereinzelt welche auf und sie wurden nur geduldet, gehörten nicht wirklich dazu und wenn sich einer zu viel heraus nahm, warfen die Hiesigen ihn achtkantig heraus. Diese Riesen interessierten sich eigentlich gar nicht für die Zwerge, weder für die bunten noch für die weißen und auch das Leid, das sie mit ihrer Giftattacke verbreiteten, war ihnen vollkommen egal. Sie hatten nur zwei wesentliche Ziele, die sie unbeirrt verfolgten:
Die Sicherung ihres persönlichen Komforts und die Befriedigung ihres Spieltriebs. Für sie war die Welt ein Fantasy-Brettspiel und die Zwerge waren ihre Spielfiguren. Sie waren große Kinder, diese Riesen, die sich standhaft weigerten, erwachsen zu werden. Man musste die Monster aufhalten.
Aber Rolo konnte sie nicht besiegen, jedenfalls nicht allein, auch nicht allein mit den Regenbogenzwergen, die noch übrig waren. Sie waren zu wenige, sie brauchten Verstärkung. Man musste die weißen Giftzwerge entgiften, dass sie wieder Farbe bekamen. Man musste ihre Angst besiegen, ihre erkalteten Herzen erwärmen und – das war das allerschwerste – man musste sie lieben, die Giftzwerge, um ihre Gier zu vertreiben. Das war unmöglich, aber er musste das Unmögliche schaffen.
Wie hatte es der alte Ohm formuliert? „Schleiche dich an Einzelne heran, immer schön einer nach dem anderen, still und leise.“

Fortsetzung folgt am kommenden Freitag

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Freitag, 14. September 2018
Zwergenaufstand – ein krimifantastischer Vierteiler – Teil 2
Rolo entdeckte ihn an der Honighalle. Er war aufgedunsen wie ein Klops und so weiß, dass man geneigt war, eine Sonnenbrille aufzusetzen, wenn man ihn ansehen wollte. Wenn man ihn denn ansehen wollte, denn er war so entsetzlich hässlich, dass Rolos Gefühle zwischen Abscheu und tiefstem Mitleid hin und her pendelten. Er trug eine Fahne mit sich herum, darauf stand in großen, altmodischen Lettern: Weißland den Weißen.
Rolo gab sich naiv und unschuldig, als er den weißen Zwerg fragte: „Wo ist denn Weißland?“
„Na hie', du Wanze.“, antwortete der Giftzwerg.
„Aber hier ist doch Zworderos.“
„Wenn wi' mit den Zu'ezo'enen fetich sin', is' hier wieder Weißlan'.“
Der kann ja nicht einmal richtig sprechen – dachte Rolo erschüttert.
„Wann seid ihr denn mit den Zugezogenen fertig?“, fragte Rolo weiter nach.
„Wenn die alle ve'schwunnen sin'.“
„Warum sollen die denn verschwinden?“
„Bissu schwul oder was? Weil die Scheiße sin'. Die ham mein Kam'raden paltt 'emacht. Ich will Rache.“
Mit zitternden Händen zählte der debile Giftzwerg sein Kleingeld und musste immer wieder von vorn anfangen.
„Komm, Kamerad“, sagte Rolo, „Ich lad' dich ein.“ Er ging in die Honighalle und kaufte ein Fässchen Met für den Giftzwerg. Dieses Exemplar konnte man nicht mehr retten, nur ruhigstellen und dabei unterstützen, wie er sich ins Grab trank, so traurig das war. Keiner konnte ihn gebrauchen und vermutlich hatte ihn auch niemand gern. Er hatte seinen wahrscheinlich einzigen Freund verloren, er hatte Angst vor den eingewanderten Zwergen aus anderen Ländern, weil sie ihm oder seinen Kameraden etwas angetan hatten. Rolo verstand, dass ein Zwerg mit geringem Verstand zu keiner anderen Schlussfolgerung gelangen konnte. Eine Katze hätte das auch nicht gekonnt.

Er zog zum nächsten Ort und machte Rast in einem Wirtshaus. Am Nebentisch saß ein alter, weißer Giftzwerg und aß eine Schweinshaxe. Die hatte er auch bitter nötig, denn er war klein, schwach und krumm. Er schimpfte lautstark über das bunte Gesindel, als sein Blick schließlich auf den jungen, gesunden, kräftigen Rolo fiel.
„Nichts für ungut, Gelber.“, sagte er zu Rolo „Ich habe grundsätzlich nichts gegen Farben. Helle Farben sind ja ganz schön, die leuchten besonders auf weißem Grund. Es sind die dunklen Farben, die ich nicht ausstehen kann, die passen einfach nicht zu uns. Die blauen, roten und grünen Zwerge sollen dahin zurück ziehen, wo sie her gekommen sind. Da passen sie in die Landschaft, aber hier beißen sich ihre Farben mit denen, die hier hingehören. Sie mischen sich mit unseren Frauen und was kommt dann dabei heraus? Lauter verwaschene Kinder, die so schmuddelig aussehen, dass sie niemals leuchten können. Die müssen weg, die dunklen Zwerge, die wollen wir hier nicht.“
„Ich glaube“, sagte Rolo, „Nach der Haxe brauchst du erst einmal einen ordentlichen Schnaps zur Verdauung.“
Er bestellte dem Giftzwerg eine ganze Flasche und brachte ihn dazu, einen nach dem anderen zu kippen: auf die Vertreibung der dunklen Zwerge, auf alles Helle und Schöne, auf Schweinhaxen bis zum Abwinken und auf den Endsieg der weißen Zwerge. Am Ende schlief der Alte am Tisch ein und Rolo hoffte, dass er nie wieder aufwachte. Die Abscheu gegen alle kräftigen Farben hatte sich so tief in die Seele das alten Giftzwergs gebrannt, da war nichts mehr rückgängig zu machen, das musste sogar Rolo einsehen. Dieser hier hatte also Angst davor, dass seine gewohnte Umgebung sich veränderte, dass die Dinge nicht mehr so aussahen wie in seiner Kindheit. Eine seltsame Art, die Welt zu sehen, aber davon gab es sicher eine ganze Menge.

Rolo wanderte weiter und suchte sich ein Gasthaus für die Nacht. Jetzt, wo es langsam dunkel wurde, sah man immer mehr weiße Zwerge auf den Straßen und kaum noch bunte. Sie sahen aus wie Gespenster, die Giftzwerge und Rolo spürte die gleiche Angst vor den Weißen in sich aufsteigen, die diese vermutlich vor den Bunten hatten.
Im Gasthof saß eine Gruppe Giftzwerge zusammen und trank Met. Den Anführer machte Rolo sofort aus. Er hatte eiskalte Augen und sah so aus, als hätte irgendetwas ihm die Seele ausgesaugt. Er verzog keine Miene, sein Blick bohrte sich in Rolos Kopf und er sprach wie eine Maschine: „Die Dunklen nehmen unsere Frauen weg und mischen sich mit ihnen. Da kommen dann nichts als graubraune Bastarde raus, lauter Taugenichtse, die dauernd krank sind und nicht arbeiten können. Die müssen weg. Außerdem reicht es nicht für alle in Weißland, wenn von überall her die Bunten hier einfallen, die Felder leer fressen, die besten Höhlen besetzen und sich in unsere Ratsversammlungen schleichen, um irgendwann die Macht zu übernehmen. Denn die Zugezogenen sehen auch, dass es nicht für alle reicht, darum wollen sie uns verdrängen. Sie vermehren sich wie die Karnickel, bis sie irgendwann in der Mehrheit sind und dann versklaven sie uns. Wehret den Anfängen! Wir werden sie jagen, werden uns unser Land zurück erobern. Weißland für immer weiß!
„Weißland für immer weiß!“, antwortete die Gruppe brüllend und alle nahmen einen Schluck von ihrem Met.
Rolo hatte plötzlich eine ausgezeichnete Idee.
„Ihr müsst sie einzeln aufspüren.“, sagte er. Einen nach dem anderen verschwinden lassen, so dass der Rest gar nichts merkt.“
„Schlau.“, sagte einer der Giftzwerge. „So weit sind wir auch schon.“
„Ja, aber wisst ihr denn auch, dass in den alten Futhark-Höhlen draußen vor der Stadt ganze Sippen von Eingewanderten hausen? Ihr könntet einen nach dem anderen raus locken und dann mit ihm tun, was ihr für richtig haltet.“
„Was hieltest du denn für richtig?“, fragte der Anführer voller Argwohn.
„Zerhacken.“ antwortete Rolo mit vorgetäuschter Herzenskälte. „In den Boden rammen, verbrennen, zerschmettern, ertränken, häuten, was auch immer euch einfällt. Irgendwie müsst ihr sie ja kaputt kriegen.“
Die Giftzwerge klopften begeistert auf den Tisch.
„In die Futhark-Höhlen hat seit Jahren niemand einen Fuß gesetzt.“, sagte der Anführer. „Man sagt, sie seien verflucht. Aber wenn das stimmt, was du sagst, warum sollten wir sie einzeln herausholen? In den Höhlen können wir sie doch einfach ausräuchern.“
Wieder klopften die weißen Zwerge begeistert auf den Tisch und Rolo wünschte allseits gute Nacht. Er wusste dass die Futhark-Höhlen voller Wespennester waren. Wenn die Giftzwerge dort Rauch einleiteten, würden sie ihr schwarz-gelbes Wunder erleben.

Am nächsten Morgen führten Rolos Schritte ihn in die Hauptstadt von Zworderos. Hier wohnten die Riesen, die über das ganze Land herrschten, nicht nur über Zworderos, ihre Arme reichten bis ins Zwuselland, man spürte das immer dann, wenn sich etwas änderte, was kein einziger Regenbogenzwerg wollte, trotzdem geschah es einfach so. Die Häuser der Riesen waren strahlend weiß, nur die Fenster und Türrahmen waren in dezenten Pastelltönen gestrichen. Nirgendwo gewährte man Rolo Einlass und er fragte sich, warum die Riesen sich derartig gegen die Zwerge abschotteten, wo sie bei ihrer Größe und Macht doch eigentlich nichts von ihnen zu befürchten hatten. Doch dann entdeckte er eine Maueröffnung, um die sich niemand gekümmert hatte, ein kleines Fenster, durch das kein Riese sich hätte zwängen können, auch nicht der fette, weiße Giftzwerg, der vor der Honighalle gestanden hatte, aber der schlanke, wendige, dottergelbe Rolo, der kam hinein und was er dort entdeckte, verschlug ihm die Sprache.

Fortsetzung folgt am kommenden Freitag

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